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Wie nehmen Lebewesen Magnetwellen wahr?

[i]von Benjamin Deniston[/i]

Die eindrucksvollen Fähigkeiten von Zugvögeln, über lange Strecken punktgenau ihr Ziel zu finden, haben schon lange das Interesse der Forschung erweckt. Detaillierte Darstellungen besonders sensationeller Beispiele füllen inzwischen nicht nur Wissenschaftsmagazine, sondern ganze Bücher. Die Fähigkeit von Vögeln, über unglaubliche Entfernungen genau Kurs zu halten (in einigen Fällen fliegen Vögel jedes Jahr von der Arktis zur Antarktis und wieder zurück!), hat nachhaltiges Erstaunen hervorgerufen, aber auch vielerlei Versuche ausgelöst, den genauen Ursachen hiervon auf die Spur zu kommen.[footnote]Auch hat sich der Mensch diese Fähigkeiten zunutze gemacht. Brieftauben wurden speziell gezüchtet, die die beeindruckende Navigationsfähigkeit noch weiter verfeinert haben. Ganze Bücher wurden geschrieben, worin die bemerkenswerte Begabung dieser Vögel dokumentiert wurde. Man setzte soviel Vertrauen in diese Fähigkeiten, daß Brieftauben bis zum Zweiten Weltkrieg sogar für militärische Zwecke eingesetzt wurden. [/footnote] In den 50er, 60er und 70er Jahren wurden Versuche angestellt, um festzustellen, wie Brieftauben und andere Vögel zu diesen Leistungen fähig sind. Es wurde gezeigt, daß sie über verschiedene erstaunliche Sinnesfähigkeiten verfügen: Sie können extrem niedrige Frequenzen (bis herab zu 0,1 Hz bei Tauben) „hören“, ultraviolettes und linear polarisiertes Licht sehen und sich an Sonne und Sternen orientieren. Tauben können Luftdruckschwankungen mit einer Genauigkeit wahrnehmen, die der Druckdifferenz bei einem Höhenunterschied von nur 10 Metern entspricht. Untersuchungen Ende der 50er Jahre darüber, wie Vögel die Position der Sonne nutzen, weckte auch das Interesse für Fragen der „biologischen Uhr“,[footnote]Siehe Peter Martinsons Beitrag, „Dem Takt eines anderen Trommlers folgen“.[/footnote] denn die Richtungsbestimmung auf Grundlage der Sonnenposition setzt eine Art Fähigkeit voraus, zu „wissen“, wie spät es ist.

Doch weitere Untersuchungen zeigten, daß die Sinnesfähigkeiten von Vögeln noch umfangreicher sind. Als man zum Beispiel Brieftauben an einen um sechs Stunden nach vorne verschobenen Tag-Nacht-Zyklus gewöhnt hatte, verschob sich dadurch auch deren „biologische Uhr“ um sechs Stunden, so daß sich bei ihrer Aussetzung bei normalem Tageslicht ihr Richtungssinn um etwa 90° drehte (6 auf 12 Uhr entspricht 90° von 360°), weil ihre Sicht der Sonnenposition mit dem veränderten Zeitgefühl korrelierte.[footnote]Wenn man sich zum Beispiel in einem völlig unbekannten Land befindet und denkt, es sei 7 Uhr morgens, weil die Sonne gerade über dem Horizont steht, würde man feststellen, daß diese Richtung Osten sei. Wenn man aus welchem Grund auch immer meinte, es sei 7 Uhr abends und sähe die Sonne an der gleichen Stelle am Horizont, wäre man geneigt, zu meinen, diese Richtung sei Westen.[/footnote] Als aber das gleiche Experiment bei bedecktem Himmel angestellt wurde, konnten die Tauben ohne Probleme nach Hause finden, obwohl aufgrund der Dunkel-Hell-Konditionierung ihre „biologische Uhr“ verschoben war. Das war sogar der Fall, wenn die Tiere in einer ihnen völlig fremden Gegend freigelassen wurden, d.h. sie keinen Hinweis darauf hatten, wohin man sie gebracht hatte (zumindest keinen „Hinweis“ im Sinne der fünf herkömmlichen Sinne).

Andere Versuche bei bedecktem Himmel und/oder eingeschränkter Sicht (mit Hilfe von Mattglasbrillen, mit denen die Vögel nur wenige Meter sehen konnten) erbrachten Hinweise darauf, daß die Vögel über eine weitere Sinnesdimension verfügten. Versuche in den 70er Jahren mit Magneten und Magnetfeldern erbrachten dann den Nachweis einer Sinnesfähigkeit, die einige schon seit über 100 Jahren vermutet hatten: Die Vögel verfügten über eine Art Magnetsinn. Die Frage ist, und sie ist es noch immer: „Wie genau funktioniert dieser Magnetsinn? Was nehmen die Vögel wahr und wie nehmen sie es wahr?“

[subhead]Das Erdmagnetfeld (was wir davon wissen)[/subhead]

Am Ausgangspunkt unserer Untersuchungen wollen wir zunächst darstellen, was uns über die meßbaren Strukturen des Erdmagnetfeldes (EMF) bekannt ist, selbst wenn unsere Kenntnisse darüber ziemlich beschränkt sind. Selbst im einfachsten Sinn ist das EMF weitaus interessanter, als man es mit dem gewohnten Polaritätskompaß messen kann.

Zur weiteren Abklärung wollen wir die Untersuchung nacheinander zu einer immer höheren Auflösung führen. In der einfachsten Sicht ist das EMF ein Dipolfeld mit einem gegenüberliegenden Nord- und Südpol (wobei sie im EMF nicht genau gegenüberliegen). In einem solchen hypothetisch gleichförmigen magnetischen Dipolfeld hat jeder Ort auf der Erde nicht nur eine Polarität (gemessen als [i]Deklination[/i], dem Winkel zwischen dem geographischen Norden [oder Süden] und dem magnetischen Norden [oder Süden], sondern noch zwei weitere Komponenten: eine spezifische [i]Intensität[/i] (das Feld ist an den Polen stärker und schwächt sich zum magnetischen Äquator immer mehr ab) und eine [i]Inklination[/i] (oder Neigungswinkel), womit man messen kann, um wie viele Grade der magnetische Vektor von der Parallele (mit der Erdoberfläche) abweicht (Abbildung 1).

