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Butscha-Untersuchung durch EU und NATO: Lynchjustiz statt Wahrheitsfindung?

Von Alexander Hartmann

Das „Globale Großbritannien“, das wie üblich Elemente der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, der G7 und der NATO vorschickt, um seine Ziele zu erreichen, hat seine Kampagne gegen Rußland in der vergangenen Woche dramatisch eskaliert und benutzt das Leid in der Ukraine als Instrument, um seine beabsichtigte neue globale Herrschaftsarchitektur durchzusetzen – selbst auf die Gefahr hin, daß ein Weltenbrand ausbricht. Die Taktik des „Globalen Großbritannien“ besteht darin, im UN-Sicherheitsrat und anderswo jede ordentliche Untersuchung von Vorwürfen angeblichen russischen Fehlverhaltens durch neutrale Institutionen zu blockieren und stattdessen Rußland und dessen Vertreter aus allen möglichen Gremien der Weltgemeinschaft zu vertreiben.

Diese britische Strategie zeigte sich auffällig bei der dreieinhalbstündigen Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats (UNSC) am 5. April zu den angeblichen russischen Greueltaten in Butscha in der Ukraine, die von der britischen UN-Botschafterin Barbara Woodward, die im April den rotierenden Vorsitz im Sicherheitsrat innehat, einberufen worden war. Sie verkündete theatralisch, man wisse bereits, daß die Russen schuldig seien und daß man sie aus jedem zivilisierten Gremium hinauswerfen müsse. Statt einer neutralen Untersuchung der Vorgänge durch die Vereinten Nationen solle die Untersuchung vom ukrainischen Generalstaatsanwalt zusammen mit „anderen nationalen Staatsanwälten“ durchgeführt werden – so ihre Umschreibung einer Vereinbarung, die Kiew und die EU am Vortag getroffen hatten. Parallel dazu erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf einer Pressekonferenz in Brüssel, die NATO sei bereit, eine Untersuchung gegen Rußland durchzuführen und die Ergebnisse den Vereinten Nationen vorzulegen.

Da diese Parteien offensichtlich allesamt voreingenommen sind, wären dies natürlich nur Scheinuntersuchungen, die Vorwände für Maßnahmen liefern sollen, die sowieso bereits geplant sind. So kommt es zu der bizarren Situation, daß Frau Woodward als amtierende Vorsitzende des UN-Sicherheitsrats nicht nur eine Untersuchung fordert, deren Ergebnis schon feststeht, sondern diese noch dazu die Vereinten Nationen umgeht! Die Zuständigkeit des UN-Sicherheitsrats soll ausgeschaltet werden, um sicherzustellen, daß das Ergebnis der Untersuchungen das Rußland-feindliche Narrativ des Westens unterstützt.

Stimmen der Vernunft

Der Grund, warum Großbritannien und seine amerikanische und europäische Gefolgschaft eine Untersuchung der Vorgänge durch die UN fürchten, zeigte sich in der Dringlichkeitssitzung deutlich, denn es gab dort auch viele Stimmen, die eine unparteiische Untersuchung forderten. Diese ruhigen Stimmen der Vernunft im Sicherheitsrat kamen vom chinesischen UN-Botschafter Zhang Jun und implizit auch von Brasilien und einigen afrikanischen Staaten. Zhang sagte, alle Nationen müßten „günstige Bedingungen“ für die Lösung des Ukraine-Konflikts schaffen. Beunruhigende Vorwürfe und Berichte müßten ordnungsgemäß untersucht werden, und man müsse damit aufhören, Zwist zu säen. Man müsse die Vorgeschichte der Situation bekannt machen und verstehen, damit sie sich nicht wiederholt. Nahrungsmittel und andere wichtige wirtschaftliche Fragen dürften nicht „als Waffe mißbraucht, politisiert und instrumentalisiert“ werden.

Brasilien forderte eine gründliche Untersuchung aller Berichte, ohne eine der beiden Seiten vorschnell zu verurteilen. Der Sicherheitsrat trage die Verantwortung dafür, die Situation wirksam anzugehen, tue das aber nicht. „Das ist nicht die Diskussion, die wir führen. Es darf keine Politisierung der humanitären Bemühungen und keine einseitigen Vorwürfe geben.“

Gabun forderte eine UN-geführte, freie und unabhängige Untersuchung zu Butscha, „Schlammschlachten“ brächten keinen Frieden. „Wir müssen uns an unseren Auftrag erinnern, der darin besteht, für den Frieden zu arbeiten. Die Istanbuler Diplomatie muß bald zu einem Waffenstillstand führen.“

Kenia vertrat die Auffassung, daß die fortgesetzte Mißachtung der UN-Charta durch die Großmächte in den letzten Jahren zu der jetzigen Situation geführt hat. Die UNO verliere an Prestige und müsse reformiert werden. Es seien einige dringende Schritte erforderlich, angefangen mit einer neutralen und schnellen UN-Untersuchung in Butscha und anderswo in der Ukraine. Beide Parteien müßten ihren Militärangehörigen klar machen, daß sie zur Verantwortung gezogen werden. Und die UNO müsse ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen, indem sie sich auch um die Krisen in Afghanistan, Haiti, Libanon, Palästina, Jemen usw. kümmert.

Indien sprach sich in einer sorgfältig formulierten Erklärung für eine unabhängige Untersuchung der Butscha-Vorwürfe auf der Grundlage des Völkerrechts aus. Dabei müßten Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit gewährt sein.

