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AfD: Alter Wein in neuen Schläuchen? – Teil III

[i]Von Helga Zepp-LaRouche[/i]

Es steht außer Frage, daß sich ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland alleingelassen fühlt und der Eindruck vorherrscht, von einer politischen Klasse regiert zu werden, die von völlig anderen Motiven geleitet wird als dem Gemeinwohl. Den Entscheidungen seelenloser Bürokraten in Brüssel fehlt jegliche Transparenz, man erlebt nur, wie seit rund einem Vierteljahrhundert für viele Menschen der Lebensstandard sinkt, die medizinische Versorgung schlechter wird, und wenn man selber zu den unglücklichen Opfern von Hartz 4 oder anderen sozial schwächeren Gruppierungen gehört, daß es oftmals für das Nötigste nicht reicht, von einer fairen Beteiligung am kulturellen Leben der Gesellschaft gar nicht erst zu reden. Jahrelang war angeblich kein Geld da für Arme oder erschwingliche Wohnungen, aber dann regnete es plötzlich dreistellige Milliardenbeträge für die „Rettung“ der Banken und Spekulanten, und plötzlich fand man zweistellige Milliardenbeträge „in der Westentasche“ für die Flüchtlinge. „Eine ziemlich große Westentasche“, beschweren sich die Leute untereinander. Und dann wächst die Sorge über wachsende Bedrohungen, wachsende Kriegsgefahr, terroristische Gefahr, Unverständnis fremder Kulturen, Furcht vor Altersarmut, die Liste als existentiell empfundener Probleme wird länger und länger.

Und genau an diesem diffusen Gefühl, „zu kurz gekommen zu sein“, an den unterschiedlichsten Ressentiments, an der Empörung der Wutbürger, knüpfen die AfD, die diversen Pegida-Ableger und die Neue Rechte an. Und dies ist nicht nur ein spontaner Reflex, sondern dahinter steht Methode. Peter Sloterdijk, bei dem der „Parteiphilosoph“ der AfD, Marc Jongen, jahrelang als Assistent an der Karlsruher Staatlichen Hochschule für Gestaltung tätig war, hat dazu sogar eine ganze Weltgeschichte des Zorns geschrieben. In dem 2006 bei Suhrkamp erschienenen Essay [i]Zorn und Zeit[/i] stellt Sloterdijk die These auf, die Wut sei eine der treibenden Kräfte der Geschichte, und konstruiert eine Geschichtstheorie, nach der, angefangen mit der griechischen Mythologien und den ersten Zeilen der [i]Illias[/i] Homers, die Wut eine göttliche Fähigkeit sei, quasi eine gottgewollte Machteruption, die sich in der Figur Thymos manifestiert und später von Platon neben Logos und Eros als einer der drei Grundpfeiler der menschlichen Psyche gesetzt worden sei. Vom antiken Griechenland verfolgt Sloterdijk dann seine Sichtweise der Geschichte zum Rachegott der judäischen Welt, den Lehren der mittelalterlichen Kirchenväter bis zur kommunistischen „Weltbank des Ärgers“. Er fordert als Schlußforderung seines Oeuvres die Freisetzung „thymotischer Energien“, als hätte die Welt mit den radikalisierten extremistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts nicht schon eine Überdosis verkraften müssen und verspürt, was die geschichtlichen Konsequezen dieser negativen Energie bewirken können.

Wenn Sloterdijk mit seinem bestialischen Menschenbild recht hätte, dann wäre der Mensch nichts weiter als ein aggressiver Kettenhund, der umso effektiver wäre, je mehr er angestachelt und provoziert wird. Wenn Wut und Ärger eine prinzipielle Bewegkraft in der Universalgeschichte der Menschheit wären, dann hätten wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach in einem sehr frühen Zeitalter die Köpfe eingeschlagen, z.B. zur Zeit der Jäger und Sammler, als damals die Kaninchen und Beeren aufgegessen waren und die Wut über die verpaßte Mahlzeit am Nachbarn ausgelassen worden wäre. Die Menschheit wäre geistig nie über den infantilen Zustand hinausgekommen, mit dem ein verzogener kleiner Junge ans Schienbein seines noch kleineren Bruders tritt, um an dessen Bauklötze zu kommen. Wenn Schiller schon über Kant vermutete, daß jener eine sehr unglückliche Kindheit gehabt haben mußte, um zu solch unfreien Gedanken wie dem kategorischen Imperativ zu kommen, wie kreuzunglücklich und furchtbar muß dann die Kindheit von diesem Misanthropen Sloterdijk erst gewesen sein! Und natürlich ist für Sloterdijk, für den der Mensch nur der „König der Haustiere“ ist, alles, was die Menschheit von den übrigen Lebewesen unterscheidet, verschlossen und unerreichbar: seine Kreativität, seine Humanität, seine Empfänglichkeit für die Schönheit, seine Fähigkeit zu großen Schöpfungen in der klassischen Kunst, seine unbegrenzte Begabung, die Gesetze des phyischen Universums immer tiefer zu entdecken.

Nein, die Welt Sloterdijks ist nicht weniger häßlich als der Radikal-Biologismus eines Björn Höcke, wenn er schon 2010 von der „Elendsfruchtbarkeit“ der Araber spricht, die ihre „Kampffortpflanzungen“ als „Bevölkerungswaffe“ gegen Europa einsetzten.

