[i]von Richard Freeman[/i]
[i]Als Franklin Delano Roosevelt im März 1933 das US-Präsidentenamt antrat, herrschte auch in Amerika eine tiefe Depression mit fast 13 Millionen Arbeitslosen und einem Kollaps der Industrieproduktion um mehr als die Hälfte seit 1929. Die folgende Artikelserie schildert Roosevelts erfolgreichen Kampf gegen die Wirtschaftskrise.[/i]
[head]I. Teil[/head]
[i]Der erste Teil befaßt sich mit den Ursachen dieser Depression und mit einem wichtigen biographischen Aspekt: FDRs bewußte Verwurzelung in der Geistestradition der frühen amerikanischen Republik - die wiederum ihren Ursprung im "alten Europa" hatte, von dem das heutige imperiale Amerika nichts mehr wissen will.[/i]
Zahllose Historiker haben Bücher über Franklin Roosevelts Leben verfaßt, aber keiner von ihnen hat seine politische Identität zutreffend dargestellt. Sie bezeichnen ihn als Liberalen, als Progressiven, als Konsumeristen, als Keynesianer und als Kommunisten. Keine dieser Charakterisierungen ist auch nur annähernd richtig. Es ist wohl kein Zufall, daß keiner dieser Historiker Roosevelt in die "amerikanische intellektuelle Tradition" der Gründerväter stellt, obwohl Roosevelt selbst sich ganz bewußt in dieser Tradition sah.
Diese amerikanische Geistestradition umfaßt etwa den Einfluß des Universalgelehrten G.W. Leibniz auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und Verfassung sowie die Wirtschaftspolitik des "Amerikanischen Systems der politischen Ökonomie" unter dem ersten US-Finanzminister Alexander Hamilton, Mathew Carey, Friedrich List, Henry Carey u.a.
Franklin Roosevelt wurde am 30. Januar 1882 als Sohn von James und Sara Roosevelt in Hyde Park im Staat New York geboren. James Roosevelt hatte das umfangreiche Vermögen der Hyde-Park-Roosevelts geerbt, bewahrte jedoch einen Sinn für das Gemeinwohl. Nach dem Bürgerkrieg wirkte er über die Southern Railway Security Company an den Versuchen zur Industrialisierung des Südens mit. Der Leiter dieses Projekts, Thomas Scott, war ein Verbündeter Henry Careys, der in der Periode nach dem Bürgerkrieg den Wiederaufbau der amerikanischen Nation betrieb. Leider scheiterte die Verwirklichung dieses Eisenbahnprojekts an dem Finanzkrach von 1873.
Um Roosevelts Selbstverständnis zu erfassen und damit auch seinen Charakter, seine Persönlichkeit, seine intellektuellen Interessen und auch seinen Humor nachzuvollziehen, muß man seine intensive geistige Beziehung zu seinem berühmten Ur-Urgroßvater Isaac Roosevelt kennen. Isaac Roosevelt (1724-1796) leistete einen bedeutenden Beitrag zur Amerikanischen Revolution und der Gründung der USA als konstitutioneller Republik. Die Familie Roosevelt nannte ihn "Isaac, den Patrioten". Durch die Beschäftigung mit Leben und Werk seines Ur-Urgroßvaters entwickelte Franklin eine tiefe Abscheu gegenüber den "amerikanischen Torys", die der verräterischen Politik Aaron Burrs folgten. Roosevelt scheute sich nicht, offen über den Kampf zwischen der amerikanischen Geistestradition und den Torys zu sprechen. So erklärte er z.B. am 2. Juli 1932 in der Rede nach seiner Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten auf dem Parteikonvent der Demokraten: "Es gibt zwei Arten, die Regierungspflichten in Fragen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens zu betrachten. Der einen geht es darum, daß einigen wenigen Bevorzugten geholfen wird... Diese Theorie vertritt die Partei der Torys, und ich hatte gehofft, daß die meisten Torys 1776 das Land verlassen hätten."
Wie sehr Franklin Isaacs Vermächtnis verinnerlichte, zeigte sich auch an seinem Bemühen, der Gemeinwohlklausel der amerikanischen Verfassung gerecht zu werden und der Idee zu folgen, daß der Nationalstaat der ganzen Menschheit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dienen muß. Hier liegt die Quelle der moralischen Überzeugungen Roosevelts.
Schon früh wurde Franklin Roosevelt auf seinen Ur-Urgroßvater aufmerksam. Ende des 19. Jahrhunderts hing ein großes Ölportrait "Isaacs, des Patrioten" von Gilbert Stuart an prominenter Stelle im Wohnzimmer der Roosevelts in Hyde Park, so daß jeden Morgen Franklins Blick auf ihn fiel. (Stuart malte auch die berühmten lebensgroßen Portraits von Benjamin Franklin und George Washington, die heute in der Nationalgalerie in Washington hängen.)
[h4]Isaac Roosevelt und die Amerikanische Revolution[/h4]
Für Franklin und andere Roosevelts war Isaac die direkte Verbindung zur Amerikanischen Revolution und zur Annahme der amerikanischen Verfassung. Isaacs Vorbild festigte in Franklin Roosevelt die Überzeugung, daß eine starke Bundesregierung notwendig ist, die sich für das Gemeinwohl einsetzt. Deshalb lohnt es sich, einige Errungenschaften dieses beachtenswerten Vorfahren zu schildern.
In der frühen Phase der Revolution hatte Isaac verschiedene Funktionen in der Revolutionsregierung. Er war einer der wichtigsten Rekrutierer für Washingtons Armee. Er beschaffte für sie auch Waffen, Munition, Uniformen, Zelte und Decken und war am Aufbau von Gießereien und Pulvermühlen beteiligt. Das "Komitee für Sicherheit", das eine zentrale Rolle in der Revolution spielte, beauftragte ihn, die Ausgabe von 55000 Pfund Sterling in Papiergeld zur Bezahlung der Armee zu organisieren und zu beaufsichtigen. Er richtete einen Amortisationsfonds ein, um diese Verpflichtungen über einen Zeitraum von drei Jahren ab 1779 zu bezahlen. Isaac Roosevelt war also einer der führenden Finanzfachleute um Washington und Benjamin Franklin.
Nachdem 1787 die Verfassungsgebende Versammlung in Philadelphia den Entwurf der Verfassung der USA erarbeitet hatte, mußte dieser noch von mindestens neun der 13 Verfassungsversammlungen in den Bundesstaaten ratifiziert werden. Damals galten anstelle einer Verfassung noch die im November 1777 vom Kontinentalkongreß beschlossenen Konföderationsartikel, die nach der Ratifizierung durch die ursprünglichen 13 Bundesstaaten am 1. März 1781 in Kraft traten. Kongreß bzw. Zentralregierung waren nur zuständig für Außenpolitik, Vertragsabschlüsse, Kriegserklärungen, Unterhaltung von Heer und Kriegsmarine sowie Postwesen. Alle Kongreßmaßnahmen bedurften der Zustimmung von mindestens neun der 13 Staaten, und der Kongreß konnte die Staaten nicht zur Einhaltung der von ihm beschlossenen Gesetze zwingen. Wie vielen anderen war auch Isaac Roosevelt klar, daß die Konföderationsartikel ein Desaster waren, das zur Anarchie führen und damit die Auflösung der Vereinigten Staaten bedeuten könnte. Deshalb wollte er die Verfassung unbedingt durchsetzen.
Im Juni 1788 leitete er den Staatskonvent von New York in Poughkeepsie, wo von 56 Delegierten zunächst nur 19 den Verfassungsentwurf unterstützten. Er wußte, daß New Yorks Zustimmung entscheidend war. Selbst wenn neun andere Staaten die Verfassung ratifizierten, aber New York nicht, würde dies als schlechtes Omen gewertet und könnte zur Auflösung der Union führen. Auch Alexander Hamilton griff mit den Federalist Papers in die Auseinandersetzung ein. Schließlich ratifizierte der Staat New York am 26. Juli 1788 die Verfassung der USA.
Am 9. Juli 1784 gründete Hamilton die Bank von New York, die Handwerk und Handel in Amerika dienen sollte; es war erst die zweite kommerzielle Bank in den USA. Hamilton wollte damit die Kontrolle der britischen Finanzoligarchie im Finanzwesen brechen und Amerika finanziell und wirtschaftlich unabhängig machen. Isaac Roosevelt war von Anfang an ein Direktor der Bank von New York, und 1786 übernahm er deren Leitung, die er bis 1791 innehatte. 1791 begründete Hamilton dann die Bank der Vereinigten Staaten als Nationalbank. Isaac Roosevelt arbeitete regelmäßig direkt mit Hamilton zusammen, um Kredite für die noch in den Kinderschuhen steckende Industrie bereitzustellen.
Franklin Roosevelt setzte sich sein Leben lang mit der Tätigkeit und den Zielen Isaac Roosevelts auseinander und blieb ihnen tief verbunden. So erklärte er in einer Rede am Ende des Präsidentschaftswahlkampfes 1936 in Poughkeepsie: "Einen Block weiter von hier, wo ich stehe, an der Ecke der Hauptstraße, stand ein kleines, altes Steinhaus, und im Jahr 1788 wurde dort der Verfassungskonvent des Staates New York abgehalten. Mein Ur-Urgroßvater gehörte diesem Konvent an... Und so sehen Sie, daß ich nicht nur als Person, sondern auch durch das Familienerbe mit der Verfassung der Vereinigten Staaten verbunden bin."
[h4]Alexander Hamilton[/h4]
Eine Examensarbeit 1903 an der Universität Harvard gab Franklin Roosevelt Gelegenheit, seine Gedanken über seinen Ur-Urgroßvater und über Hamilton zu ordnen. Er sah in Hamilton den Mann, der in der Zeit nach der Revolution Amerika zu einer verfassungsmäßigen Republik machte. In dem kurzen Aufsatz schildert Roosevelt Hamiltons beachtliche Rednergabe, seine Rolle in der Revolutionsarmee und seinen Dienst als Adjutant und Vertrauter des Oberbefehlshabers George Washington während des Unabhängigkeitskrieges. Roosevelt schreibt: "Mit der Zeit hieß es, Washington führe das Schwert der Revolution und Hamilton ihre Feder." Die Konföderationsartikel hätten einen "Verfall der USA aus Mangel an kohärenter Einheit" ausgelöst. Roosevelt berichtet über die Verfassungsdiskussion in Poughkeepsie. Er betont dabei die Notwendigkeit einer starken Zentralregierung. Hamilton schuf "das Dokument, das zum Modell für andere Nationen und das Bollwerk unserer eigenen Nation wurde: die Verfassung der Vereinigten Staaten".
Roosevelt schließt die Arbeit mit zwei Absätzen, die als wichtige Einsicht in die Geschichte der Vereinigten Staaten und kritische Bewertung ihrer politisch-ökonomischen Entwicklung auffallen:
"Washington, der erste Präsident unter der Verfassung, machte Hamilton zum Finanzminister - dies ist das wichtigste Amt im Kabinett. Wie dieser die Probleme des Staates gemeistert hatte, so ordnete er jetzt die Finanzen des Landes, und es war sein Antrieb, der das Risiko eines Zerfalls der Nation für alle Zeiten ausräumte.
Niemand erkannte diese Solidarität mehr als Aaron Burr, der, nachdem er den Wahlkampf gegen Jefferson (1800) hauptsächlich wegen der Anstrengungen Hamiltons verloren hatte, in dieser größeren finanziellen Sicherheit das Aus für seinen Traum von der Gründung einer Nördlichen Konföderation sah."
Offensichtlich hatte der junge Roosevelt Hamiltons Leistung verstanden. Hamiltons "Ordnen der Finanzen des Landes" wurde dadurch bewerkstelligt, daß er die Schulden der Bundesstaaten übernahm - ein kontrovers diskutierter Schritt - und dies mit der Gründung der Bank der Vereinigten Staaten als Nationalbank verband. Hamilton erklärte, die Staatsschulden der USA, die er durch die Übernahme der Schulden der Bundesstaaten noch vergrößerte, könnten als Einlagen in die Nationalbank betrachtet werden. So wurden "die nationalen Schulden zum nationalen Segen". Es ist gut möglich, daß Franklin die Funktion der Nationalbank durch seine Beschäftigung mit Isaac Roosevelt schon damals erkannt hatte.
Auch Roosevelts Satz über Aaron Burr trifft den Nagel auf den Kopf. Aufgrund seiner Beschäftigung mit der Geschichte wußte er, daß das Komplott zur Spaltung der USA in eine Nördliche und eine Südliche Konföderation im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts vor allem von der Elite der sog. "Bostoner Brahmanen" und Teilen der Wall Street ausging. Wie viele Amerikaner, Politiker, Historiker oder einfache Bürger, wissen das heute noch? Roosevelt aber wußte genau, welch schweren Vorwurf er erhob, wenn er jemanden einen "Tory-Verräter" nannte.
In den 20er Jahren unternahm der Historiker Claude Bowers - ein Anhänger der These "der Süden soll auferstehen" - , den Versuch, Roosevelt mit üblen Methoden von Hamilton abzubringen. Bowers wurde dabei von einigen führenden demokratischen Politikern unterstützt, die Präsident Roosevelt davon abhalten wollten, Hamilton öffentlich zu preisen. Aber er blieb dieser revolutionären Tradition und Denkweise treu. Roosevelts Methoden des New Deal und besonders der Wirtschaftsmobilisierung vor dem Zweiten Weltkrieg waren deutlich von Hamilton inspiriert.
Im August 1921 erkrankte Roosevelt im Alter von 39 Jahren ganz plötzlich an Kinderlähmung. Einige Jahre später stellte sein Freund Frances Perkins fest: "Franklin Roosevelt durchlief in den Jahren seiner Krankheit eine seelische Wandlung. Als er zurückkam, fiel mir auf, daß die Jahre des Schmerzes und Leidens seine leicht arrogante Art geläutert hatten. Er wurde warmherzig und im Geist bescheiden." Der lange Kampf mit der Lähmung stärkte Roosevelts Engagement für das Gemeinwohl und für die Schwachen und Unterdrückten. 1921-27 widmete er sich dem Studium und dem Schreiben, u.a. verfaßte er eine Schrift zur amerikanischen Geschichte. Ab 1924 verwandelte er ein heruntergekommenes Kurbad in Warm Springs/Georgia in eine moderne Einrichtung für Menschen aus dem ganzen Land, die an Kinderlähmung erkrankt waren. Sein Einsatz dafür war beträchtlich, er lebte dort jedes Jahr einige Zeit.
1928 wurde Roosevelt zum Gouverneur des Staates New York gewählt, wo er sich zwischen 1929 und 1933 vor allem mit dem Kampf gegen die Depression befaßte.
[h4]Coolidge, Mellon und der Bankenkrach[/h4]
Um zu verstehen, welche Situation Roosevelt 1933 bei seinem Amtsantritt vorfand und warum er radikal handeln mußte, muß man sich vergegenwärtigen, wie es zum Bankenkrach und der Depression 1929-33 kam und welche Probleme sich daraus ergaben.
Die verbreitete Behauptung, Präsident Herbert Hoover (Roosevelts Vorgänger) habe die Depression verursacht, ist eine Geschichtsfälschung. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß Hoover - bei all seiner wirtschaftlichen Inkompetenz und mangelnden Führungsstärke - die Depression nicht verursacht hat. Die wahren Schuldigen an der Depression waren sein Vorgänger, Präsident Calvin Coolidge, und der Mann, der hinter diesem das eigentliche Sagen hatte: der Finanzminister und Wallstreet-Mann Andrew Mellon.