Ghana forderte eine unabhängige und unparteiische Untersuchung der Berichte über schwere Verstöße in Butscha, aber auch in Mariupol, Charkiw und anderswo. Alle Täter müßten zur Rechenschaft gezogen werden. Da auf der Tagung am 29. März Fortschritte mit Rußland und der Ukraine erzielt worden seien, solle der Sicherheitsrat auch vertrauensbildende Maßnahmen in diesem Prozeß fördern. Dies sei der einzige Weg zu einem einheitlichen Vorgehen.

Schließlich betonten die Vereinigten Arabischen Emirate, die im März den Vorsitz innehatten, bevor das Vereinigte Königreich ihn übernahm, der Sicherheitsrat müsse klären, was tatsächlich geschehen ist, und dürfe sich nicht in einen Krieg der Narrative verstricken. Er müsse es den bestehenden Institutionen ermöglichen, die Fakten vor Ort zu prüfen. Sonst drohten falsche Narrative und Desinformation, vor allem wenn digitale Informationen den Haß so leicht verstärken können. Die Technologie erhöhe die Geschwindigkeit, mit der solche schädlichen Narrative die Situation vor Ort beeinflussen, und darin liege eine echte Gefahr.

Britischer Geheimdienst führt Informationskrieg für Kiew

Aber gerade das Gestalten von Narrativen gehört zu den besonderen Spezialitäten des Britischen Empire – und das gilt auch für den Konflikt in der Ukraine. In dieser Hinsicht sind höchst aufschlußreiche Informationen darüber an die Öffentlichkeit gelangt, wie britische Geheimdienste und mit ihnen verbundene Organisationen den „Informationskrieg“ führen. In der Washington Post vom 16. März wird ein NATO-Kommandeur zitiert, die Ukrainer seien „wirklich ausgezeichnet“ in der strategischen Kommunikation: „Medien, Info-Ops und sogar Psy-Ops“.

Und es gibt ein unverblümtes Eingeständnis von Sir Jeremy Fleming, dem Leiter des britischen Cybergeheimdienstes GCHQ. In einer „seltenen öffentlichen Ansprache“ (wie es die BBC formulierte) prahlte er am 30. März in Australien damit, daß der britische Geheimdienst die „Informationsfront“ des Ukraine-Krieges leitet. Präsident Selenskyjs Informationsoperation sei „extrem gut auf verschiedene Zielgruppen zugeschnitten“ und werde in England „durch eine neue Informationszelle der Regierung unterstützt, die Desinformation des Kremls, die auf das britische und internationale Publikum abzielt, identifiziert und bekämpft. Sie vereint Fachwissen aus allen Bereichen der Regierung, um falschen Darstellungen entgegenzutreten. Sie befaßt sich mit Fakten, nicht mit Unwahrheiten, und sorgt dafür, daß die Wahrheit gut erzählt wird.“ Und diese „Wahrheiten“, erklärte er stolz, kämen von den Geheimdiensten.

Die britische Rolle wird in einem Artikel des Journalisten Dan Cohen vom 22. März auf Mintpress News und Consortium News bestätigt. Er beschreibt die PR-Kampagne, die u.a. von der Firma PR Network aus Großbritannien durchgeführt wird. Einer der wichtigsten Mitarbeiter ist Francis Ingham, ein Berater mit engen Verbindungen zur britischen Regierung, der sich mit der unermüdlichen Unterstützung der Firma für Kiews Kommunikationskrieg brüstet. Er und andere halfen, ein „Dossier“ zu erstellen und zu verteilen, das PR-Agenturen anweist, welche Sprachregelung sie bei der Darstellung des Konflikts verwenden sollten, wie sie Vorwürfe rechtsextremer und neonazistischer Propaganda entkräften können, usw. Das Dossier enthält Hunderte von Grafiken, viele davon abschreckend russophob.

Ein weiterer lesenswerter Artikel stammt von Max Blumenthal auf Grayzone, der sich auf die perfide Rolle der BBC bei der Kriegsberichterstattung im Westen konzentriert. Dazu gehören u.a. die inzwischen diskreditierten Behauptungen über die Schlangeninsel und über das Theater von Mariupol.

In dem erwähnten Artikel der Washington Post wird auch ein Experte zitiert, daß die Ukraine den „Informationskrieg“ im Westen definitiv gewinne. Man kann davon ausgehen, daß dies bedeutet, daß die westlichen Regierungen die Situation ausnutzen wollen, um eine „Kriegswirtschaft“ aufzubauen – und daß sie notfalls bereit sind, dafür das ukrainische Volk zu opfern.

Angesichts dieser offensichtlichen Versuche, die öffentliche Meinung zu manipulieren und drastische Maßnahmen durchzusetzen, die auf einen kollektiven Selbstmord der europäischen Volkswirtschaften durch die Sanktionen hinauslaufen (was vor allem der anglo-amerikanischen Finanzwelt nützt), ist der vom Schiller-Institut eingeleitete Prozeß des Dialogs und der Formulierung einer Politik, die dem Leben und dem Frieden dient, heute so notwendig wie nie zuvor. Die internationale Konferenz am 9. April, die nach Redaktionsschluß dieser Ausgabe stattfand, ist jetzt als Gegenpol der Vernunft noch wichtiger, als selbst ihre Initiatoren vor einigen Wochen ahnen konnten.