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Regierungsbildung in Italien zeigt: Das Eurosystem funktioniert nicht mehr

Von Alexander Hartmann

Nachdem der italienische Präsident Mattarella am 27. Mai die von der neuen Mehrheitskoalition der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung vorgelegte Ministerliste abgelehnt und diese Ablehnung ganz offen damit begründet hatte, daß die Unsicherheit über die Politik der neuen Regierung „italienische und ausländische Investoren alarmiert“ habe - daß also die Rücksicht auf die Interessen der Finanzwelt Vorrang haben müsse gegenüber dem Willen der Wähler -, brach nicht nur in Italien ein gewaltiger Sturm der Entrüstung los.

Zuvor hatte die Finanzwelt sämtliche Druckmittel eingesetzt - Ratingagenturen, EU-Vertreter und die geballte „vierte Macht“ der Medien -, um eine Lega-Fünf-Sterne-Regierung zu verhindern. In ihrem internationalen Internetforum am 31. Mai betonte die Vorsitzende des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche: „Es ist nicht das erste Mal, daß dies geschehen ist. Schon 2011 übten die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Sarkozy ähnlichen Druck aus, um den damaligen Premierminister Berlusconi aus dem Amt zu treiben, und das führte zur Regierung Monti, die die Austerität ausweitete, und die wirtschaftliche Not in Italien hat sich seither dramatisch verstärkt... Das hat die EU wirklich diskreditiert. Und nun ist herausgekommen, daß sie das gleiche auch schon mit der österreichischen Regierung versucht hat, nur daß der österreichische Präsident Van der Bellen diese Intervention rundheraus zurückgewiesen hat.“

Liliana Gorini, die Vorsitzende von MoviSol, der LaRouche-Bewegung in Italien, verurteilte Mattarellas Vorgehen „als ein weiteres Beispiel der ,Suspendierung der Demokratie’, wie sie die Europäische Union verlangt, seit sie für sämtliche europäischen Regierungen das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaushalts vorgab - in Angela Merkels Worten: eine ,marktkonforme Demokratie’.“ Sie wies darauf hin, daß durch diese Ablehnung nur sehr wenig Zeit bis zu erneuten Neuwahlen gewonnen würde, und fragte: „Sind die Finanzmärkte so verzweifelt, daß sie unbedingt Zeit gewinnen müssen, und seien es nur drei Monate?“

Gorini forderte die beiden Koalitionsparteien - die im italienischen Parlament zusammen über eine Mehrheit von 60% verfügen - auf, die wesentlichen Maßnahmen ihres Regierungsprogramms - die Einführung eines Trennbankensystems und die Schaffung einer Staatsbank für Investitionen - vom Parlament aus durchzusetzen.

Die offen zur Schau gestellte Arroganz der Macht des Finanzempires löste eine gewaltige Gegenreaktion aus. Sogar das Wall Street Journal veröffentlichte einen Kommentar, in dem gewarnt wurde, daß eine so offene Mißachtung eines demokratischen Votums „nur den Eindruck verstärken wird, daß die EU gegenüber der öffentlichen Meinung immun ist. Dies vertieft die Spaltung zwischen den Menschen und den Institutionen in Europa.“

Und tatsächlich hat das Empire den Bogen überspannt: Der von Präsident Mattarella anstelle von Giuseppe Conte mit der Regierungsbildung beauftragte „Sparapostel“ Carlo Cottarelli mußte schon nach wenigen Tagen das Handtuch werfen, als deutlich geworden war, daß er bei der Abstimmung des Parlaments über seine Ernennung keine einzige Stimme erhalten würde, da nicht einmal die Demokratische Partei es wagte, für ihn zu stimmen, und sich der Stimme enthalten hätte. Dies hätte zu Neuwahlen geführt, und allgemein wurde damit gerechnet, daß Lega und Fünf-Sterne-Bewegung ihre Mehrheit im Parlament in diesem Fall von 60% auf 80% gesteigert hätten.

