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Was Berlin und Brüssel aus dem Beinahe-Kollaps der Wiesbadener Salzbachtalbrücke lernen müssen

von Alexander Hartmann, Landesvorsitzender der Bürgerrechtsbewegung Solidarität in Hessen. Herr Hartmann kandidiert in Wiesbaden für die BüSo zum Deutschen Bundestag.

Am Abend des 18. Juni verbreitete sich in Wiesbaden die schockierende Nachricht, daß eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen in der Stadt - die mehr als 300 m lange Salzbachtalbrücke - wegen Baufälligkeit bis auf weiteres komplett gesperrt werden mußte: Ein Lager der südlichen Brückenhälfte war kollabiert und die Brücke um ca. 30 cm abgesackt. Betonteile stürzten herab, und sowohl in der Brücke selbst als auch im Pfeiler zeigen sich große Risse. Während der Verkehr noch rechtzeitig gestoppt werden konnte, bevor es zu einer Katastrophe kam, weckt der Vorfall Erinnerungen an den tragischen Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua vor drei Jahren.

Der Ausfall hat katastrophale Folgen für das gesamte Rhein-Main-Gebiet. Es handelt sich um einen Abschnitt der Autobahn A 66, die nun als Verkehrsader ausfällt. Da die Brücke die Bahngleise zum Hauptbahnhof in Wiesbaden überquert, sind bis auf weiteres auch alle Fernzug- und S-Bahn-Verbindungen nach Wiesbaden blockiert. Außerdem überquert sie eine weitere wichtige Autobahn (A 671), die an der Einfahrt nach Wiesbaden ebenfalls gesperrt werden mußte. Nun stehen die Wiesbadener im Dauerstau, die zuständigen Behörden rechnen damit, daß es zwei Monate dauern wird, bis die Brücke abgerissen werden kann, mindestens 14 Monate werden vergehen, bis eine neue Brücke in Betrieb genommen werden kann.

Die nationalen Medien behandeln den Ausfall der Salzbachtalbrücke als ein lokales Thema, sie haben außerhalb des Rhein-Main-Gebiets kaum darüber berichtet. Aber es ist kein lokales Thema, denn diese Brücke ist nur eine von Tausenden in unserem Land, die sich in nicht viel besserem Zustand befinden.

Jahrzehntelang wurde viel zu wenig in die Erhaltung und Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur investiert, während das Verkehrsaufkommen insbesondere im Straßenverkehr in der gleichen Zeit massiv zugenommen hat. So war die 1963 fertiggestellte Salzbachtalbrücke ausgelegt für rund 20.000 Fahrzeuge am Tag mit einer Lebensdauer von 80 Jahren. Aber das Verkehrsaufkommen wuchs inzwischen auf rund 80.000 Fahrzeuge/Tag an, sodaß die Brücke nun schon nach 58 Jahren einfach „verbraucht“ ist.

In Deutschland gibt es rund 40.000 Brücken an Autobahnen und Fernstraßen sowie mehr als 25.000 Eisenbahnbrücken. Sehr viele, wenn nicht die meisten dieser Brücken sind von ähnlichen Belastungssteigerungen betroffen, und fast die Hälfte der Brücken in Deutschland wurde in den 1960er und 1970er Jahren erbaut und nähert sich nun also dem Ende ihrer Lebensdauer. Etwa 10-12% aller Brücken gelten inzwischen als „dringend sanierungsbedürftig“ oder sogar „nicht ausreichend“.

