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Ein epochaler Wandel erfaßt die Welt: Kooperieren wir mit der globalen Mehrheit!

von Alexander Hartmann

Wie Lyndon LaRouche in seinem Artikel „Ein zweiter Westfälischer Friede für die kommende eurasische Welt“1 aus dem Jahr 2004 schreibt, wird „oft aus einer Welle der Entwicklung, die sich – unterschätzt, ja gewöhnlich unbemerkt – über den größeren Teil eines Jahrtausends oder noch viel länger entfaltet hat, urplötzlich die unabweisbare, praktisch alles entscheidende politische Frage der Gegenwart… Es ist, als hätten äußere Kräfte das Goldfischbecken zertrümmert.“

Eine solche abrupte Veränderung erfaßte 1989 den damaligen „Ostblock“ – nun trifft sie die anglo-amerikanisch dominierte Weltordnung der letzten drei Jahrzehnte. Dabei vollzieht sich dieser Wandel auf der internationalen Bühne extrem schnell, innerhalb von Monaten, Wochen, manchmal Tagen, und erfaßt praktisch alle Weltregionen und alle Lebensbereiche.

Eine Region, in der sich dieser Wandel deutlich zeigt, ist Südwestasien, wo sich insbesondere in Syrien und Jemen die positiven Auswirkungen der von China vermittelten Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien abzeichnen.

Syrien, das die jahrelangen Regimewechsel-Angriffe des Westens überlebt hat, wird mit seiner erwarteten Wiederaufnahme in die Arabische Liga und einem Treffen der Außenminister Syriens, Rußlands, der Türkei und des Irans – beides wird für den nächsten Monat erwartet – wieder zum Akteur auf der internationalen Bühne. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu bestätigte am 10. April, daß ein solches Vierertreffen der Außenminister in Moskau schon bald geplant ist. „Alle diese Gespräche zielen darauf ab, den politischen Prozeß wiederzubeleben, dauerhaft Stabilität und Frieden zu schaffen, den Terrorismus zu bekämpfen und die Grenzen und territoriale Integrität Syriens zu garantieren“, sagte Cavusoglu. Er betonte die Notwendigkeit einer dauerhaften Lösung für den Wiederaufbau Syriens und sagte: „Ein dauerhafter Frieden ist für uns alle wichtig.“ Die vier Minister werden bei dem kommenden Treffen vielleicht auch schon einen Gipfel der Staatspräsidenten vorbereiten.

Auch der Krieg im Jemen, der unter dem Vorwand, die Huthi-Gruppen, die das Land übernommen hatten, seien Stellvertreter des Iran, fast ein Jahrzehnt lang geführt wurde, scheint sich seinem Ende zu nähern. Die anglo-amerikanische Einmischung, die den Krieg immer wieder verlängert hat, rückt nun in den Hintergrund zugunsten regionaler Entwicklungs- und Integrationsbemühungen. Am 9. April traf sich der Vorsitzende des von den Huthi geführten Obersten Politischen Rates des Jemen in Sanaa mit Vertretern aus Saudi-Arabien und Oman, um über ein Ende des fast zehnjährigen Krieges zu beraten. Gastgeber des Treffens war der saudi-arabische Botschafter im Jemen. Al-Mayadeen zufolge wurde dort über einen verlängerten Waffenstillstand, Gehälterzahlungen für Beamte in den von den Huthi kontrollierten Gebieten sowie Zahlungen für den Verkauf von Bodenschätzen gesprochen. Die Gespräche zwischen der jemenitischen Führung und Saudi-Arabien sind mit dem Abflauen der Kämpfe vorangeschritten, auch nach dem offiziellen Auslaufen einer Waffenstillstandserklärung im Oktober.