Dies wird aber nicht offen zugegeben, weil Finanziers, Ökonomen und Medien wie das [i]Wall Street Journal[/i] Coolidges und Mellons "britische" Wirtschaftspolitik - eine Mischung aus Sparpolitik, Arbeitnehmerfeindlichkeit und ausufernder Spekulation - inbrünstig befürworten. Einige "Experten" bezeichnen Coolidges Wirtschaftspolitik 1923-29 sogar als "Periode der Normalität"; in Wahrheit war sie äußerst gefährlich.
Es gibt noch einen umfassenderen historischen Aspekt, der verschwiegen wird. Seit dem Mord an Präsident William McKinley 1901 herrschten in Amerika praktisch die anglo-amerikanischen Finanziers und ihre Ideologie; die Wertvorstellungen des Amerikanischen Systems von Abraham Lincoln und Henry Carey galten nicht mehr. Statt dessen brachte man Teddy Roosevelt, Woodrow Wilson und Coolidge, die eine dem Amerikanischen System entgegengesetzte Politik vertraten, als Präsidenten an die Macht. Dazu wurde 1913 per Gesetz das "Federal Reserve System" begründet. Es teilte die USA in zwölf Bankbezirke mit je einer Bundesreservebank ein, deren Geschäfte den üblichen Aufgaben einer Zentralbank entsprechen (Ausgabe von Banknoten sowie geld- und kreditpolitische Maßnahmen). An der Spitze steht der Board of Governors des Federal-Reserve-Systems, der die Geld- und Währungspolitik der USA bestimmt sowie die Ausgabe der Noten und die Bankpolitik überwacht. Damit wurde die Kontrolle über die Geld- und Währungspolitik einer Gruppe von Privatbanken übertragen, die keiner öffentlichen Kontrolle unterliegen.
Andrew Mellon, 1855 geboren, hatte sein Vermögen von seinem Vater Thomas Mellon geerbt, der mit zweifelhaften Immobiliengeschäften den Grundstock zum Mellon-Imperium legte. Dazu gehörten u.a. die Mellon Bank, Alcoa Aluminium, Gulf Oil und Carborundum. 1921 setzte die Wall Street bei Präsident Warren Harding Andrew Mellons Ernennung zum Finanzminister durch. Diese Funktion behielt er auch unter Coolidge und Hoover bei, bis zum Februar 1932. Elf Jahre lang diktierte Mellon die Finanzpolitik Amerikas und steuerte das Land damit in die Depression.
Präsident Calvin Coolidge wurde am 4. Juli 1872 in Vermont geboren (ein Verwandter der Bostoner Familie Coolidge, die mit dem chinesischen Opiumhandel reich wurde), zog später nach Massachusetts und schloß sich den "Bostoner Brahmanen" an, einer einflußreichen Gruppe Bostoner Elitefamilien. 1918 verhalf Dwight Morrow, ein Studienkamerad und einflußreicher Bankier bei J.P. Morgan, Coolidge mit seinem Geld zum Gouverneursamt in Massachusetts und 1920 zum Posten des Vizepräsidenten unter Harding. Als Harding 1923 unter verdächtigen Umständen starb, wurde Coolidge sein Nachfolger.
Hauptelemente der Mellon-Coolidge-Politik waren Senkung des Lebensstandards der Arbeitnehmer, Verelendung der Landwirtschaft und fanatisches Beharren auf einem ausgeglichenen Staatshaushalt, während gleichzeitig die Steuern für die Wall Street gesenkt und ungehemmte Finanzspekulation begünstigt wurden.
[list][item]In den 20er Jahren steckte die Landwirtschaft in Schlüsselregionen der USA in großen Schwierigkeiten. Obwohl im Kongreß Vorschläge für eine Paritätspolitik (Garantiepreise zur Deckung der Erzeugerkosten) eingebracht wurden, rührte Coolidge keinen Finger, um den Farmern zu helfen, und berief sich dabei auf den "freien Markt".[/item]
[item]Die damals schlecht organisierten Arbeitnehmer hatten unter Coolidge sehr zu leiden. Wie die Brookings Institution 1928 in einem Bericht schrieb, mußten 60% der amerikanischen Familien mit einem Jahreseinkommen von weniger als 2000 Dollar, dem damaligen Minimum zum Lebensunterhalt, auskommen. So sah der "Wohlstand" unter Coolidge in Wirklichkeit aus.[/item]
[item]Coolidge und Mellon froren die Staatsausgaben auf jährlich 3 Millionen Dollar ein, um einen Haushaltsüberschuß zu erreichen und daraus Staatsschulden zu begleichen. Es wurden keine neuen Vorhaben im Haushalt bewilligt, und die Bundesregierung tat so gut wie nichts mehr für den Ausbau der Infrastruktur.[/item
[item]Andererseits förderten die beiden massiv die Spekulation. 1924-26 zog eine Immobilienblase in Florida viel Geld aus dem ganzen Land an - bis sie platzte. Ein Spekulant konnte damals 75-90% des Kapitals als Kredit in Form eines "Broker-Darlehens" seiner Bank aufnehmen. Immer mehr Amerikaner spekulierten mit Hilfe solcher Broker-Darlehen. 1925 betrugen diese Schulden 1,5 Milliarden Dollar, um dann 1926 auf 2,5 Mrd. und ein Jahr später auf 3,48 Mrd. Dollar anzuwachsen - damals eine schier unglaubliche Summe. Aber das war erst der Anfang: Schon im Juni 1928 erreichte die Verschuldung 4 Mrd. Dollar, am Jahresende stieg sie über 5,7 Mrd. Die Aktien stiegen jede Woche weiter, und aus der ganzen Welt strömte Geld an die amerikanischen Börsen.[/item][/list]
Am 6. Januar 1929 wurde Coolidge gefragt, was er gegen die Aktienblase unternähme. Er gab die absurde Antwort, nach Rücksprache mit dem Finanzministerium "sehe ich keine Anzeichen dafür, daß der Umfang (der Broker-Darlehen) groß genug wäre, um Grund zu einer besonders ungünstigen Einschätzung zu bieten". Diese Bemerkung bescherte der Börse den zweithöchsten Umsatz ihrer Geschichte. Am 3. März, einen Tag vor seinem Ausscheiden aus dem Amt, sagte Coolidge der Presse: "Die Aktien sind billig."
Nach vier Jahren Spekulation war die Börse um das Drei- bis Vierfache überbewertet. Die Banken hatten Unmengen Kredit in den Markt gepumpt. Dann kam der 29. Oktober, der "Schwarze Dienstag".
In den ersten sechs Börsenminuten fielen manche Werte alle zehn Sekunden um einen Dollar. Viele Aktien waren bereits in den Tagen zuvor um über 30% gefallen. Die Banken forderten die Kredite zurück, und Zwangsverkäufe beschleunigten den Abwärtstrend. Das Kartenhaus brach zusammen. 16,5 Mio. Aktien wechselten an diesem Tag an der New Yorker Börse den Besitzer. Zu jedem nur gebotenen Kurs wurden Aktien in einer immer größer werdenden Verkaufswelle abgestoßen. Tausende von Menschen waren ruiniert. Bis zu drei Millionen Amerikaner waren von diesem schwarzen Tag und seinen Nachbeben direkt betroffen; viele verloren ihr gesamtes Vermögen.
In den nächsten 30 Monaten war Andrew Mellon Schatzminister unter Hoover und setzte eine verheerende Austeritäts- und Deflationspolitik durch. Er forderte Einschnitte in den Haushalt und verbot staatliche Infrastruktur- und Bauvorhaben. So trieb er die Wirtschaft in den Bankrott. Hoover hatte selbst kein Lösungskonzept, aber ihm war doch klar, daß er sich aus Mellons Zwangsjacke der Sparpolitik befreien mußte. Im Februar 1932 ernannte er Mellon zum Botschafter in England und schaffte ihn so aus dem Land. Aber da war der größte Schaden bereits angerichtet. Obwohl er einige sinnvolle Maßnahmen ergriff, konnte Hoover das Ruder nicht mehr herumreißen.
[h4]Der Finanz- und Wirtschaftskollaps[/h4]
Der Aktiencrash im Oktober 1929 und Mellons Politik in den nächsten 30 Monaten führten zwangsläufig zum endgültigen wirtschaftlichen Zusammenbruch, der durch die internationalen Entwicklungen noch verschärft wurde.
Die gewaltigen Kreditausfälle durch den Crash bereiteten den Banken immense Probleme. Auch andere spekulative Märkte, etwa der Immobilienmarkt, wurden in Mitleidenschaft gezogen. Zudem hatten viele Bereiche der Realwirtschaft, deren Probleme schon vor dem Oktobercrash eingesetzt hatten, Schwierigkeiten mit der Rückzahlung ihrer Bankschulden. 1929 wurden in den USA 341 Handelsbanken zahlungsunfähig, 1930 weitere 1350. Das war mit fast 4% der Handelsbanken schon beträchtlich, es löste aber noch keine grundlegende Bankenkrise aus.
1931 jedoch machten internationale Entwicklungen den amerikanischen Banken den Garaus. Der Versailler Vertrag von 1919 hatte Deutschland drakonische Reparationen auferlegt. Dadurch wurde das Weltfinanzsystem völlig auf den Kopf gestellt, weil im Zusammenhang mit dem Versailler Vertrag Kredite ausgegeben worden waren, die sich als Zeitbombe entpuppten. 1930-31 wurden diese Kredite fällig und konnten nicht bezahlt werden. Im Mai 1931 mußte die größte Privatbank Österreichs, die Wiener Creditanstalt, wegen ihrer Probleme in Deutschland geschlossen werden.
Der Todesstoß folgte im September 1931, als die Bank von England mit voller Rückendeckung von Premierminister Ramsay MacDonald das Pfund Sterling vom Goldstandard löste. Dies löste die Lawine aus. Spekulanten und andere begannen, Dollars gegen Gold einzutauschen und so das Gold aus dem Umlauf zu ziehen. Dies verstärkte die Dollar- und Bankenkrise. Allein im Monat September 1931 gingen 450 amerikanische Banken unter, und die Bankenkrise weitete sich lawinenartig aus.
Zwischen 1930 und 1932 (der Großteil ab September 31) mußten insgesamt 5896 amerikanische Handelsbanken Konkurs anmelden, das war fast jede fünfte Bank in den USA. Hunderttausende Familien verloren ihre Lebensersparnisse und besaßen keinen Pfennig mehr.
Die Regierung Hoover und der Kongreß reagierten im Januar 1932 mit der Einrichtung der Finanzgesellschaft für den Wiederaufbau (RFC). Aber unter Hoover und dem RFC-Vorsitzenden Eugene Meyer, der zum Bankhaus Lazard Frères gehörte und Vorsitzender des Federal-Reserve-Vorstands war, beschränkte sich die RFC darauf, Kredite an Banken (und einige Eisenbahngesellschaften) auszugeben, um so zu versuchen, das Bankensystem zu retten, ohne die Politik grundsätzlich zu ändern. Auf diese Weise vergab 1932 die RFC 1624 Mrd. Dollar, ohne daß sich im Bankenwesen oder in der Wirtschaft etwas verbesserte. Das Bankensterben gingen weiter.
Im Januar und Februar 1933 erreichte die Krise den Höhepunkt. Um den Ansturm auf Banken zu stoppen, kündigten die Gouverneure der Bundesstaaten in letzter Verweiflung Bankferien an. Damit konnten Banken, die noch solvent waren, ihre Geschäfte einstellen oder Auszahlungen an ihre Kunden sehr enge Grenzen setzen. Das Geldgeschäft kam zu Erliegen. Am 3. März, dem Tag vor Roosevelts Amtsübernahme, hatten 46 der 48 Staaten Bankferien erklärt. Am Inaugurationstag Roosevelts riefen die Gouverneure von New York und Illinois, die Staaten mit den größten Geschäftsbanken, Bankferien aus. Parallel dazu wurden die New Yorker Börse, die Warenbörsen in Kansas City und Chikago sowie alle anderen Kapital- und Warenbörsen geschlossen.
Das Finanzsystem war zusammengebrochen.
Parallel dazu brach die Realwirtschaft ein. Von 1929 bis 1933 sank die Industrieproduktion der USA um 37%, anderen Zahlen zufolge sogar um 54%. Anfang 1933 hatte die Stahlindustrie im Verhältnis zu 1929 nur noch 24% Kapazitätsauslastung. Zwischen 1929-33 fiel das Nettoeinkommen der amerikanischen Farmer inflationsbereinigt um 45%. Im Januar 1933 waren offiziell 12,83 Millionen Menschen arbeitslos, das entspricht einer Arbeitslosenrate von 24,9%, aber die tatsächliche Zahl lag noch höher.
[h4]Der Faschismus im Vormarsch[/h4]
Zu dieser Zeit versuchten die anglo-amerikanischen Finanziers, ihre Macht und das internationale strategische Kräfteverhältnis zu erhalten, indem sie weltweit faschistische Bewegungen unterstützten. Alle Regierungen, die einen Wiederauf nach dem Amerikanischen System planten, sollten gestürzt werden.
Nach Roosevelts Wahl im November 1932 organisierten diese anglo-amerikanischen Bankenkreise die Machtergreifung in Deutschland. Eine Gruppe unter Führung des früheren Chefs der Bank von England, Montagu Norman, und mit Unterstützung der Harriman-Kreise in New York, zu denen auch George Bushs Vater Prescott Bush gehörte, organisierte den Sturz des Reichskanzlers Kurt von Schleicher am 28. Januar 1933. Zwei Tage später wurde er durch Adolf Hitler ersetzt.
Die Regierung Schleicher strebte eine Politik an, die der Franklin Roosevelts sehr ähnlich war. Wäre von Schleicher Kanzler geblieben, dann hätten Deutschland und die USA praktisch identische wirtschaftliche Erholungsprogramme verfolgt. Es wäre vermutlich nie zum Zweiten Weltkrieg gekommen.
Dieselben Finanzkreise wollten auch in den USA eine faschistische Machtergreifung organisieren. Am 15. Februar 1933 wurde in Miami auf den neugewählten Roosevelt ein Mordanschlag verübt. Ein Mann namens Giuseppi Zangara schoß aus der Menge auf Roosevelt. Eine Frau fiel dem Schützen geistesgegenwärtig in den Arm, so daß die Kugel Roosevelt verfehlte (und statt dessen den Bürgermeister von Chikago, Cermak, tötete). Zangara, ein geistig verwirrter, arbeitsloser Mann aus New Jersey, wurde in einem Schnellverfahren abgeurteilt und sofort hingerichtet, ehe man seine Hintermänner, die Drahtzieher auf höherer Ebene, finden konnte.
Ab Sommer 1933 organisierten dieselben Kräfte dann gegen Roosevelt einen regelrechten Putschversuch im Mussolini-Stil. Generalmajor Smedley Darlington Butler, ein hochdekorierter Offizier der Marineinfanterie, enthüllte am 20. November 1934 vor einem Sonderausschuß des Kongresses zur Untersuchung nazistischer Aktivitäten Einzelheiten des für Sommer-Herbst 1933 geplanten Putschversuches gegen Roosevelt. Die Verschwörer hatten versucht, Butler für ihre Sache zu gewinnen. Butler sagte unter Eid aus, der Kopf der Verschwörung sei Grayson Mallet-Provost Murphy - ein Nachkomme der Schweizer Familie Mallet, die 1775-83 aktiv gegen die Amerikanische Revolution gekämpft hatte.
