Ein Kommentar von Alexander Hartmann
Vor dem Ersten Weltkrieg trafen sich der deutsche Kaiser Wilhelm II. und der russische Zar Nikolaus II., und sprachen darüber, daß ihr britischer Vetter daran arbeite, sie in einen Krieg gegeneinander zu treiben, und wie man dies abwenden könne. Wie wir aus der Geschichte wissen, ist ihnen das nicht gelungen. Die Schüsse von Sarajewo setzten eine Kettenreaktion in Gang, Österreich-Ungarn verlangte von Serbien die Auslieferung der Täter und erklärte, als diese verweigert wurde, Serbien den Krieg, Deutschland und Rußland sahen sich als Bündnispartner Österreich-Ungarns bzw. Serbiens dazu genötigt, gegeneinander in den Krieg zu ziehen.
Damit begann das Elend des 20. Jahrhunderts: Auf den Ersten Weltkrieg folgte der Versailler Vertrag, darauf die Wirtschafts- und Finanzkrise und die von England unterstützte Machtergreifung Hitlers, die dann zum Zweiten Weltkrieg und anschließend zur Teilung Europas durch die von Churchill veranlaßte Wendung der USA unter Truman gegen Rußland führte – alles getreu der britischen Politik, stets die stärksten Konkurrenten des „Empire“ gegeneinander auszuspielen, wobei es die persönlichen Schwächen der jeweils entscheidenden Personen ausnutzte, um sie im britischen Sinne zu manipulieren.
Heute stehen wir vor einer analogen Situation: US-Präsident Donald Trump und Rußlands Präsident Wladimir Putin, die Führer der stärksten Militärmächte der Erde, wissen genau, daß die britische Politik darauf abzielt, sie in einen Konflikt gegeneinander – den sie beide nicht wollen – zu treiben und zu halten.
Diesmal übernehmen die führenden westeuropäischen NATO-Staaten und die EU die Rolle, die seinerzeit Österreichs Kaiser Franz-Josef spielte. Die Historiker späterer Zeitalter – falls es die im Fall eines wahrscheinlich nuklearen Konflikts zwischen Rußland und den USA überhaupt geben wird – würden möglicherweise die „ukrainischen“ Raketenangriffe auf die Standorte der russischen Nuklearstreitkräfte mit den Schüssen von Sarajewo vergleichen. Falls Rußland Vergeltungsangriffe auf die westeuropäischen Länder unternimmt, die offensichtlich bei den ukrainischen Raketenangriffen federführend waren, würde die Mehrheit der NATO-Staaten dies vermutlich als Angriff auf NATO-Mitgliedstaaten bewertet, und dies würde zur Aktivierung von Artikel 5 des NATO-Statuts führen.
Dies wiederum würde Präsident Trump in eine ähnliche Lage bringen wie der, in der sich Kaiser Wilhelm II. 1914 befand, als er sich von seinen Beistandspakten, seinem persönlichen Ehrbegriff und der öffentlichen Meinung dazu nötigen ließ, Rußland den Krieg zu erklären.
Wie schon 1914 sind die persönlichen Schwächen der beteiligten Personen und die Rolle der öffentlichen Meinung, auf die sie reagieren, wesentliche Faktoren, die den weiteren Gang der Entwicklung bestimmen. Um einen neuen – diesmal atomaren – Weltkrieg abzuwenden, müssen daher die Narrative der anglo-amerikanischen Kriegspartei, die bisher die Einschätzung der Lage in der öffentlichen Debatte beherrschen, entkräftet werden. Es muß sichergestellt werden, daß die entscheidenden Personen Zugang zu allen wesentlichen Fakten erhalten, damit sie ihr Urteil aufgrund der tatsächlichen Lage und einer richtigen Einschätzung der jeweiligen Konsequenzen der verschiedenen Handlungsoptionen treffen. Und diese tatsächliche Lage und zu erwartenden Konsequenzen der verschiedenen Handlungsoptionen müssen auch ein wesentlicher Faktor der öffentlichen Debatte werden, damit die durch falsche Narrative manipulierte Öffentlichkeit nicht als ein Rammbock mißbraucht werden kann, um schwachen Politikern eine Politik aufzunötigen, die sie guten Gewissens nicht verfolgen dürfen, weil sie für alle Beteiligten den Untergang bedeuten kann.
Und die entscheidenden Personen müssen den Mut aufbringen, sich von gefährlichen Bindungen zu lösen – beispielsweise durch Kündigung von Bündnisverträgen mit anderen Akteuren, die offensichtlich auf einen Krieg hinarbeiten, wie es derzeit im Rahmen der NATO und der EU der Fall ist.
Donald Trump ist dabei nicht der einzige, der sich hierüber Gedanken machen sollte, es sind auch die Staats- und Regierungschefs aller anderen Mitgliedstaaten der NATO und der EU: Je mehr Nationen deutlich machen, daß sie den Kriegskurs der „Koalition der Willigen“ NATO- und EU-Staaten nicht mittragen. Je deutlicher sie die Gründe dafür öffentlich beim Namen nennen, desto größer ist die Chance, daß ein Atomkrieg abgewandt werden kann. Der NATO-Gipfel in den Niederlanden ist dafür eine Gelegenheit, die nicht verpaßt werden darf.
Der Autor ist hessischer Landesvorsitzender des BüSo und Mitglied des Bundesvorstands.
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