[box:caption="Abbildung 1: Globale Deklinations- und Inklinationskarten vom U.S. Geological Service.";align="right"][attachment:1;width=200;height=156][/box]

[box:caption=" Die animierten Karten finden Sie auf http://www.larouchepac.com/node/17191.";align="right"][attachment:2;width=200;height=156][/box]

Man stelle sich zum Beispiel eine Kompaßnadel vor, die sich in drei Dimensionen frei drehen kann. Am magnetischen Nordpol würde die Nadel gerade nach unten zur Erde zeigen (90° Inklination), aber wenn man sich weiter nach Süden bewegt, würde die Inklination allmählich abnehmen, bis sie am magnetischen Äquator parallel zur Erdoberfläche stünde (0° Inklination). Auch wenn das EMF viel komplexer als nur ein einfaches gleichförmiges Dipolfeld ist, lassen sich diese drei Werte an jedem Ort des EMF messen.[footnote]Einige einfache Abänderungen dieser drei Werte werden ebenfalls verwendet. Die allgemeinen Eigenschaften bleiben die gleichen, nur das Maß kann sich ändern. Anstelle von Deklination (Polarität), Inklination und Intensität kann man noch zwei andere Komponentenreihen benutzen: horizontale Intensität, vertikale Intensität und Deklination sowie x (Nord-Süd-Intensität), y (Ost-West-Intensität) und z (vertikale Intensität). [/footnote]

Bei höherer Auflösung erweist sich die Struktur des EMF jedoch als viel komplizierter. An der Erdoberfläche gibt es überall Abweichungen von der EMF-Struktur. Einige Abweichungen sind relativ groß im Vergleich zur Gesamtstruktur des EMF, aber es gibt auch unzählige kleinere Abweichungen, die gewöhnlich auf die unterschiedliche Dichte metallischer Bestandteile in der Erdkruste zurückzuführen sind (auch magnetische „Anomalien“ bezeichnet). Eine der größten magnetischen Anomalien findet sich beispielsweise in Kursk (450 km südlich von Moskau), wo die Intensität im Vergleich zu der erwarteten Intensität für diesen Ort um das Vierfache höher liegt und die Deklination (Polarität) zwischen +60° und -110° schwankt, wo 8° der erwartete Wert wäre. Ein anderer Extremfall findet sich südlich der finnischen Küste (nahe der Insel Jussarö), wo die Intensität stark ansteigt, und die Abweichungen in der Deklination sind so stark, daß früher viele Schiffe, die sich nur nach dem magnetischen Kompaß richteten, Schiffbruch erlitten haben.

Solche außergewöhnlichen Fälle sind jedoch relativ selten, die meisten anderen Anomalien sind wesentlich geringfügiger, wenn auch überall zu finden, denn fast alle Gesteinstypen enthalten zumindest einige magnetische Substanzen. Wählt man die Maßeinheit klein genug, so ist die Erde übersät mit solchen kleinen Anomalien geringer Intensität (Schwankungen der erwarteten EMF-Stärke von ± 0,1 bis 2,0%).

Diese magnetischen Strukturen sind für uns zwar unsichtbar, aber sie sind so real und zuverlässig wie die Mineralien und anderen Prozesse, die sie bedingen. Sie umgeben uns zu jeder Zeit, nur können wir sie nicht sehen. Andere Lebewesen können sie aber durchaus wahrnehmehn.

Neben diesen relativ festen Strukturen[footnote]Tatsächlich sind die magnetischen Anomalien nur so fest wie die jeweiligen Berge, Täler und Ebenen. Wenn sich die Strukturen der Erdkruste verschieben und umgestalten, so tun dies auch die magnetischen Anomalien. Noch interessanter ist, daß sich auch die großräumigen Strukturen des EMF ändern; es kann sogar zu Umkehrungen des Dipolfeldes kommen, wobei die magnetischen Pole ihre jeweiligen Positionen auf dem Globus tauschen. Wie und warum dies geschieht, ist jedoch noch weitgehend spekulativ. [/footnote] werden auch von oben regelmäßige und unregelmäßige Schwankungen induziert. Die (gravitativen und elektromagnetischen) Effekte der Rotationsbeziehung der Erde mit der Sonne sowie die (gravitativen) Rotationseffekte des Mondes bewirken leichte (manchmal unmerkliche), aber regelmäßige Schwankungen in den auf der Erdoberfläche gemessenen EMF-Eigenschaften. Vieles hiervon wird dem Effekt auf bzw. der Erzeugung von elektrischen Strömen in Atmosphäre, Ionosphäre, Magnetosphäre und ähnlichen Strukturen zugeschrieben, die Magnetfelder erzeugen, die mit dem EMF in Wechselwirkung treten. Selbst bei sehr geringer Stärke können solche regelmäßigen Schwankungen im EMF (täglich, lunarisch, jährlich usw.) für Lebewesen eine zeitliche Landkarte und einen periodischen Gradmesser darstellen. Neben solchen berechenbaren Einflüssen gibt es viel schnellere Mikropulsationen, die noch eine weitere Variationsebene hinzufügen. Ebenso bewirken unregelmäßige Sonnenaktivitäten (Eruptionen, koronale Massenauswürfe, Unterbrechungen des Sonnenwindes[footnote]So ging beispielsweise im Mai 1999 der Sonnenwind, d.h. der ständige Fluß geladener Teilchen, auf weniger als 2% des Normalwertes zurück. Das war der bei weitem extremste Rückgang, der je beobachtet wurde, und ist nach wie vor ein völlig anomales Ereignis. Siehe auch http://science.nasa.gov/science-news/science-at-nasa/1999/ast13dec99_1/.... usw.) sowie andere außerirdische Einwirkungen[footnote]Siehe auch Sky Shields, „Ungehörte Melodien“ in diesem Heft, wo er die großräumigen Wechselwirkungen von Meteoren mit der Ionosphäre und Atmosphäre unserer Erde bespricht. [/footnote] sporadisch Fluktuationen im Magnetfeld an der Erdoberfläche.

