06131-237384info@bueso.de

COVID-19 läßt das marode „Schwedische Modell“ kollabieren

Ein Hintergrundartikel von Ulf Sandmark, Schweden

Alarmierende Berichte aus Schweden über Todesfälle in Altenpflegeheimen und die in letzter Zeit wie in anderen Teilen Europas auch exponentiell ansteigenden Infektionsraten haben die schwedische COVID-19-Politik in ein fragliches Licht gerückt. Diejenigen, die sich gegen einen Lockdown aussprachen oder sogar die Gefährlichkeit des Virus anzweifelten, sahen in dem Fehlen einer entschlossenen Reaktion in Schweden ein Modell für den Umgang mit dem Virus. Aber in Wirklichkeit hat das sogenannte Schwedische Modell für den Umgang mit COVID-19 seinen Ursprung in dem weit fortgeschrittenen Verfall des schwedischen Wohlfahrtsstaates und seines Regierungssystems, einschließlich der moralischen Werte gegenüber älteren Menschen.

Eigentlich sollten die Voraussetzungen für eine Eindämmung des Virus in Schweden im Vergleich zu den meisten anderen Ländern der Welt äußerst günstig sein: Der relativ hohe Lebensstandard, das moderne Gesundheitswesen und die niedrige Staatsverschuldung hätten es ermöglichen müssen, die Krise so gut zu bewältigen wie in den Nachbarländern Finnland und Norwegen, wo die Sterblichkeit an COVID-19 nur ein Zehntel der schwedischen Rate beträgt. In Schweden ist zudem die Zahl der Personen pro Haushalt gering, und viele verfügen über zusätzlichen Wohnraum auf dem Land.

Bis heute (27. November) sind in Schweden insgesamt 6681 Menschen an COVID-19 gestorben, das sind 643 Personen/Million, verglichen mit 59 in Norwegen, 70 in Finnland, 138 in Dänemark, 183 in Deutschland, 861 in Italien, 768 in Frankreich, 942 in Spanien, 1407 in Belgien und 800 in den USA. Aber die Lage ist in Schweden deutlich schlechter als in bestimmten Regionen Italiens, wie etwa Kalabrien.

Neun von zehn COVID-19-Todesfällen in Schweden fallen in die Altersgruppe von 70 Jahren und älter. Ein großer Teil davon, nämlich 2800, ereignete sich in den Altenpflegeheimen.

Am 24. November berichtete die schwedische Untersuchungsbehörde im Gesundheitswesen (IVO) nach Prüfung von 847 Krankenakten aus 98 von 1700 Pflegeheimen über kritische Mängel in der medizinischen Versorgung in Pflegeheimen. IVO stellte fest, daß es in allen schwedischen Regionen Fälle gab, in denen ältere Menschen mit COVID-19 von keinem Arzt untersucht wurden, einige nicht einmal von einer Krankenschwester. Die Patienten und ihre Angehörigen seien auch nicht über Behandlungsentscheidungen informiert worden oder in der Lage gewesen, diese zu beeinflussen.

Bereits im Frühjahr hatten viele verärgerte Mediziner, Pfleger und Angehörige berichtet, daß ältere Menschen in Pflegeheimen bei Verdacht auf COVID-19 nicht im Krankenhaus behandelt wurden oder auch nur Sauerstoff erhielten. Statt dessen wurden sie für sterbenskrank erklärt und erhielten lediglich eine palliative Betreuung, regelmäßig auch Morphium. Ein führender Professor für Geriatrie, Yngve Gustafson von der Universität Umeå, sagte am 22. Mai in einem Interview mit Aftonbladet, daß dies im Falle einer Lungenkrankheit wie COVID-19 sehr schnell zum Tod des Patienten führt.

Die Anweisung an Ärzte, ihre Patienten nicht persönlich aufzusuchen, kam vom Nationalen Gesundheits- und Wohlfahrtsamt, aus der Sorge heraus, daß Ärzte das Virus auf ältere Menschen übertragen könnten. Diese Entscheidung war Teil einer bereits seit längerem anhaltenden Einstellung in der Gesundheitsfürsorge und in der schwedischen Kultur, ältere Menschen zu vernachlässigen. In dieser Situation wurde sie aber zu einem Instrument der Triage, da das Hauptanliegen darin bestand, den Druck auf das Gesundheitssystem gering zu halten. Bis heute dominiert diese Strategie, „die Kurve niedrig zu halten“ (d.h. die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen COVID-19 unter der Kapazität der Krankenhäuser zu halten), die schwedische Vorgehensweise zur Bekämpfung von COVID-19.

