06131-237384info@bueso.de

Impfstoffe und Immunisierung für ein globales Gesundheitssystem

Von Dr. med. Wolfgang Lillge

Die COVID-19-Pandemie ist weltweit nach wie vor außer Kontrolle. Das Virus breitet sich in vielen Ländern und Kontinenten unkontrolliert aus. Besondere Hotspots sind derzeit Brasilien und Portugal, aber auch in den USA, Großbritannien, Irland, Südafrika und vor allem in Lateinamerika sind die Gesundheitssysteme massiv überlastet. Über die Lage in Afrika insgesamt ist nur wenig Genaues bekannt, da es kaum Tests gibt, aber es ist zu befürchten, daß sich COVID-19 dort unkontrolliert ausbreitet.

Weltweit gibt es offiziell inzwischen über 100 Mio. Infizierte, und 2 Mio. Menschen sind an COVID-19 gestorben. Alle diese Zahlen sind wahrscheinlich massiv untertrieben, denn gezählt werden in der Regel nur die positiven PCR-Tests, und wenn sie überhaupt durchgeführt werden, wird damit in vielen Ländern nur ein Bruchteil der tatsächlich Infizierten erfaßt. Die tatsächlichen Zahlen sind demnach mindestens doppelt oder dreimal so hoch.

Wenn sich das Virus so massiv verbreitet, bedeutet das nicht nur ungeheures menschliches Leid und ein wirtschaftliches Desaster, sondern es steigt auch die Wahrscheinlichkeit, daß sich immer schneller neue COVID-Varianten bilden, so wie es ja bereits mit der britischen, südafrikanischen und brasilianischen Mutation geschehen ist. Da bei der Virusreplikation immer Fehler auftreten, ist es nur eine Frage der Stochastik, daß Mutationen mit aggressiveren Eigenschaften auftauchen, je mehr Viren im Umlauf sind.

Der Berliner Virologe Prof. Drosten hat sich kürzlich dazu so geäußert: „Eine Mutation ist da, und in der nächsten Generation kommt noch eine andere dazu und in der übernächsten noch eine dazu. Und erst nach fünf Generationen schlägt das durch, und dann hat das entstandene Virus einen Selektionsvorteil und vermehrt sich schneller als die Konkurrenz in derselben Population.“

Das Ergebnis ist dann u.U. eine höhere Infektiosität, und möglicherweise auch eine höhere Letalität, die wir bisher bei der britischen und südafrikanischen Variante zum Glück noch nicht gesehen haben.

Es gibt jedoch auch Studien, die besagen, daß bei Co-Infektionen, d.h. bei Infektion mit zwei Corona-Varianten, neue Varianten noch schneller als bisher entstehen können. Das wäre ein weiterer Evolutionspfad für das Virus. Zwei verschiedene Stämme in einem Patienten und vermehrte Varianten unter den Viren, das wäre eine Situation, die sich schnell verselbständigen könnte.

Es ist also absolut vordringlich, nicht nur bei uns, sondern weltweit die Verbreitung des Virus schnellstmöglich zu stoppen, da ansonsten mutierte Stämme auch wieder zu uns zurückkehren, gegen die dann selbst eine Impfung nicht mehr wirken würde.

Bisher sollen die zugelassenen Impfstoffe – vor allem die mRNA-Impfstoffe von BionTeC/Pfizer und Moderna – die Fähigkeit haben, auch viele der neuen Varianten zu neutralisieren. Entscheidend dabei ist jedoch, daß wir in der Lage sein müssen, neue Varianten umgehend zu identifizieren und ggf. die Impfseren entsprechend umzustellen.