Wenn keine dramatische Änderung der Investitionspolitik erfolgt, die eine Mobilisierung zur schnellstmöglichen Erneuerung dieser Infrastrukturen ermöglicht, droht eine regelrechte Welle katastrophaler Ausfälle, die unsere gesamte Volkswirtschaft lahmzulegen drohen. Der Chefredakteur der Mainzer Allgemeinen Zeitung, Friedrich Roeingh, nahm daher die Krise zum Anlaß, in einem Kommentar der Zeitung eine Änderung der Investitionspolitik zu fordern:

„Mit der Schönfärberei steigender Sanierungshaushalte dürfen wir uns nicht länger abspeisen lassen. Mehr Geld nützt solange nichts, wie der Verfall noch schneller voranschreitet. Dem bisherigen Klein-Klein müssen endlich Milliardenprogramme folgen. Und sie werden nur dann greifen, wenn zugleich das Planungs- und Genehmigungsrecht beschleunigt wird.“

Die politischen Ursachen der Infrastrukturkrise

Natürlich spielte beim Zustandekommen dieses Infrastrukturnotstands eine wichtige Rolle, daß viele dringend notwendige Projekte, insbesondere Neubauprojekte zur Erweiterung und Entlastung der vorhandenen Kapazitäten, wie z.B. der Aufbau eines Magnetbahnnetzes, das einen Quantensprung in der Verkehrstechnik bedeutet hätte, durch Gerichtsprozesse und kurzsichtige politische Entscheidungen jahrelang immer weiter verzögert oder ganz gestoppt wurden. Gleichzeitig wurde die Planung immer komplizierter, nicht zuletzt durch immer weiter ausufernde, meist europäische Vorschriften von Brüssel für den Umweltschutz, die Auftragsvergabe, die Finanzierung etc.  

Einen ganz erheblichen Teil der Schuld an der Misere trägt aber auch die Politik der „schwarzen Null“ des früheren Finanzministers Wolfgang Schäuble: Um die öffentlichen Haushalte „auszugleichen“, wurden drastische Sparprogramme verhängt und diese Politik als sogenannte „Schuldenbremse“ sogar in den Verfassungen verankert.

Die Folge: Die öffentlichen Investitionen wurden massiv zurückgefahren, die Nettoanlageinvestitionen des staatlichen Sektors fielen nach 1994 unter 0,5% des BIP und waren zwischen 2004 und 2007 sowie von 2013-2015 sogar negativ; es wurde also mehr Infrastruktur verschlissen als neu gebaut ( zur Graphik). Anstelle eines Schuldenbergs sammelte sich ein gewaltiges Infrastrukturdefizit von inzwischen fast 500 Milliarden an, jeweils zu etwa gleichen Teilen in den Zuständigkeitsbereichen von Bund, Ländern und Gemeinden.

Aufgrund der sinkenden Nachfrage bauten natürlich auch die Baukonzerne ihre Kapazitäten ab: 1995 arbeiteten noch 3,2 Millionen Menschen im Bausektor, 2005 waren es nur noch 2,2 Millionen. Inzwischen ist der Bausektor - auch nach einer Änderung der statistischen Kriterien - zwar wieder auf 2,7 Millionen Beschäftigte angewachsen, aber der Schwerpunkt hat sich vom Ausbau der Infrastruktur auf den ökologischen Umbau verlagert, sodaß die Kapazitäten für die Reparatur, den Ausbau und Neubau insbesondere der Verkehrsinfrastruktur begrenzt sind. So berichtete die Zeitschrift Kommunal:

„Daß die Kommunen ihre tatsächlichen Investitionsvorhaben nicht umsetzen konnten, begründen sie in der Befragung vor allem mit Kapazitätsengpässen in der Bauwirtschaft, etwa 45 Prozent der Ausschreibungen blieben deshalb ohne Ergebnis. Als weiteren Grund führen sie Personalengpässe in der Bauverwaltung an. Außerdem mußte rund ein Sechstel der Kommunen Investitionen ins nächste Jahr verschieben, weil das Geld dafür fehlte oder die dafür benötigten Fördermittel noch nicht genehmigt waren.“

Was wir daraus lernen müssen

Wir brauchen also ein großangelegtes Aufbauprogramm zur Erneuerung der Infrastruktur, und das bedeutet, daß die ideologisch begründeten Hindernisse, die dem im Wege stehen, beseitigt und die notwendigen Kapazitäten in den Planungsstellen, im Bausektor und in den Zulieferindustrien (Stahl, Zement etc.) nicht nur erhalten, sondern massiv ausgebaut werden müssen.

* Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, daß der „freie Markt“ diese Dinge regeln wird. Der Staat muß den Infrastrukturausbau als Teil seiner Verantwortung als Motor der Wirtschaft begreifen und wahrnehmen.

* Die Infrastrukturausgaben für die Realisierung der Projekte des Bundesverkehrswegeplans dürfen sich nicht auf die „vorhandenen“ Mittel beschränken, sie müssen sich vielmehr an dem tatsächlichen Bedarf orientieren, für den und durch den die Mittel erwirtschaftet werden müssen.

* Wir müssen uns also von der Idee der „Schuldenbremse“ verabschieden und zu dem Prinzip zurückkehren, daß die staatlichen Stellen mehr investieren müssen, als sie an neuen Schulden aufnehmen.

* Wir müssen uns klarmachen, daß öffentliche Investitionen sich nur dann tragen können, wenn sie die Produktivität der Gesellschaft insgesamt erhöhen, denn nur so erzeugen sie den gesellschaftlichen Mehrwert, aus dem die Investitionen zurückgezahlt werden können.

* Die Bundesregierung muß die Führung dabei übernehmen, diese Grundsätze auch im Rahmen der EU zur Geltung zu bringen und dort also eine Kurswende herbeizuführen. Eine EU, die mit ihrer Politik die Existenzgrundlagen der Menschen in Europa bedroht, hat keine Existenzberechtigung. Sie muß entweder in den Dienst der Menschen gestellt oder aufgelöst werden.

* Wir müssen die Illusion aufgeben, die Wirtschaft durch einen „Green Deal“ mobilisieren zu können, der darauf abzielt, die produktive Aktivität in unserer Volkswirtschaft zu reduzieren. Die geplanten Milliardenausgaben für den „ökologischen Umbau“, die derzeit in Brüssel und Berlin diskutiert werden, sind reine Geldverschwendung, sie werden weder der Wirtschaft noch der Umwelt und schon gar nicht den Menschen helfen. Wir brauchen diese Mittel im Gegenteil dringend für Investitionen, die die Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaft erhalten und verbessern.

* Wir brauchen ein verkehrspolitisches Gesamtkonzept, das auf revolutionäre Technologien für den Massentransport wie z.B. Magnetbahnen und vollautomatische unterirdische Güterverteilungssysteme setzt und die jeweiligen Verkehrsströme für sich optimiert. Ein solches Konzept habe ich schon 2002 in meinem Aufsatz „Verkehrssysteme für eine Industriegesellschaft“  entwickelt.

* Im Rahmen dieses Gesamtkonzepts müssen auch die dafür benötigten Kapazitäten in der Energieversorgung, insbesondere in der Elektrizitätswirtschaft, bereitgestellt werden. Es ist vollkommen unverantwortlich, durch eine massive Ausweitung der Elektromobilität den Strombedarf dramatisch zu steigern und gleichzeitig Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke abzuschalten, und dann darauf zu hoffen, daß uns andere Länder den benötigten Strom liefern werden, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.

* Und wir müssen insbesondere die jungen Menschen dafür gewinnen und ausbilden, als qualifizierte Fachkräfte eine produktive Rolle in einer produktiven Gesellschaft zu spielen. Es geht dabei nicht nur um Deutschland und Europa, die ganze Welt braucht dringend eine Aufbaupolitik, um Armut, Hunger und Krankheiten zu überwinden.

* Dazu brauchen wir eine ganz andere Massenkultur als die, die heute von den Massenmedien verbreitet wird. Wie einst US-Präsident Kennedy sagte: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst.“

Nur wenn wir uns an diesen Prinzipien orientieren, werden wir aus der Krise herauskommen. Ich fordere alle Bürger auf, die etablierten Parteien und Politiker mit diesen Fragen zu konfrontieren.

Alexander Hartmann, hessen@bueso.de

Tel. 0611-7169744