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Alfred Herrhausen über die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion

Elke Fimmen

Alfred Herrhausen , Vorstandsmitglied der Deutschen Bank AG, sprach im Juni 1977 anlässlich einer Moskau-Reise in einem Vortrag in der Akademie der Wissenschaften über die „Aussichten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion.  Ich nehme diese Rede als Anlass, um in dieser geschichtsvergessenen Zeit daran zu erinnern, was damals der Geist der Zusammenarbeit zweier „ideologischer gegnerischer Systeme“ war, von dem beide Seiten profitierten und der Deutschland den Aufstieg zu einer wichtigen Wirtschaftsnation ermöglichte.

Heute reissen  wahnsinnige anglo-amerikanische Ideologen und ihre Helfershelfer in Europa, einschliesslich in Berlin, alles ein, was jemals in der Nachkriegszeit aufgebaut wurde. Wir sehen die Rückkehr einer geopolitischen Barbarei, der bereits Alfred Herrhausen am 30. November 1989 in einem Terroranschlag der „RAF“ zum Opfer fiel und die heute zum Dritten Weltkrieg führen kann.

Herrhausen, seit 1988 alleiniger Sprecher der weltweit agierenden Deutschen Bank,  hatte erkannt, daß das westliche Finanzsystem angesichts der neuen Herausforderungen im Ostblock wie auch der immensen Schuldenproblematik der Entwicklungsländer einen anderen Weg gehen müsse. Er schlug deshalb u.a. für das exzessiv verschuldete Polen 1989 eine Aufbaubank nach dem Prinzip des Marshallplans , also zweckgebundene Investitionen zur Verbesserung der Realwirtschaft, vor. Und in mehreren Reden in Washington, vor IWF und Weltbank stellte er im selben Jahr fest, daß die globale Schuldenkrise sich an einem Wendepunkt befinde und daher die Gläubigerbanken Schuldenschnitten und Schuldenreorganisation zustimmen müssten, damit die Entwicklungsländer wieder Boden unter den Füßen gewännen.

Statt diese Pläne umsetzen zu können, wurde Herrhausen am 30. November 1989 von „RAF-Terroristen“ umgebracht -  also genau in der Phase, als er als enger Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl  für die Weichenstellung einer neuen europäischen Friedens- und Entwicklungsordnung,   einen entscheidenden Beitrag hätte liefern können. (Sehen Sie dazu „Die verpasste Chance von 1989-90, Wird Europa Lehren daraus ziehen“, 1999 von Helga Zepp-LaRouche). Zu diesem Zeitpunkt mobilisierte die internationale LaRouche-Bewegung für das „Produktive Dreieck Paris-Berlin-Wien“ als Lokomotive für den Wiederaufbau Osteuropas, und nach dem Zerfall der Sowjetunion für die „Eurasische Landbrücke“ und die „Weltlandbrücke“.

Frieden durch wirtschaftliche Zusammenarbeit

Herrhausen war 1971 Vorstandsmitglied der Deutschen Bank AG geworden und  für das internationale Geschäft, die Außenhandelsfinanzierung der Bank und für volkswirtschaftliche Fragen verantwortlich. Außerdem war er 1974, also nach dem Zerfall des Bretton-Woods-Systems und des weltweit verheerenden Auswirkungen der Ölkrise  in die Bankenstrukturkommission der Bundesregierung berufen worden, deren Auftrag es war, die Struktur der deutschen Kreditwirtschaft zu prüfen und Vorschläge zur Verbesserung zu erarbeiten. Die Deutsche Bank war 1977 bei der finanziellen Abwicklung des Handels der Bundesrepublik mit der Sowjetunion bei einem Anteil von 20% führend.

Herrhausen ging in seiner o.g. Rede von 1977 auf die Geschichte der deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen ein und auf die Entwicklung der damals  „aufsehenerregenden Dimensionen“ der deutsch-sowjetischen Geschäfte (einer Vervierfachung des Handels zwischen 1970-1976). Er skizzierte die vielfältigen Möglichkeiten, diese weiter auszubauen.  