Angesichts dieser Variationsbreite des EMF ist die Erkenntnis nicht überraschend, daß Lebewesen nicht auf eine bestimmte Eigenschaft des EMF reagieren; vielmehr läßt sich zeigen, daß eine Vielzahl unterschiedlicher EMF-Eigenschaften Einfluß auf Lebensprozesse nimmt. Derzeit ist die Wahrnehmungsfähigkeit von Magnetwellen bei Vögeln am besten untersucht, und deswegen wird der Bericht auch hauptsächlich darüber handeln; Beispiele von anderen Tieren werden an geeigneter Stelle eingefügt. Doch lassen wir uns davon nicht täuschen: Die Vielzahl von Lebewesen, die auf das EMF reagieren – von Bakterien, Pflanzen, Krustentieren und Insekten bis zu Wirbeltieren wie Fischen, Reptilien, Amphibien, Säugetieren und Vögeln – macht es wahrscheinlich, daß eine Art magnetische Wahrnehmung für Lebensprozesse eher die Regel als die Ausnahme ist.

Wenn es jedoch darum geht, herauszufinden, wie das bei Lebewesen funktioniert, geht die Forschung leider meist von einem verkehrten Ansatz aus, indem zuerst immer die Frage gestellt wird: „Wie verhält sich der Magnetismus in Experimenten der unbelebten Physik?“ Anschließend sucht man in Lebewesen nach speziellen Mechanismen mit solchen Eigenschaften. Dadurch schränkt man die Untersuchung von Lebensprozessen ungerechtfertigt auf den Bereich des Nichtlebenden ein, wohingegen durch die besonderen Arbeiten Louis Pasteurs, wie sie auch im einzigartigen Schaffen Wladimir Wernadskijs erscheinen, nachgewiesen wurde, daß sich Leben nicht auf unbelebte Phänomene reduzieren läßt.[footnote]Über Pasteurs Wirken siehe auch das LPAC-Video „Louis Pasteur: The Space of Life“ (http://www.larouchepac.com/node/13732), über Werndskij siehe “The Physical States of Space” (http://www.21stcenturysciencetech.com/Articles%202008/States_of_Space.pdf) und „Über die Unterschiede zwischen lebenden und nichtlebenden Naturkörpern,“ in Fusion, 3/2000.[/footnote] Diese Frage werden wir in einem spezifischen, größeren Zusammenhang am Ende dieses Aufsatzes behandeln.

Zunächst muß jedoch im Kopf des Lesers die geeignete Geometrie des experimentellen Nachweises erzeugt werden.

[subhead]Ein „Inklinations-Kompaß“[/subhead]

Das folgende soll keine chronologische Darstellung sein, wie sich unser Verständnis der Magnetwahrnehmung in der Wissenschaftsgeschichte entwickelt hat, auch erheben wir keinen Anspruch auf eine vollständige Übersicht über die angestellten Experimente. Die Darstellung ist vielmehr so angelegt, daß die wichtigen Fragen deutlich werden, die für den Bericht insgesamt relevant sind.

Mit umfangreichen Studien ist versucht worden, jene Aspekte des EMF einzugrenzen, die von Tieren wahrgenommen werden, wobei gewöhnlich nur die drei oben erwähnten EMF-Komponenten berücksichtigt wurden. Tiere zeigten Reaktionen auf jeden dieser Faktoren sowie auf Kombinationen davon, was darauf hindeutet, daß sie alle diese Eigenschaften wahrnehmen.[footnote]Die Versuche stützen sich vor allem auf die Fähigkeit von Tieren, Magnetfelder als solche wahrzunehmen, wobei häufig künstliche Magnetfelder verwendet werden, die mit Hilfe elektromagnetischer Systeme erzeugt werden. Allerdings darf man unser Verständnis tierischer Wahrnehmung nicht darauf beschränken. Man kann nicht davon ausgehen, daß die für diese Versuche erzeugten künstlichen Magnetfelder alle Merkmale umfassen, für die Tiere empfindlich sind. Wir wissen, daß man einen begrenzten Bereich des Sinnesapparats simulieren kann, auf den Tiere reagieren, aber wir wissen nicht, wie und auf welche Weise dieser Bereich in bezug auf das gesamte Sensorium eingeschränkt ist, das auf eine noch unbekannte Weise zusammengeschaltet und organisiert ist. Zum Beispiel zeigen ganze Klassen von Lebewesen die Fähigkeit, elektrische Ströme und Felder wahrzunehmen (und in einigen Fällen sogar zu erzeugen), was zwar an sich bemerkenswert ist, aber wegen der engen Beziehung zwischen elektrischen und magnetischen Feldern noch ganz neues Interesse weckt (wobei jedoch erneut angemerkt sei, daß sich viele Untersuchungen dieser Wechselbeziehungen auf unbelebte Bereiche beschränken). In diesem Zusammenhang muß der elektrischen Natur von Lebewesen Beachtung geschenkt werden, die sich in ihrer gesamten Struktur sowie in der Empfindlichkeit von Lebewesen auf extrem niederfrequente elektromagnetische Felder ausdrückt. Ohne genau zu wissen, wie sich die elektrische Natur von Lebewesen äußert, noch wie genau Lebewesen auf solche niederfrequenten Felder reagieren, wäre es vermessen zu erwarten, das ganze Ausmaß der „Magnetwahrnehmung“ von Lebewesen verstehen zu können.[/footnote]

Zum Beispiel hat man bei Vögeln nachwiesen, daß sie sich nach einem Kompaß richten können, allerdings nicht so, wie man sich das vorstellen würde.

Europäische Rotkehlchen zeigen unter Versuchsbedingungen in Gefangenschaft durchgängig das erwartete Verlangen, im Frühjahr nach Norden zu fliegen. Selbst wenn sie weder die Sonne noch einen anderen Orientierungspunkt sehen können, sind die Vögel in der Lage, sich beständig nach Norden zu orientieren, was darauf hinweist, daß sie sich vom natürlichen Erdmagnetfeld leiten lassen. Um herauszufinden, wie das geschieht und auf welche besonderen Merkmale sie dabei reagieren, sind zahlreiche Versuche angestellt worden.

Bei einer Simulation des örtlichen EMF, bei der all die oben erwähnten EMF-Bedingungen nachgeahmt, doch um 120° nach Osten verdreht wurden, zeigten die Vögel ein Verhalten, als wenn sie die entsprechende ungefähre südöstliche Zugrichtung nehmen wollten (Abbildung 2b). Anfänglich schien es, als wenn die Vögel ihre Flugrichtung nach dem magnetischen Norden ausrichten wollten, dann folgten sie aber der Richtungsänderung um 120°.

Bei einer weiteren Simulation ergab sich jedoch eine ganz andere Reaktion. Als der magnetische Norden weiter auf den geographischen Norden wies, aber die Inklination umgekehrt wurde (d.h. über anstatt unter den Horizont zeigte), flogen die Vögel in die genau entgegengesetzte Richtung, d.h. überwiegend zum magnetischen Süden (Abbildung 2c).