Koordiniert wurden die Putschvorbereitungen von einem pro-faschistischen inneren Kern aus dem Milieu der Finanzinteressen der Familien Morgan, Mellon, Dupont und des britischen Königshauses. Die Gruppe bediente sich dabei gesellschaftlicher Klubs und verschiedener Frontorganisationen. Im September 1934 gründeten sie sich formell als American Liberty League, deren Schatzmeister Grayson Mallet-Provost Murphy war. An der Spitze der Liga standen Finanziers: die Duponts - besonders Irenée, Lammot and Pierre Dupont, die große Summen in die Liga investierten - , die Morgans und Leute wie John Jakob Raskob, der als Vorsitzender der Demokratischen Partei von 1928-32 versucht hatte, Roosevelts Nominierung zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten 1932 zu verhindern.
Während der ersten Amtszeit Roosevelts, dem "New Deal" von 1933-1937, versuchte die American Liberty League über ihre öffentliche Organisation wie auch verdeckt arbeitende Gruppen, Roosevelt zu stürzen und Amerika einer faschistischen Politik zu unterwerfen.
[head]II. Teil[/head]
[i]Der erste Teil befaßt sich mit den Ursachen dieser Depression; im zweiten Teil geht es nun um Roosevelts wirtschaftspolitische Großtat, den berühmten "New Deal".[/i]
Franklin Roosevelt stand als neugewählter Präsident vor der ungeheuren Aufgabe, den Prinzipien der amerikanischen Revolution, wie sie zentral in der Gemeinwohlklausel der Verfassung zum Ausdruck kommen, wieder Gültigkeit zu verschaffen und auf dieser Grundlage die Wirtschaftskrise zu meistern. Dies gelang ihm mit großem Erfolg.
Er mußte es praktisch mit allen Hauptaspekten der Wirtschaftskrise - dem Bankenkrach, der realwirtschaftlichen Depression und dem massiven Rückgang des Lebensstandards - gleichzeitig aufnehmen. Dies war eine sehr große Herausforderung, aber er war auf sie gut vorbereitet. Am 4. März 1933 umriß Roosevelt sein Konzept in seiner Rede zur Amtseinführung:
[i] "Lassen Sie mich also zuallererst meine feste Überzeugung bekräftigen: Das einzige, das wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst - namenlose, unvernünftige, unberechtigte Angst, die notwendige Anstrengungen, den Rückzug in Vormarsch zu verwandeln, lähmt.
Die Geldwechsler sind von ihren hohen Stühlen im Tempel unserer Zivilisation geflohen. Wir können nun diesen Tempel den alten Wahrheiten wieder zurückgeben. In welchem Maße das gelingt, hängt davon ab, inwieweit wir uns an edleren gesellschaftlichen Werten ausrichten als nur dem bloßen Geldgewinn.
Das Glück liegt nicht im Besitz von Geld an sich - es liegt in der Freude am Errungenen, in der Hochstimmung schöpferischer Arbeit. Wir dürfen nicht länger die Freude und moralische Erbauung an der Arbeit in der verrückten Jagd nach vergänglichem Gewinn untergehen lassen. Diese dunklen Tage werden alle ihre Opfer wert gewesen sein, wenn sie uns lehren, daß unser wahres Schicksal nicht ist, sich dienen zu lassen, sondern uns selbst und unseren Mitmenschen zu dienen.
Unsere größte, vorrangige Aufgabe ist es, die Menschen in Arbeit zu bringen. Das ist kein unlösbares Problem, wenn wir es weise und mutig angehen."
Roosevelt forderte weiter eine "nationale Planung und Aufsicht über Verkehr, Kommunikation und alle anderen Einrichtungen mit eindeutig öffentlichem Charakter... Alle Bankgeschäfte, Kredite und Investitionen müssen streng überwacht werden; es muß Schluß sein mit der Spekulation mit dem Geld anderer Leute, und man muß für eine angemessene, aber gesunde Währung sorgen."
Und er schloß mit den Worten: "Ich bin darauf vorbereitet, gemäß meiner verfassungsmäßigen Pflicht die Maßnahmen zu ergreifen, derer eine gebeutelte Nation inmitten einer krisengeschüttelten Welt bedürfen könnte. Für den Fall, daß der Kongreß [versagt], während sich die Nation immer noch in einer kritischen Lage befindet, werde ich ohne Scheu den klaren Weg der Pflicht betreten, der dann vor mir liegt. Ich werde von dem Kongreß das eine Mittel fordern, das dann zur Bekämpfung der Krise noch übrigbleibt: breite Exekutivgewalt, um einen Krieg gegen den Notstand zu führen, so umfassend wie die Machtbefugnisse, die ich erhielte, wenn tatsächlich eine feindliche Macht unsere Grenzen überschritte." [/i]
Roosevelt war also entschlossen, alle Vollmachten auszuschöpfen, mit denen die Verfassung das Präsidentenamt für derartige Krisenzeiten ausstatte. Er würde sich immer im Rahmen der Verfassung bewegen und nicht versuchen, sie zu verletzen.
Roosevelt wandte sich oft direkt an den mutlos gewordenen "kleinen Mann", weil er fest davon überzeugt war, daß der Zweck der Regierung ist, allen Menschen zu ermöglichen, produktive Bürger eines Gemeinwesens zu sein. In der Rede, mit der er im Juni 1936 seine zweite Wahl zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten annahm, ging er auf das Prinzip der caritas oder Nächstenliebe - englisch charity - ein:
[i] "Charity, wörtlich aus dem Original übersetzt, bedeutet Liebe - jene Liebe, die versteht, mit der nicht nur der Gebende den Reichtum teilt, sondern mit der man in wahrer Zuneigung und Weisheit den Menschen hilft, sich selbst zu helfen.
Wir wollen aus der Regierung mehr machen als nur ein mechanisches Werkzeug, wir wollen ihr den lebenssprühenden persönlichen Charakter geben, der die eigentliche Verkörperung der Nächstenliebe ist.
Wir sind in der Tat arm, wenn diese Nation nicht vermag, die drückende Angst der Arbeitslosen, sie würden in dieser Welt nicht mehr gebraucht, aus jeder Pore des amerikanischen Lebens zu vertreiben. Wir können es uns nicht leisten, in den Büchern des menschlichen Mutes Defizite anzuhäufen.
Regierungen können irren, Präsidenten machen Fehler, aber der unsterbliche Dante sagt uns, daß die göttliche Gerechtigkeit die Sünden der Kaltblütigen und die Sünden der Warmherzigen nicht auf der gleichen Waage abwägt.
Besser die gelegentlichen Fehler einer Regierung, die im Geiste der Nächstenliebe handelt, als die ständigen Unterlassungen einer Regierung, die im Eis ihre eigenen Gleichgültigkeit eingefroren ist... Manchen Generationen wird viel gegeben. Von anderen Generationen wird viel erwartet. Diese Generation von Amerikanern hat eine Begegnung mit dem Schicksal." [/i]
[h4]Die Maßnahmen für den Wirtschaftsaufschwung[/h4]
Roosevelt erlebte, wie sich die Krise vor seinen Augen verschlimmerte, von der Massenarbeitslosigkeit bis zum Bankenkrach, und ihm war klar, daß er sie an der Wurzel packen mußte. Dazu war notwendig:
[list][item]Der [i]Aufbau einer Infrastruktur[/i] mit moderner Technik. Dies schloß Großvorhaben wie die Tennessee Valley Autority (TVA) ein, die den ganzen Vereinigten Staaten einen spektakulären Anstieg der Produktivität und der produktiven Arbeitskraft bescherte. Die TVA baute ein integriertes Entwicklungsprojekt für reichliche Mengen an Wasserenergie, Hochwasserschutz und Flußregulierung, wissenschaftliche Landwirtschaft und neue Fabriken. Sie schuf Bildungsmöglichkeiten, verringerte Analphabetentum und rottete die Malaria aus. Eine hohe Zahl von Arbeitnehmern fand in den Infrastrukturprojekten der TVA Beschäftigung.[/item]
[item][i]Staatliche Bauvorhaben[/i]. Die Regierung richtete staatliche Beschäftigungsprogramme ein, im wesentlichen zum Infrastrukturbau, die Millionen Arbeiter anstellten. Gleichzeitig wirkten diese staatlichen Bauprogramme als Multiplikator, indem sie die brachliegenden Industriekapazitäten und entsprechenden Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft reaktivierten. Um die große Güternachfrage der Infrastrukturprogramme zu befriedigen, mußten die Fabriken mehr produzieren und mehr Arbeiter anstellen. Zusätzlich steigerte die neue Infrastruktur den Stand der Technik in der Gesamtwirtschaft erheblich.[/item]
[item][i]Banken- und Kreditwesen[/i]. Roosevelt mußte den laufenden Zusammenbruch des amerikanischen Bankenwesens stoppen und mit verwandten Maßnahmen auch die Zwangsschließungen und -räumungen von Farmen und Wohnungen aufhalten. Die Wirtschaft war auf ein funktionierendes Bankensystem angewiesen. Roosevelt mußte sicherstellen, daß Kredit in die produktiven Bereiche der Wirtschaft floß. Ihm stand keine Nationalbank zur Verfügung, aber er verwandelte die Finanzgesellschaft für Wiederaufbau (Reconstruction Finance Corporation, RFC) in ein Hamiltonisches Kreditinstrument, das großzügig billigen Kredit in die Realwirtschaft und die Infrastruktur lenkte und so die Produktion ankurbelte.[/item]
[item][i]Protektionistische Regelungen[/i]. Roosevelt beschloß zahlreiche Schutzmaßnahmen und Regulierungen, die Amerikas souveräne Oberhoheit über seine Kreditpolitik und wirtschaftlichen Angelegenheiten stärkten. In dem Maße, wie diese Maßnahmen bewußt die Wall Street und die Londoner City schwächten, konnte Roosevelt die Wirtschaft von der Spekulation weg wieder in produktive Bahnen lenken.[/item]
[item][i]Soziale Gerechtigkeit[/i]. Roosevelt führte Maßnahmen ein, die den Mutlosen Hoffnung boten, den Rentnern wirtschaftliche Sicherheit usw.[/item][/list]
Man muß alle diese Maßnahmen des New Deal als das verstehen, was sie waren: ein einziges, integriertes Paket, nach einem höheren Ordnungsprinzip entworfen, dessen Elemente sich wechselseitig verstärkten. Infrastrukturbauten und andere staatliche Vorhaben konnten nur Erfolg haben, wenn es ein stabiles, funktionierendes Bankenwesen und gezielt gesteuerte Kredite gab. Das Bankensystem konnte nur funktionieren, wenn die Kredite sicher waren, und dafür sorgten die Infrastrukturbauten, weil sie eine wachsende Wirtschaft und ein stabiles Geschäftsleben garantierten.
Am 9. März 1933 berief Roosevelt den Kongreß zu einer Sondersitzung zur Bankenkrise ein und setzte seine wichtigsten Maßnahmen durch - innerhalb von 24 Stunden war das Gesetz unterzeichnet. Damit die Dynamik nicht verloren ging, entschied er sich, den Kongreß direkt weiterarbeiten zu lassen, statt ihn danach gleich wieder zu entlassen. In den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit, vom 4. März bis zum 16. Juni 1933, erließ er 15 Gesetze und Verordnungen. Dazu gehörten Gesetze zu Bauvorhaben der öffentlichen Hand und Infrastrukturprojekten, eine Notstandsrestrukturierung des Bankenwesens, die Regulierung von Banken und Börsen und anderes. Einige Historiker haben Roosevelt vorgeworfen, daß er nicht gleich alles im ersten Jahr verwirklichte, sondern erst 1934, 1935, 1936 oder später. Der Vorwurf ist Unfug, denn schließlich kann kein Präsident dem Kongreß ständig diktieren, wie schnell dieser zu arbeiten habe. Doch Roosevelt lenkte den Kongreß ständig in die richtige Richtung.
[h4]Ende des britischen Systems[/h4]
Roosevelt beseitigte systematisch die Finanz- und Wirtschaftspolitik des britischen Systems, das die Bankiers den Vereinigten Staaten nach dem Mord an Präsident William McKinley 1901 aufgezwungen hatten. Dabei hielt er die Bevölkerung ständig auf dem laufenden und motivierte sie moralisch durch seine berühmten Kamingespräche, die jede Woche im Radio übertragen wurden. Die Reaktion war überwältigend: Schon in der ersten Woche erhielt Roosevelt eine halbe Million Briefe! Von Beginn an waren die Menschen engagiert und voller Kampfesgeist.
Betrachten wir nun folgenden die revolutionären Errungenschaften der genannten fünf Hauptelemente des New Deal im einzelnen: 1. Banken und Kredite, 2. Infrastruktur, 3. Schaffung von Arbeitsplätzen in staatlichen Bauvorhaben, 4. Schutzregelungen und 5. soziale Gerechtigkeit.
Roosevelt organisierte alle diese Anstrengungen auf einmal, um maximal gegen den Notstand anzugehen. Dennoch konnte der New Deal nicht alle ernsten Probleme dieses Notstands lösen. Erst die Kriegsmobilisierung von 1939-44 verankerte in der Wirtschaft wieder das Prinzips des "Wissenschaftsmotors", d.h. des wissenschaftlich-technischen Fortschritts als Antriebskraft für die Gesamtwirtschaft, die im Mittelpunkt des Amerikanischen Systems der politischen Ökonomie steht. Im Rahmen dieser Wirtschaftsmobilisierung entstanden viele neue Produktionsstätten auf dem neuesten technischen Stand. Das Zusammenwirken dieses Prinzips des Wissenschaftsmotors mit den früheren Errungenschaften des New Deal ermöglichten ein rasantes antientropisches Wachstum.
[h4]1. Banken und Kredite[/h4]
Um den scheinbar unaufhaltsamen Bankenzusammenbruch zu stoppen, mußte Präsident Roosevelt die quasi diktatorische Kontrolle der Londoner City und der Wall Street über das amerikanische Kreditwesen durchbrechen, die dafür gesorgt hatte, daß die Banken Kredite fast ausschließlich für Spekulationszwecke vergaben. Roosevelt setzte zahlreiche protektionistische Maßnahmen durch, die die Kredit- und Geldpolitik der Kontrolle der Wall Street und der City entrissen und wieder der rechtmäßigen Souveränität der Regierung unterstellten, damit Geld in Produktion statt in Spekulation floß.
Mit den ersten Maßnahmen erreichte er eine grundlegende, allerdings nur teilweise Reorganisation der Banken. Doch sein schnelles und entschiedenes Handeln schuf Vertrauen. Nach drei Jahren ständiger Bankenschließungen schaffte er es, daß nach 31 Tagen drei Viertel der Banken wieder geöffnet waren und arbeiteten.
Am 5. März 1933, dem zweiten Tag im Amt, schloß er mit einer Exekutivanordnung alle Banken in den Vereinigten Staaten ab 6. März auf unbestimmte Zeit. Er berief sich dazu auf ein Gesetz über Handel mit dem Feind aus dem Jahr 1917. Mit diesem nationalen Bankfeiertag wurden alle Bankfeiertage einzelner Bundesstaaten ungültig. Die Anordnung gab weiterhin dem Finanzminister die Kontrolle über alle Devisen- und Goldtransaktionen.
Nun mußte Roosevelt rasch handeln. In dieser Woche traf er sich häufig mit seinen finanzpolitischen Beratern unter Finanzminister William Woodin und mit Vertretern der scheidenden Regierung Hoover unter dem früheren Finanzminister Ogden Mills. In den frühen Morgenstunden des 9. März war das Banken-Notstandsgesetz fertig.