Gleichzeitig sehen wir auch in Süd- und Mittelamerika deutliche Hinweise auf eine Neuausrichtung. Brasilien übernimmt eine führende Rolle bei den Bemühungen um eine Friedenslösung für die Ukraine, Argentinien hat die Aufnahme in die BRICS-Gruppe beantragt. Am 5. April berief der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador ein Zoom-Treffen iberoamerikanischer Staatsoberhäupter ein, um „gemeinsame Lösungen für den Druck zu finden, dem die Region in Bezug auf die Preise und den Mangel an Grundnahrungsmitteln ausgesetzt ist“.

Vertreten waren bei der Konferenz Argentinien, Belize, Bolivien, Brasilien, Chile, Honduras, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Venezuela sowie St. Vincent und die Grenadinen als turnusmäßiger Vorsitzender der CELAC-Regionalgruppe. Die Teilnehmer beklagten den „ungünstigen internationalen Kontext“ und die „multidimensionale Krise“ für die Region infolge „außerregionaler militärischer Konflikte ..., Auswirkungen der COVID-Pandemie, einer enormen Auslandsverschuldung ... und der Anwendung einseitiger Zwangsmaßnahmen, die im Widerspruch zum Völkerrecht stehen“ (d.h. Sanktionen). Sie forderten ein gerechteres internationales Finanzsystem, das ihnen „Zugang zu den finanziellen Mitteln verschafft, die ... für einen wirtschaftlichen Aufschwung erforderlich sind, um die Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit unserer Länder zu gewährleisten“. Sie bekräftigten ihre Souveränität als Nationen und kündigten an, sie würden gemeinsame Maßnahmen ergreifen, „um die Armut zu beseitigen und das Menschenrecht auf angemessene Nahrung durchzusetzen“.

Ausstieg aus dem Dollar

Auch im Finanzsektor sieht man die Bestrebungen zu einer Neuausrichtung. Der Übergang zu einem globalen Währungs- und Finanzsystem als Alternative zum US-Dollar ist in vollem Gange. Etliche Länder haben bereits vereinbart, Landeswährungen im bilateralen Handel oder Yuan (Renmimbi) im Handel mit China oder Dritten zu verwenden. Eine wichtige solche Vereinbarung haben kürzlich China und Brasilien getroffen.

Dies sei „der erste Schritt zu einem neuen Währungssystem“, sagte der Vizevorsitzende der russischen Staatsduma Alexander Babakow am 31. März auf einem Forum in Neu-Delhi. Der nächste Schritt sei dann eine „neue Währung“, die auf dem BRICS-Gipfel am 22.-24. August in Südafrika vorgestellt werden soll. Diese Währung werde an Gold und andere Waren gekoppelt sein.

Gleichzeitig stoßen die Zentralbanken der BRICS und anderer Länder in atemberaubendem Tempo US-Staatsanleihen ab. Brasilien verkaufte 2022 Papiere im Wert von 22 Mrd.$ – fast ein Zehntel seiner US-Schatzpapiere –, und nun allein im März 2023 weitere 21 Mrd.$. China verkaufte 2022 sogar 175 Mrd.$ und hat seine einst riesigen Dollarbestände um mehr als ein Viertel reduziert. Der Anteil der Dollar-Vermögenswerte an den Devisenreserven der brasilianischen Zentralbank beträgt immer noch 80%, nimmt aber rapide ab, während die Yuan-Vermögenswerte zwar bisher nur 5,4% betragen, aber steigen und zur wichtigsten Handelswährung Brasiliens werden. Der Anteil des Yuan an den Zentralbankreserven Rußlands nähert sich 30%. Sogar Japan hat 189 Mrd.$ an US-Staatsanleihen veräußert.

Auch in westlichen Ländern wächst die Erkenntnis, daß nicht alles beim Alten bleiben kann. Das Schweizerische Parlament befaßte sich am 11. April in einer Sondersitzung besorgt mit der Aussicht auf endlose staatliche Bankenstützungsmaßnahmen, wie sie zuletzt die Übernahme der Credit Suisse (CS) durch die UBS ermöglichten, und forderte eine Änderung. Zunächst trat der Ständerat zusammen und stimmte der Rettung der CS zu, verlangte aber, daß die Regierung in künftigen Fällen nicht auf Notstandsgesetze zurückgreift. Anschließend trat der Nationalrat zusammen und verpaßte der Regierung einen Denkzettel, indem er die im Zuge der Notstandsregelung erteilten Kreditgarantien in Höhe von 109 Milliarden Franken mit 102 zu 71 Stimmen ablehnte. Das Schweizer Parlament kann zwar nicht ändern, was die Regierung (der Bundesrat) im Rahmen einer Notverordnung beschließt, aber es hat mit seiner Abstimmung ein klares politisches Signal gesetzt.