Mattarella akzeptierte daher dann doch eine - nun wieder von Giuseppe Conte vorgelegte - neue Ministerliste der Koalition, in der der „Stein des Anstoßes“ - der erfahrene Bankier Paolo Savona, ein früherer Vorsitzender des Industriellenverbandes und früherer Minister, der sich aus persönlicher Erfahrung vom Euro-Fan zum Euro-Kritiker gewandelt hatte - nicht mehr als Finanzminister vorgesehen ist, sondern nunmehr zuständig sein wird für europäische Angelegenheiten. Conte, Savona und die übrigen Minister wurden am 1. Juni vereidigt. Am Programm der Koalition hat sich nichts geändert, es enthält immer noch die Forderung nach der Einführung eines Trennbankengesetzes und der Gründung einer Staatsbank für Investitionen.

Die internationale Finanzkrise

Der ganze Vorgang ist tatsächlich nicht zu verstehen, wenn man sich nicht die verzweifelte Lage der internationalen Banken verdeutlicht: Sie sind verloren, sobald die Regierungen nicht mehr bereit sind, sie auf Kosten des Gemeinwohls der Bevölkerung weiter zu stützen. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma ist eine grundlegende Bankenreform nach dem Vorbild des Glass-Steagall-Trennbankensystems, die geordnete Beseitigung der spekulativen Wettschulden und eine Neuausrichtung der Banken auf die Finanzierung der produktiven Wirtschaft. Aber die Finanzwelt ist noch weit davon entfernt, dies einzugestehen.

Nachdem die Ratingagentur Moody’s am 25. Mai eine mögliche Herabstufung der italienischen Staatsschulden angekündigt hatte, gab es einen Run auf italienische Staatsanleihen, der die Rendite für 10jährige Anleihen auf 3% hinauftrieb. Am 30. Mai kündigte Moody’s dann auch eine Überprüfung der Bonität von zwölf italienischen Banken an, und in den Medien wird nun Angst vor einem drohenden Staatsbankrott geschürt.

Tatsächlich steht Italien mit einer Verschuldung von 130% des BIP und einem Defizit von unter 3% besser da als beispielsweise Japan, dessen Schulden 250% des BIP betragen, bei einem Defizit von 10%. Aber die japanische Regierung ist nur gegenüber der eigenen Bevölkerung verschuldet, während die italienischen Staatsschulden nur zu 50% in Italien gehalten werden, 25% sind Auslandsschulden, weitere 25% hält die EZB. Das macht Italien erpreßbar, denn während Länder mit einer eigenen Währung ihre Schulden als ultima ratio monetarisieren können, um eine Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, müßte Italien dazu das Geld von der EZB leihen. Tatsächlich treibt gerade die Politik der EU und der von ihr so verehrten Finanzmärkte das Land in die Krise, indem sie seine Schulden vergrößert - während die viel gescholtenen „Populisten“ im Gegensatz dazu eine Zahlungsunfähigkeit durch einen „Plan B“ - den Austritt aus dem Euro - verhindern wollen.

Eine Zahlungsunfähigkeit Italiens würde sich auch stark auf das Ausland auswirken. Insbesondere Banken in Frankreich, Belgien und Italien halten große Bestände italienischer Staatsanleihen - allein die belgische Dexia-Bank hält 15 Mrd. Euro, doppelt soviel wie ihr Eigenkapital. Auch eine Reihe deutscher Banken ist stark exponiert, beispielsweise die Deutsche Pfandbriefbank, die Aareal Bank und die Commerzbank. Die Deutsche Bank hält zwar vergleichsweise weniger italienische Staatsanleihen, aber dafür hat ihr Bankennetzwerk 35 Mrd. Euro an nichtstaatliche Kunden in Italien verliehen - und außerdem ist sie besonders anfällig durch ihre riesigen Bestände an Derivaten.