Die Reconstruction Finance Corporation (RFC) - die 1932 unter der Regierung Hoover gegründet worden war, um angeschlagenen Banken zu helfen, deren Kredite aber nichts geholfen hatten - sollte nun Aktien und Wertpapiere angeschlagener Banken kaufen, um deren Kapital zu erhöhen, ohne gleichzeitig deren Schulden zu vergrößern. Eine weitere Bestimmung des Gesetzes, die Roosevelt hart erkämpfen mußte, bevollmächtigte die Distriktbanken des Federal-Reserve-Systems, zuvor uneinlösbare Wertpapiere zu diskontieren und dagegen neue Bundesbanknoten auszugeben, um so die Liquidität der Wirtschaft zu vergrößern. Und es instruierte das Bankaufsichtsamt, Konkursverwalter zu ernennen, um insolvente Banken zu schließen.
Das Gesetz sah die Einteilung der Banken in drei Kategorien vor: 1. gesunde Banken, die ihre Geschäfte aus eigener Kraft weiterführen konnten, 2. Banken, die eine Kapitalspritze von der RFC brauchten und 3. Banken, die durch einen Insolvenzverwalter liquidiert würden.
Am 9. März um 12 Uhr mittags sandte Roosevelt dem Kongreß zur Vorlage des Notstands-Bankengesetzes die Botschaft: "Ich kann dem Kongreß die Dringlichkeit sofortigen Handelns nicht eindringlich genug ans Herz legen."
Der Historiker William Leuchtenburg beschreibt die tumultartigen Szenen, die folgten: "Kurz vor 13 Uhr wurde Roosevelts Botschaft zum Bankenwesen verlesen, während einige neugewählte Kongreßabgeordnete noch ihren Sitzplatz suchten. Das Repräsentantenhaus hatte keine Abschrift des Textes; der Sprecher las den Text von dem einzigen vorhandenen Entwurf ab, der noch letzte Bleistiftkorrekturen trug."
Die Aussprache über den Gesetzentwurf erinnerte den Kongreßsprecher Rainey an die Lage vor Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, als "auf beiden Seiten des Hauses die von der Regierung vorgeschlagenen großen Kriegsmaßnahmen praktisch einstimmig unterstützt wurden... Heute befinden wir uns in einem anderen Krieg, der sogar noch ernster ist und die Republik vor noch größere Gefahren stellt."
Der Fraktionschef der oppositionellen Republikaner Bertrand Snell erklärte: "Das Haus brennt, und der Präsident der USA sagt, nur so können wir das Feuer löschen." Das Repräsentantenhaus votierte einmütig für das Gesetz; dann stimmte auch der Senat mit 73:7 Stimmen zu. (Einige wenige Senatoren argumentierten, es stärke die Rolle der New Yorker Banken.) Der Senat beendete seine Sitzung um 19.52 Uhr. Um 20.37 Uhr unterzeichnete Roosevelt das Gesetz. Alles in allem hatte die ganze Sache von der ersten Vorlage bis zur abschließenden Unterzeichnung nur acht Stunden gedauert.
Das beweist etwas, was für uns heute äußerst wichtig ist: Die Notstands-Reorganisation des Bankenwesens, die Lyndon LaRouche heute vorschlägt, ist absolut realistisch - unter Krisenbedingungen und unter entsprechendem Druck der Bevölkerung kann der Kongreß sehr schnell solche Gesetze beschließen, auch wenn sie seinen althergebrachten politischen Axiomen widersprechen.
[h4]Bankenreform bei Roosevelt und LaRouche[/h4]
Am 12. März hielt Roosevelt sein erstes Kamingespräch, das von schätzungsweise 60 Millionen Amerikanern, der Hälfte der Bevölkerung der Vereinigten Staaten, vor ihren Radiogeräten verfolgt wurde. Zentrales Thema war die Lage der Banken.
"Einige unserer Bankiers ... haben das ihnen anvertraute Geld für Spekulationen mißbraucht", sagte Roosevelt. Er erläuterte seinen Zuhörern das Banken-Notstandsgesetz und versprach, die Banken wären am nächsten Morgen wieder geöffnet. Die Banken, die nach den Vorschriften des neuen Gesetzes wieder öffnen konnten, wurden mit zusätzlichem Bargeld versorgt, aber die Amerikaner zahlten in den nächsten Tagen mehr Geld ein, als sie abhoben! Nichts zeigt besser, wie sehr die Menschen Roosevelt vertrauten.
Bis zum 15. März konnten von den 18399 Banken, die vor dem 3. März landesweit zugelassen waren, etwa 70 Prozent ohne Hilfe der RFC wieder öffnen. Bis zum 12. April stieg die Zahl auf 76 Prozent. 1100 Banken wurden im Laufe des Jahres 1933 von den Insolvenzverwaltern der Bankenaufsicht für zahlungsunfähig erklärt. Weitere 3114 angeschlagene Banken blieben geschlossen, waren aber nicht grundsätzlich insolvent. Anfangs lehnten diese Banken RFC-Gelder ab, aber das änderte sich bald. Immer mehr Banken, die gedacht hatten, aus eigener Kraft ihre Geschäfte weiterführen zu können, nahmen RDC-Liquiditätsspritzen an. Bis Juni 1935 hatte die RFC etwa 1,3 Milliarden Dollar in 6800 angeschlagene Banken investiert. Das bedeutete, daß die RFC mehr als ein Drittel allen ausstehenden Kapitals im amerikanischen Bankensystem hielt. Die RFC war nun sicher, daß die Banken stabil waren, und sie begann sich zurückzuziehen und die Beteiligungen abzubauen, ein Prozeß, der nach wenigen Jahren abgeschlossen war.
Das Banken-Notstandsgesetz von 1933 war aber nur eine Teilreorganisation: Ein großer Teil der spekulativen finanziellen Verpflichtungen der Banken wurde damit nicht abgeschrieben. Allerdings hatten die Depression und der Bankenkollaps schon einen beträchtlichen Teil dieser spekulativen Schuldverschreibungen vernichtet. Dem Gesetz entsprechend schickte man einige Banken in den Konkurs, andere wurden reorganisiert, sie durften ihre faulen Verpflichtungen abschreiben und mit Kapitalspritzen der RFC ihre Kredite und Sparkonten weiterführen.
Lyndon LaRouches Vorschlag für ein Insolvenzverfahren des ganzen Bankensystems ist viel umfassender. Er sieht vor, nicht einlösbare Zahlungsverpflichtungen im Umfang von etlichen Billionen Dollar abzuschreiben und die Konten von Bürgern und Unternehmen zu schützen, während gleichzeitig eine Nationalbank eingerichtet wird, die Kredit in die produktive Wirtschaft lenkt.
Ohne Roosevelts Maßnahmen wären viel mehr amerikanische Banken untergegangen als nur die 1100 Banken, die 1933 durch Konkursverwalter abgewickelt wurden. 1934 mußten nur noch 61 Handelsbanken schließen, im folgenden Jahr sogar nur noch 32. Roosevelt hatte es geschafft, der völlige Zusammenbruch des Systems war aufgehalten.
[h4]Die Kreditverknappung[/h4]
Gleichzeitig mußte Roosevelt Kredite in die Realwirtschaft lenken, aber die Bankeninteressen um die Häuser Morgan, Mellon und DuPont behinderten ihn dabei, wo sie konnten - während sie gleichzeitig, wie in der vorigen Folge beschrieben, einen Putsch gegen Roosevelt planten.
Im Depressionsjahr 1931 betrugen die Kredite der US-Banken in die US-Wirtschaft 38,1 Mrd. Dollar, was weit unter dem Niveau von 1929 lag. Ende 1935, nach zweieinhalb Jahren New Deal, war diese Kreditvergabe an die Wirtschaft nicht etwa gestiegen, sondern die immer noch stark von der Wall Street beeinflußten Banken hatten diese Kredite auf 20,3 Mrd. Dollar beschnitten - gegenüber 1931 also nochmals ein Rückgang um fast 50 Prozent! Anstatt die Wirtschaft über produktive Kredite anzukurbeln, kauften sie Regierungsobligationen. 1929 waren 21 Prozent der Bankengelder in US-Regierungsanleihen investiert, 1934 waren es 58 Prozent. Die Banken wollten damit die produktive Wirtschaft in die Knie zwingen und gleichzeitig von den Staatsanleihen profitieren.
Vergebens appellierte Roosevelt in persönlichen Gesprächen und öffentlichen Auftritten an die Banken, mit dem New Deal zusammenzuarbeiten. Er kannte den verräterischen Tory-Hintergrund dieser Bankiers sehr gut. Am Abend seiner Inauguration schrieb er einem Bekannten, in seinem Kabinett "kennt keiner den Weg zur Wall Street Nr. 23" - dem Sitz des allmächtigen und besonders probritischen Bankhauses Morgan. "Es gibt keinen, der in irgendeiner Weise mit dem Trust der Macht oder mit den internationalen Bankiers verbunden ist."
Um die destruktive Herrschaft der Wall Street über die Realwirtschaft zu brechen, kooperierte der Präsident eng mit dem Banken- und Währungsausschuß des Senats und dessen Chefberater, dem Ferdinand Pecora, einem lebhaften und sehr beharrlichen Mann. Pecora leitete die Untersuchungen des Ausschusses über die Hintergründe der Spekulationsblasen der Wall Street. Diese Anhörungen begannen 1933. Pecora lud J.P. Morgans Sohn Jack Morgan - inzwischen Chef des Bankenimperiums - sowie andere Spitzenmanager Morgans und weitere führende Vertreter der Wall Street vor den Ausschuß.
Die dort gemachten Aussagen enthüllten, wie die Wall Street gezielt finanzielle Kartenhäuser geschaffen und Spitzenpolitiker bis hin zum früheren Präsidenten Coolidge bestochen hatte. Eine direkte Reaktion auf die Anhörungen war das Glass-Steagall-Gesetz von 1933, das Investmentbanken und Handelsbanken streng voneinander trennte, Insiderkredite von Banken an ihre Partner untersagte und die Bundeseinlagenversicherung FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) ins Leben rief, womit die kleinen Sparer zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte versichert waren.
Das Glass-Steagall-Gesetz war Teil eines ganzen Pakets neuer Regelungen an der Wall Street. Dazu gehörte auch das Wertpapier- und Börsengesetz von 1934, mit dem verschiedene Wall-Street-Spekulationen unterbunden und die Börsenaufsicht SEC geschaffen wurden. Jedes der Gesetze entfaltete eine nützliche Wirkung, auch wenn es nur auf einen bestimmten Bereich zugeschnitten war, die stärkste Wirkung aber lag in ihrer Gesamtheit.
Roosevelt kämpfte noch an zwei anderen Fronten gegen die "finanziellen Royalisten", wie er sie nannte. Er nutzte alle seine Befugnisse, um die Zinsen für kurzfristige Kredite zu senken, von 4,2 Prozent 1932 auf 2,5 Prozent 1935 und 2,1 Prozent 1939. Und er beschloß, sich ein Instrument zu schaffen, das direkt Kredit in die Wirtschaft lenkt.
Dieses Instrument war die RFC. Roosevelt hatte sie, wie gesagt, schon 1933 für die Bankenstabilisierung benutzt. Ihm gefiel die Art, wie die RFC gegründet worden war. Anfänglich hatte sie Börsenkapital ausgegeben, das von der Regierung gekauft wurde, d.h. sie war Regierungseigentum. Aber die RFC war ein finanziell unabhängiges, sich selbst tragendes öffentliches Unternehmen, das durch seinen eigenen Umlauffonds eine unabhängige Politik verfolgen konnte, indem es über das Finanzministerium eigene Anleihen an die Öffentlichkeit verkaufte.
Roosevelt entschied nun, die Handlungsfähigkeit der RFC weit über die Arbeit mit den Banken hinaus auszudehnen. Sie vergab für nützliche Wiederaufbauzwecke Kredite, die, wenn sie mit Zinsen zurückgezahlt wurden, den Geldbestand der RFC vergrößerten, so daß sie noch mehr verleihen konnte. So arbeitete sie praktisch wie eine Bank, und in den späten 30er Jahren wurde sie einer der größten Investoren in Wirtschaftsprojekte, ja am Volumen der Kreditvergabe gemessen sogar die größte Bank in den USA. Der Kongreß mußte nicht jedem ihrer wichtigen Projekte einzeln zustimmen, weil sie finanziell eigenständig und somit von Bundesmitteln unabhängig war.
[h4]Die RFC und der Aufschwung[/h4]
Als Roosevelt sein Amt antrat, ernannte er umgehend einen neuen Direktor für die RFC: Jesse Jones, ein hochgewachsener früherer Holzfäller und Bankier aus Texas, der das Mißtrauen des Präsidenten gegenüber der Wall Street teilte. Roosevelt und Jones durchschauten die Bankiers, die gezielt den Kredit verknappten, und im Sommer 1934 griffen sie ein, um diese Lage zu verändern. Im Juni setzte Roosevelt im Kongreß eine Satzungsänderung der RFC durch, dank der sie nun direkte Darlehen an Handel und Industrie vergeben konnte.
Auf einer Tagung der Amerikanischen Bankenvereinigung erklärte Roosevelt 1934: "Die alte, falsche Vorstellung, die Bankiers auf der einen Seite und die Regierung auf der anderen Seite seien zwei mehr oder weniger gleichberechtigte und unabhängige Einheiten, existiert nicht mehr. Aus der Notwendigkeit der Situation heraus muß die Regierung die Führung übernehmen, sie muß der Richter über die widerstreitenden Interessen aller Gruppen der Gemeinschaft sein, eingeschlossen Bankiers."
Auf Anregung Roosevelts stellte die RFC wichtigen öffentlichen Einrichtungen Kapital zur Verfügung. Die Aktivitäten dieser Stellen reichten von der Abwendung von Zwangsversteigerungen bis hin zu Lohnzahlungen an Beschäftigte in staatlichen Infrastrukturbauvorhaben. Von 1933-38 gab die RFC 9,5 Milliarden Dollar aus. 4 Mrd. Dollar davon gingen an Banken, jeweils mehr als 1 Mrd. flossen in öffentliche Bauvorhaben und in den Eisenbahnbau, 1,5 Mrd. in die Landwirtschaft und mehrere hundert Millionen in den Wohnungsbau. Für die damalige Zeit waren das beträchtliche Summen - und die Wirkung dieser RFC-Zahlungen für Landwirtschaft, Wohnungsbau usw. vervielfachte sich noch: Wo immer man mit diesen Geldern Infrastrukturvorhaben finanzierte, gab es zahlreiche Folgeaufträge, welche die Produktion und Beschäftigung im privaten Sektor anregten.
1938-39 wurden die dirigistischen Aktivitäten der RFC über Regierungsstellen massiv zurückgeschraubt. Aber mit dem Beginn der wirtschaftlichen Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg wurde die RFC wieder ein wesentliches Instrument für das Wirtschaftswachstum.
Insgesamt gab die RFC von 1933-45 Kredite von 33 Mrd. Dollar aus, eine gewaltige Summe, mehr als das Kreditvolumen des gesamten kommerziellen Bankensystems zur gleichen Zeit. Und die Kredite der RFC waren stets darauf angelegt, vervielfältigende Wirkungen zu hervorzurufen. Ihr direkter Kredit wirkte wie ein Katalysator, der die Wirtschaft vorantrieb.
