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Ein neues Paradigma für die deutsche Industrie: Was der BDI von China lernen sollte

Von Alexander Hartmann

Zwei Meldungen aus der deutschen Industrie zeigen, daß unsere Industrievertreter noch immer große Schwierigkeiten haben, mit dem Phänomen des chinesischen Aufschwungs umzugehen. Frei nach der Bergpredigt könnte man sagen: Sie sehen wohl den Splitter im fremden Auge, aber nicht den Balken im eigenen.

So veröffentlichte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am 10. Januar ein Grundsatzpapier mit 54 Forderungen zum Wettbewerb mit China, in dem der BDI sich zwar zu einer weiteren Kooperation mit China bekennt, aber gleichzeitig Chinas Wirtschaftspolitik scharf kritisiert.

Gleich an erster Stelle steht dabei für den BDI das Thema „China als systemischer Wettbewerber“. China entwickle sich „strukturell kaum mehr in Richtung Marktwirtschaft und Liberalismus, sondern ist im Begriff, sein eigenes politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Modell zu verwirklichen. Gleichzeitig prägt China als aufstrebende Wirtschaftsmacht andere Märkte und auch die internationale Wirtschaftsordnung. Das chinesische Modell einer Wirtschaft mit stark lenkendem staatlichem Einfluß tritt damit in einen systemischen Wettbewerb zu liberalen Marktwirtschaften.“

Der BDI beklagt: „Zwischen unserem Modell einer liberalen, offenen und sozialen Marktwirtschaft und Chinas staatlich geprägter Wirtschaft entsteht ein Systemwettbewerb. Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland und Europa brauchen eine breite öffentliche Diskussion und Orientierung zu dieser Herausforderung.“

Die deutsche Industrie brauche „Instrumente, die unsere marktwirtschaftliche Ordnung widerstandsfähiger machen. Sie dürfen unsere marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht einschränken, müssen WTO-konform sein und gleichermaßen auf alle ausländischen Akteure im EU-Binnenmarkt angewandt werden.“

Um der Herausforderung durch China zu begegnen, fordert der BDI ein „starkes und geeintes Europa“ und „internationale Kooperation mit gleichgesinnten Partnern“, denn den wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen durch China „ist kein EU-Mitgliedstaat alleine gewachsen. Antworten kann nur ein starkes, reformiertes Europa geben, das mit einer Stimme spricht.“ Deshalb müßten sich Deutschland und die EU „noch aktiver mit anderen liberalen marktwirtschaftlichen Staaten koordinieren, so daß aus gemeinsamen Interessen gegenüber China auch gemeinsames Handeln erwächst“.

Der BDI schlägt dazu vor, das EU-Beihilfenrecht und die Anti-Subventions-Instrumente zu schärfen. Europa müsse effektiv gegen Firmen vorgehen, die nicht in der EU produzieren und staatliche Subventionen erhalten. In diesem Sinne spricht sich der BDI dafür aus, eine neuartige Subventionskontrolle bei Auslandsinvestitionen einzuführen. „Diese sollte staatlich finanzierte Übernahmen europäischer Technologieunternehmen kontrollieren - und notfalls verhindern. In der öffentlichen Auftragsvergabe sollten hohe Qualitätsstandards ein Muß werden.“ Dumping-Preise ausländischer Anbieter müßten auf Subventionen untersucht werden können. Die 54 Forderungen sollen ein „Kompaß in der politischen Debatte“ sein.