Am schlimmsten ist die Lage für die französischen Banken, für die der italienische Markt der zweitgrößte nach dem französischen ist. Allein BNP-Paribas hat etwa 154 Mrd. Euro an Kunden in Italien verliehen, die Crédit Agricole 95,5 Mrd. Euro. Insgesamt führen französische Banken 311 Mrd. Euro an Krediten an italienische Kunden in ihren Büchern, davon 63 Mrd. an den italienischen Staat; deutsche Banken 91 Mrd. Euro, davon 39 Mrd. an den Staat, und spanische Banken 66 Mrd. Euro, davon 45 Mrd. an den Staat.

Darüber hinaus geht die Angst um, daß die politische Krise in Italien sich nicht nur auf die italienischen Staatsanleihen auswirkt, sondern auch die griechischen, spanischen und portugiesischen Staatsanleihen „angesteckt“ werden. So zitierte der Londoner Guardian einen hochrangigen Banker: „Was in Italien geschieht, macht uns große Sorgen... Die Anleihemärkte in Südeuropa drehen durch. Bei solchen Erträgen ist es absolut ausgeschlossen, daß Griechenland zu ihnen zurückkehren könnte, wenn das Programm endet.“ Der Guardian zitiert einen gut informierten griechischen Vertreter, der warnte, daß Griechenland erneut Hilfe aus dem Ausland benötigen werde, wenn es keine Anleihen auf den Märkten aufnehmen kann. Auch in Spanien und Portugal steigen die Renditen der Staatsanleihen.

Neoliberale Politik korrigieren

Die Tatsache, daß das Eurosystem insgesamt nicht mehr funktioniert, wird immer offensichtlicher. Helga Zepp-LaRouche betonte: „Es ist eine dramatische Situation, und ich denke, es ist höchste Zeit, über die Notwendigkeit nachzudenken, die neoliberale Politik zu korrigieren, denn wenn das nicht geschieht, dann kann dies nur zum Chaos führen. Deshalb sind LaRouches ,Vier Gesetze’ in der gesamten transatlantischen Zone notwendiger denn je.“

Wenn Italien das Trennbankensystem einführen wolle, dann sei dies nach den gegenwärtigen Regeln der EU gar nicht möglich, das Land müßte dazu entweder aus dem Euro oder sogar aus der EU austreten. Sie betonte:

„Die Alternative wäre offensichtlich das, was wir schon die ganze Zeit gesagt haben. Die EU in dieser Form des Maastricht-Vertrags ist ein Fehler, der Euro war ein Fehler... Ich habe deshalb schon sehr lange vorgeschlagen, dieses Konstrukt des Maastricht-Vertrages zu ersetzen durch ein Bündnis souveräner Republiken im Geiste Charles de Gaulles.

Denn wir können als souveräne Republiken perfekt für eine gemeinsame Politik zusammenarbeiten - nicht für Europa als solches, sondern für das, was Xi Jinping als die gemeinsamen Ziele der Menschheit bezeichnet, oder als eine Gemeinschaft für eine gemeinsame Zukunft der Menschheit. Die Neue Seidenstraße wäre der Schirm, unter dem wir alle zusammenarbeiten. Alle europäischen Länder könnten in einer Win-Win-Kooperation mit China kooperieren, um alle anderen Länder zu entwickeln, in Afrika, in Südwestasien.

Und wenn wir schnell und rigoros Lyndon LaRouches ,Vier Gesetze’ umsetzen - Glass-Steagall (Bankentrennung), eine Nationalbank, ein Kreditsystem und ein Crashprogramm zur Steigerung der Produktivität der Wirtschaft, indem wir sie so schnell wie möglich in eine Kernfusion-Ökonomie verwandeln - und dann in der gemeinsamen Entwicklung der Neuen Seidenstraße zusammenarbeiten, dann wäre das relativ einfach und absolut machbar. Aber wir müssen den politischen Willen aufbringen, genau das zu tun, bevor es zu spät ist.“

Die Vorgänge in Italien zeigen, daß dies möglich ist.