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Ausbau der Eisenbahnstrecken: Deutschland bremst Europa

Überall in Europa werden Eisenbahnverbindungen neu- und ausgebaut - nur in Deutschland stocken die Bauarbeiten, sehr zum Ärger unserer europäischen Nachbarn.

von Alexander Hartmann

„Rechtzeitig bauen ist billiger als wiederaufbauen“ - diese Lehre, deren Bedeutung uns die Katastrophe von Houston gerade wieder dramatisch vor Augen führt, sollte man auch in Europa und speziell in Deutschland beherzigen. Deutschland ist führend in Europa - aber leider eben gerade darin, nicht voranzugehen - oder wenn doch, dann nur in ganz winzigen Schritten. Während China der Welt zeigt, wie schnell man die zur Entwicklung des Landes notwendige Infrastruktur aufbauen kann, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist, ist Deutschland der Bremsmeister der europäischen Wirtschaft.

Dies dokumentierte erst jüngst die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Sie brachte am 27. August unter der Überschrift „Kann Deutschland keine Gleise bauen?“ einen halbseitigen Artikel und eine Karte, in denen dokumentiert wird, daß sich Deutschland bisher weigert, seine eigenen Abschnitte zahlreicher wichtiger grenzüberschreitender Bahnverbindungen zu bauen. Alle Nachbarstaaten beschweren sich über die jahrelangen Verzögerungen der Bauarbeiten auf deutscher Seite. Im Fall einer modernisierten Strecke in Belgien, die zur deutschen Grenze führt, beträgt die Verzögerung bereits 22 Jahre, ohne daß bisher erkennbar wäre, wann Deutschland endlich etwas tun wird, um die Strecke fertigzustellen.

Dabei ist zu beachten, daß es sich bei den meisten dieser Bauprojekte nicht einmal um Neubaustrecken, sondern nur um den Ausbau bereits bestehender Strecken handelt. Das bedeutet, daß sich die Arbeiten lange hinziehen werden, weil der Verkehr mangels alternativer Verbindungen auch während des Baus aufrechterhalten werden muß, was die Ausbauarbeiten erschwert.

SIEBEN BLOCKIERTE GROSSPROJEKT

Die Sonntagszeitung der Frankfurter Allgemeinen zählt sieben augenfällige Projekte auf, in denen Deutschland den Fortschritt des Ausbaus blockiert:

1. Am 1. Juni 2016 nahm Bundeskanzlerin Angela Merkel an der feierlichen Eröffnung des Gotthard-Basistunnels teil und sagte bei dieser Gelegenheit selbstkritisch: „Der Gotthard ist das Herz Europas..., aber die Aorta fehlt noch.“ Diese Aorta ist die Rheintalbahn von Karlsruhe nach Basel, ein wesentlicher Korridor für den Bahnfrachtverkehr, dessen deutscher Abschnitt frühestens in zehn Jahren fertiggestellt werden wird. Weitere Verzögerungen sind wahrscheinlich, weil es kürzlich in Rastatt bei Bauarbeiten für einen Tunnel zu Absenkungen der bestehenden Strecke kam. Die Reparaturarbeiten werden bis mindestens 7. Oktober dauern, was bedeutet, daß der gesamte Güterverkehr von dort umgeleitet oder ersatzweise auf Lastwagen verlagert werden muß. In italienischen Medien ist die Rede von 20.000 LKW-Ladungen.

2. Die Störung bei Rastatt trifft den Bahnfrachtverkehr von und zur Schweiz besonders hart, weil auch die zweite Verbindung von München nach Lindau am Bodensee noch nicht modernisiert ist und der deutsche Streckenabschnitt nur mit Diesellokomotiven befahren werden kann. Auch diese Strecke wird frühestens 2020 fertiggestellt sein. Die Schweiz hat sogar angeboten, sich mit 50 Mio. Euro an den Kosten zu beteiligen, um die Arbeiten zu beschleunigen - ohne Erfolg.

3. Österreich ist verärgert darüber, daß Deutschland seine vertragliche Verpflichtung zum Ausbau der Strecke von München nach Kiefersfelden an der österreichischen Grenze nicht erfüllt. Die Strecke ist Teil des geplanten Nord-Süd-Korridors von Deutschland durch Österreich und den Brennerbasistunnel nach Italien. Einmal abgesehen von der Tatsache, daß viele kommunale und regionale Politiker vor Ort noch nie von dem Projekt gehört haben, wird häufig argumentiert, die Strecke würde sich nicht rentieren, weil das Güteraufkommen zu gering sei. In Österreich sieht man das ganz anders.

