Von Alexander Hartmann
„Betrachtet man den aktuellen Stand der internationalen Angelegenheiten, kann man sich nur schwer dem Eindruck entziehen, daß die Welt nicht nur eine Reihe kleinerer und größerer Krisen erlebt. Vielmehr scheint die gesamte liberale internationale Ordnung auseinander zu brechen - nichts wird so sein wie früher. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion war die globale Sicherheitslandschaft niemals gefährlicher. Wir erleben eine epochale Verschiebung, da eine Ära zu Ende geht und vorerst nur grobe Umrisse eines neuen geopolitischen Zeitalters sichtbar sind. Obwohl sich einige Staaten für die Erhaltung der liberalen internationalen Ordnung einsetzen, ist es fraglich, ob sie - oft abgelenkt von anderen innen- und außenpolitischen Herausforderungen - diese Rolle übernehmen können.“
So beschreibt der Munich Security Report 2019, der im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz veröffentlicht wurde, die derzeitige internationale Lage - und die offensichtlich verzweifelte Gefühlslage des westlichen Establishments. Diese Lage ist gekennzeichnet davon, daß China, unterstützt von Rußland, der Welt eine Alternative zur bankrotten „liberalen internationalen Ordnung“ bietet, zu der geopolitischen Ordnung der letzten Jahrzehnte, die sich im wesentlichen darauf stützte, die unterentwickelten Länder durch den Einsatz der finanziell-wirtschaftlichen Macht des westlichen Establishments rückständig zu halten und zu plündern, und Widerstände gegen diese Politik notfalls durch Regimewechsel oder den Einsatz militärischer Gewalt zu brechen.
Aber nun wenden sich immer mehr Länder dieser Alternative zu, deren sichtbarster Ausdruck Chinas Gürtel- und Straßen-Initiative ist, die „Neue Seidenstraße“. Hinzu kommt, daß in den Vereinigten Staaten mit Donald Trump seit zwei Jahren ein Präsident im Amt ist, der erklärtermaßen nicht dazu bereit ist, sein Land als „Weltpolizisten“ dieser liberalen Weltordnung mißbrauchen zu lassen, sondern gute Beziehungen zu Rußland und China anstrebt.
Ein weiterer Aspekt ist, daß Rußland (Hyperschallwaffen) und China (Weltraumfahrt, Kommunikationstechnik, Hochgeschwindigkeitsbahnen, Kernfusion) ganz bewußt auf den technologischen Fortschritt setzen und in etlichen Bereichen dabei sind, die Führung zu übernehmen oder sie schon übernommen haben. Der Westen dagegen fällt technologisch immer weiter zurück, weil aufgrund der Finanzkrise nicht genug Mittel für die Technologieentwicklung zur Verfügung stehen und die vorhandenen Mittel aufgrund der vorherrschenden „grünen“ Ideologie zum größten Teil nicht in die Entwicklung von Hochtechnologie fließen, sondern für unsinnige Projekte wie die Bekämpfung des „Klimawandels“ verschwendet werden. Deshalb ist abzusehen, daß der massive Einsatz dieser Hochtechnologie im Militär und in der zivilen Wirtschaft auch das strategische Gewicht immer mehr zugunsten von Rußland und China verschieben wird.
So stellt sich tatsächlich die Frage, ob die „zweiten Reihe“ der liberalen Demokratien, wie sie der Munich Security Report nennt - also Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Kanada und Japan - in der Lage sein werden, die durch den Ausfall der USA entstehende Lücke zu füllen und die „liberale internationale Ordnung“ aufrecht zu erhalten. Japan unter Ministerpräsident Abe setzt klar auf die Kooperation mit Rußland und China, die „drei M“ - Macron, May und Merkel - sitzen auf wackeligen Stühlen und sind mit massiver Opposition im eigenen Land konfrontiert, und in der EU drängen immer mehr Länder auf eine Änderung der Politik. Angesichts dieser Entwicklung erscheint der von Macron und Merkel geschlossene „Vertrag von Aachen“ wie ein verzweifelter Versuch, ein Bollwerk innerhalb der EU zu schaffen, für den Fall, daß die Gegner der „liberalen internationalen Ordnung“ mit der Europawahl im Mai auch die Mehrheit im Europäischen Parlament erobern und dem westlichen Establishment ein weiteres wichtiges Instrument zur Durchsetzung seiner Interessen verloren geht.
Diese Entwicklung sollte niemanden überraschen. Schon zur Zeit des Mauerfalls vor knapp 30 Jahren hatte die Vorsitzende des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, davor gewarnt, dem bankrotten System des Kommunismus einfach nur das nicht minder bankrotte System des Freihandels überzustülpen; man werde dann zwar für eine gewisse Zeit durch eine Politik der primitiven Akkumulation - der Plünderung - Werte aus den postkommunistischen Ländern herausholen können, aber dann werde es zu einem noch viel größeren Kollaps kommen, der auch die gesamte westliche Welt erfassen werde.
In der westlichen Welt setzte sich damals jedoch die Denkweise derer durch, die glaubten, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gebe es nur noch eine Weltmacht, nämlich das von der anglo-amerikanischen Sonderbeziehung dominierte westliche Bündnis. Und weil man glaubte, die Konkurrenz losgeworden zu sein, glaubte man auch, daß man von nun an keinen technologischen Fortschritt mehr brauche, und setzte statt dessen auf Finanzspekulationen und grüne Politik.