1947, nach Roosevelts Tod, verwaltet dieselbe RFC die Gelder der amerikanischen Regierung für den Marshall-Plan in Europa. Nicht zufällig wurde die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg so erfolgreich wieder aufbaute, nach dem Vorbild der RFC eingerichtet. Einige der KfW-Gründer orientierten sich an den positivsten Aspekten der RFC. In den ersten Diskussionen über die Gestaltung der KfW 1947 wurde sogar der Name Wiederaufbau-Kredit-Gesellschaft oder Reconstruction Loan Corporation gebraucht. Hermann Abs hatte zwar eigene Ideen für die Kreditschöpfung, aber er und andere deutsche Fachleute waren mit der Arbeitsweise der RFC bestens vertraut.
[head]III. Teil[/head]
[i]Der erste Teil befaßte sich mit den Ursachen dieser Depression; im zweiten Teil ging es um Roosevelts wirtschaftspolitische Großtat, den berühmten "New Deal". Im folgenden Teil stehen die Infrastrukturprogramme im Mittelpunkt.[/i]
[h4]2. Infrastruktur[/h4]
Die Depression verursachte viel Leid und Not, aber sie bot auch die Chance, moderne Technik in den Wirtschaftsprozeß einzubringen, indem man neue Infrastrukturvorhaben baute, die ohnehin dringend benötigt wurden und oft schon seit Jahren als Ideen in den Köpfen von Ingenieuren, patriotischen Politikern und anderen existierten. Der "New Deal" verwirklichte wirtschaftliche Infrastruktur und erreichte damit drei miteinander verwobene Ziele.
Erstens baute Roosevelt einige der größten Wasserkraft- und Wasserwirtschaftsprojekte der amerikanischen Geschichte. Das Kernstück bildete dabei die Tennessee Valley Authority (TVA) als Entwicklungsbehörde für das gesamte Einzugsgebiet des Tennessee, die ein wirtschaftlich völlig rückständiges Gebiet der früheren Konföderierten Staaten revolutionär modernisierte. Die TVA und andere Wassergroßprojekte waren die Hauptpfeiler der landesweiten Wirtschaftsentwicklung, doch hinzu kamen in den übrigen Landesteilen zwischen 1933-39 mehr als 45000 Projekte in den fünf grundlegenden Infrastrukturbereichen.
Zweitens bot die Infrastruktur Millionen von Arbeitern produktive Beschäftigung und eine Grundlage zur Versorgung ihrer Familien.
Drittens regten die staatlichen Infrastrukturbauten über Auftragsvergabe und Zulieferverträge auch die übrige Wirtschaft an. Für die Vorhaben benötigte man unterschiedlichste Materialien wie Stahlträger, Zement, Ziegel, Kräne, Baumaschinen, Werkzeugmaschinen u.v.m. - ungenutzte Fabriken nahmen ihre Produktion wieder auf, um solche Aufträge auszuführen und stellten in den von der Depression betroffenen Wirtschaftszweigen Arbeitskräfte wieder ein.
[h4]Entwicklungsprojekte "an allen vier Enden"[/h4]
Am 21. September 1932 präsentierte Roosevelt bei einer Wahlkampfveranstaltung in Portland/Oregon seinen kühnen Plan für vier Infrastrukturgroßprojekte als wichtigste Grundlage zur Bekämpfung der Depression:
"Wie Sie in diesem Teil des Landes alle wissen, gibt es hier am Columbia-Fluß ein enormes Potential für die Stromerzeugung. Und ich erkläre hiermit definitiv und bestimmt, daß die nächste große Wasserkraftentwicklung, die die Bundesregierung in Angriff nehmen wird, hier am Columbia sein muß.
Damit haben wir vier große Energievorhaben der Regierung der Vereinigten Staaten: den Sankt-Lorenz-Strom im Nordosten, [das erste TVA-Projekt] Muscle Shoals im Südosten, den Boulderdamm [später: Hooverdamm] im Südwesten am Colorado-Fluß und nicht zuletzt am Columbia-Fluß im Nordwesten [der Große Coulee- und Bonneville-Damm]. Jedes einzelne davon, an allen vier Enden der Vereinigten Staaten, wird für alle Zeit ein nationaler Maßstab dafür sein, eine Erpressung der Allgemeinheit zu verhindern und die umfassendere Nutzung dieses Dieners des Volkes - des elektrisches Stromes - zu befördern."
Am eindrucksvollsten ist die Arbeit der Tennessee Valley Authority in Südosten der USA. Diese Region war damals extrem unterentwickelt. Das hatte im wesentlichen zwei Gründe: einen natürlichen, nämlich die Beschaffenheit des Tennessee-Flusses und die starken regionalen Regenfälle, und einen politischen, nämlich das historische Erbe der Südstaatenkonföderation.
Durchschnittlich fallen pro Jahr im Tal des Tennessee 132 cm Niederschlag, was den Landesdurchschnitt um etliches übersteigt, in einigen Teilen des Tals sogar mehr als zwei Meter. Die zerstörerischen Fluten rissen immer wieder die Ackerkrume fort und entzogen so dem Boden die Nährstoffe. Theoretisch umfaßte die landwirtschaftliche Nutzfläche im Tal schätzungsweise 1,8 Mio. ha, aber die Überschwemmungen engten die Landwirtschaft auf 0,6 Mio. ha ein, und selbst diese konnten nur zeitweise bearbeitet werden. Es gab keine Industrieansiedlungen in der Region, und in regelmäßigen Abständen überschwemmten und zerstörten die Fluten Teile von Städten wie Chattanooga/Tennessee.
Der zweite verheerende Einfluß war das Erbe der feudalen Konföderation, das den Süden fast drei Generationen nach dem Bürgerkrieg immer noch in Rückständigkeit hielt. Der Abgeordnete Thaddäus Stephens hatte nach dem Bürgerkrieg versucht, den Süden wiederaufzubauen und zu industrialisieren. Aber die Anhänger der Konföderation und ihre Werkzeuge wie der Ku-Klux-Klan stellten sich quer.
Diese ererbte Rückständigkeit drückte sich u.a. auch darin aus, daß Mitte der 20er Jahre in Teilen des Tennessee-Tals 30-40% der Bevölkerung an Malaria litten und weitere Seuchen wie Pocken und Typhus um sich griffen. In vielen Gebieten existierten kaum sanitäre Anlagen und überhaupt keine Krankenhäuser. Die schulische Versorgung war mangelhaft, in vielen Orten konnte die Hälfte der Einwohner nicht lesen und schreiben. Große Gebiete waren noch nicht an die Stromversorgung angeschlossen: Im Staat Tennessee verfügten nur 3% der Landwirte über elektrischen Strom und in Mississippi sogar nur 1%.
Es war praktisch eine erzwungene Unterentwicklung, durchaus vergleichbar den Lebensbedingungen in ärmeren Teilen Südamerikas, Asiens und Afrikas heute. Ein Reisender, der durch das Tennessee-Tal wanderte, konnte sich an manchem Ort direkt ins europäische Mittelalter versetzt fühlen.
Roosevelt schritt zur Tat, um das Erbe der Konföderierten zu überwinden und diese Rückständigkeit zu bekämpfen.
[h4]Der Aufbau der TVA[/h4]
Am 10. April 1933 forderte Roosevelt den Kongreß auf, für das Tennessee-Tal eine eigene Entwicklungsbehörde, eben die Tennessee Valley Authority, einzurichten. Die TVA solle die Befugnisse einer Regierungsbehörde mit der Flexibilität und Initiative eines privaten Unternehmens verbinden, schrieb er in seiner Botschaft an den Kongreß.
Die TVA wurde gegründet, und Roosevelt ernannte ihre drei Direktoren: Harcourt Morgan, Arthur A. Morgan sowie David Lilienthal, der später ihr Vorsitzender wurde. 1944, als die TVA schon 20 Wasserkraftwerke am Tennessee gebaut hatte, schrieb Lilienthal darüber ein Buch mit dem Titel TVA - [i]Democracy On The March[/i], das 1950 im Paul-List-Verlag unter dem Titel Das elektrische Stromtal Tennessee erschien. Er beschreibt darin die Arbeiten:
"In Hitze und Kälte, in strömendem Regen und unter der brennenden Augustsonne haben Zehntausende von Männern gehackt und gesprengt, haben die Mannschaften und Traktoren Material herangeschleppt und 70000 Hektar Land gerodet, das jetzt von Seen bedeckt ist. Sie haben fast 2000 Kilometer Autostraßen und über 200 Kilometer Bahnstrecken gebaut und umgelegt. Mit tausend Tonnen Sprengstoff und riesigen elektrischen Schaufeln haben sie beinahe 30 Millionen Kubikmeter Gestein und Erde ausgebaggert, um die Fundamente für die Dämme zu schaffen - Schächte, die zusammen so breit und tief sind, daß man 20 Gebäude von der Größe des Empire State Building in New York in ihnen versenken könnte. Um den Strom einzudämmen, haben die Männer der TVA 100 Millionen Kubikmeter Beton, Steingeröll und Erde herangeschafft... mehr [Material] als zwölfmal die Masse der sieben großen ägyptischen Pyramiden."
Mit Hilfe moderner Technik konnte die TVA Staudämme und Wasserkraftwerke in sehr kurzer Zeit bauen. Der Fontana-Damm am südöstlichen Tennessee, der größte Damm östlich des Mississippi, wurde 1941-42 in nur 18 Monaten errichtet. Es wurde rund um die Uhr daran gearbeitet; dazu setzte man ein neu entwickeltes Wasserkühlungssystem ein, das den frischgegossenen Beton rasch und gleichmäßig abkühlte, damit man neuen Beton gleich daneben gießen konnte.
Ebenso wichtig war aber die Qualifizierung der Arbeitskraft. Beispielsweise beschäftigte man Indianer in wichtigen Arbeiten am Fontana-Damm. Am Fontana-Damm gibt es ein kleines Dokumentationszentrum über den Bau mit einer sehr schönen Fotografie, auf der ein Indianer einen riesigen Bulldozer lenkt, dem Konzentration, Stolz und Freude an der Arbeit ins Gesicht geschrieben sind.
1933 wurde noch nicht viel Strom in der Region erzeugt, aber schon 1939 erzeugten die Wasserkraftwerke der TVA 2 Milliarden KWh Strom. 1945 war es das Sechsfache, fast 12 Mrd. KWh. Heute sind es jährlich 166 Mrd. KWh.
Die Gegner des New Deal versuchten übrigens mit allen Mitteln, die Arbeit der TVA zu behindern. Die zum Morgan-Konzern gehörende Elektrizitätsgesellschaft C&S und die von den Familien Morgan, Mellon und du Pont behrrschte Amerikanische Freiheits-Liga strengten nicht weniger als 57 verschiedene Gerichtsprozesse gegen die TVA an, um die Einstellung der Arbeiten zu erzwingen! Im Januar 1938 entschied der Oberste Gerichtshof, der eigentlich gegen den New Deal war, nach jahrelangem Hinauszögern in einem der Präzedenzfälle, daß die TVA verfassungsgemäß sei. Von da ab konnte die Arbeit beschleunigt vorangehen.
[h4]Revolutionäre Umwälzungen[/h4]
Die TVA vereinte in einer Hand den Bau von Wasserkraftwerken, Hochwasserschutz, Bewässerung, wissenschaftliche Landwirtschaft, Förderung des Handwerks, Kampf gegen Krankheiten, Beseitigung von Analphabetismus sowie Elektrifizierung, um auf diese Weise eine ganze Region grundlegend zu verändern.
Dank der TVA stieg der Stromverbrauch massiv an. 1933 verbrauchte ein Bewohner des Tennessee-Tals im Schnitt nur 60% der Strommenge eines durchschnittlichen Amerikaners. Doch 1939 hatte das Tal den Landesverbrauch überrundet - jetzt lag der durchschnittliche Stromverbrauch am Tennessee ein Viertel über dem Landesschnitt. Dieser wundersame Wandel wirkte sich auf alle Lebensbereiche der Menschen aus. Gleichzeitig konnte die TVA den Strompreis senken: 1933 kostete eine Kilowattstunde durchschnittlich etwas über 7 Cent, 1935 nur noch etwa 2,5 Cent - eine Verbilligung um fast zwei Drittel.
Die TVA modernisierte auch massiv die Landwirtschaft. Sie richtete in der Region 15000 Musterfarmen ein, wo Agronomen mit den Farmern nach neuesten wissenschaftlichen Methoden zusammenarbeiteten. Dazu gehörten u.a. ein vermehrter Einsatz von Düngemitteln (die oft von der TVA selbst hergestellt und günstig an die Farmer verkauft wurden), Stromanschluß und billigen Strom, der den Farmern verstärkerten Einsatz von Maschinen ermöglichte, oder der Bau von Stufen an Berghängen, um Wasserverluste und Bodenerosion zu verringern. Zwischen 1933-43 verdreifachten sich die Hektarerträge der TVA-Musterfarmen. Aus dem ganzen Tal kamen Farmer angereist, um die Methoden der Musterfarmen zu studieren und dann zuhause anzuwenden, und so stieg im ganzen Tal die Produktivität.
Dank des Hochwasserschutzes und der guten Stromversorgung konnte die TVA auch Fabriken in der Region ansiedeln, was vorher kaum möglich gewesen war. Unter anderem baute man Fabriken, die Aluminium für Militärflugzeuge produzierten. 1930 kamen im Tal vier Landarbeiter auf einen Fabrikarbeiter, aber 1960 waren es zwei Fabrikarbeiter auf einen Landarbeiter. Das zeigt den erstaunlichen Wandel in der Zusammensetzung der Arbeitskraft innerhalb von nur 30 Jahren dank einer raschen Industrialisierung und Modernisierung - die gleichzeitig auch den einzelnen Landwirt viel produktiver machte.
Die TVA nahm als Entwicklungsbehörde auch andere Probleme in Angriff. Sie richtete eine eigene Gesundheits- und Sicherheitsabteilung ein. Mitte der 40er Jahre war die einst grassierende Malaria fast ganz ausgerottet. Die Bundesregierung und die TVA organisierten gemeinsam Programme zur Verbesserung der sanitären Verhältnisse und führten Impfungen gegen Pocken, Typhus und Diphtherie durch. Um den verbreiteten Analphabetismus zu beseitigen, besorgten die TVA und andere Regierungsbehörden Bücher und richteten Büchereien ein - darunter auch "Büchereien auf Rädern", um die Menschen in den entlegeneren Teilen der Region zu erreichen. Anfangs verteilte die TVA 52000 Bücher an 200 Orten. 1951 gaben die Büchereien etwa eineinhalb Millionen Bücher aus.
Schließlich machte sich die Regierung den Überfluß an Elektrizität auch zunutze, um bei Oak Ridge in Tennessee ein kerntechnisches Forschungs- und Entwicklungszentrum einzurichten, das anfangs Teil des Manhattan-Projekts im Kriege war und später eine der führenden Kernforschungseinrichtungen Amerikas wurde. Eine Region, die zuvor von Rückständigkeit geprägt war, verfügte nun über eines der modernsten Forschungs- und Entwicklungszentren der Welt.