Doch trotz der verheerenden Kritik der IVO und des öffentlichen Aufschreis über den Tod älterer Menschen breitet sich das Virus nun erneut in den schwedischen Pflegeheimen aus und tötet die Ältesten. Wiederum berichten Pflegekräfte in den Krankenhäusern anonym, daß infizierte Patienten routinemäßig in Krankenhauszimmern mit nicht infizierten Schwerkranken untergebracht werden. Am 26. November berichteten die Medien über eine neue Untersuchung, nachdem zwei Patienten nach einer COVID-19-Infektion im Universitätskrankenhaus in Malmö verstorben waren.

Schweden hat aufgegeben

Führende schwedische Behörden haben das Ziel, das Virus auszurotten oder auch nur einzudämmen, von Anfang an abgelehnt. Statt dessen bestand die Politik trotz frühzeitiger und anhaltender Proteste zahlreicher schwedischer Epidemiologen und Ärzte darin, mit dem Virus leben zu lernen, bis eine Herdenimmunität erreicht ist - entweder dadurch, daß genügend Personen durch Ansteckung eine Immunität erworben haben, oder durch einen Impfstoff. Entgegen den Behauptungen der zuständigen Behörden unter Leitung des staatlichen Epidemiologen Anders Tegnell, es habe keine Politik zum Erreichen einer Herdenimmunität gegeben, hat der Buchautor Johan Anderberg in einem Artikel im Svenska Dagbladet vom 11. November anhand von E-Mail-Korrespondenzen Tegnells dokumentiert, daß „Herdenimmunität - d.h. zu akzeptieren, daß ein Teil der Bevölkerung infiziert wird - Teil der frühen Strategie war“.

Anderberg schreibt, daß auch in Großbritannien in der Frühphase der Pandemie die gleiche Strategie der „Herdenimmunität“ verfolgt wurde. Noch am 12. März erläuterte der Wissenschaftsberater Patrick Vallance die britische Regierungspolitik und sagte: „Es ist wichtig zu verstehen, daß es nicht darum geht, zu verhindern, daß alle Menschen infiziert werden. Das ist nicht möglich. Es ist auch nicht wünschenswert, da man sich eine gewisse Immunität in der Bevölkerung wünscht. Wir brauchen eine Immunität, die uns in Zukunft davor schützt.“ Nur wenige Tage später gab das Vereinigte Königreich diese Strategie auf und verordnete einen Lockdown.

Ein Vorgänger Tegnells, der Facharzt für Infektionskrankheiten Peet Tüll, hatte in einer von Anderberg gefundenen Email drei alternativen Vorgehensweisen zur Bekämpfung von COVID-19 aufgezählt:

- Erstens ein totaler Lockdown der Gesellschaft für vier Wochen.

- Zweitens, so viele Infizierte wie möglich zu finden, alle engen Kontakte aufzuspüren und sie in eine zweiwöchige Quarantäne zu stecken.

- Drittens, Ansteckungen langsam oder schnell zuzulassen, um eine hypothetische „Herdenimmunität“ zu erreichen.

Tüll empfahl die zweite Alternative und warnte, daß die dritte zu Tausenden von Todesfällen führen würde. Noch am selben Tag antwortete Tegnell: „Ja, wir haben das alles durchgespielt und sind trotz allem bei 3 gelandet.“

Andere führende schwedische Experten hatten von Tegnell die gleiche Antwort erhalten, der erklärte, der Erreger hätte sich bereits im Inland festgesetzt und eine Kontaktverfolgung sei zwecklos.

Die Entscheidung, die Ausbreitung des Virus zuzulassen, erklärt die laschen schwedischen Gegenmaßnahmen. Es muß jedoch dazu gesagt werden, daß sich Tegnell und die zuständigen Beamten an die sehr engen juristischen und sogar verfassungsrechtlichen Grenzen für effektive Gegenmaßnahmen halten mußten. Eine Politik des Lockdowns ist nach dem schwedischen Grundgesetz, das allen Schweden Freizügigkeit zugesteht, einfach nicht möglich. Das schwedische Gesetz für übertragbare Krankheiten betont die Verantwortung des einzelnen, keine Krankheiten zu verbreiten, erlaubt aber nur die Isolierung infizierter Personen. Im Gegensatz zu Finnland, das den gesamten Bezirk um Helsinki abriegeln konnte, sind in Schweden keine allgemeinen Präventivmaßnahmen für nicht infizierte Personen erlaubt.