Sein langjähriger Assistent Marc Jongen, stellvertretender Sprecher der AfD in Baden-Württemberg und Mitglied der AfD-Bundesprogrammkommission, hat von Sloterdijk einiges übernommen, u.a. seine Ideologie von der geschichtsprägenden Funktion der Wut, er diagnostiziert eine „thymotische Unterversorgung“ der deutschen Bevölkerung und preist die AfD als die einzige Partei an, die Wut und Zorn in der Bevölkerung nicht nur aufgreife, sondern anzufeuern wisse. Er bezeichnet das als „die Thymos-Spannung anheben“, also mit anderen Worten die Wut der Bevölkerung anstacheln. Nur so, meint Jongen, könne man die Leute dazu bringen, sich gegen „die Bedrohung“ durch die „Masseneinwanderung“ zu wehren. Kein Wunder, wenn der Star der Pegida- Demonstrationen Jongen als „große Hoffnung der Bewegung“ lobt.

Dieses Anstacheln der Wutbürger, man kann es auch aufhetzen nennen, ist brandgefährlich. Es ist die Methode der Demagogen, die reale Mißstände zum Anlaß nehmen, um auf die Sorgen der Menschen mit einleuchtenden, aber plakativen und deshalb falschen Argumenten zu antworten. Beispiel: Jongen: „Von den Hunderten Millionen hilfsbedürftigen Menschen in der Welt werden wir immer nur einen sehr kleinen, fast verschwindenden Prozentsatz nach Europa holen können. Der Gedanke, daß wir in Europa für die Gerechtigkeit der gesamten Welt sorgen könnten, ist Ausdruck einer gigantischen Selbstüberschätzung.“ Die Implikation dieser Aussage ist, da es sowieso nur ein fast verschwindender Prozentsatz ist, macht es ja keinen nennenswerten Unterschied, diesem (der ansonsten als „Masseneinwanderung“ bezeichnet wird) den Zugang zu verwehren, egal, was das Schicksal dieser Menschen ist.

Die Crux der Sache ist nur: Dies impliziert, daß das neoliberale Finanzdogma, das die AfD voll unterstützt – wie sie nicht zuletzt durch ihre Goldkäufe demonstriert hat –, eine fixe Konstante der Welt ist. Dieses transatlantische Finanzsystem steht aber vor der Desintegration und kann nur durch eine vollkommene Reorganisation des Systems, die Einführung eines globalen Glass-Steagall-Trennbankensystems und den Aufbau der Weltwirtschaft durch den Ausbau der Neuen Seidenstraße ersetzt werden. Von all diesen Dingen hat die neoliberale AfD keinen Dunst. Jongen kritisiert, daß der Mangel an „thymotischen Tugenden“, die einst als die „männlichen“ bezeichnet wurden, auch in der Haltung zu allem Militärischen deutlich würde. Dieses würde bestenfalls als „notwendiges Übel“ geduldet. Jongen: „Ich habe das Gefühl, daß auch unsere politischen Eliten nach 1968 ganz elementare Lektionen der Außenpolitik und der Geostrategie verlernt haben.“

Die „elementaren Lektionen der Geostrategie“ werden derzeit von der NATO in Polen, im Baltikum, in Rumänien exerziert, ebenso wie von den US-Streitkräften im Südchinesischen Meer. Es ist die Geostrategie, ein Relikt aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die uns zwei Weltkriege beschert hat und die jetzt kurz davor ist, die Menschheit in einem dritten, diesmal globalen und thermonuklearen Weltkrieg auszulöschen, die selbst das größte Hindernis für die Weiterexistenz der menschlichen Gattung darstellt.

Die einzige Chance, all die existentiellen Bedrohungen zu überwinden, die die AfD für ihre Zwecke auszunutzen versucht, besteht darin, die Geopolitik und Geostrategie ein für allemal zu überwinden und durch ein völlig neues Paradigma zu ersetzen, nämlich die gemeinsamen Ziele der Menschheit. Wenn wir diese höhere Ebene der Vernunft, auf der das gemeinsame Interesse der universellen, einen Menschheit verwirklicht wird, nicht erreichen können, dann wird es uns nicht besser ergehen als den Dinosauriern, deren Körper zwar beindruckend, deren Gehirn aber relativ winzig war. Auf der Ebene der armen Kettenhunde und der armen Sloterdijks liegt die Lösung jedenfalls nicht.

Friedrich Schillers Antwort auf den Jakobinerterror der Französischen Revolution, ein Aufstand der Wutbürger par excellence, über den er sagte, ein großer historischer Moment habe eine kleines Geschlecht gefunden, waren die [i]Ästhetischen Briefe[/i], in denen er betonte, daß von jetzt an jede Verbesserung im Politischen nur durch die Veredlung des Individuums möglich sei, und dazu gehöre vor allem die Erziehung der Emotionen hinauf auf die Ebene der Vernunft. Lessing argumentierte in einer wunderbaren Analyse der Kunstmethode, die bei der Schöpfung der Laokoon-Skulptur angewandt wurde, warum der Künstler die reine Emotion, wie in diesem Fall den Schmerz, nicht ohne ästhetische Erhebung darstellen darf, wenn er der klassischen Kunst Genüge tun will. Wut und Zorn gehören ebenso wie Haß und Neid zu den niedrigsten der menschlichen Emotionen.

Wenn wir die enormen Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, überwinden wollen, ist dies nur möglich mit Liebe – Liebe zur Menschheit, Liebe zu unserer eigenen Menschlichkeit.