[box:caption="Abbildung 2 a-c: Das Orientierungsverhalten europäischer Rotkehlchen im Frühjahr. Die Dreiecke bezeichnen die Richtung einzelner Vögel, und die langen Pfeile zeigen die durchschnittliche Flugrichtung. Darstellung nach Wolfgang und Roswitha Wiltschko, Magnetic orientation and magnetoreception in birds and other animals, Journal of Comparative Physiology, A (2005) 191: pp. 675-693.";align="right"][attachment:3;width=350;height=173][/box]

Das zeigt, daß die Rotkehlchen ihre Flugrichtung nicht nach der magnetischen Polarität ausrichten, sondern vielmehr die Inklination des EMF ermitteln und danach ihre Zugrichtung bestimmen. Die Inklination auf der Nordhalbkugel beispielsweise zeigt nach unten, und je weiter nach unten sie zeigt, desto näher befindet man sich am magnetischen Nordpol.

Alle Vogelarten, die auf diesen „Inklinationskompaß“ getestet wurden, zeigten diese spezifische Fähigkeit. Auch Seeschildkröten und Salamander besitzen einen Inklinationskompaß, wohingegen die einzigen untersuchten Säugetiere (Mullen), aber auch Insekten und Krustentiere nicht auf Inklinationsänderungen reagierten, sondern die Eigenschaften eines „Polaritätskompasses“ (Orientierung in Richtung des magnetischen Nordens/Südens) zeigten.

Weitere Untersuchungen wurden durchgeführt, um die Funktionsweise des Inklinationskompasses zu ergründen. So wurde auch die Intensität getestet. Bei Rotkehlchen, deren normales Erdmagnetfeld etwa 46.000 Nanotesla (nT) beträgt, konnte bei Versuchen mit künstlichen Erdmagnetfeldern gezeigt werden, daß sie sich nicht mehr an ihrer normalen Zugrichtung orientieren konnten, wenn die Intensität um etwa 20-30% erhöht oder vermindert wurde. Das heißt, das Intensitätsfenster, in dem die Vögel auf ihren Inklinationskompaß reagieren, ist relativ eng. Wenn die Vögel jedoch drei Tage vor dem Test einem stärkeren Magnetfeld ausgesetzt wurden, konnten sie sich anschließend auf dem höheren wie auch dem normalen Intensitätsniveau orientieren, allerdings nicht auf einem dazwischenliegenden Niveau, an das sie noch nicht gewöhnt waren.

Es konnte auch gezeigt werden, daß der magnetische Kompaß von Vögeln speziell über das rechte Auge funktioniert. Wenn nämlich das rechte Auge abgedeckt war, konnten sie ihre Zugrichtung nicht finden. Wenn nur das linke Auge abgedeckt war, konnten sie mit Hilfe des rechten Auges ihre Zugrichtung ermitteln.

[subhead]Magnetischer Sinn[/subhead]

Wie eben gesehen, läßt sich nachweisen, daß Tiere viel mehr vermögen, als nur die Inklination des Magnetfelds zur Richtungsbestimmung wahrzunehmen. Aus Beobachtungen ihrer Orientierungsfähigkeit wird deutlich, daß sie mehr wissen müssen als bloß die Richtung. Untersuchungen haben gezeigt, daß Vögel, die an ihnen völlig unbekannten Orten freigelassen wurden und sogar nicht wissen konnten, in welche Richtung man sie transportiert hatte, ihren Heimkurs bestimmen konnten. Sie müssen also nicht nur in der Lage sein, ihre Flugrichtung zu finden (Kompaß), sondern auch irgendwie ihren Standort zu bestimmen. Nur einen Kompaß zu haben, der einem die Richtung nach Norden angibt, ist ziemlich nutzlos, um den Heimweg zu finden, wenn man nicht weiß, wo man sich aktuell befindet. Bei Vögeln und anderen Tieren ließ sich zeigen, daß die Fähigkeit zur Ortsbestimmung auch ein magnetischer Sinn ist.

Bei jeder Bewegung durch das EMF verändern sich neben der Inklination auch die anderen erwähnten Komponenten des EMF, die Intensität und die Polarität (Deklination).

Um zu untersuchen, wie Tiere diese Komponenten zur Positionsbestimmung nutzen, hat man zahlreiche Experimente angestellt. So wurden beispielsweise an der Spitze Floridas Hummer gefangen, deren dortiger Standort im EMF eine bestimmte Intensität, Inklination und Polarität hat. Einige davon blieben vor Ort, aber zwei andere Gruppen von Hummern wurden in unterschiedlichen magnetischen Umgebungen gehalten. Für eine Gruppe wurden magnetische Bedingungen simuliert, als wenn sich die Tiere nördlich ihres ursprünglichen Standortes befänden, während die andere Gruppe in simulierte magnetische Bedingungen eines Standortes im Süden kam. In der ersten Gruppe versuchten sich die Hummer mehrheitlich nach Süden zu bewegen, was der Richtung ihres Heimatstandortes entsprach, wenn sie sich tatsächlich an der durch die simulierten magnetischen Bedingungen definierten Stelle befänden. Ähnlich versuchte die zweite Gruppe, die magnetischen Bedingungen ausgesetzt war, welche eine Stelle südlich ihres Heimatstandortes simulierte, nach Norden zu bewegen, obgleich sie sich geographisch an der gleichen Stelle wie die erste Gruppe befand. In beiden Fällen scheinen die künstlichen Magnetsignale ausgereicht zu haben, um die Hummer „denken“ zu lassen, sie befänden sich tatsächlich an dem Ort mit diesen magnetischen Bedingungen (Abbildung 3).

[box:caption="Abbildung 3:
Die Kreise zeigen die Bewegungsrichtung einzelner Hummer. Abbildung nach Wolfgang und Roswitha Wiltschko, a.a.O.";align="right"][attachment:4;width=350;height=222][/box]

Einige Vögel zeigen sogar noch komplexere Fähigkeiten, die magnetischen Eigenschaften des EMF zu nutzen; sie können nicht nur ihren relativen Standort bestimmen, sondern auch auf die dortigen geographischen Merkmale reagieren. Sie reagieren, als wenn sie die geographischen Bedingungen kennen würden, selbst wenn ihnen nur die entsprechenden magnetischen Bedingungen bekannt sind.