Aber noch eine Warnung: Allein mit Impfen wird sich die Pandemie nicht besiegen lassen. Es wäre töricht und fahrlässig, der Bevölkerung vorzumachen, wenn wir nur schnell genug alle Menschen impfen würden, daß dann die Gefahr gebannt wäre. Es wäre schön, wenn das so wäre, aber nach heutigem Stand der Impfstoffproduktion dürfte es Jahre dauern, bis die gesamte Weltbevölkerung gegen SARS-CoV-2 immunisiert ist, und bis dahin ist absolut nicht ausgeschlossen, daß durch Mutationen die Impfungen gar keinen Schutz mehr bieten.

Inzwischen dürfte uns allen klar sein, daß der Kampf gegen COVID-19 nicht nur ein gesundheitspolitisches Problem ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. COVID-19 hat uns vor allem gezeigt, daß mit unserer wirtschaftlichen Denkweise etwas sehr falsch läuft, denn trotz aller gegenteiligen Beteuerungen von politischer Seite waren wir auf eine solche Pandemie nicht vorbereitet: Vor allem unser Gesundheitssystem war darauf nicht vorbereitet, weil wir uns auf ein neoliberales, monetaristisches System eingelassen haben. Wir sind mehr daran interessiert, schnell reich zu werden und nur Geld mit Geld zu machen, als das Gemeinwohl und damit eine gute Gesundheitsversorgung für alle zu fördern. Wir haben zugelassen, daß ein großer Teil der Welt, die sogenannte Dritte Welt, in Armut verbleibt. Deswegen ist unsere Forderung nach dem Aufbau moderner Gesundheitswesen in jedem Land der Erde so vordringlich.

Umfassende Strategie notwendig

Impfungen sind ein wichtiger Bestandteil der Pandemiebekämpfung, aber nur, wenn sie in ein Gesamtkonzept der Seuchenbekämpfung integriert werden. Ohne einen gezielten Lockdown mit strengen Kontaktbeschränkungen, Hygienemaßnahmen und Massentests würden sie ein stumpfes Schwert bleiben.

Ich habe bereits im Oktober letzten Jahres für Deutschland eine umfassende nationale Strategie gegen die Coronapandemie gefordert, die die vollständige Kontrolle der Virusausbreitung zum Ziel haben muß.

Ich zitiere kurz aus meiner damaligen Erklärung, die nach wie vor absolut aktuell ist:

„Voraussetzung für eine effektive Virusbekämpfung ist, daß alle Infizierten ausfindig gemacht und unter strenge Quarantäne gestellt werden - wie es die slowakische Regierung jetzt praktiziert.“ (Hierzu eine Anmerkung: Das war Ende September 2020, und nur in Österreich und Südtirol wurde ähnlich verfahren.) „Nur wenn man weiß, wer tatsächlich infiziert ist, kann eine unkontrollierte Ausbreitung in Herbst und Winter verhindert werden. Ansonsten droht ein Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems, dem Krankenschwestern, Ärzte und Pflegepersonal diesmal nicht mehr gewachsen sein werden...

Unser aller Ziel muß es sein, das SARS-CoV-2-Virus insgesamt zu eliminieren und nicht ,mit dem Virus zu leben’. Deshalb verschärft die gegenwärtige zögerliche Politik des partiellen Lockdowns und föderaler Alleingänge die wirtschaftliche, finanzielle und soziale Krise der Gesellschaft in fahrlässiger Weise.

Dafür brauchen wir schnell einen Überblick über das Ausmaß des Pandemiegeschehens und über die tatsächliche Zahl der Infizierten, um effektiv gegensteuern zu können. Das läßt sich nur durch Massentests erreichen, die schnell, effektiv und zuverlässig durchgeführt werden müssen.“ – Anmerkung: Und das nicht nur einmal, sondern mehrmals, bis die Infektionszahlen auf ein überschaubares Maß abgesunken sind und die Nachverfolgung wieder möglich ist. - „Natürlich ist ein Massentest von über 80 Mio. Menschen in Deutschland eine organisatorische und logistische Mammutaufgabe, aber nur so läßt sich die unkontrollierte Ausbreitung des Virus unter Kontrolle bringen. Was in China gewirkt hat und in der Slowakei möglich ist, sollte auch bei uns durchführbar sein...“

    Dabei habe ich auch betont, daß das Vertrauen der Bevölkerung durch das zögerliche und teils widersprüchliche Vorgehen der Regierung und ihrer Institutionen verspielt worden ist und nur zurückgewonnen werden kann, wenn eine einheitliche und wirksame Strategie verfolgt wird.