In seinem schon erwähnten Buch Das elektrische Stromtal Tennessee drückte der TVA-Vorsitzende David Lilienthal das höhere Ziel der TVA so aus: "Heute, nach zehn Jahren der Arbeit der TVA, arbeitet endlich grenzenlose Energie für die Menschen, die in diesem Tal leben. Dies gilt bisher nur für einige wenige der Tausenden von Flüssen in der Welt. Aber es könnte für viele Wirklichkeit werden, vielleicht sogar für die meisten. Die Arbeit daran wird in unserer Zeit begonnen werden und kann sogar noch zu Lebzeiten der heute lebenden Menschen abgeschlossen werden. Es gibt fast nichts, wie fantastisch es auch immer anmuten mag, das nicht (bei kompetenter Organisation) von einem Team aus Ingenieuren, Wissenschaftlern und Verwaltungsleuten geleistet werden könnte. Unmögliches kann erreicht werden und wird jetzt in der Mitte des 20. Jahrhunderts auch erreicht werden."
Die TVA sorgte für eine demographische Revolution, eine drastische Erhöhung der potentiellen Bevölkerungsdichte im Tennessee-Tal. Die TVA unter Roosevelt war ein erfolgreiches Modell dafür, wie eine rückständige Region - in welchem Teil der Welt auch immer - in kurzer Zeit einen gewaltigen Entwicklungs- und Wachstumssprung schaffen konnte.
[h4]Ein Vorbild für Entwicklungsplanung[/h4]
Viele Nationen nutzten die Erfahrungen der TVA mit Wirtschaftsplanung, sie sahen in ihr das Modell einer integrierten regionalen Entwicklung und sandten Vertreter zu Besuchen. Die Behörde half den großen Plan für den Drei-Schluchten-Damm am Yangtse in China entwickeln.
Schon seit der Gründung arbeite die TVA mit chinesischen Ingenieuren und Politikern zusammen. Vor dem Krieg besuchten Ingenieure der chinesischen Kommission für nationale Rohstoffe die TVA, und während des Krieges war ein Elektroingenieur der TVA als Berater der chinesischen Behörde für Rüstungsproduktion tätig. Zwischen dem chinesischen Botschafter in den USA, Hu Shih, und TVA-Direktor Lilienthal entwickelten sich eine enge freundschaftliche Beziehung. 1939 schlug Botschafter Hu Lilienthal vor, nach Ende des Krieges solle die TVA am Wiederaufbau Chinas mitarbeiten. In diesem Rahmen fanden auch Planungstreffen für das Projekt des Drei-Schluchten-Dammes statt. Im Dezember 1944 reisten 26 chinesische Industrievertreter durch das Tennessee-Tal und führten zehn Tage lang intensive Gespräche.
Am 6. Februar 1945 traf Lilienthal den früheren Leiter der Behörde für Rüstungsproduktion (U.S. War Production Board) Don Nelson, der nun als Roosevelts persönlicher Vertreter nach China gehen würde. Bei ihrem Treffen sprachen Lilienthal und Nelson auch über das Drei-Schluchten-Projekt am Jangtse als Kern einer "chinesischen TVA".
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Pläne für viele "TVAs" in weiten Teilen der Welt geschmiedet. Ein für den Jordan konzipiertes Programm im Nahen Osten scheiterte an den kriegerischen Auseinandersetzungen, die weitgehend auf das Konto der Briten gingen. In den 60er Jahren wurde im Iran eine am Vorbild der TVA orientierte Behörde für Wasserregulierung und Stromversorgung eingerichtet. Auch für Indien wurden Projektstudien betrieben, die aber von britischen Kreisen hintertrieben wurden. So erarbeitete der Wissenschaftler Perry Stout am Laboratorium von Oak Ridge in Tennessee eine Studie mit dem Titel Potentielle landwirtschaftliche Erzeugung durch kernkraftbetriebene agro-industrielle Komplexe für die obere Indo-Ganges-Ebene. Diese Komplexe, die sog. "Nuplexe", umfaßten Kernkraftwerke, Fabriken, Verkehrssysteme und anderes.
Franklin Roosevelt beabsichtigte, sechs weitere TVAs in den Vereinigten Staaten und viele mehr ringsum in der Welt aufzubauen. Mit der übergreifenden Aufgabe des Aufbaus der Eurasischen Landbrücke ist dieser Ansatz auch heute noch absolut angemessen.
[h4]Die anderen Stützpfeiler der Entwicklung[/h4]
Als die TVA erfolgreich arbeitete, wandte Roosevelt sich den anderen drei "Enden" infrastruktureller Entwicklung zu, um damit nicht nur die betreffenden Regionen, sondern die Vereinigten Staaten insgesamt zu entwickeln.
Im Südwesten des Landes war das Kernstück der Hoover-Damm. Der Colorado fließt zuerst durch die Rocky Mountains in Wyoming und Colorado und dann südlich durch Arizona und Nevada. Sein Stromgebiet umfaßt etwa 648000 Quadratkilometer in sieben Bundesstaaten. Im Frühjahr brachte der anschwellende Fluß heftige Überschwemmungen, während abseits davon auf weiten Strecken großer Wassermangel herrschte.
Die Planung und Entwicklung des Dammprojektes hatte Mitte 1931 unter der Regierung Hoover begonnen, war aber eingeschlafen, bis Roosevelt es wieder aufgriff. Als Standort des Damms wurde der Black Canyon bei Las Vegas in Nevada ausgewählt. Dort gab es eine tiefe Schlucht mit einem sehr steilen Abfall. Die Tagestemperaturen konnten hier über 40C° erreichen. Da die Baustelle in einer abgelegenen öden Gegend lag, mußte man alles Notwendige hinbringen bzw. vor Ort aufbauen: Maschinenlager, Kompressoren, zwei riesige Betonmischer, Wohnungen und Läden für die Arbeiter usw. Um die Gegend mit Strom zu versorgen, mußte vom kalifornischen San Bernadino aus eine 350 km lange Stromleitung durch die Wüste verlegt werden.
Die Bauarbeiten für den Damm begannen 250 Meter unterhalb des oberen Rand des Canyons, ein Teil der Baustelle war mit normalen Mitteln überhaupt nicht zugänglich. Techniker und Arbeiter standen vor einer großen Herausforderung. Sie spannten schwere Kabel quer über den Canyon und senkten wichtige Bauelemente in den Canyon herab. Für die Arbeiter baute man eine ganz neue, moderne Stadt. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es, die Arbeiter "kamen in schrottreifen Autos, einige kamen zu Fuß. Manche waren unterernährt..."
Der fertige 225 Meter hohe Damm war damals der höchste der Welt und enthielt zahlreiche technische Neuerungen, u.a. einen Zwillingsableitungstunnel. Das U-förmige Kraftwerk des Damms erzeugte zu Beginn 1,33 Mio. Kilowatt (Gigawatt) Strom. Der Hoover-Damm lenkte den nun gebändigten Colorado durch den Allamerikanischen Kanal, der damals erbaut wurde, zum Imperial Valley im südlichen Kalifornien. Diese frühere Wüste wurde nun die größte Gemüseanbauregion Amerikas. Mithilfe eines speziell dazu erbauten Kanal- und Pumpennetzes lenkte der Hoover-Damm den Colorado so um, daß dieser der Stadt Los Angeles den Großteil ihres Wassers lieferte. Stromerzeugung und Wasserversorgung zusammengenommen ließen die Wüste blühen, die Bevölkerung und die Industrie wachsen und in vorher oft unbewohnbaren Regionen im Südwesten und Westen der USA neue Städte entstehen.
Für den Nordwesten der USA hatte Roosevelt als Großprojekte den Grand-Coulee-Damm und den Bonneville-Damm vorgesehen. Die Wassermenge, die der Columbia pro Sekunde transportiert, gehört zu den größten der Welt. Seine Quellflüsse entspringen in British Columbia in Kanada, dann fließt er südwärts durch die US-Bundesstaaten Washington, Oregon, Idaho und Montana. Das Stromgebiet des Columbia bedeckt ca. 570000 Quadratkilometer im amerikanischen Nordwesten sowie weitere 100000 Quadratkilometer im westlichen Kanada. Der Strom trat zu jener Zeit immer wieder über die Ufer und löste massive Überschwemmungen aus, während andererseits ein großer Teil der nordwestlichen landwirtschaftlichen Flächen aufgrund von Wassermangel nicht bearbeitet werden konnte.
Am Columbia und seinen Quellflüssen wurde eine Kette von Wasserkraftwerken und Staudämmen errichtet, die das Flußbett regulierten. Zu den wichtigsten und größten dieser Dammbauten gehören der Grand Coulee-Damm im Staat Washington und der Bonneville-Damm. Beide waren ein technisches Meisterwerk. Der Grand-Coulee-Damm ist 1625 Meter hoch und 1272 Meter lang. 10,5 Millionen Kubikmeter Beton wurde hier verbaut, was ihn zum größten Betonbau der Welt macht. Aufgrund seiner gewaltigen Generatoren war er das größte Wasserkraftwerk der Welt, bis 1980 in Brasilien das Itaipu-Staudamm mit einem Wasserkraftwerk errichtet wurde.
Schließlich bleibt noch das Infrastrukturgroßprojekt im Nordosten der USA am St.-Lawrence-Strom, der als ein Ausläufer des Großen Seen nordöstlich zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada bis zum Atlantischen Ozean fließt. Fast entlang des ganzen Flußverlaufs bestand die Möglichkeit, Wasserkraftwerke zu errichten. Roosevelt hatte sich bereits 1911, als er Senator des Staates New York war, für den Ausbau der Wasserkraft in dieser Region eingesetzt und hielt sein ganzes Leben lang daran fest. Da es aber zu keiner vertraglichen Vereinbarung über die Zusammenarbeit an diesem Projekt mit Kanada kam, konnte Roosevelt es nicht zu seiner Lebenszeit verwirklichen. Als dieses Großprojekt dann 1950 vollendet werden konnte, erfüllte es alle Erwartungen, die man in es gesetzt hatte.
Diese vier Großprojekte verwandelten ganze Regionen von immenser Größe, und die ersten drei bewirkten in den 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts einen bemerkenswerten Anstieg der Produktivität für die gesamten Vereinigten Staaten. Es gab viele weitere Großprojekte, von denen die Ländliche Elektrifizierungsverwaltung und das Projekt der Regulierung des Mississippi besondere Aufmerksamkeit verdienen.
1934 verfügten 49,2 Millionen Bewohner ländlicher Regionen über keinen Stromanschluß - das entspricht einem Anteil von 89% der gesamten Landbevölkerung. Roosevelt gelang es, die Stromerzeugungskapazitäten massiv auszuweiten. Aber es blieb schwierig, diesen Strom dann in die entlegenen Regionen zu liefern. 1935/36 richtete er die Ländliche Elektrifizierungsverwaltung (REA), die die Aufgabe hatte, die Elektrifizierung der Landwirtschaft voranzutreiben. Die REA stellte Genossenschaften Kredite zur Verfügung, damit diese Stromleitungen errichten und Strom bezahlen konnten. In der Mitte der 70er Jahre waren im Rahmen der REA-Programme 2,9 Millionen Kilometer verlegt worden, das entspricht der Hälfte des Stromnetzes des ganzen Landes.1933 verfügte nur jeder zehnte Farmer über einen Stromanschluß. Bis 1948 hatte sich dieser Anteil auf 45% erhöht und erreichte 1955, als die REA- und "New Deal"-Projekte ans Netz gingen, 88%. Auf diese Weise wurde das produktive Potential der ländlichen Gemeinden angehoben.
[head]IV. Teil[/head]
[i]Der erste und zweite Teil befaßten sich mit den Ursachen dieser Depression und mit Roosevelts wirtschaftspolitischer Großtat, den berühmten "New Deal". Im dritten Teil und im folgenden letzten Teil stehen die Infrastrukturprogramme im Mittelpunkt.[/i]
[h4]3. Beschäftigung in öffentlichen Arbeiten[/h4]
Am 6. Juni 1933 unterzeichnete Präsident Roosevelt das "Gesetz für den industriellen Aufschwung" (National Industrial Recovery Act, NIRA). NIRA war ein Gemenge aus teilweise widersprüchlichen Maßnahmen, aber Roosevelt hat wiederholt betont, daß Abschnitt II dieses Gesetzes - "Öffentliche Vorhaben und Bauprojekte" - für seine Wiederaufbaupolitik ganz entscheidend war. Mit diesem Abschnitt schuf er die Behörde für staatliche Bauvorhaben (Public Works Administration, PWA), über die der Staat die Einstellung von Arbeitslosen in öffentlichen Bauvorhaben organisierte - alles von Häfen, Brücken, Straßen und Eisenbahnen bis zu Flußregulierung und Hochwasserschutz. Innerhalb von zwei Jahren wurden nach Abschnitt II des NIRA-Gesetzes 3,3 Mrd. Dollar für öffentliche Bauvorhaben vergeben, beinahe 30% des Bundeshaushalts - mehr als die USA jemals vorher oder nachher für staatliche Infrastruktur ausgegeben haben.
In seiner Amtsantrittsrede am 4. März 1933 erklärte Roosevelt es zu seinem vorrangigen Zeil, den Menschen Arbeit zu verschaffen, und einte die Bürger für diese nationale Aufgabe. Im Januar 1933 lag die Arbeitslosigkeit offiziell bei 12,83 Millionen oder 24,9% der Arbeitskräfte. Tatsächlich lag sie noch viel höher, wie Roosevelt sehr wohl wußte. In der Industriestadt Detroit etwa waren nach Angaben des Bürgermeisteramtes mehr als 350000 von 689000 potentiellen Arbeitnehmern - also über die Hälfte - ganz ohne Arbeit, viele andere mußten kurzarbeiten.
Bis Roosevelt sie später einführte, gab es keine nationale Arbeitslosenversicherung, und auf Länderebene nur in zwei Bundesstaaten. Wer seine Arbeit verloren hatte, war auf staatliche und lokale Fürsorge angewiesen, die aber schon Mitte 1932 wegen der Wirtschaftskrise ganz weggefallen war oder kaum zum Überleben reichte. Auch die Möglichkeiten privater Hilfsorganisationen waren weitgehend erschöpft (ganz ähnlich wie heute).
An der Spitze der PWA stand Harold Ickes, der auch Roosevelts Innenminister war. Im November 1933 entstand als zweite Behörde für Staatsprojekte das Amt für Zivile Arbeiten (Civil Works Administration, CWA), das von Harry Hopkins geleitet wurde - der Nachfolger war das Amt für Arbeitsentwicklung (Works Progress Administration, WPA). Die dritte Behörde für Staatsvorhaben, das Zivilcorps für Instandhaltung (Civilian Conservation Corps, CCC), beschäftigte vor allem Jugendliche.
Diese öffentlichen Bauvorhaben hatten einen dreifachen Zweck: die Schaffung "harter" und "weicher" wirtschaftlicher Infrastruktur, die Schaffung von Arbeitsplätzen zur Wiederherstellung der Arbeitskraft des Landes und zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Familien sowie die Ankurbelung der produktiven Wirtschaft durch Zulieferer und andere Multiplikatoren. Tatsächlich konnte die Wirtschaft damit wieder in Gang gesetzt werden: In den 30er Jahren fanden jährlich etwa 3,1 Millionen Menschen Arbeit bei den öffentlichen Bauvorhaben, und wenn man den Vervielfältigungseffekt hinzurechnet, waren es ungefähr 7,1 Millionen Arbeitnehmer jährlich, die direkt oder indirekt darin beschäftigt waren.