VW will „chinesischer werden“

Die zweite Meldung kam - aus China. Am 7. Januar gab der Vorstandsvorsitzende des Wolfsburger Volkswagen-Konzerns, Herbert Diess, eine Pressekonferenz in Beijing, bei der er begründete, warum er das Chinageschäft zur Chefsache erklärt und die Zuständigkeit für China persönlich übernommen hat: Trotz des sogenannten Diesel-Skandals, der das Ansehen von Volkswagen weltweit schwer geschädigt habe, hat der Konzern im vergangenen Jahr rund 4,2 Mio. Fahrzeuge in China verkauft - etwa viermal so viele wie in Deutschland. „Das Machtzentrum der Automobilindustrie“ werde in den kommenden Jahrzehnten in China sein, betonte Diess. China werde daher für den Konzern noch bedeutender werden. „Die Zukunft von Volkswagen entscheidet sich auf dem chinesischen Markt“, zitiert ihn die FAZ. VW solle deshalb „chinesischer“ werden.

In diesem Zusammenhang gab Diess eine Entscheidung bekannt, die die deutsche Politik wachrütteln sollte: „Künftig werden unsere Autos auch in China entwickelt.“ Bisher geschah dies vor allem in Deutschland, China war der Absatzmarkt. Diess: „Bisher haben wir europäische Technologie nach China gebracht und sie dort lokalisiert und vermarktet. Das ist vorbei.“ Denn heute habe China die Technologieunternehmen und Fähigkeiten, die das Unternehmen für das Auto der Zukunft brauche, „das von einem Elektromotor angetrieben wird, selbst lenkt und nach dem Willen der Kunden funktionieren soll wie ein Smartphone“. Durch diese starken Technologie-Gesellschaften werde China zum „Kraftzentrum für die Autoindustrie in den kommenden 20 Jahren“.

Mit anderen Worten: China ist dabei, Europa und Deutschland technologisch „abzuhängen“.

Warum das so ist, demonstrierte Wang Zhigang, Chinas Minister für Wissenschaft und Technologie, am 10. Januar, als er bei der Nationalen Arbeitskonferenz über Wissenschaft und Technologie in Beijing einen umfassenden 10-Punkte-Plan für die Entwicklung von Wissenschaft und Innovationen im kommenden Jahr vorlegte. Als Beispiele für die Errungenschaften und Durchbrüche der chinesischen Wissenschaftspolitik im vergangenen Jahr nannte Wang die Chang’e-4-Mission zur erdabgewandten Seite des Mondes, die Fertigstellung des Beidou-3-Satellitensystems, die Erzeugung einer eukaryotischen Zelle mit nur einem Chromosom und andere Neuentwicklungen. Die Zahl der in Forschung und Wissenschaft tätigen Personen sei auf 4,18 Mio. angewachsen, und die Zahl der Patentanträge und -bewilligungen liege weltweit an erster Stelle.

Wissenschaftsförderung als Wettbewerbsverzerrung?

Diese staatliche Innovationsförderung ist dem BDI offenbar ein Dorn im Auge, er sieht darin eine Verzerrung des Wettbewerbs: „Mit Hilfe von staatlichen Investitionen in Zukunftstechnologien, direkter und indirekter, oft intransparenter Subventionierung von Unternehmen, erzwungenem Technologietransfer und strategischen Übernahmen ausländischer Hochtechnologieunternehmen entwickelt sich China rasant in Richtung einer technologischen Führungsnation“, heißt es in dem Papier.

Aber wenn der andere im Wettlauf schneller ist, muß das nicht unbedingt nur daran liegen, daß er mit unfairen Mitteln arbeitet; es kann auch daran liegen, daß man sich selbst behindert. Auch das scheint man beim BDI zumindest zu ahnen. Er schreibt: „Die deutsche Industrie will in Zukunft erfolgreich auf einem Level Playing Field mit China konkurrieren. Dafür müssen Deutschland und die EU deutlich mehr in Forschung, Entwicklung, Bildung, Infrastruktur und Zukunftstechnologien investieren. Die EU braucht eine ehrgeizige Industriepolitik für den Standort Europa und seine Unternehmen, die sich auf Innovation, intelligente Regulierung, Sozialpartnerschaft, Infrastruktur und Freihandel konzentriert.“