Die einzigen anderen beiden Gesetze, die zur Pandemiebekämpfung geltend gemacht werden könnten, sind das schwedische Gesetz über die öffentliche Ordnung und das Gesetz zur Regelung des Alkoholkonsums in Restaurants. Aus diesem Grund wurden neben Vorschriften für bestimmte Einrichtungen, wie ein Besuchsverbot in Pflegeheimen und die Schließung öffentlicher Schulen und Universitäten, lediglich allgemeine Einschränkungen erlassen, etwa eine Höchstgrenze für Versammlungen von zunächst 500, dann 50 Personen, wodurch die meisten Theater und Kulturveranstaltungen geschlossen wurden. Darüber hinaus konnten nur noch Restaurants mit Auflagen versehen werden. Nur ein einziges zusätzliches Gesetz wurde von der Regierung in aller Eile ins Parlament eingebracht, um bessere Handlungsmöglichkeiten zu bekommen.

Was die Menschen außerhalb Schwedens als ein Modell betrachteten, wie man die Städte offen halten konnte, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, war in Wahrheit ein System seltsamer gesetzlicher Regelungen, die die staatlichen Behörden handlungsunfähig machten und es ihnen nicht erlaubten, einen Lockdown wie in China zu verhängen. Da sie sich auch weigerten, wie in Südkorea zu handeln, wo massive Testkapazitäten aufgebaut, Kontakte zurückverfolgt und in Quarantäne gebracht wurden, blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu lernen, „mit dem Virus zu leben“. Genau wie in anderen Ländern, die auf einen Ansturm von Infizierten nicht vorbereitet waren, bemühte man sich, das Gesundheitssystem so zu organisieren, daß es einer wachsenden Zahl von Patienten gewachsen war. Die wenigen Gesetze, die zur Verfügung standen, wurden angewendet, wobei der Hauptschwerpunkt jedoch darauf lag, Empfehlungen für Abstandhalten, Händewaschen, Vermeidung unnötiger Reisen usw. auszusprechen - das Mantra, das eine wirkliche Strategie zur Bekämpfung der Pandemie ersetzte.

Diese Zögerlichkeit hatte zur Folge, daß die schwedische Bevölkerung bereits vor den Empfehlungen der Behörden selbst Vorkehrungen zu treffen begann, indem man soziale Kontakte vermied; Straßen, Geschäfte, Restaurants und Arbeitsplätze leerten sich. Da die Märkte verschwanden und die Lieferketten stockten, schlossen viele Unternehmen. Am 16. März wurden Personen über 70 Jahre zur spezifischen Risikogruppe erklärt; sie blieben freiwillig in ihren Wohnungen, was bis heute andauert. Dieses freiwillige Verhalten war zusammen mit den sehr begrenzten behördlich angeordneten Einschränkungen eine wichtige Ursache dafür, daß nach einem Monat die Todesfälle und Krankenhausaufenthalte nicht weiter anstiegen.

Zu bedenken ist auch, daß die schwedische Regierung eine sehr schwache Minderheitskoalition ist, die nur sehr begrenzte Möglichkeiten hat, eigene Initiativen zu ergreifen. Die Regierung setzte die von Tegnell und den zuständigen Behörden geforderten begrenzten rechtlichen Maßnahmen um, nicht umgekehrt. Die Bürokraten stritten untereinander über die „wissenschaftliche Validierung“ von Mund-Nasen-Schutz, was bis heute jede Empfehlung zum Maskentragen blockiert hat.

Verfassungskrise

Hieran zeigt sich ein weiteres Merkmal des maroden Schwedischen Modells. Im schwedischen Verwaltungssystem haben die staatlichen Behörden die Exekutivgewalt, nicht die Regierung.

