In Frankreich sind Debatten möglich, die es in Deutschland nicht gibt. Warum?
Am 11. September veröffentlichte die französische Wochenzeitung Le Point einen Beitrag von Arno Klarsfeld, Sohn der prominenten Nazi-Jäger* Serge und Beate Klarsfeld. Beide sind Träger des Bundesverdienstkreuzes (Mai 2015) und UNESCO-Sonderbotschafter für Bildung über den Holocaust und die Verhinderung von Völkermorden. Arno Klarsfeld, der 2002 die israelische Staatsbürgerschaft annahm, ist u.a. Rechtsanwalt des Vereins Söhne und Töchter von jüdischen Deportierten von Frankreich, der von seinen Eltern 1979 gegründet wurde; und war Berater von Präsident Nikolas Sarkozy (2007-2012).
„Wenn die Ukrainer zur Familie der Europäischen Union gehören wollen, müssen sie aufhören, die als Helden dargestellten ukrainischen Nationalisten zu verherrlichen, die mit den Nazis kollaborierten und ihnen bei der Ausrottung Zehntausender jüdischer Familien in der Ukraine halfen", beginnt er.
"Eine der ersten Maßnahmen der Kiewer Stadtverwaltung nach der Revolution von 2014 war die Umbenennung der langen Allee, die zur Stätte von Babij Jar führt, von 'Moskauer Allee' in 'Bandera-Allee', deren Anhänger den Nazis bei der Vernichtung von mehr als 30.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern in der Schlucht von Babij Jar am 29. und 30. September 1941 halfen, als deutsche Truppen in Begleitung der Einsatzgruppen in Kiew einmarschierten.
"Das Bezirksverwaltungsgericht Kiew hatte die Stadtverwaltung angewiesen, die Umbenennung von zwei Hauptstraßen nach Stepan Bandera und Roman Schuchewytsch, der ebenfalls ein Massenmörder von Juden war und nach dem ein Stadion in der Großstadt Ternopil benannt ist, aufzuheben. Der Bürgermeister von Kiew, Witali Klitschko, legte jedoch Einspruch gegen die Entscheidung ein, und das Berufungsgericht entschied zu seinen Gunsten....
"In Lemberg marschierten erst vor zwei Jahren Hunderte von Männern in den SS-Uniformen ukrainischer Kollaborateure bei einer von der Stadt genehmigten Veranstaltung. In den letzten Jahren haben mindestens drei ukrainische Gemeinden Statuen für Banderas Stellvertreter Jaroslaw Stetsko enthüllt, der während des Holocausts die 'Ausrottung' der Juden befürwortete. Das Motto der ukrainischen Nationalisten, die mit Banderas Nazis kollaborierten, lautete 1941 in den Straßen von Kiew: "Eure Feinde sind Russland, Polen und die Juden."...
"Es ist höchst unangemessen, dass die Hauptverkehrsadern, die zum Ort der Massaker führen und von europäischen Führern benutzt werden, die gekommen sind, um die Ukraine zu unterstützen, nach solchen Monstern benannt sind. Es ist völlig unmoralisch, dass solche Männer verherrlicht werden. Es ist völlig abnormal, dass niemand in den europäischen Instanzen darüber spricht, obwohl die Ukraine einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt hat und der (vielleicht lange) Prozess genehmigt wurde."
Schlussfolgerung: "Wenn die Ukraine weiterhin unwidersprochen jene ukrainischen Nationalisten verherrlicht, die mit den Nazis gegen die Sowjets kollaboriert und so viele jüdische Familien auf so schreckliche Weise massakriert haben, würde das letztlich bedeuten, dass Hitler Recht hatte, die Russen als die wahren Feinde des Westens zu betrachten, und dass sein Präventivschlag gerechtfertigt war. Was die Juden anbelangt, so wären sie nur Kollateralopfer der Erschütterungen der Geschichte. Europa und die Europäische Union wurden auf dem Sieg über den Nazismus aufgebaut. Daran muss es sich erinnern."
*Etwas zum historischen HIntergrund: Die Eltern von Arno Klarsfeld sind Träger des Bundesverdienstkreuzes (Mai 2015) und ebenfalls seit 2015 UNESCO-Sonderbotschafter für Bildung über den Holocaust und die Verhinderung von Völkermorden. Die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld erregte weltweit Aufsehen, als sie am 7. November 1968 öffentlich den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ohrfeigte, dem sie seine Nazivergangenheit vorwarf. Sergej Klarsfeld und seiner Frau ist es zu verdanken, dass NS-Verbrecher und Kollaborateure wie Klaus Barbie, Rene Bousquet, Jean Leguay, Maurice Papon, Paul Touvier, Kurt Lischka, Ernst Heinrichsohn und Herbert M. Hagen vor Gericht gestellt oder demaskiert wurden (Ernst Achenbach). Serge Klarsfeld ist Autor eines Standardwerks zur Judenverfolgung in Frankreich, „Vichy – Auschwitz“ (auch auf Deutsch unter dem gleichen Titel erschienen). Die Jagd auf Klaus Barbie wurde 2008 unter dem Titel Die Hetzjagd verfilmt. Beate Klarsfeld, die von der Linkspartei nominiert worden war, unterlag 2012 bei der Wahl zum Bundespräsidenten gegen Joachim Gauck.
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