[h4]Die Behörde für Zivile Arbeiten (CWA)[/h4]
Franklin Roosevelts engster Mitarbeiter im Bereich der staatlichen Bauvorhaben war Harry Hopkins. 1890 geboren in Sioux City in Iowa, lebte er später im Staat New York und leistete dort als Direktor des New Yorker Tuberkulose- und Gesundheitsverbandes ausgezeichnete Arbeit bei der Bekämpfung der Tuberkulose durch Verbesserung der schlechten medizinischen, sanitären und Wohnverhältnisse, die zur Verbreitung der Krankheit beitrugen. Hopkins leitete auch die Hilfsprogramme im Staat New York 1931-32, als Roosevelt dort Gouverneur war. Im Kriege war er dann einer der engsten Vertrauten und Unterhändler des Präsidenten in den Beziehungen zu Moskau. Der äußerlich oft ein wenig ungepflegt erscheinende Mann war flink, von oft beißendem Humor und stets bereit, entschlossen auszuführen, worum Roosevelt ihn bat.
Die erste New-Deal-Institution, die Hopkins leitete, war die Behörde für Bundesnothilfe (Federal Emergency Relief Administration, FERA), die am 12. Mai 1933 zur Verteilung von Arbeitslosenhilfe gegründet wurde. Typisch für Roosevelts Regierung war, daß sie nicht so sehr auf formale Organisationsprinzipien achtete, sondern auf das zu erreichende Ziel. An seinem ersten Arbeitstag, dem 20. Mai 1933, traf Hopkins Präsident Roosevelt und besprach mit ihm, was zu tun wäre. Es gab kein Organisationsschema seiner Behörde, ja nicht einmal ein Büro. Der Historiker William Leuchtenberg beschreibt Hopkins' erste Schritte bei der FERA: "Eine halbe Stunde, nachdem Hopkins das Weiße Haus verlassen hatte, stellte er im Flur des Gebäudes der RFC (Wiederaufbau-Finanzgesellschaft) einen Schreibtisch auf, und umgeben von leeren Umzugskisten, endlos schwarzen Kaffee in sich schüttend und kettenrauchend, gab er in seinen ersten zwei Stunden im Amt fünf Millionen Dollar aus."
Einer von Hopkins' Grundsätzen war: Arbeit ist besser als Hilfen für Arbeitslose. Im Frühherbst 1933 hörte er die Vorhersage, daß der Winter 1933/34 sehr hart würde, was dann auch eintrat, und er wußte, daß die Arbeiter dann Einkommen brauchten, um zu überleben. Deshalb überzeugte er Roosevelt, innerhalb der FERA die CWA einzurichten, was am 9. November 1933 geschah. Roosevelt zweigte für die Bauvorhaben der CWA einen Teil von den 3,3 Mrd. Dollar ab, die für die öffentlichen Bauvorhaben nach dem NIRA-Gesetz bestimmt waren.
Hopkins' CWA hatte eine etwas andere Zielsetzung als Harold Ickes' PWA. Die CWA spezialisierte sich auf kleine und mittlere Infrastrukturprojekte, und diese wurden grundsätzlich so geplant, daß man darin möglichst viele Menschen anstellen und so schnell wie möglich damit anfangen konnte. Das Hauptaufgabengebiet von Ickes' PWA waren dagegen die ganz großen Infrastrukturvorhaben, wie etwa der Grand-Coulee-Damm. In Ickes' Projekten war immer eine Mischung aus ausgebildeten, halb und ganz unqualifizierten Arbeitskräften angestellt. Viele dieser Vorhaben erforderten eine längere Planungszeit, bevor man mit dem Bau beginnen konnte.
Die CWA nahm ihre Arbeit am 9. November 1933 auf. Zehn Tage später hatte Hopkins schon 800000 Leute bei der CWA angestellt. Zwei Wochen später waren es fast zwei Millionen. Und nach neun Wochen, Mitte Januar 1934, erreichte die Beschäftigung bei der CWA ihren Höchststand: 4263644 Männer und Frauen.
[h4]Kampagne gegen die Arbeitsbeschaffung[/h4]
Obwohl auf diese Weise Millionen arbeitslose Menschen sinnvolle Arbeit fanden, gibt es heute noch (oder wieder) Kreise, die diese Politik verleumden. Vor 70 Jahren waren es die Bankinteressen der Morgans, Mellons und DuPonts sowie deren politischer Arm, die Amerikanische Freiheits-Liga, die Lügen über Roosevelts öffentliche Bauvorhaben verbreiteten. Die Morgan-Fraktion beschimpfte sie als make-work), als "Pseudo-Beschäftigung", und als nutzloses Verplempern von Staatsgeldern. Heute wird das von Kreisen wie der Mont-Pelèrin-Gesellschaft und Al Gores Gruppe Democratic Leadership Council wieder aufgewärmt.
Demgegenüber stehen die beachtlichen Errungenschaften der CWA zwischen November 1933 und März 1934. Die Millionen wiederbeschäftigten Arbeitskräfte bauten oder verbesserten Tausende Kilometer Straßen in Stadt und Land. Zahllose Schulgebäude wurden umgebaut, vergrößert, erdbebensicher gemacht. Es entstanden Dutzende neue Flughäfen und vorhandene wurden auf den neuesten Stand gebracht. Viele Kilometer Abwasserkanäle wurden gebaut und Hunderte Parks, Spielplätze, Sportstadien und Schwimmbäder angelegt. Die CWA renovierte das Parlamentsgebäude des Bundesstaates Montana und half beim Bau der "Kathedrale des Lernens" in Pittsburgh. Die CWA beschäftigte 50000 Lehrer, damit Schulen in ländlichen Gebieten nicht schließen mußten, die Erwachsenen in den Städten sich weiterbilden konnten und arbeitslose Lehrer in die Schule zurückkehren konnten.
Gerade wegen dieser schnellen Erfolge war die CWA den Wallstreet-Interessen ein Dorn im Auge. Sie benutzten dazu ihren "Maulwurf" in der Regierung Roosevelt, Haushaltsdirektor Lewis Douglas, der als Monetarist berüchtigt war und "Deflationsminister" genannt wurde. Man behauptete, die CWA schaffe "eine neue permanente Klasse von Staatsbediensteten", und unter diesem Vorwand wies Douglas Hopkins an, die CWA am 15. Februar 1934 zu schließen. Innerhalb von sechs Wochen mußte Hopkins die vier Millionen bei der CWA beschäftigten Menschen wieder auf die Straße setzen. Damit war klar, mit welchem Mittel London und die Wall Street kämpfen würden: Immer wieder versuchten sie von da an, über den Kongreß oder über ihre Gesinnungsgenossen in der Regierung dem New Deal den Geldhahn abzudrehen.
Im April 1935 konnte Roosevelt im Kongreß nach zwei Jahren wieder die Bereitstellung von Geldern für Infrastruktur und andere staatliche Vorhaben durchsetzen. Mit dem "Nothilfe-Bereitstellungsgesetz" (Emergency Relief Appropriation Act) sollten 3,5 Millionen Menschen Arbeit bekommen. Dazu wurden 5 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt - das größte Programm öffentlicher Arbeiten in der Geschichte. Das Gesetz schuf die Works Progress Division, die bald in Works Progress Autority (WPA) umbenannt wurde. Diese WPA beschäftigte in kleinen und mittelgroßen Infrastrukturprojekten, wie sie vorher typisch für die CWA gewesen waren, 1935 zunächst 220000 Menschen; 1936-38 waren es durchschnittlich 2,3 Millionen zuvor arbeitslose Kräfte.
[h4]PWA und CCC[/h4]
Das NIRA-Gesetz von 1933 hatte zur Einrichtung der PWA unter der Leitung von Harold Ickes geführt. Ickes war 1874 im Blair Distrikt in Pennsylvania geboren worden. Mit 16 Jahren zog er nach Chicago. Er gehörte zu den fortschrittlichen Republikanern in der Tradition Abraham Lincolns und war am Kampf für die Bürgerrechte beteiligt. (Vor allem Roosevelts Frau Eleanor und Ickes ermöglichten Marian Andersons berühmtes Freilichtkonzert am Washingtoner Lincoln-Denkmal im April 1939.)
In Zusammenarbeit mit dem Pionierkorps der Armee verwirklichte die PWA unter Ickes große Infrastrukturprojekte, wie die schon beschriebenen Vorhaben an den "vier Enden" Amerikas und im Mississippigebiet, was eine große Nachfrage an Investitionsgütern schuf und 400000-700000 Menschen jährlich Arbeit und Brot bot. Sie beteiligte sich auch an gemeinsamen Infrastrukturbauten von Bund und örtlichen Kommunen, indem sie den örtlichen Stellen Darlehen und Hilfen gab.
Das andere Arbeitsbeschaffungsgesetz des Jahres 1933 zum Aufbau des Civil Conservative Corps (CCC) hatte Roosevelt weitgehend persönlich entworfen. Die "CCCer", wie man sie nannte, hauptsächlich arbeitslose junge Männer, erhielten in den CCC-Camps Nahrung, Kleidung, Unterkunft und einen Dollar Lohn am Tag. Hunderttausende junge Männer wurden auf diese Weise jedes Jahr für sinnvolle Arbeiten angestellt, vor allem in ländlichen Regionen und Wäldern. Im Mittleren Westen wurden über mehrere hundert Kilometer in Nord-Süd-Richtung Baumreihen angepflanzt, um als Windschutz gegen Sandstürme und Bodenerosion zu dienen. Die Arbeiten der CCCs umfaßten alles mögliche von Flußbegradigung und Staudammbauten bis zur Reinigung der Wälder von Gestrüpp.
Die Gesamtzahl der Beschäftigten in öffentlichen Vorhaben schwankte 1933-38 zwischen 900000 (als weder CWA noch PWA existierten) und 4,01 Millionen. In den Jahren, in denen WPA, PWA und CCC gleichzeitig arbeiteten, lag die Zahl bei 3,1 Millionen jährlich.
[h4]Wiederbelebung der Privatwirtschaft[/h4]
Die öffentlichen Arbeitsprogramme kurbelten mit ihrer starken Güternachfrage die Wirtschaft an. Stillgelegte Fabriken wurden wiedereröffnet, entlassene Arbeiter wieder angestellt, die ganze Wirtschaft wurde wiederbelebt.
Infrastrukturprojekte haben eine kräftige Nachfrage nach Rohmaterialien, Halbfertig- und Fertigwaren. So brauchte man z.B. für den Bau des Bonneville-Damms zahlreiche Traktoren, Baumaschinen, Turbinengeneratoren, Stromleitungen, Werkzeugmaschinen, Fließbänder, aber auch Stahlträger, Zement, Ziegel und andere Baustoffe.
Die vielen tausend Bauten, die es unter Roosevelt jedes Jahr gab, bedeuteten zusammengenommen eine ungeheure Nachfrage, welche die Produktion ankurbelte.
Die PWA-Projekte verbrauchten einen hohen Anteil der Gesamtproduktion der USA an wichtigen Gütern der Industrie und Bauwirtschaft. 1934-36 verarbeitete man bei den PWA-Projekten 31,0% aller Backsteine und Hohlziegel der US-Gesamtproduktion, 42% des Betons, ein Drittel der Stahlträger und Gußeisenrohre sowie 27% von allem Sand und Kies. Ähnliches gilt für andere Halbfertigprodukte und Rohstoffe wie Kupfer, Zink u.ä.
Die Infrastrukturprojekte verbrauchten auch bedeutende Anteile von Fertigwaren, im besonderen Investitionsgüter. Genaue Zahlen fehlen, aber schätzungsweise benötigte die PWA ein Viertel der in den USA hergestellten Kräne, Baumaschinen, Stromgeneratoren, Pumpen und Werkzeugmaschinen. Für die Kräne und Werkzeugmaschinen benötigte man wiederum Industriegüter und Rohstoffe wie Stahl, Kupfer usw. So schlug die PWA immer neue Wellen der Nachfrage und belebte die Produktion.
Ab 1936 sank der PWA-Anteil bei den Halbfertigwaren. Dies ist ein Anzeichen einer weiteren wirtschaftlichen Gesundung: Weil sich immer mehr Wirtschaftszweige erholten, stieg der Verbrauch an Industriegütern und Rohmaterialien, obwohl die Bautätigkeit der PWA auf hohem Niveau weiterlief. Die genannten Zahlen gelten nur für die PWA; würde man WPA und CCC hinzurechnen, wäre der Einfluß auf die Gesamtwirtschaft noch größer.
Weil die Infrastrukturvorhaben die Privatwirtschaft wiederbelebten, stieg dort auch die Beschäftigung wieder. Man könnte das den Multiplikatoreffekt der öffentlichen Projekte bei der Beschäftigung nennen. Die drei großen Behörden PWA, WPA und CCC beschäftigten, wie gesagt, pro Jahr etwa 3,1 Mio. Arbeitskräfte. Wie viele zusätzliche Arbeitsplätze entstanden dadurch indirekt in vorgelagerten Bereichen der Wirtschaft?
Die PWA ließ 1939 in einer Studie ermitteln, wieviele Arbeitsplätze sie in anderen Teilen der Wirtschaft schuf. Dazu untersuchte die statistische Abteilung des Arbeitsministeriums die Unterlagen der privaten Vertragspartner der PWA über Arbeitsstunden, Lohn, Maschinen- und Materialverbrauch. Im Rahmen der PWA-Projekte wurden bis 1. März 1939 direkt 1,715 Milliarden Arbeitsstunden geleistet (wobei der Großteil der Arbeiten bereits Mitte 1937 beendet war). In der Zulieferindustrie für Rohstoffe und Halbfertigwaren (Investitionsgüter wurden nicht berücksichtigt) waren es schätzungsweise 3,179 Mrd. Arbeitsstunden. Es waren also 1,715 Mrd. Arbeitsstunden in direkter und 3,179 Mrd. Arbeitsstunden in indirekter Beschäftigung, insgesamt 4,894 Mrd. Arbeitsstunden.
Ein großer Teil der indirekten Beschäftigung war in der Produktion. Insgesamt wurden zusätzlich zu jedem Arbeitsplatz in der PWA 1,85 Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft geschaffen.
[h4]4. Ein Präsident für soziale Gerechtigkeit[/h4]
Präsident Roosevelt schuf auch große Umwälzungen im sozialen Bereich. Im Sinne der Gemeinwohlklausel der amerikanischen Verfassung bemühte er sich, jedem Bürger die volle Entfaltung seiner Fähigkeiten zu ermöglichen. Ein Kernstück war dabei der Aufbau eines sozialen Netzes. Kein Bürger sollte mehr hungern oder an Mangel sterben. Dazu mußte u.a. ein gutes Rentensystem eingerichtet werden. In einer Rede vor dem Kongreß am 8. Juni 1934 sagte Roosevelt, als Schutz gegen "Schicksalsschläge, die man in unserer von Menschen geschaffenen Welt nicht völlig beseitigen kann", sei eine Sozialversicherung notwendig.
Damals in den 30er Jahren erhoben die Vorgänger der heutigen Neokonservativen viele Einwände gegen die Gesetze zur Sozialversicherung, und mit den gleichen Argumenten wird seit den 70er Jahren dieses soziale Netz wieder zerrissen. Schon 1924 wetterte die bankennahe Handelskammer von Pennsylvania gegen Renten-Pflichtversicherungen als etwas "unamerikanisches und sozialistisches" und als "Keil, mit dem sich die kommunistische Propaganda Zugang verschafft".