Bei den offiziellen Bemühungen Schwedens um die Eindämmung von COVID-19 hat die Gesundheitsbehörde das Sagen, das staatliche Organ für die Kontrolle übertragbarer Krankheiten, deren Abteilungsleiter der oben erwähnte staatliche Epidemiologe Anders Tegnell ist. Tegnell und der Direktor der Gesundheitsbehörde, Johan Carlsson, sind für die schwedische Reaktion auf die COVID-19-Pandemie verantwortlich, wobei sie von anderen zuständigen Behörden auf nationaler Ebene und internationalen Akteuren wie der Europäischen Union und der Weltgesundheitsorganisation unterstützt werden. Die andere wichtige Behörde ist das Nationale Gesundheits- und Wohlfahrtsamt, das für die medizinische Versorgung und die Koordination mit den 21 Regionen (Bezirken) in Schweden, die die Krankenhäuser betreiben, zuständig ist.

Die anderen Behörden sind, ebenso wie die 21 Regionen, die meist von der politischen Opposition geführt werden, unabhängige öffentliche Einrichtungen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen, auch ohne direkte Kontrolle durch die Regierung. Dieses zersplitterte, zerrüttete System wird von Bürokraten geleitet, die ohne nationale Oberaufsicht jeder für sich arbeiten, wobei in vielen Fällen suboptimale Entscheidungen getroffen werden, bei denen das eigene Budget und die eigenen Vorgehensweisen ausschlaggebend sind.

Dieser bürokratische Wirrwarr wird als schwedischer Weg gepriesen, wo Wissenschaft und Kompetenz herrschen und nicht populistische Politiker. In Wirklichkeit ist es eine übelgesinnte permanente Bürokratie, das veraltete Erbe des pseudodemokratischen korporatistischen Schwedischen Modells aus der Blütezeit der 40jährigen Einparteienherrschaft der Sozialdemokraten. In dieser Zeit beherrschte die Partei die „unabhängigen“ öffentlichen Behörden durch korrupte politische Hinterzimmerabsprachen mit einer Unzahl parteiverbundener Bewegungen, die den „Willen des Volkes“ vertraten. Inzwischen haben sich diese korporatistischen Parteistrukturen, die mit ihren Gegenspielern aus anderen mächtigen korporatistischen Einflußgruppen verhandelten, größtenteils aufgelöst.

Diese Struktur der „Unabhängigkeit“ (unabhängig von der Einflußnahme des demokratisch gewählten Parlaments und der Regierung) wird jedoch nach wie vor durch die korrupten Interessen der außerparlamentarischen Einflußgruppen hochgehalten. Man überläßt die öffentlichen Behörden ganz sich selbst, die dann von den verbliebenen Machtgruppen, aber zunehmend auch von den Launen der Medien beeinflußt werden. Die COVID-19-Krise hat somit in Schweden eine Verfassungskrise heraufbeschworen.

Die Reaktion auf COVID-19 durch die „verantwortlichen“ öffentlichen Behörden unter der Leitung Tegnells konzentrierte sich auf die Krankenhausversorgung und das „Niedrighalten der Kurve“. Eine Eindämmung des Virus galt abgesehen von begrenzten Isolationsmaßnahmen für die Bevölkerung als unmöglich. Und während sich das Virus in der Gesellschaft verbreitete, wurde der Schutz von Risikogruppen wie älteren Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen als wichtigstes Ziel ausgegeben, um in der Pandemie Todesfälle zu vermeiden.

Damit ist die schwedische COVID-19-Politik der Bürokraten kläglich gescheitert, da man sich lediglich auf das Krankenhauswesen konzentrierte. Von Vertretern der Regionen wurde zugegeben, daß die oberen Behörden die von den Kommunen betriebenen Pflegeheime und die häusliche Altenpflege ganz offensichtlich „vergessen“ haben. Die öffentliche Bürokratie wußte über diesen Bereich der Gesellschaft offensichtlich nur sehr wenig Bescheid, sie kümmerte sich lediglich um die persönliche Schutzausrüstung für die Krankenhäuser. Die gesamte Bevölkerung, vor allem die armen und am Rande lebenden Menschen konnten am eigenen Leib spüren, daß sich die verantwortlichen arroganten Bürokraten verrannt hatten.