Die deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen entwickelten sich in der Folge in der Tat trotz mannigfacher politischer Belastungen aussergewöhnlich gut und schufen eine tragfähige Grundlage bis hin zur Wiedervereinigung 1989.

In seiner Rede sagte Herrhausen u.a.:

„Die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren beiden Ländern ist Ausdruck des verbesserten politischen Klimas. Die Tatsache, daß verschiedene deutsch-sowjetische Projekte bis weit in die achtziger Jahre hin und zum Teil noch darüber hinaus reichen, erscheint nicht nur mir als Beweis für gegenseitiges Vertrauen.“

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges habe es zunächst fast zehn Jahre gebraucht, ehe es zu einer nennenswerten Zusammenarbeit auf wirtschaftlichen Gebiet zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik kam. 1958 wurde ein umfassendes Handelsabkommen abgeschlossen, das 1963 wegen politischer und wirtschaftlicher Probleme zunächst nicht verlängert wurde. 1970 schuf der Moskauer Vertrag zwischen der BRD und der UdSSR eine neue Grundlage für die Zusammenarbeit und 1972 trat dann ein zweites Handelsabkommen in Kraft. Es hatte sich in beiden Ländern, so Herrhausen, „die Erkenntnis durchgesetzt, daß eine nachhaltige Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen beiden Seiten erhebliche Vorteile bringen würde.“

Von 1960-1970 hatte sich der Wert des Warenaustausches beider Länder bereits verdoppelt und war bis auf 2,8 Mrd. DM angestiegen. In den nächsten sechs Jahren vervierfachte er sich dann auf 11,1 Mrd. DM. Zu den großangelegten und spektakulären Wirtschaftsprojekten gehörten: vier Erdgas-Röhren-Geschäfte, die Lieferung von 9000 LKW’s für den Bau der Baikal-Amur-Eisenbahnlinie, die Mitwirkung am LKW-Werk an der Kama, am Stahlwerksprojekt Kursk, an der Verbindung des Erdgaskomplexes Orenburg mit der Westgrenze der UdSSR und eine damals gerade getroffenen Vereinbarung über die Lieferung von Anlagen für die Kunststoff- und Faserindustrie. Diese Projekte, so Herrhausen, gehörten zu den bis damals größten einzelnen Auslandstransaktionen der deutschen Wirtschaft.

Herrhausen wies auf die Besonderheiten des deutsch-sowjetischen Wirtschaftsverkehrs hin, wie die Konstruktion der Erdgas-Röhren-Geschäfte und Gegengeschäfte auf der Basis Ware gegen Ware, die zwar im Osthandel eine wichtige Rolle spielten, aber im Westen kaum üblich waren. Dazu kam der wachsende Umfang der Kredittransaktionen, die bei der rasanten Ausdehnung des Ost-West-Handels notwendig geworden waren.

Herrhausen erinnerte in seiner Rede auch an die Pioniertage des deutsch-sowjetischen Handels in den 1920er Jahren, als die Deutsche Bank Lieferungen der deutschen Industrie in die Sowjetunion zu finanzieren begann. Damals gründete die Bank die Ausfuhrvereinigung Ost GmbH, einen Zusammenschluß namhafter deutscher Industrieunternehmen, was diesen die Diskontierung sowjetischer Wechsel unter günstigen Bedingungen ermöglichte.  Fast gleichzeitig mit dem ersten deutsch-sowjetischen Handelsvertrag von 1925 bot die Deutsche Bank der Sowjetunion einen Kredit über 100 Millionen Reichsmark an; gefolgt von einem Kredit in Höhe von 300 Millionen RM, an dem sich 27 deutsche Banken beteiligten. Daraus entwickelte sich ein Warenaustausch, der, so wie dann später in den 1970er Jahren die Sowjetunion mit Maschinen versorgte und Deutschland die Einfuhr von Rohstoffen erleichterte.