Das Sozialversicherungsgesetz von 14. August 1935 sorgte nicht nur für die Rentenversicherung, sondern regelte auch die Hilfe für mittellose ältere Menschen, Blinde, Alleinerziehende und schuf die erste landesweite Arbeitslosenversicherung. Die Kernpunkte:
Rentenversicherung: ein riesiges Rentensystem, das auf den Prinzipien der Sozialversicherung aufbaut und den Hauptanteil des Einkommens der Rentner ausmachen soll. Grundlage ist eine bundesweite Lohnsteuer, zu der die meisten Arbeitgeber und Arbeitnehmer veranschlagt werden. Heute beträgt der Steuersatz in den USA 6,2% anteilig für Arbeitgeber und -nehmer. Damit erwirbt der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Rentenzahlung nach Erreichen der Altersgrenze mit 65 Jahren, wenn er eine bestimmte Lebensarbeitszeit erreicht und entsprechend gemeinsam mit dem Arbeitgeber in die Rentenversicherung einbezahlt hat. Dieser Anspruch ist gesetzlich garantiert und nicht abhängig von Bedürftigkeit.
Hilfe für mittellose ältere Menschen: Der Bund stellt den Bundesstaaten Mittel zur Verfügung, die dann als monatliche Zahlungen an bedürftige ältere Menschen fließen.
Hilfe für Blinde: Der Bund stellt Gelder zur Verfügung, die von den Bundesstaaten monatlich an Blinde ausgezahlt werden.
Hilfe für Alleinerziehende: Der Staat bewilligt den Bundesstaaten Mittel, um bedürftigen Kindern und/oder Alleinerziehenden zu helfen, wenn die Unterstützung eines Elternteiles wegen Tod, Krankheit oder Abwesenheit ausfällt.
Arbeitslosenversicherung: Bundesstaaten haben ihre eigene Arbeitslosenversicherung, werden aber über einen Steuerausgleich vom Bund unterstützt. Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte erhielten entlassene Arbeitnehmer Arbeitslosenunterstützung.
Das Sozialversicherungsgesetz war eine Wende in der Sozialpolitik. Einige europäische Länder hatten Aspekte eines sozialen Netzes zu unterschiedlichem Grade verwirklicht, aber in Amerika hatte es bisher nichts davon gegeben. Das änderte sich mit einem Schlag.
[h4]5. Protektionistische Regulierung[/h4]
Die protektionistischen Gesetze der Regierung Roosevelt folgten dem Prinzip der nationalen Souveränität. Die Spekulation und Ausbeutung der produktiven Wirtschaft durch die Oligarchie der Londoner City und der Wall Street mußte beendet werden. Eine Nation hat das Recht und die Pflicht, Wirtschaft und Finanzen streng zu überwachen, um sie so zu gestalten, daß das Gemeinwohl lebender und zukünftiger Generationen gesichert ist. Solange die Wall Street Schulden als Druckmittel einsetzen und durch Spekulation die Wirtschaft ausbeuten konnte, würde es Roosevelt nie gelingen, die wirtschaftliche Produktivität zu steigern.
Ein besonders anschauliches Beispiel ist das "Bankengesetz von 1933", bekannt als "Glass-Steagall-Gesetz" - nach dem Senator und dem Kongreßabgeordneten, die es eingebracht hatten: Carter Glass war einflußreich im Bankenausschuß des Senats, Henry Steagall leitete den Bankenausschuß des Repräsentantenhauses. Dieses Gesetz trug entscheidend dazu bei, den Bürger vor Katastrophen wie riesigen Spekulationsblasen zu schützen. Glass-Steagall zielte auf einen wunden Punkt der Bankiers - und die Wall Street hat 65 Jahre daran gearbeitetet und Milliarden von Dollar ausgegeben, um das Gesetz wieder abzuschaffen!
Glass-Steagall trennte nämlich streng die normalen Handelsbanken vom Broker- und Anlagengeschäft. Finanzinstitute, die beides betrieben, mußten sich entweder in zwei Unternehmen aufgliedern oder einen Geschäftsbereich aufgeben. Die Abschnitte 16 und 21 des Gesetzes legten fest, daß keine Handelsbank sich geschäftlich befassen dürfe mit "Herausgabe, Zeichnung, Verkauf oder Verteilung von Aktien, Anleihen, Pfandbriefen, Schuldscheinen oder anderen Sicherheiten, ob im Groß- oder Einzelhandel oder durch syndikative Beteiligung". Als einzige Ausnahme ist es den kommerziellen Banken gestattet, amerikanische Staatsanleihen zu kaufen und zu zeichnen. Umgekehrt durften Investmentbanken keine individuellen kleinen Kundeneinlagen annehmen, das war die Domäne der Handelsbanken. Um bestimmte andere Praktiken der 20er Jahre zu unterbinden, verbot das Gesetz auch Bankangestellten, beim eigenen Institut Kredite aufzunehmen.
Eine weitere nützliche Vorkehrung des Gesetzes war die Einrichtung der Bundeseinlagenversicherung FDIC, die zum ersten Mal in der US-Geschichte Bankguthaben von Bürgern bis zu einem gewissen Betrag versicherte. Ab 1. Juli 1934 waren über die FDIC alle Guthaben bis 10000 Dollar vollständig versichert, die von 10000 bis 50000 Dollar zu drei Vierteln und die über 50000 Dollar zur Hälfte (heute sind alle Guthaben bis 100000 Dollar zu 100% versichert).
Heute behaupten die Bankiers, die Glass-Steagall-Regelung sei "altmodisch". Das Gegenteil ist wahr: Gerade heute sind solche Schutzmechanismen nötiger denn je. Denn auch wenn die Banken auch heute noch normales Bankgeschäft, Investmentbanking und Versicherungsgeschäft nicht vermischen dürfen, haben sie Praktiken eingeführt, die genauso verheerend sind wie jene der 20er Jahre.
Andere Schutzmaßnahmen der Regierung Roosevelt sollten Bürger und Unternehmen vor Verlusten durch Wertpapierblasen und -schwindel bewahren. Am 27. Mai 1933 trat das Gesetz "Wahrheit bei Wertpapieren" in Kraft, das die Offenlegung aller wesentlichen Fakten bei der Ausgabe neuer Wertpapiere verpflichtend vorschrieb.
Das "Gesetz über öffentliche Versorgungsbetriebe" (Public Utility Holding Company Act, PUHCA) regelte die Arbeit der Stromversorger, um Spekulation mit Strom und Preiswucher der von Finanziers kontrollierten "Stromkonzerne" zu unterbinden. Zusammen mit dem Bundesstromgesetz von 1935 wurde ein Preissystem auf Grundlage der Erzeugerkosten festgelegt, das 60 Jahre lang gut funktioniert hat, bis es im Zuge der Deregulierung Ende der 90er Jahre mit den bekannten verheerenden Folgen ausgehebelt wurde.
[h4]6. Der Aufschwung läuft[/h4]
Fassen wir die Beiträge des New Deal zusammen.
Roosevelts staatliche Infrastrukturbauten stärkten die Realwirtschaft und brachten, zusammen mit seinen anderen industriellen und landwirtschaftlichen Maßnahmen, die USA auf "Aufschwungskurs". Von 1933 bis 1937 stieg die Produktion im Bereich der Nahrungsmittel von einem Wert von 7,96 Mrd. Dollar auf 13,08 Mrd. Dollar, bei Textilien von 2,18 Mrd. auf 3,26 Mrd., bei Autos von 725 Mio. auf 2,21 Mrd. Dollar und bei Investitionsgütern im Maschinen- und Anlagenbau verdreifachte sie sich von 577 Mio. auf 1,88 Mrd. Dollar. Angepaßt an die starke Deflation stiegen viele Industriezweige über das Niveau von 1929, einige lagen darunter. Aber der Index der New York Times für die Industrieproduktion der Gesamtwirtschaft erreichte, wenn man 1929 mit 100 ansetzt, im Frühjahr 1937 schon 110.
Roosevelt hatte die Arbeitslosigkeit von 12,83 Mio. Menschen zu Beginn 1933 auf 7,7 Mio. gesenkt. (Dazu sollte vermerkt werden, daß nach einem Bericht des Arbeitsministers Frances Perkins Arbeiter der öffentlichen Baupropgramme in der Statistik nicht als Beschäftigte gezählt wurden, sondern als Arbeitslose - wenn dies stimmt, ist die offizielle Arbeitslosigkeit deutlich zu hoch angegeben.)
Roosevelt hatte auch die Qualität der Arbeitskraft verbessert, Wege zur systematischer Einführung neuer Technik gebahnt und das Bankenwesen gefestigt.
Aber man darf auch kein zu euphorisches Bild malen. Roosevelts New Deal konnte zwar die Realwirtschaft stark anregen, aber nicht die gesamtwirtschaftlichen Probleme beheben. Sieben Millionen Arbeitslose (oder auch, wie eben angemerkt, etwas weniger) waren immer noch zuviel. Das Wachstum der Industrieproduktion nutzte einigen Teilen der Wirtschaft zuwenig. Was fehlte, war eine ausreichende Wechselwirkung der verschiedenen Wirtschaftszweige, die dem Aufschwung die nötige Tiefe gab. Die Wirtschaft hatte zwar die schlimmsten Auswüchse der Depression weitgehend überwunden und viel dauerhaftes Gute erreicht, doch es blieb noch viel zu tun.
[h4]Der Angriff auf die Staatsprojekte[/h4]
Zeitweise konnte die Wall Street durch korrupte Elemente in Roosevelts eigener Regierung die öffentlichen Bauvorhaben behindern oder sogar lahmlegen. Einer dieser Männer war der berühmt-berüchtigte Finanzminister Henry Morgenthau, dessen hanebüchene Vorstellungen für die Gestaltung des Nachkriegsdeutschlands vielen noch in Erinnerung sein werden. Manchmal unterstützte Morgenthau Roosevelt sehr stark, dann wieder stellte er sich auf Seiten der Wallstreet-Interessen, aus denen er stammte. Ab 1936 machte Morgenthau zusammen mit der Wall Street Stimmung gegen die Politik der öffentlichen Vorhaben; er behauptete, die Wirtschaft brauche diese Stimulation nicht länger - wobei er u.a. auf den erwähnten New York Times-Produktionsindex 110 im Frühjahr 1937 verwies. Roosevelt solle sich lieber darum bemühen, im Wahlkampf 1938 einen "ausgeglichenen Haushalt" vorzuweisen, meinte Morgenthau. Der Patient - die Wirtschaft - werde zwar "ein wenig schreien, wenn man ihm das Betäubungsmittel wegnimmt", aber es sei jetzt an der Zeit, "die Pflaster abzunehmen und die Krücken fortzuwerfen", um auszuprobieren, ob die Wirtschaft nicht auf eigenen Füßen stehen könne.
Im Juni 1937 erreichte Morgenthau tatsächlich, daß Roosevelt praktisch alle Gelder für die PWA strich, und als Folge davon mußte die PWA im Juni und Juli 1937 fast alle Arbeiter entlassen. Gleichzeitig begannen die Wallstreet-Bankiers planmäßig den Kredit für die Wirtschaft zu drosseln. Das löste eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale aus. Im Dezember 1937 war der NYTimes-Index von noch 110 Punkten im Frühjahr auf ganze 85 Punkte gefallen, womit alle Erfolge seit 1935 zunichte gemacht waren. Vom Tag der Arbeit (Anfang September) bis Jahresende verloren zwei Millionen Menschen ihre Arbeit. Der Aktienindex Dow Jones verlor zwischen August und Oktober 39%.
Damit war die große Bedeutung staatlicher Infrastrukturprojekte für die Realwirtschaft unter Beweis gestellt, nur eben leider auf negative Art und Weise.
[h4]Der zweite Schritt: Kriegsmobilisierung[/h4]
Nach diesem Rückfall gab es erst wieder einen neuen Wirtschaftsaufschwung, als Roosevelt 1939-44 die wirtschaftliche Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg durchführte.
Für diese wirtschaftliche Mobilisierung ab 1939 - genannt "Arsenal der Demokratie" - nutzte man die Erfahrungen und Errungenschaften des New Deal, fügte aber eine neue qualitative Dimension hinzu, und das ermöglichte einen Wirtschaftsaufschwung ungekannten Ausmaßes.
In diesen fünf Jahren wurde die Wissenschaft zum Motor der Wirtschaft. Jeden Monat gab es neue Erfindungen, die in der Produktion umgesetzt wurden. Dabei ging man von der Frage aus: Wie kann man die Geometrie hinter der physischen Wirtschaft, und damit deren Leistungsfähigkeit, gezielt verändern? Man lenkte Investitionen gezielt in die Bereiche der Investitionsgüterindustrie mit den höchsten Zuwachsraten im zivilen und militärischen Bereich. Die überlegene Technik und höhere Produktivität dieser Wirtschaftsbereiche strahlten in die Gesamtwirtschaft aus. Gleichzeitig stiegen die technische Qualifikation der Arbeitskräfte. Die schöpferischen Fähigkeiten der Bevölkerung wurden angesprochen.
Roosevelt, nun Oberbefehlshaber im Krieg, stützte sich ähnlich wie beim New Deal wieder auf die Prinzipien des Amerikanischen Systems der politischen Ökonomie, setzte aber einen neuen Schwerpunkt. Über die Reconstruction Finance Corporation RFC und die Federal Reserve wurden der Wirtschaft reichliche, zinsgünstige Kredite zur Verfügung gestellt - aber nur den vorrangigen produktiven Bereichen. Dazu zählten Fabriken, Bauwirtschaft, Bergwerke, Stromerzeugung, Verkehr und in begrenzterem Maß die Landwirtschaft. Andere Wirtschaftsbereiche erhielten Kredite in beschränkterem Umfang. Aktienspekulation, spekulative Immobiliengeschäfte und dergleichen dagegen wurden vom Kredit abgeschnitten.
Man versammelte Arbeitsgruppen aus den besten Wissenschaftlern und Ingenieuren, um wissenschaftliche Durchbrüche zu erzielen. Eines der spektakulärsten Beispiele ist das "Manhattan-Projekt" zum Bau der ersten Atombombe. Innerhalb von zwei Jahren wurden für dieses Programm 3 Mrd. Dollar ausgegeben. 22000 Wissenschaftler, Ingenieure und Facharbeiter waren daran beteiligt, darunter Spitzenwissenschaftler wie Enrico Fermi und Ernest Lawrence ebenso wie Oberst Leslie Groves und das Ingenieurkorps der Armee.
Elektrizität wurde in einem bisher nie dagewesenen Maß in der Produktion eingesetzt. Elektrizität kannte man natürlich schon vor dem Ersten Weltkrieg, aber erst im Zweiten Weltkrieg brauchte man sie in riesigen Mengen - etwa in der sehr energieintensiven Aluminiumindustrie, ohne die Amerika den Krieg vielleicht nicht gewonnen hätte. Die Kraftwerke der Großprojekte wie TVA und die großen Dämme lieferten diesen Strom.
Kapitalgüter und Rohstoffe wurden gezielt dorthin geliefert, wo sie gebraucht wurden. Arbeitskräfte wurden systematisch aus- und weitergebildet wie nie zuvor. Allein 1941-42 wurden 3 Millionen Zivilisten umgeschult und weiterqualifiziert.
Alle diese Elemente entsprechen den Prinzipien des Amerikanischen Systems der politischen Ökonomie, wie sie Gottfried Wilhelm Leibniz im 17. Jahrhundert entwickelt und Persönlichkeiten wie Alexander Hamilton, Benjamin Franklin und Abraham Lincoln umgesetzt und vertieft haben.
Die Notwendigkeit, die Menschheit vor der Nazi-Barbarei zu bewahren, trieb die USA damals zu dieser Wirtschaftspolitik des Amerikanischen Systems. Aber dieselben Prinzipien gelten genausogut in Friedenszeiten.