So zeigte das schwedische Fernsehen, wie ein schockierter Arzt berichtete, daß eine zugewanderte Pflegekraft in einem Altenpflegeheim ohne jede Schutzausrüstung und ohne jeden Abstand eine infizierte alte Frau pflegte. Der Arzt in voller Schutzausrüstung war nur gelegentlich zur medizinischen Versorgung dort, aber die Hilfsschwester besuchte die älteren Menschen jeden Tag mehrmals. Bei den „Prioritäten“ zum Schutz der alten Menschen wurde die von den Gemeinden betriebene öffentliche Altenpflege einfach nicht berücksichtigt.

Als die Infektionsraten unter den älteren Menschen anstiegen, begann das Virus gleichzeitig auch in den Einwandererbezirken der Großstädte und unter den typischen Einwandererberufen - wie z.B. Taxifahrern - zu zirkulieren. Die Segregation in Schweden rächte sich jetzt. Tatsächlich ergab eine öffentliche Untersuchung in diesem Sommer, daß sich das alte Schwedische Modell der geringen Einkommensunterschiede in sein Gegenteil verkehrt hat und sich die Schere unter den Einkommensschichten am schnellsten in der Welt öffnet.

Zersplitterung führt zu weiteren Ansteckungen

Das Krankenhauswesen des schwedischen Wohlfahrtsmodells hat vor allem seit der schwedischen Bankenkrise 1987-93 und erneut nach der internationalen Bankenkrise 2008 durch drastische Sparmaßnahmen gelitten und weist inzwischen die niedrigste Pro-Kopf-Anzahl von Krankenhausbetten in Westeuropa auf.

Darüber hinaus wurde Schweden das Opfer des extremsten Privatisierungsexperiments von Krankenhäusern und ganz besonders der Altenpflege in Europa. Da die privaten Gesundheitsversorger vor allem ihren Profit im Auge haben, ist das schwedische Gesundheitssystem noch weiter zersplittert worden.

Für die gegenwärtige Situation ist das insofern von Bedeutung, als der Profitdruck zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des Gesundheitspersonals geführt hat. Gehälter, Berufsausbildung und medizinisches Fachpersonal werden auf einem Mindestniveau gehalten. Der Altenpflegesektor, auch der konkurrierende öffentliche Pflegesektor, ist zu einer „Gig Economy“ ohne Festanstellungen verkommen; Patienten/Kunden in der häuslichen Pflege werden innerhalb von zwei Wochen von durchschnittlich 16 verschiedenen Pflegekräften besucht, von denen sie viele noch nie zuvor gesehen haben.

Diese schlecht bezahlten Minijobber brauchen mehrere Arbeitsplätze und erhielten kein Krankengeld. Um Ansteckungen zu vermeiden, beschloß die Regierung am 11. März, daß alle Beschäftigten, bei denen eine Ansteckung vermutet wird, mit Lohnfortzahlung zuhause bleiben konnten - auch am ersten Tag der Erkrankung, der sonst vom Beschäftigten bezahlt wird. Aber diese Regelung galt nicht für Minijobber, so daß sogar noch mehr von ihnen eingestellt wurden.

Dies war alles andere als hilfreich bei der Eindämmung der Pandemie, auch weil die privaten Krankenhäuser von jeglicher Verpflichtung zur Behandlung von COVID-19-Patienten ausgenommen wurden. Einige von ihnen machten einfach mit unnötigen Schönheitsoperationen weiter. Somit waren es die fast totgesparten öffentlichen Krankenhäuser, deren Kapazität „die Kurve“ nicht überschreiten durfte.

Aufgrund des Kostendrucks war es nicht möglich, die infizierten Patienten von den nicht infizierten zu trennen. In vielen Krankenhäusern wurden sie sogar im selben Zimmer untergebracht. Der Mangel an Schutzausrüstungen im Frühjahr und der ständige tägliche Wechsel der Belegschaften führten zu einer tödlichen Mischung, so daß sich in den Krankenhäusern und Altenpflegeheimen das Virus verbreiten konnte.

Als Reaktion auf die skandalöse Sterbewelle in den Pflegeheimen und in der häuslichen Pflege hat die Gesundheitsbranche zwar inzwischen auf Forderungen der Gewerkschaften nach langfristigen Arbeitsverträgen und besserer Ausbildung zu hören begonnen, aber die Privatisierungen und die Profitgier, die hinter der extremen Fragmentierung stehen, wurden bisher nicht angetastet.

