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Entwicklungen in Italien: Chance für eine Reorganisation in Europa!

Von Helga Zepp-LaRouche

Es ist kein Zufall, daß die Reaktionen auf die neue Regierung in Italien in neoliberalen Kreisen ähnlich hysterisch ausfallen wie die, mit denen man auf den Wahlsieg Trumps reagiert hat. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Finanzkrieg, wie es einige vorschlagen, und damit das Aus für Euro und EU, mit der Gefahr, daß es zu Entwicklungen wie in den 20er und 30er Jahren kommt, oder man könnte die positiven programmatischen Ansätze im Koalitionsvertrag der Conte-Regierung - wie das Glass-Steagall-Gesetz und eine Bank für Investitionen - zum Anlaß nehmen, um die ohnehin dringende Reorganisation des transatlantischen Finanzsystems vorzunehmen.

In einer erstaunlichen Kombination von Arroganz und wirtschaftlichem Unverstand drohten Politiker und Medienvertreter, Italien müsse nun von Brüssel an die Kandare genommen werden (Claus Kleber im ZDF), die neue Regierung sei ein „Himmelfahrtskommando“ (Spiegel), „das mutmaßliche Regierungsprogramm würde das Land so schnell in die Insolvenz treiben, daß es weithin als ein Scherz angesehen wird“ (Londoner Times), Italien lasse sich sein sprichwörtliches „dolce far niente“ von anderen finanzieren, was „aggressives Schnorren“ sei, (Jan Fleischauer im Spiegel) oder - in einer unverhüllten Androhung von Finanzkrieg - „Wenn nötig, würden die Finanzmärkte sie schon wieder auf den Pfad der Tugend stoßen“ (Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU-CSU-Gruppe im Europäischen Parlament), „Die Zeichen stehen auf Sturm“, keine Solidarität mit Italien, sollte es seinen Kurs ändern (Elmar Brok), „Regierungsprogramm für den Reißwolf“ (Deutschlandfunk). Es sollte schon zu denken geben, daß Kreise, die normalerweise sich gar nicht genug über einen angeblichen Demokratie-Mangel in China erregen können, kein Problem damit haben, den Wählerentscheid eines EU-Mitgliedstaates zu verhöhnen.

Diese Repräsentanten des neoliberalen Establishments sind offensichtlich genauso unfähig wie Hillary Clinton, über die Gründe zu reflektieren, warum die Wähler eine Politik ablehnen, die sie als Angriff auf ihren Lebensstandard und ihre Zukunftschancen verstehen. Die Revolte gegen diese Politik im Interesse der Banken und Spekulanten setzt sich seit dem Brexit in einer ganzen Reihe von ähnlichen Abstimmungsergebnissen fort: dem Wahlsieg von Donald Trump, dem Nein zur Abstimmung zur Verfassungsänderung in Italien, der Wahl in Österreich, und nun eben der Wahl in Italien.

Der Grund, warum dort zwei euroskeptische Parteien gewonnen haben, ist offensichtlich. Die Erfahrung, die Italien mit der von Brüssel und Schäuble verordneten Austeritätspolitik gemacht hat, war negativ. Dank der Einhaltung der Maastricht-Kriterien sank die italienische Wirtschaft von Wachstum über Stagnation in eine Rezession, die tatsächliche Arbeitslosigkeit dürfte bei 20% liegen, die Jugendarbeitslosigkeit im Süden beträgt 60%, mehr als 250.000 Italiener pro Jahr emigrieren ins Ausland, was offensichtlich eine massive Schwächung des ökonomischen Potentials darstellt, das Gesundheitssystem hat sich massiv verschlechtert. Hinzu kommt, daß sich Italien in der Flüchtlingsfrage von der EU total im Stich gelassen fühlt. Dabei war Italien über Jahre hin ein Vorzeige-Schüler der EU und erreichte einen ständigen Primärüberschuß und eine ausgeglichene oder sogar positive Handels- und Zahlungsbilanz, nichtsdestoweniger ging die Wirtschaftsleistung seit der Einführung des Euro zurück. Dank der von der EU verlangten Haushalts-Disziplin ist das durchschnittliche Einkommen hinter das von Spanien zurückgefallen und die industrielle Produktion liegt um 20% unter der von 2008. Diese „Disziplin“ hat auch die Schere zwischen dem industrialisierten Norden und dem weniger entwickelten Süden weiter geöffnet.

Bestes Beispiel für die Änderung der Stimmung gegenüber der EU und der Europäischen Währungsunion ist der Ökonom Paolo Savona, der sich von einem Euro-Befürworter zu einem überzeugten Gegner entwickelte, als er die Konsequenzen für die italienische Wirtschaft und Gesellschaft beobachten mußte. Savona, der ein Banker und Minister in früheren Regierungen war, schlug einen „Plan B“ vor, falls das Verbleiben im Euro zu schmerzhaft für Italien werden sollte. Er bezeichnete den Euro auch als „deutsches Gefängnis“ für Italien. Das Manager-Magazin bezeichnete ihn als „wahren Euro-Schreck“. Aber sehr viel treffender kommentierte der frühere Vorsitzende der italienischen Metallarbeiter-Gewerkschaft, Giorgio Cremaschi, der einen Tweet aussandte: „Daß ein Moderater wie Paolo Savona, ein Anhänger von LaMalfa und Minister der Ciampi-Regierung, heute von der EU & Co. als Staatsfeind angesehen wird, ist ein Anzeichen dafür, wie weit nach rechts die Politik in Italien und Europa abgedriftet ist, nach Jahrzehnten neoliberaler Politik durch Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Regierungen.“ Die Wahrheit ist, es ging weder bei Griechenland noch bei Italien um diese Länder, es ging immer nur um die Banken.