Der europäische Trauerschnäpper nimmt bei seiner südlichen Zugbewegung im Herbst nicht den Weg direkt nach Süden, sondern fliegt zunächst nach Südwesten in Richtung iberischer Halbinsel, um so die Alpen zu umgehen. Nach einer bestimmten Strecke ändert er die Richtung um etwa 90° und fliegt nach Südosten. Dadurch vermeidet er den Flug über die Sahara. Häuslich aufgezogene Vögel dieses Bestands wurden in Orientierungskäfigen untersucht, wobei sie während der gesamten Testperiode am gleichen geographischen Ort blieben. Bei einsetzender Zugzeit entwickelten die Vögel das erwartete Verhalten, sich in südwestlicher Richtung zu orientieren. Diese Zugorientierung hielt nur solange an, bis sie einem künstlichen Magnetfeld ausgesetzt wurden, das die magnetischen Bedingungen in Nordafrika simulierte. Unmittelbar änderten sie ihre Zugorientierung um 90° und wandten sich nach Südosten. Visuelle oder andere Reize blieben unverändert, nur die magnetischen Bedingungen änderten sich.

Man beachte, daß die magnetische Stimulierung und die Zugorientierung verschiedener Tierarten keine Allgemeingültigkeit haben (d.h. an der simulierten magnetischen Umgebung an sich ist nichts, das eine besondere Richtung für jedes Tier vorgäbe). Wenn man beispielsweise Hummer den gleichen magnetischen Bedingungen von Nordafrika aussetzte, würden sie nicht die gleiche Richtung wie die Trauerschnäpper einschlagen, sondern würden sich wahrscheinlich in eine Richtung wenden, die sie zurück nach Florida brächte.

Ähnliche Versuche wurden mit Sprossern angestellt, die man in Schweden gefangen hatte. Im Herbst wurden sie an einer ortsfesten Stelle einem künstlichen Magnetfeld ausgesetzt, das ihnen die magnetischen Bedingungen auf ihrer regulären Zugroute simulierte. Alle anderen Einflüsse blieben unverändert. Ihre Freßgewohnheiten und ihr Körpergewicht wurden beobachtet. Sie zeigten anfangs eine langsame, regelmäßige Gewichtszunahme; als jedoch das simulierte Magnetumfeld dem von Ägypten entsprach, zeigten die Vögel plötzlich eine dramatische Gewichtszunahme, was genau der Entwicklung auf ihrer tatsächlichen Zugroute entspricht. Bevor sie nämlich die ägyptische Wüste überqueren, wo es kaum Nahrung gibt, legen sie deutlich an Gewicht zu. Bei diesem Versuchsverlauf basierte die Verhaltensreaktion der Vögel ausschließlich auf den magnetischen Reizen im Zusammenhang mit der geographischen Lage, die eine besondere Bedeutung für ihr Zugmuster hat.

Die Fähigkeit, Magnetfeldbedingungen als „magnetische Marker“ oder „magnetische Wegweiser“ zu benutzen, ist nicht auf Vögel beschränkt. Junge Unechte Karettschildkröten ([i]Caretta caretta[/i]) aus Florida zeigen in ihren ersten Lebensjahren ein interessantes Verhalten. Sie bewegen sich im Atlantischen Ozean, bleiben jedoch immer in einer bestimmten Region, dem sogenannten Nordatlantischen Wirbel. Gerade geschlüpfte Schildkröten dieser Gruppe wurden daraufhin getestet, ob diese Eigenschaft auf magnetischer Wahrnehmung basiert. Wie im Fall der Vögel und Hummer wurden alle Schildkröten an einem Ort gehalten, wo sie aber in Gruppen den jeweiligen magnetischen Bedingungen an drei Orten am Rande des Wirbels ausgesetzt wurden. In allen Fällen orientierten sich die jungen Schildkröten in eine Richtung, in der sie innerhalb des Wirbels verbleiben würden, als wenn sie sich tatsächlich an den geographischen Orten befunden hätten, die die simulierten magnetischen Bedingungen anzeigten. Als junge Schildkröten hatten sie das gesamte Gebiet des Nordatlantischen gewiß noch nie kennengelernt, so daß ihnen neben der Fähigkeit, sich an magnetischen Bedingungen zu orientieren, offenbar auch eine Art magnetische Karte des Atlantiks angeboren sein mußte (Abbildung 4).

[box:caption="Abbildung 4:
Die drei verschiedenen Orte, deren magnetische Bedingungen simuliert wurden. Die Kreise zeigen die Bewegungsrichtung einzelner Schildkröten, die den beschriebenen magnetischen Bedingungen ausgesetzt waren. Abbildung nach Wolfgang und Roswitha Wiltschko, a.a.O.";align="right"][attachment:5;width=300;height=236][/box]

[subhead]Mögliche Mechanismen, aufgedeckte Paradoxe[/subhead]

Die Frage bleibt bestehen: Wie können diese Tiere das Magnetfeld wahrnehmen?

Man hat bestimmte Mechanismen vorgeschlagen und untersucht, die bei der Reaktion von Lebewesen auf das EMF eine Rolle spielen, doch deren genaue Funktionsweise ist nach wie vor unklar. Wie wir sehen werden, ist diese Frage viel interessanter, als daß man sie nur durch die Reaktion eines einzelnen Mechanismus auf ein Magnetfeld erklären kann.

Man hat Strukturen des biogenen Minerals Magnetit in verschiedenen Lebewesen festgestellt und auf seine mögliche Funktion bei der Erkennung des EMF untersucht. In einem Bericht heißt es, die verschiedenen Magnetitstrukturen seien so vielfältig, daß man sie bei „Arten zu allen großen Stämmen gehörend“ gefunden habe.[footnote]Siehe Wolfgang und Roswitha Wiltschko, „Magnetic orientation and magnetoreception in birds and other animals“, Journal of Comparative Physiology, A (2005) 191:675-693.[/footnote] Jedoch gibt es noch kein umfassendes Bild davon, wie diese Strukturen funktionieren.