    Besonders tragisch ist die Inkompetenz der Regierungen, die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen zu schützen, denn über die Hälfte der COVID-Toten in Deutschland sind in diesen Einrichtungen zu beklagen. Mit dem Einsatz von Massentests wäre das relativ leicht zu verhindern gewesen.

    Neue Impfstoffe sind ein wissenschaftlicher Durchbruch

    Jetzt noch ein Wort zu den aktuellen Impfstoffen. Alle bisher zugelassenen COVID-19-Impfstoffe scheinen eine hohe Wirksamkeit und Sicherheit zu haben. Vor allem der russische Sputnik-V-Impfstoff – der erste, der zugelassen wurde – zeigt kaum Nebenwirkungen.

    Dabei muß gesagt werden, daß die neuen mRNA-Impfstoffe wie die von Biontec/Pfizer und Moderna ein wissenschaftlicher Durchbruch sind, der noch vor einigen Jahren kaum denkbar war. mRNA-Impfstoffe stellen eine neue Generation von Impfstoffen dar. Sie funktionieren auf ganz andere Weise als die altbekannten Lebend- und Totimpfstoffe. Die mRNA-Impfstoffe lösen nicht direkt eine Immunreaktion aus, sondern in den Zellen müssen nach der Impfung erst die Virusantigene hergestellt werden, die dann eine Antikörperreaktion auslösen. Der Impfstoff selbst enthält also nur Bruchstücke des Virusgenoms, die in die Zellen eingeschleust werden, um dort die entsprechenden Virusbestandteile zu produzieren, gegen die dann das Immunsystem Abwehrstoffe bildet. Die von den Zellen aufgenommenen RNA-Bruchstücke werden anschließend wieder aus dem Körper eliminiert, so daß Befürchtungen, Virus-RNA könnte dauerhaft in den Zellkern aufgenommen werden und unser Erbgut verändern, jeder Grundlage entbehren.

    Nach den bisherigen Erfahrungen der Zulassung und ersten Verimpfungen sind mRNA-Impfstoffe sehr wirksam und sicher, nur mögliche längerfristige Nebenwirkungen sind noch nicht unzweifelhaft bekannt. Wie jede andere Impfung auch ist ein solcher Eingriff nie ganz risikolos. Unvorhergesehene schwere allergische Nebenwirkungen können dabei immer auftreten. Die Frage ist nur, ob der Nutzen das Risiko deutlich überwiegt - eine Frage, die bei allen Impfungen zu stellen ist. Die vereinzelten Todesfälle nach COVID-19-Impfungen, die in der Presse zum Teil hochgespielt wurden, sind meiner Einschätzung nach entweder nicht direkt auf die Impfung zurückzuführen oder Folge massiver allergischer Reaktionen.

    Auf Grundlage der Impftechnologie der mRNA-Impfstoffe ist es auch relativ einfach, den Impfstoff auf mögliche Varianten des Virus umzustellen; es müssen – vereinfacht ausgedrückt – nur die entsprechenden Gensequenzen des Virus ausgetauscht werden.

    Zudem dürfte es in Zukunft möglich sein, mit mRNA-Impfstoffen auch gezielt Tumorzellen zu bekämpfen, was ein wirklicher Fortschritt in der Krebsbehandlung wäre.

    Impfstoffe müssen allen zugänglich gemacht werden

    Nachdem im letzten Jahr in beispielloser Geschwindigkeit mehrere Corona-Impfstoffe entwickelt wurden, ist es leider jetzt zu dem befürchteten Verteilungskampf um die Impfstoffe gekommen, der niemandem nützt. Es hätte von Anfang an eine weltweite Verständigung über die Verteilung der Impfstoffe und eine einheitliche Strategie gegen COVID-19 geben müssen.