Herrhausen betonte, daß 1970 das erste deutsch-sowjetische Erdgas-Röhren-Geschäft daran wieder anknüpfte, wobei diesmal auf deutscher Seite fast 100 Firmen teilnahmen. Die Deutsche Bank führte das Konsortium für die Finanzierung dieses bis dahin einzigartigen Großprojektes (1,5 Mrd. DM Geschäftsvolumen). Nach diesem Muster wurden bis 1977 drei weitere Erdgas-Röhren-Geschäfte durchgeführt, wobei es sich 1975 auch um ein Dreiecksgeschäft mit dem Iran handelte. Der Umfang der vier Kredite dafür beliefen sich auf insgesamt 5,4 Mrd. DM (900 Mio. davon durch die Deutsche Bank). Die Rückzahlung dieses langfristigen Geschäftes sollte bis 1987 aus den Erträgen der sowjetischen Erdgaslieferungen und aus Durchleitungsgebühren erfolgen. Die damals vereinbarten  Erdgaslieferungen aus der UdSSR liefen bis zum Jahre 2000.

Die Unterstützung der Bundesregierung (bzw. der Bundesbank) für den deutsch-sowjetischen Handel erfolgte neben den Hermes-Kreditbürgschaften wesentlich über die Ausfuhrkredit-Gesellschaft mbH (AKG), die Anfang der 50er Jahre durch die Deutsche Bank gegründet worden war, bei der 1977 fast 60 Banken für die Exportfinanzierung zusammenarbeiteten. 

Welche positiven Auswirkungen 1977 diese Rahmenbedingungen für die deutsche Industrie hatten, führt Herrhausen exemplarisch aus. Kaum ein namhaftes Unternehmen der Investitionsgüterindustrie  sei nicht direkt oder indirekt am Export in die Staatshandelsländer des COMECON beteiligt, und zwar nicht nur Großunternehmen, sondern zunehmend auch mittlere und kleinere Betriebe.

„So wickelte der mittelständische Werkzeugmaschinenbau zweitweise über 20% seiner Ausfuhren mit den COMECON-Ländern ab. In der Röhrenindustrie lag dieser Anteil sogar über 35 Prozent.  Es wird geschätzt, daß mindestens 100.000 Arbeitsplätze in der deutschen Wirtschaft allein vom Export in die Sowjetunion abhängen.“ Herrhausen betonte, er nenne diese Zahlen, „um deutlich zu machen, daß die deutsche Wirtschaft in hohem Masse an der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den übrigen Staatshandelsländern interessiert sein muß.“ Dabei sollte die Steigerung der sowjetischen Exporte gefördert werden.

Herrhausen weist darauf hin, daß der Schwerpunkt zunächst bei Rohstoffen und Halbwaren lag, denn der Anteil von Erdöl und Erdgas an den Importen aus der SU hatte sich von 1970 bis 1976 von 28% auf 58 Prozent erhöht. Dies sei erstmal nicht weiter überraschend, denn im Gegensatz zu Deutschland sei die Sowjetunion das Land, das am reichlichsten und vielfältigsten mit natürlichen Ressourcen ausgestattet ist.

Aber es gebe ein hohes technisches Leistungsvermögen der Sowjetunion, wie auf dem Gebiet der Raumfahrt, und viele weitere technologische Produkte im Bereich Flugzeuge und Hubschrauber, Werkzeugmaschinen, Bergwerksausrüstungen, optische Erzeugnisse und auch chemische Produkte. Herrhausen sprach sich dafür aus,  die Marketing- und Vertriebswege deutlich zu verbessern.