Als Reaktion darauf veröffentlichte der am 12. Februar 2019 verstorbene amerikanische Ökonom Lyndon LaRouche 1995 seine „Tripel-Kurve“: die „typische Kollapsfunktion“, die beschreibt, warum die Wechselwirkung der Zunahme der Spekulationen, der Vermehrung der Geldmenge und der Schrumpfung der physischen Wirtschaft unvermeidlich zu einem Zusammenbruch des Systems führen muß, und er stellte in Bezug auf das westliche System fest:
„Das derzeitige Finanz- und Währungssystem wird in der nächsten Zeit untergehen. Der Zusammenbruch kann in diesem Sommer erfolgen, oder erst im Herbst, möglicherweise sogar erst im kommenden Jahr, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird es noch in der ersten Amtsperiode Präsident Clintons dazu kommen. Aber es wird bald geschehen. Dieser Zusammenbruch ist unvermeidlich, weil er durch nichts anderes aufgehalten werden kann als durch die politisch unwahrscheinliche Entscheidung der führenden Regierungen, gegenüber den Finanz- und Währungsinstitutionen ein Konkursverfahren einzuleiten. Das ist meine Vorhersage Nummer 9.“
Die von LaRouche vorhergesagte Finanzkrise ist tatsächlich eingetreten, sie traf zunächst die russischen Staatsanleihen und die asiatischen Finanzmärkte, Höhepunkt der Krise war dann der Zusammenbruch des Spekulationsfonds LTCM. Aber anstatt ihre Politik grundlegend zu ändern, erleichterten die westlichen Regierungen und Zentralbanken die Spekulationen noch und hielten die Spekulanten durch eine Politik des Gelddruckens über Wasser, während die physische Wirtschaft immer weiter geschwächt und abgebaut wurde.
Lyndon LaRouche hat schon zur Zeit des Mauerfalls ein Gegenkonzept entwickelt, wie man die physische Wirtschaft der ehemals kommunistischen Länder, der westlichen Welt und der Entwicklungsländer so schnell wie möglich wiederaufbauen kann: durch den Bau von Infrastrukturkorridoren. Diese Idee wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erweitert zum Konzept der Eurasischen Landbrücke - einem Netz von Infrastrukturkorridoren, das Europa mit Ostasien (und der übrigen Welt) verbindet, die wirtschaftliche Not beseitigt und so die Grundlage für eine Friedensordnung für das 21. Jahrhundert schafft.
In der transatlantischen Welt wurden diese Ideen von den Eliten zurückgewiesen, aber in China wurden LaRouches Konzepte intensiv studiert, und sie flossen ein in die politischen Entscheidungen, die den Weg für Chinas Aufstieg bereiteten. Die geistige Verwandtschaft zwischen LaRouches Konzept der Eurasischen Landbrücke und Chinas Konzept der Gürtel- und Straßen-Initiative ist ebenso unübersehbar wie deren Erfolg.
Tatsächlich erweist sich die Aufbaudynamik der Neuen Seidenstraße schon jetzt als jene „Friedensordnung für das 21. Jahrhundert“, die Lyndon LaRouche schon immer gefordert hat:
Die westlichen Eliten hingegen stehen vor den Trümmern ihrer Politik. Das einzige, was sie mit ihrem betonköpfigen Festhalten an der „liberalen internationalen Ordnung“ erreichen können, ist die völlige Demontage der Wirtschaft in den westlichen Ländern, das Auseinanderbrechen ihrer Bündnisse - wie die Entwicklungen in der Europäischen Union zeigen - und das eigene Versinken in der Bedeutungslosigkeit. Aber anstatt das Scheitern ihrer Politik einzugestehen und endlich eine 180-Grad-Wende zu vollziehen, versuchen sie, den wachsenden Widerstand gegen ihre Politik zu unterdrücken. Das westliche Establishment sieht sich im Belagerungszustand, und es entwickelt immer mehr eine Bunkermentalität. Mit immer neuen Lügen und Provokationen versucht es, mißliebige Regierungen zu beseitigen und die potentiellen Partner einer neuen Weltordnung, die sich auf die gemeinsamen Ziele und Interessen der Menschheit gründet, gegeneinander aufzuhetzen. Das ist der Hintergrund des Russiagate-Schwindels in den Vereinigten Staaten, das ist der Hintergrund der Sanktionspolitik gegenüber Rußland. Und das ist der einzige Grund, warum „die globale Sicherheitslandschaft seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion niemals gefährlicher war“: Diese Gefahr geht nicht von Rußland oder China aus, sondern von der eigenen Politik und Uneinsichtigkeit der westlichen Länder.
Daß es auch anders geht, hat der italienische Ministerpräsident Conte gezeigt, der am 12. Februar in einer Rede vor dem Europäischen Parlament darauf hinwies, daß der Europäischen Gemeinschaft „seit 1989 eine politische Vision fehlt“, und ein „radikales Umdenken bei den Formen und den Institutionen“ der EU forderte. Conte warnte davor, sich Washington, Moskau und Beijing zum Feind zu machen. Rußland und China seien „Teil jeder Lösung“, und es bringe „keine Vorteile, die Beziehungen zu Rußland und China abzubrechen“. Schließlich forderte er einen neuen Ansatz gegenüber Afrika, auf der Grundlage einer Partnerschaft zwischen Gleichrangigen - alles Positionen, für die sich LaRouche schon seit Jahrzehnten eingesetzt hat.
So ist den Teilnehmern der Münchner Sicherheitskonferenz nur der dringende Rat zu geben, den der frühere mexikanische Präsident José López Portillo schon 1998 formulierte: „Es ist an der Zeit, auf die weisen Worte von Lyndon LaRouche zu hören!“