4. Auch die Verbindung Dresden-Breslau, die seit 2003 Gegenstand eines deutsch-polnisches Vertrages ist, kommt in Deutschland seit 14 Jahren nicht voran. Auch hier werden immer noch schwere Diesellokomotiven eingesetzt, während die Strecke in Polen bereits elektrifiziert ist und mit Geschwindigkeiten bis 160 km/h befahren werden kann.

5. Dänemark ist empört über das Schneckentempo der Deutschen, das die Fertigstellung der Verbindung über den Fehmarn-Belt verzögert. Dänemark hat sich bereit erklärt, einen großen Teil der Kosten des Baus der Tunnelverbindung zu übernehmen. Aber der Ausbau der Gleise auf deutscher Seite - bislang eine eingleisige Strecke mit Dieselbetrieb - kommt nicht in Gang. „Erst sieben Jahre nach der Tunnelöffnung soll sie zweigleisig ausgebaut sein, so die vorsichtige Schätzung.“

6. Der tschechische Supercity-Zug kann von Prag bisher nur bis Cheb an der deutschen Grenze seine hohe Geschwindigkeit ausnützen - von dort aus geht es mit einer vorgespannten Diesellokomotive über eine eingleisige Strecke in Deutschland weiter.

7. Auch der französische TGV muß seine Fahrgeschwindigkeit stark reduzieren, wenn er von Paris kommend die deutsche Grenze erreicht, weil die Strecke von dort bis Ludwigshafen noch nicht ausgebaut ist. Auch hier wird es noch einige Jahre dauern, bis die Arbeiten fertiggestellt sind.

DEUTSCHLAND BALD EIN ENTWICKLUNGSLAND?

Angesichts all dieser Probleme kommentierte die Basler Zeitung unter der Überschrift „Drittweltland Deutschland“ ironisch, nach dem „peinlichen Scheitern deutscher Tunnelbauer“ müsse sich „die Schweiz überlegen, ihr Entwicklungshilfebudget aufzustocken, um dringend benötigte Ingenieure zum Einsatz bringen zu können“. Die Schweiz „täte gut daran, Deutschland künftig als Drittweltstaat einzustufen, insbesondere, wenn es dort um Infrastruktur- und Verkehrspolitik geht“.

Auch wenn dieser Ratschlag aus schweizerischer Sicht nachvollziehbar ist: Was nützt es, schweizerische Ingenieure nach Deutschland zu schicken, wenn man hier - und das ganz im Gegensatz zu tatsächlichen Entwicklungsländern - offenbar gar keinen Aufbau will? Infrastruktur, Großprojekte, Technologie und Wissenschaft sind inzwischen geradezu zum Feindbild der führenden deutschen Parteien geworden.

Tatsächlich können sich weder Deutschland noch Europa noch die übrige Welt leisten, Deutschland auf den Stand eines Entwicklungslandes zurückfallen zu lassen. Denn die wichtigsten Transportkorridore zwischen West- und Ost-, Nord- und Südeuropa (wie auch die Korridore der „Eisernen Seidenstraße“, die China im Zuge seiner Wirtschaftsgürtel-Initiative aufbaut) aufgrund der geographischen Lage eben durch Deutschland hindurchführen, und somit die deutsche Blockadehaltung ganz Europa und die übrige Welt behindert. Durch diese Blockadehaltung koppelt Deutschland sich und das übrige Europa ab von der Lokomotivwirkung jenes Wirtschaftswunders, das China durch seine Wirtschaftsgürtel-Initiative angestoßen hat.

Aber noch schlimmer als die schlechten Verkehrsverbindungen an sich ist der Know-how-Verlust, den die feindselige Haltung gegenüber allem, was Infrastruktur und Technik heißt, auf Dauer für unsere Gesellschaft bedeutet. Wenn in Deutschland selbst nicht aufgebaut wird, gibt es in unserem Land auch keine Nachfrage nach den Werkzeugen, Maschinen und Industrieanlagen, für deren Herstellung und Export Deutschland jahrzehntelang weltweit berühmt war. Produzenten und Studenten werden sich dann dorthin wenden, wo aufgebaut wird - und tun es bereits. Wenn wir uns nicht bald an jene Lokomotive der Weltwirtschaft anhängen, die von China in Gang gesetzt wird, dann wird dieser Zug für uns abgefahren sein, und dann wird Deutschland tatsächlich zu einem Entwicklungsland werden.