Tatsächlich verläßt der BDI mit seinen Forderungen bereits selbst den Rahmen des von ihm so hochgepriesenen Modells der „liberalen, offenen und sozialen Marktwirtschaft“, und das ist auch kein Zufall: Wer die Geschichte studiert, wird leicht feststellen, daß die Industrialisierung selbst in allen erfolgreichen Industriegesellschaften stets das Ergebnis eines dirigistischen, „stark lenkenden staatlichen Einflusses“ war; nicht die Lehren von Adam Smith waren dafür entscheidend, sondern die von Alexander Hamilton und Friedrich List. Und in dieser Hinsicht ist das heutige „Westliche Modell“ viel weiter von Adenauer, Roosevelt und de Gaulle entfernt als das „Chinesische Modell“.

Das größte Problem der deutschen Industrie liegt gerade darin, daß wir selbst uns immer mehr von diesem erfolgreichen Modell des wirtschaftlichen Aufbaus abgewendet haben. Die gesamte Politik von Berlin und Brüssel ist heute von Grund auf investitions-, innovations-, wissenschafts- und technologiefeindlich, alles ist geprägt vom grünen Geist, der aus ideologischen Gründen völlig ineffiziente Technologien bevorzugt, wie etwa die sogenannten „Erneuerbaren Energien“. Zukunftstechnologien wie der Transrapid oder der Kugelhaufenreaktor und die Kernkraft überhaupt wurden aus politischen Motiven sabotiert und aufgegeben, Grenzwerte werden zum Instrument einer Ideologie, die die Industrie als solche ablehnt und zerstören will, und wohin das Beharren auf der Einhaltung der auf solche Weise zustande gekommenen unsinnigen und übertriebenen „Umweltstandards“ führt, erlebt die Automobilindustrie derzeit mit dem angeblichen „Dieselskandal“. Aber anstatt diesen Unsinn energisch zu bekämpfen, gibt die Industrie auch noch Spenden an Parteien, die ihn betreiben, und überschlägt sich geradezu in dem Bestreben, sich ihren Forderungen zu unterwerfen!

Der ideologisch motivierte Widerstand gegen Fortschritt und Technik selbst ist wiederum Ausdruck eines noch viel größeren Problems: Er ist das Produkt einer irrationalen Massenkultur, die inzwischen unsere gesamte Gesellschaft durchdrungen hat. Unsere Kinder wachsen nicht mit Schiller und Beethoven auf, sondern mit hirnloser Popmusik und Ballerspielen. China hingegen hat die konfuzianische Kultur und die klassische Musik bewußt wiederaufleben lassen und fördert so gezielt die geistige Entwicklung seiner gesamten Bevölkerung. Auch das ist offensichtlich ein großer Wettbewerbsvorteil für China. Aber ist das unfair?

Sicher gibt es viele Aspekte des Chinesischen Modells, die aus westlicher Sicht fragwürdig erscheinen; wo wir es besser machen können, sollten wir es tun. Aber man muß auch die positiven Aspekte dieses Modells sehen, und vor allem man muß den Mut haben, das sogenannte „Westliche Modell“ und seine vorgeblichen „Werte“ zu hinterfragen: Wie „sozial“ ist eine Marktwirtschaft, die darauf abzielt, das Lohnniveau und damit den Lebensstandard der breiten Bevölkerung immer weiter zu senken? Wie „demokratisch“ ist eine Politik, die anderen Nationen gegen den Willen der Bevölkerung mit der Macht der „Märkte“ oder gar des Militärs aufgezwungen wird? Wie „liberal“ ist eine Kulturpolitik, die ihre Opfer daran hindert, geistig und moralisch erwachsen zu werden, und sie zum Spielball emotionaler Manipulationen macht?

Diesen Fragen müssen wir uns stellen, wenn unsere Industrien und unser Land eine Zukunft haben sollen - auch wenn das zur Folge hat, daß wir unser eigenes Modell verbessern müssen.