Tests verzögert, aber schließlich doch von der Regierung durchgesetzt

Die Frage vermehrter Tests hatte keinen Platz in der von Tegnell und den zuständigen Behörden gewählten COVID-19-Strategie. Die wenigen verfügbaren Tests wurden auf Patienten mit Symptomen konzentriert. Massentests wurden hinausgeschoben, trotz der äußerst großzügigen Zusammenarbeit zwischen schwedischen und chinesischen Laboratorien, die ab April modernste automatische Analysegeräte und Testkits lieferten. Schweden verfügt aufgrund der früheren wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit den chinesischen Labors im Grunde über das nötige technische Wissen. Mit einer privaten Spende der Wallenberg-Stiftung wurde die exklusive Ausrüstung und der Transport aus China finanziert.

Aber die Bürokraten zögerten mit der Ausweitung der Tests, mit der Begründung, diese müßten so angelegt sein, daß die Ergebnisse wissenschaftlich überprüfbar seien. Erst mit großer Verspätung griff die Regierung im April ein und beauftragte die Gesundheitsbehörde, die Testkapazität von 50.000 auf 150.000 pro Woche zu erhöhen. Am 8. Mai ernannte die Regierung Harriet Wallberg zur Sonderkoordinatorin zwischen der Gesundheitsbehörde und den 21 Krankenhausregionen, um die Tests auf den Weg zu bringen. Die Tests wurden in den Regionen vorbereitet, die auch mit der Kontaktverfolgung begannen. Aber erst im Juni begann Schweden damit, die Tests als Teil der nationalen Strategie tatsächlich umzusetzen. Dies war eine Annäherung an die zuvor verworfene Strategie Südkoreas, aber mit weniger Durchgriffsrechten zur Kontrolle potentiell infizierter Gruppen. Ende November lag die Zahl der Tests bei fast 270.000 pro Woche.

Sommer und dann der Anstieg

Die gemeldeten Infektionszahlen stiegen aufgrund der vermehrten Tests an, aber die Sterberate war sehr niedrig, als im Juli die Urlaubszeit begann, und dies hielt an, bis Mitte Oktober die „zweite Welle“ einsetzte. Das Besuchsverbot für Angehörige in den Pflegeheimen wurde am 30. September aufgehoben.

Die Schulen und Universitäten öffneten wieder, und vor allem Studenten und junge Leute begannen wieder, private Partys zu veranstalten, auf denen viele Infektionen zustande kamen. Empfehlungen der Behörden wurden einfach mißachtet. Im September warnte die Gesundheitsbehörde vor Ausbrüchen von Infektionen in Sportvereinen und bei Sportveranstaltungen. Es gab einen deutlichen Unterschied zwischen der Generation 70+ und der jüngeren Generation bei der Befolgung der Empfehlungen. Einkäufe und Restaurantbesuche nahmen zu.

Einige Schweden, vor allem jüngere, haben die Idee der Herdenimmunität mißverstanden, so daß sie sogar Infektionen untereinander bewußt förderten, um früher zur Herdenimmunität zu gelangen - angeblich, um die älteren Menschen zu schützen und um schneller aus der Pandemie herauszukommen.

Als die zweite Welle einsetzte, war klar, daß mit Empfehlungen und laxen Maßnahmen der Infektionsanstieg nicht aufgehalten werden konnte. Tegnells Vorhersage eines langsamen Anstiegs im Herbst erwies sich als falsch. Die Regierung griff ein, und Ministerpräsident Stefan Löfven erließ am 20. November ein Verbot öffentlicher Versammlungen von mehr als acht Personen und strenge Empfehlungen, alle Treffen außerhalb des engen Familienumkreises zu vermeiden. Am 22. November richtete er eine eindringliche Botschaft an alle, das Verhalten zu ändern, um das Weihnachtsfest zu retten.

Inzwischen ist klar, daß jetzt nicht mehr Tegnell und die Behörden die schwedische COVID-19-Politik bestimmen, sondern die Regierung. Unterstützung hierfür kommt vor allem von den etablierten Medien und der Bevölkerung, wodurch eine umfassende Debatte über längst fällige Verfassungsänderungen ausgelöst wurde. Daraus könnte der Beginn einer demokratischen Revolution in Schweden gegen die Diktatur der Bürokraten werden - was besonders dringend ist angesichts zu erwartender noch härterer Sparmaßnahmen in der bevorstehenden Finanzkrise und dem unheilvollen „Great Reset“.