Besonders hätten auch Fragen der technischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit große Bedeutung erlangt, und Ansatzpunkte für gemeinsame Vorhaben kristallisierten sich in einer gemeinsamen deutsch-sowjetischen Kommission immer mehr heraus. Viele bedeutende deutsche Unternehmen wie BASF, Henkel, Hoechst, Krupp, Mannesmann, Siemens hätten mittlerweile Rahmenkooperationsverträge mit sowjetischen Partnern abgeschlossen, vor allem in den Bereichen Chemie, Maschinenbau, Kabelproduktion und Kraftwerksbau und zur gemeinsamen Erschliessung von Rohstoffen. 1976 unterhielten mehr als 150  deutsche Gesellschaften aktive Kontakte in die Sowjetunion und waren mit offiziellen Büros in Moskau vertreten. Dazu käme ein reger Austausch von Lizenzen und Patenten.

Herrhausen schliesst mit dem Wunsch nach einer Intensivierung der Zusammenarbeit in der industriellen Produktion. Diese würde „für beide Seiten Vorteile bringen, die noch über die des traditionellen Warenaustausches hinausgehen.“ Und er betont die Vorteile der langfristigen Zusammenarbeit, die auch besonders gut in die langfristig konzipierte sowjetische Wirtschaftsplanung einzubeziehen wäre.  Außerdem könnte eine gemeinsame Produktionstätigkeit den Devisenbedarf der Sowjetunion senken,  wenn beispielsweise Maschinen, die ansonsten importiert werden müssten, in der SU produziert würden. Gemeinschaftliche Produktionsunternehmen könnten zusätzliche Devisen für die Sowjetunion verdienen.

 „Die genaue Kenntnis der westlichen Märkte, die der Partner aus der Bundesrepublik Deutschland mitbringen würde, könnte dem Export des gemeinsam hergestellten Produkts wertvolle Impulse geben.  Der deutsche Partner auf der anderen Seite würde nicht nur an den komparativen Vorteilen der sowjetischen Wirtschaft, nicht zuletzt an ihrem Rohstoffreichtum, teilhaben. Überdies würde die gemeinschaftliche Produktionstätigkeit mit einem sowjetischen Partner seinen Zugang zum größten Absatzmarkt Osteuropas entscheidend verbessern“.

Trotz gewisser  Grenzen der Zusammenarbeit aufgrund der verschiedenen Gesellschaftsordnungen war der Spielraum für die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen, wie Herrhausen am Ende seiner Rede  sagte, enorm. Er bot „eine Vielzahl von bislang ungenutzten und in Zukunft auftauchenden Möglichkeiten für eine fruchtbare Zusammenarbeit.“ Die Aufgabe für alle Beteiligten sei es, „weitere Anstrengungen zum wirtschaftlichen, politischen und menschlichen Vorteil beider Seiten zu unternehmen.“

Heute steht die ganze Zivilisation auf dem Spiel. Verantwortliche Politiker in Berlin, allen voran der Bundeskanzler müssen den Mut finden, sich auf Deutschlands wirkliche Interessen zu besinnen und dafür zu kämpfen. Um das sicherzustellen, ist jedoch eine wirkliche Bürgerbewegung nötig, die auf allen Ebenen und international für die Zukunft der Menschheit kämpft.  Unterstützen Sie deshalb unsere Mobilisierung für eine neue Entwicklungs- und Sicherheitsarchitektur!

Mehr dazu hier: https://www.bueso.de/aufruf-fuer-internationale-konferenz-schaffung-neuen-sicherheits-entwicklungsarchitektur-fuer-alle

Die Rede „Aussichten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland " wurde von Alfred Herrhausens anlässlich einer Moskau-Reise vom 5.-11. Juni 1977 als Vortrag gehalten. Sie ist dem sehr lesenswerten Dokumentationsband „ Alfred Herrhausen - Denken_Ordnen_Gestalten, Reden und Aufsätze“ entnommen, 1990,  herausgegeben von Kurt Wiedemann beim Siedler Verlag.

 

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