Darüber hinaus wird in der Schweiz über Vorschläge diskutiert, wie die Banken in Zukunft reguliert werden sollen, darunter, wie wir bereits berichteten, ein Glass-Steagall-Trennbanken-System. Wie die Basler Zeitung meldete, verlangt die Finanzkommission des Nationalrats in einer Reihe von Postulaten eine gründliche Aufarbeitung des CS-Debakels. Der Bundesrat solle verschiedene Maßnahmen prüfen, darunter ein Trennbankensystem. Die Regierung sei mit diesen Forderungen einverstanden.

Ein epochaler Wandel

In ihrem Internetforum am 12. April kommentierte Helga Zepp-LaRouche die Lage:

„Ich denke, wir erleben etwas viel, viel Größeres als die sogenannte Zeitenwende, von der Bundeskanzler Scholz vor über einem Jahr gesprochen hat. Wir erleben einen epochalen Wandel, und ich denke, daß dieser Wandel vor allem dadurch gekennzeichnet ist, daß die Länder des Globalen Südens nicht länger den Überresten der kolonialistischen Ordnung unterworfen sein wollen.“

    Dies sei möglich dank des Wirtschaftswunders in China, „das in den letzten 40 Jahren eine außergewöhnliche zivilisatorische Leistung vollbracht hat, indem es die Armut von 850 Millionen Chinesen überwunden hat, und seit der Ankündigung der Gürtel- und Straßeninitiative, die nun zehn Jahre her ist, mit etwa 150 Ländern des Globalen Südens zusammenarbeitet. Und viele davon sind in den Genuß sehr wichtiger Entwicklungsprojekte gekommen, mit denen sie ihre Armut und Unterentwicklung zu überwinden beginnen.“

    Der zweite Grund sei die zunehmende „Nutzung des Dollars als Waffe, die die Vereinigten Staaten durch das Verhängen einseitiger Sanktionen gegen viele Länder – allen voran Rußland, aber auch Iran, Syrien, Kuba und Venezuela – eingeleitet haben“. Viele Länder und Investoren seien zu dem Schluß bekommen, daß es nicht mehr sicher ist, sein Vermögen im Dollar anzulegen. „Die USA und der Westen haben es selbst zu verantworten, also sollten sie niemandem außer sich selbst die Schuld geben. Und das Ganze entwickelt sich sehr schnell.“

    Sie schloß: „Wir befinden uns also in einem unglaublichen Interregnum, könnte man fast sagen, in dem auf der einen Seite die Gefahr besteht, daß die alte, zusammenbrechende Ordnung nicht friedlich untergeht wie die Sowjetunion, sondern daß die Gefahr eines Atomkrieges wirklich zunimmt. Aber gleichzeitig arbeiten die Länder des Globalen Südens in atemberaubendem Tempo mit China und Rußland zusammen, um eine neue Ordnung zu schaffen.“

    Nun hänge alles davon ab, „ob wir die Vereinigten Staaten und die Europäer davon überzeugen können, diese Konfrontation zu beenden und einfach mit der globalen Mehrheit, der großen Mehrheit der Weltbevölkerung, zusammenzuarbeiten“.

    Mehr zum Thema erfahren Sie bei der internationalen Online-Konferenz des Schiller-Instituts: "Ohne die Entwicklung aller Nationen kann es keinen dauerhaften Frieden auf dem Planeten geben" am 15./16. April.


    Anmerkung

    1. Deutsch als Serie in Neue Solidarität 1-8/2005.