Sehr aufschlußreich ist, daß der neue Premierminister Conte als erste Amtshandlung sich mit den Opfern der unter den Regierungen Renzi und Gentiloni von der EU verordneten Bail-in-Operationen gegenüber kleinen Sparern von Banken und Sparkassen in der Toscana und der Region Veneto traf. Er versprach ihnen, daß ihnen das Recht auf den Schutz ihrer Ersparnisse zustehe, die oftmals das Ergebnis der Lebensarbeitszeit seien, und der ihnen von der Verfassung zugesichert sei. Diejenigen, die betrogen oder getäuscht worden seien, würden entschädigt werden.

Derweil sich die neoliberalen Protagonisten über Italien aufregen, sollten wir lieber froh sein, daß es eine wichtige Regierung in Europa gibt, die sich über Lösungen für die drohende Finanzkrise Gedanken macht. Denn der nächste Crash könnte sich jederzeit ereignen und die Fundamente unserer Gesellschaften einreißen. Der Wirtschaftsblog Mauldin Economics gesellte sich zu den Warnern, die angesichts der enorm angewachsenen Verschuldung, vor allem von Firmen, von einem neuen Finanzkrach „biblischer Dimensionen“ sprechen. Es würde ja vielleicht den Parteien in Deutschland, die ein „C“ in ihrem Namen tragen, gut anstehen, auf das jüngste Papier der Kongregation für die Glaubenslehre des Vatikans zu hören, das davor warnt, daß die Derivat-Geschäfte der Banken eine „tickende Zeitbombe“ darstellen, und daß das gegenwärtige Finanzsystem sowohl ökonomisch als auch moralisch völlig unakzeptabel sei. Einen anderen Aspekt betonte Präsident Putin in seiner Rede vor dem St. Petersburger Wirtschaftsforum, in der er vor den Auswirkungen der Sanktionen und dem unilateralen Bruch von vormals akzeptierten Regeln (durch den US-Senat, die Verf.) warnte. Dies könne eine systemische Krise auslösen, wie sie die Welt noch nie gesehen habe, oder jedenfalls nicht seit langer Zeit.

Vielleicht sind ja der Aufruhr und die Veränderungen bei der Deutschen Bank ein Anzeichen für die Erkenntnis bei einigen Verantwortlichen, daß der neoliberale Weg ein Holzweg war. Lyndon LaRouche hat schon vor zwei Jahren gefordert, daß die deutsche Bank zur Herrhausen-Tradition zurückkehren muß; die Reduzierung des Investment-Banking-Geschäfts ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die Uhr tickt. Die Sozialproteste in Frankreich sollten eine Warnung sein, daß die Menschen die Politik zugunsten der Spekulanten nicht länger hinnehmen wollen.

Was notwendig ist, ist das volle Programm, das von Lyndon LaRouche mit den „Vier Gesetzen“ vorgeschlagen wurde: ein Bankentrennungsgesetz in der Tradition von Glass-Steagall, eine Nationalbank für Investitionen in die Realwirtschaft, ein internationales Kreditsystem und eine massive Steigerung der Produktivität der Wirtschaft durch Crashprogramme für die Kernfusion und die internationale Kooperation bei der Raumfahrt.

Auch wenn angesichts der vorherrschenden Ideologien in Brüssel und leider auch Berlin die Vorstellung schwierig ist, woher eine solche Reorganisation in Europa kommen soll, sie ist existentiell. Präsident Trump hat wiederholt versprochen, daß er das Glass-Steagall-Gesetz und das Amerikanische System der Ökonomie von Alexander Hamilton wieder einführen will. Da der Aufruhr um das italienische Regierungsprogramm mit Sicherheit noch zunehmen wird, ergibt sich daraus absolut die Chance, eine Reorganisation des hoffnungslos bankrotten transatlantischen Finanzsystems auf die Tagesordnung zu setzen - vorausgesetzt, es finden sich genügend Staatsbürger, die die Anstrengungen der BüSo und des Schiller-Instituts unterstützen.

Ein anderer Aspekt, der aber sehr wohl mit dem behandelten Thema zu tun hat, ist die Tatsache, daß China dabei ist, seine Bevölkerungspolitik völlig umzuwandeln. Wie chinesische Medien berichten, betrachtet man die frühere demographische Politik, nur ein und dann zwei Kinder pro Familie zu erlauben, inzwischen als absolut falsch. Diese Politik sei unter dem Eindruck entstanden, daß es nur begrenzte Ressourcen gebe, so daß jeder zusätzliche Mensch eine Belastung darstelle. Dies sei aber der Erkenntnis gewichen, daß jedes zusätzliche Kind ein enormes kreatives Potential und damit einen Zugewinn für die gesamte Gesellschaft repräsentiere. Vor allem junge Leute seien eine enorme Quelle von Kreativität, und je mehr Menschen es gebe, desto mehr überschäumende Kreativität werde inspiriert - eine Feststellung, die absolut dem Konzept von LaRouches „relativer potentieller Bevölkerungsdichte“ entspricht.

Wie der Präsident der Europäischen Industrie und Handelskammern, Christoph Leitl, soeben richtig feststellte: Solange Europa selbst innovativ bleibt, gibt es keinen Grund, sich vor den USA oder China zu fürchten. Aber das kreative Potential Europas und die neoliberale Ideologie sind unvereinbar. Unterstützen Sie die BüSo, damit diese Frage positiv entschieden wird. Wenn wir in Europa nicht einmal eine Win-Win-Kooperation herstellen können, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß China für viele Länder attraktiver ist.