    Im Grunde existiert eine organisatorische Grundlage dafür, daß Länder unabhängig von ihrer Kaufkraft zügigen Zugang zu Impfstoffen gegen COVID-19 erhalten: die COVAX Facility der Weltgesundheitsorganisation WHO. COVAX steht für „Covid-19 Vaccines Global Access“. Diese Einrichtung soll zum einen die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen beschleunigen. Vor allem aber ist sie dafür zuständig, Impfstoff-Dosen bei Herstellern zu kaufen und allen Staaten zuzuteilen, die ihre Teilnahme an COVAX erklärt haben.

    Aber durch die anfangs sehr schleppende Produktion der Impfstoffe ist dieser Ansatz weltweiter Solidarität schnell vergessen worden. Die reichen Ländern horten, soviel sie können: USA first, EU gegen Großbritannien, EU untereinander. Auf der Strecke bleibt die Dritte Welt, nur China und Rußland bieten Entwicklungsländern Hilfe an und haben bereits nennenswerte Mengen an Impfstoff u.a. nach Osteuropa, Afrika und Lateinamerika geliefert.

    Wir sollten uns aber den Appell des südafrikanischen Präsidenten Ramaphosa zu Herzen nehmen, der sagte: „Wir sind alle nicht sicher, wenn nur einige Länder ihre Bevölkerung impfen und andere nicht... Im Kampf gegen das Coronavirus müssen wir alle zusammenarbeiten, denn die Pandemie betrifft uns alle gleichermaßen, und deshalb müssen auch unsere Maßnahmen dagegen gleichartig sein.“

    Ich unterstützte auch ausdrücklich die Forderung nach Aufhebung des Patentrechtes an COVID-19-Impfstoffen, wie sie schon im Oktober 2020 von Indien, Südafrika und acht weiteren Ländern erhoben wurde. Die Times of India berichtete: „Der Vorschlag, auf geistiges Eigentum an COVID-19-Medikamenten und -Impfstoffen zu verzichten, hat enorme Auswirkungen für Entwicklungsländer, die es schwer haben, Zugang zu den lebensrettenden COVID-19-Impfstoffen zu bekommen. Reiche Länder haben riesige Deals abgeschlossen..., was ein ernsthaftes Risiko für einen gerechten Zugang für die Ärmsten und Schwächsten der Welt darstellt.“

    Alles, was hilft, um die Impfstoffproduktion schnell massiv auszuweiten, sollte getan werden, denn Berechnungen haben ergeben, daß beim jetzigen Tempo in der EU erst 2024 die Impfziele erreicht werden können. Es ist zumindest ein Hoffnungszeichen, daß Gesundheitsminister Spahn und Kanzlerin Merkel jetzt den Kauf des russischen und chinesischen Impfstoffs angekündigt haben.

    Insgesamt ist richtig: Wir sind erst sicher, wenn alle Länder auf der Welt ein modernes Gesundheitswesen zur Verfügung haben und dann auch künftige Pandemien wirksam bekämpft werden können.

    Dr. Lillge ist Spitzenkandidat der BüSo für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 26. September 2021.  Er ist auch Chefredakteur der Wissenschaftszeitschrift FUSION. Diesen Vortrag hielt er am 3.Februar im Rahmen eines Internetseminars des Schiller-Instituts.

    Lesen Sie dazu auch: https://www.bueso.de/deutschlands-rolle-beim-aufbau-weltwirtschaft

    Werden Sie aktiv!

    Die Bürgerrechtsbewegung Solidarität erhält ihre Finanzmittel weder durch staatliche Parteienfinanzierung noch von großen kommerziellen Geldgebern. Wir finanzieren uns ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden,

    deshalb brauchen wir Ihre Unterstützung!

    JETZT UNTERSTÜTZEN