Um die Funktionsweise der Magnetitstrukturen zu untersuchen, wurden Versuche angestellt, um festzustellen, ob die Störung ihrer magnetischen Polarität die Magnetrezeption der Lebewesen beeinträchtigt. Bei Versuchen mit Vögeln wurden auf die Schnäbel des australischen Brillenvogels starke, sehr kurze magnetische Pulse abgegeben, unter der Vorstellung, daß sich dadurch die Magnetisierung des Magnetits ändern würde (bei Vögeln finden sich die Magnetitstrukturen im Schnabel). Die Pulse waren 3-5 Millisekunden lang und etwa von der 10.000fachen Stärke des natürlichen Magnetfeldes. Nach Applikation des Pulses verschob sich die Orientierung der Vögel gegenüber ihrer vorherigen nördlichen Zugorientierung um 90° nach Osten. Diese östliche Ausrichtung hielt etwa drei Tage an, gefolgt von einer etwa siebentägigen allgemeinen Verwirrung. Danach kehrte die normale Orientierungsfähigkeit der Vögel wieder zurück.

Die Ergebnisse waren jedoch nicht einheitlich. Interessant ist, daß der Puls nur bei [i]ausgewachsenen[/i] Vögeln, die bereits Zugerfahrungen hatten, wirksam war. [i]Jungvögel[/i] dieser Art ohne Zugerfahrung blieben unbeeinflußt, und die meisten fanden die richtige Zugrichtung ohne Schwierigkeit (Abbildung 5).

[box:caption="Abbildung 5:
Ausgewachsene australische Brillenvögel wurden von einem magnetischen Puls desorientiert, nicht jedoch Jungvögel. Abbildung nach Wolfgang und Roswitha Wiltschko, a.a.O.";align="right"][attachment:6;width=330;height=243][/box]

Man schlußfolgerte daraus, daß die Magnetitstrukturen die Rolle einer magnetischen Landkarte spielen könnten, die sich mit der Zeit aufbaut. Die erfahrenen Vögel schienen sich auf diese Karte zu stützen, während Jungvögel noch keine Karte entwickelt hatten, sich aber durch andere Mechanismen am Magnetfeld orientieren können.

In einer Abänderung des Experiments erhielten ausgewachsene Vögel den gleichen starken Magnetpuls, aber bevor ihre Zugorientierung getestet wurde, wurde ihr Schnabel (Sitz der Magnetitstrukturen) mit einem Lokalanästhetikum behandelt. Hiernach fanden die Vögel ihre richtige Zugrichtung ohne Probleme, obwohl sie einem starken Magnetpuls ausgesetzt worden waren.

Daraus läßt sich schließen, daß die Magnetitstrukturen im Schnabel zwar an der Magnetwahrnehmungsfähigkeit von Vögeln beteiligt sind, aber sie sind nicht der alleinige Mechanismus. Die Vögel konnten eindeutig einen anderen Bereich ihres Magnetsinns verwenden, nämlich den oben erwähnten lichtabhängigen „Inklinationskompaß“, der nicht mit dem Schnabel, sondern mit dem Auge in Verbindung steht.

Weitere Versuche mit Tieren haben gezeigt, daß die Lichtabhängigkeit nicht auf Vögel beschränkt ist. Bei Salamandern beispielsweise ließ sich durch die Abdeckung des linken oder rechten Auges oder beider Augen nicht deren Fähigkeit unterbinden, sich mit ihrem Inklinationskompaß zu orientieren. Nur wenn die Zirbeldrüse (das sogenannte „dritte Auge“) abgedeckt wurde, wurden die Salamander desorientiert, selbst wenn sie mit beiden Augen sehen konnten.

Mitte der 70er Jahre hatte man bei Laborexperimenten entdeckt, daß bestimmte chemische Reaktionen auf schwache Magnetfelder reagieren. Die nur bei Licht ablaufenden Reaktionen ließen sich durch die Anlegung eines äußeren Magnetfeldes beeinflussen. Man erklärte solche Experimente mit bestimmten spin-chemischen Modellen.

Dann wurde die Frage gestellt: „Sind solche chemischen Reaktionen auch in Lebewesen möglich, wodurch sie in der Lage wären, das EMF wahrzunehmen?“

Einige allgemeine Eigenschaften eines solchen Prozesses konnten unmittelbar untersucht werden, um zu sehen, ob sich dadurch die Magnetrezeption von Vögeln und anderen Tieren beeinflussen ließe.

Am naheliegendsten war die Lichtabhängigkeit. Wie wir aus früheren Versuchen gesehen hatten, brauchen die Vögel Licht für ihren „Inklinationskompaß“; jedoch ließ sich auch zeigen, daß dieser nur bei bestimmten Farben und Lichtintensitäten funktionierte. Näheres dazu weiter unten.

Noch ein zweiter Test wurde entwickelt. Auf Grundlage des spin-chemischen Modells, so wurde argumentiert, müßte ein oszillierendes Magnetfeld (mit schnellen, wenn auch nur sehr geringfügigen Intensitätsschwankungen) den Prozeß unterbrechen – allerdings nur, wenn die Oszillationsfrequenz genau den richtigen Wert hätte. Wenn schwache Magnetfeldoszillationen die Magnetwahrnehmung der Tiere stören würde, wäre dies ein Beleg für diesen speziellen Mechanismus.

Der Störeffekt auf die magnetische Wahrnehmung wurde erstmals bei Vögeln festgestellt. Dabei waren Magnetfeldoszillationen von erstaunlich geringer Intensität, Schwankungen von lediglich 5-15 nT (0,01% der mittleren Normalstärke des EMF) tatsächlich in der Lage, die magnetische Wahrnehmung zu stören und allgemeine Verwirrung zu erzeugen – und zwar bei genau der richtigen Frequenz im Bereich von 0,1 bis 10 MHz.[footnote]Man stelle sich vor, die Helligkeit des Lichts in einem Raum würde um ein Zehntausendstel verringert und dann vom Ausgangswert um den gleichen Betrag erhöht. Würde man das wahrnehmen, wenn dies in schneller Abfolge geschähe? In einem Magnetfeld ist eine solche Intensitätsschwankung selbst bei so geringer Änderung ausreichend, um den hier untersuchten Magnetsinn zu stören. Dieses magnetische Phänomen gehört zu einer Klasse „schwacher Kräfte“, deren Bedeutung sich nicht durch einen skalaren Intensitätswert, sondern durch geometrische Resonanz bestimmt, wobei die abgestimmte Qualität eines Prozesses die Wechselwirkung ermöglicht. Dem steht das begrenzte, falsche Verständnis gegenüber, daß Wechselwirkungen nur durch Quantitätsstufen bestimmt seien – eine Brachialmethode.[/footnote] Das gleiche ließ sich auch bei Kakerlaken nachweisen (ja, sie haben auch eine Magnetwahrnehmung!), wobei extrem schwache oszillierende Magnetfelder einer genauen Frequenz ihren Inklinationskompaß lahmlegten und zu allgemeiner Desorientierung führten.

Die Wechselwirkung schwacher Oszillationen mit Prozessen im Zusammenhang mit der Magnetwahrnehmungsfähigkeit von Tieren ist ein nützlicher Nachweis. Ein solcher Funktionsausfall ist Zeichen für eine Resonanz, was bedeutet, daß man die Frage auch umkehren kann, indem man fragt: [i]„Auf welche qualitativen Eigenschaften des betreffenden Prozesses läßt sich auf Grundlage der schwachen Oszillationen, mit denen er interagiert, schließen?“[/i]

Derzeit lassen sich noch keine genauen Schlüsse ziehen, wie der Prozeß im Organismus abläuft. Tatsächlich konnte erst im letzten Jahrzehnt bei Lebewesen ein spezifischer Lichtrezeptor nachgewiesen werden, der diese Funktion haben könnte. Das Flavoprotein Cryptochrom, das Licht im blauen Bereich des Spektrums absorbiert, wurde erstmals 1998 im Zusammenhang mit seiner möglichen Beteiligung an der circadianen Rhythmik von Pflanzen entdeckt.

Seither wurde diese Substanz in zahlreichen Lebewesen gefunden. Um ihre mögliche Beteiligung bei der Magnetrezeption nachzuweisen, wurden Versuche mit Pflanzen ([i]Arabidopsis thalania[/i]) und mit Fruchtfliegen angestellt. Beide zeigten eine Empfindlichkeit für Magnetfelder: Bestimmte Eigenschaften des Pflanzenwachstums korrespondierten nachweislich mit der Intensität des Magnetfelds, und mit Hilfe ihres Magnetsinns ließen sich Fliegen so abrichten, daß sie ein Magnetfeld ausfindig machen konnten, indem sie es mit Nahrung in Verbindung brachten. In beiden Fällen war für die Reaktion auf das Magnetfeld Licht im blauen Bereich des Spektrums erforderlich. Als die Fliegen und Pflanzen jedoch genetisch verändert wurden, so daß sie ohne das mit Cryptochrom assoziierte genetische Material aufwuchsen, zeigten sie keinerlei Reaktion mehr auf magnetische Felder.

Offenbar besteht eine Beziehung zur Magnetrezeption, aber es ist nach wie vor unklar, was sich dabei genau abspielt, und selbst die größten Koryphäen, die dieses Modell befürworten, wagen nicht zu behaupten, daß hiermit irgend etwas bewiesen wäre. Noch eine weitere potentiell interessante Frage taucht hier auf.

Die Lichtabhängigkeit und die typischen Störungen unter einem schwachen oszillierenden Magnetfeld geeigneter Frequenz sollen die Vorstellung stützen, daß der lichtempfindliche Mechanismus irgendwie mit einem chemischen Prozeß in Verbindung stehen könnte (Wechselwirkung im Kleinen).

Es ist jedoch unbekannt, ob eine solche Wechselwirkung außerhalb von Lebensvorgängen replizierbar ist. Das heißt, man kann nicht davon ausgehen, daß sich mit Hilfe von Prozessen der unbelebten Chemie oder Physik, wie man sie derzeit versteht, hinreichend darstellen läßt, wie es im Kleinen durch das Zusammenspiel von Licht und äußerem Magnetfeld [i]innerhalb eines Lebewesens[/i] zur Wahrnehmung des EMF kommt oder dieses zumindest daran beteiligt ist. Ganz wichtig ist es, die Untersuchungen nicht auf Modelle zu beschränken, die sich nur an der unbelebten Physik orientieren.

Unter der Annahme, daß an diesem Aspekt der Magnetrezeption eine chemische Reaktion beteiligt ist, könnten die folgenden Versuchsreihen interessante Aufschlüsse darüber geben, wie die Wechselwirkung von Licht und Magnetismus mit chemischen Prozessen in lebenden Organismen abläuft. Die unten dargestellten Ergebnisse zeigen einige grundlegende Probleme auf, wenn man versucht, die Fähigkeit von Lebewesen zur Magnetwahrnehmung auf einen spezifischen Mechanismus zurückzuführen.

[subhead]Lichtabhängigkeit[/subhead]

Aus den bisher besprochenen Versuchen haben sich für die Forschung zwei unterschiedliche Mechanismen für die Magnetrezeption mit jeweils unterschiedlichen Eigenschaften ergeben. Als Beispiel hierfür möge ein Zitat über Magnetrezeption aus einem Buch über Photobiologie von 2008 dienen:

[i]„Tiere können unterschiedliche Parameter des Erdmagnetfeldes durch zwei unabhängige Hauptmechanismen der Magnetrezeption wahrnehmen: 1. Einen lichtabhängigen Prozeß zur Wahrnehmung von Achsenverlauf und Neigungswinkel der geomagnetischen Feldlinien, wodurch die Tiere Informationen wie von einem magnetischen Kompaß (Inklinationskompaß) erhalten, und 2. einen durch Magnetit vermittelten Prozeß, der Informationen über eine magnetische Landkarte liefert (Landkartensinn).“[/i][footnote][i]Photobiology: The Science of Life and Light[/i] (Springer Science+Business, LLC, 2008)[/footnote]

Die experimentellen Nachweise zeigen, daß die Wahrnehmungsfähigkeit im Zusammenhang mit der kartenähnlichen Magnetrezeption von Vögeln dem Schnabel zugeordnet ist und von einem starken Magnetpuls gestört wird. Die „zweite“, vermeintlich unabhängige, mit dem Auge verbundene Funktion (der „Inklinationskompaß“) hat eigene, unterschiedliche Eigenschaften. Vor allem ist sie lichtabhängig und insbesondere auf das rechte Auge beschränkt. Sie ist nicht polar, sondern erfaßt die Inklination des Magnetfeldes; sie hat ein enges Intensitätsfenster (solange der Vogel nicht an andere Intensitäten gewöhnt ist); sie wird durch schwache, oszillierende Magnetfelder im MHz-Bereich gestört; sie läßt sich weder durch Betäubung des Oberschnabels noch durch starke Magnetpulse beeinflussen. Doch trotz der scheinbaren Verschiedenheit haben Versuche eine komplexe Wechselwirkung zwischen beiden ergeben. Um das zu verstehen, müssen wir die Lichtabhängigkeit des „Inklinationskompasses“ weiter untersuchen.

Zunächst wurde gezeigt, daß der lichtabhängige Prozeß im rechten Vogelauge [i]nur bei bestimmten Lichtfarben funktioniert.[/i]

Wenn Vögel bei Licht aus dem blau-grünen Bereich des Spektrums untersucht wurden, konnten sie ohne Probleme ihre Flugrichtung finden. Bei umfangreichen Experimenten mit Rotkehlchen in blauem oder grünem Licht orientierten sich die Vögel im Frühjahr nach Norden und im Herbst nach Süden, genauso, wie sie es auch in der Natur tun würden. Selbst bei UV-Licht (373 nm) fanden die Rotkehlchen die richtige Orientierung. Wurde jedoch gelbes oder rotes Licht verwendet, zeigten die Vögel durchgehend eine chaotische Desorientierung (Abbildung 6).

[box:caption="Abbildung 6:
Orientierung von Vögeln bei unterschiedlichen monochromatischen Lichtfarben. Abbildung nach Wolfgang und Roswitha Wiltschko, a.a.O.";align="right"][attachment:7;width=300;height=197][/box]

Jedesmal wurde einfarbiges (monochromatisches) Licht verwendet.

Daraus läßt sich schließen, daß die lichtabhängige Magnetrezeption nur zwischen dem UV- und Grünbereich des Spektrums aktiviert wird und im Gelb- bis Rotbereich nicht richtig funktioniert. Wie oben gesehen, ist diese lichtabhängige Reaktion mit dem Inklinationskompaß verbunden, mit dem die Vögel die Inklination des Magnetfelds zur Richtungsbestimmung benutzen (d.h. wenn sich die Inklination umkehrt, würden die Vögel in die entgegengesetzte Richtung fliegen, obgleich die Richtung der Nord- und Süd-Komponenten des Magnetfelds unverändert sind). Man erinnere sich auch, daß die lichtabhängige Magnetrezeption durch sehr schwache oszillierende Magnetfelder geeigneter Frequenz gestört werden kann. Diese Besonderheiten wurden für einfarbiges Licht im UV-, Blau-, Türkis- und Grünbereich getestet (Abbildung 7).

[box:caption="Abbildung 7:
Orientierung von Vögeln bei monochromatischen Farben in Kombination mit einem sehr schwachen oszillierenden Magnetfeld. Abbildung nach Roswitha Wiltschko, Katrin Stapput, Peter Thalau und Wolfgang Wiltschko, “Directional orientation of birds by the magnetic field under different light conditions,” R. J. Soc. Interface (2010) 7, S. S163-177. ";align="right"][attachment:8;width=320;height=368][/box]

Sämtliche Versuche mit monochromatischem Licht wurden jedoch bei sehr geringen Intensitäten durchgeführt, d.h. diese entsprachen grob der Helle, die etwa eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang bzw. nach Sonnenuntergang herrschen. Versuche im hellen Tageslicht, wenn die Vögel das gesamte sichtbare Spektrum gleichzeitig wahrnehmen, zeigten keine Probleme mit dem lichtabhängigen Magnetsinn. Nur in den engen Bereichen des monochromatischen Lichts ergaben sich mit wachsender Lichtintensität interessante Probleme.

Bei Intensitäten weit unterhalb eines sonnigen Tages begannen die Vögel bei Verwendung von monochromatischem Licht merkwürdige Reaktionen zu zeigen. Bei Versuchen mit Rotkehlchen bei grünem Licht geringer Intensität (8 ∙ 1015 Quanten/s/m2) orientierten sich die Vögel in die richtige Zugrichtung, in diesem Fall nach Norden. Bei stärkerem grünen Licht (36 ∙ 1015 Quanten/s/m2) zeigten sie eine allgemeine Desorientierung. Bei weiterer Steigerung (54 ∙ 1015 Quanten/s/m2) ergab sich eine merkwürdige Reaktion: Sie orientierten sich spezifisch entweder nach Osten oder nach Westen. Bei noch stärkerem grünen Licht (72 ∙ 1015 Quanten/s/m2) war die bevorzugte Richtung nun Nord oder Süd. Selbst diese höchste untersuchte Lichtstärke entsprach nur der Helligkeit beim Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang. Dieses neue Phänomen wurde als „Achsenpräferenz“ bezeichnet (Abbildung 8)

[box:caption="Abbildung 8:
Zugrichtung von Vögeln bei steigenden Intensitäten grünen Lichts. Abbildung nach Wolfgang und Roswitha Wiltschko, a.a.O.";align="right"][attachment:9;width=320;height=107][/box]

Da die Lichtstärke noch weitaus geringer war, wie sie zur Mittagszeit an einem normalen Tag herrscht (wo die Vögel keinerlei Orientierungsprobleme haben), kann es sich hierbei nicht um eine visuelle Übersättigung der Vögel gehandelt haben. Zumindest nicht im einfachen Sinn. Und es entstand mehr als nur allgemeine Verwirrung, denn die Vögel waren nicht generell desorientiert, sondern wählten überwiegend eine bestimmte Achsenrichtung, die sich von der erwarteten Zugrichtung unterschied. Auch änderte sich die Achsenrichtung mit unterschiedlichen Intensitäten, und man stellte fest, daß unterschiedliche Lichtstärken erforderlich waren, um die gleiche Achsenrichtung bei unterschiedlichen Farben zu erreichen (beispielsweise eine Ost-West-Orientierung bei grünem Licht und dann bei blauem Licht). Um bei einzelnen Farben (UV, Blau, Türkis und Grün) eine allgemeine Reaktion in Ost-West-Richtung zu erreichen, mußte im Experiment die jeweilige Lichtstärke entsprechend ansteigen (Abbildung 9).

[box:caption="Abbildung 9:
Vergleich der allgemeinen Sichtempfindlichkeitsänderung von Vögeln bei verschiedenen Lichtfarben mit der Intensität, mit der bei unterschiedlichen Farben die gleiche Richtungsorientierung erzielt wird. Abbildung nach Roswitha Wiltschko u.a., a.a.O.";align="right"][attachment:10;width=320;height=380][/box]

Es sei angemerkt, daß die Beziehung zwischen Intensität und Farbe grob der Empfindlichkeit der verschiedenen Lichtzapfen im Vogelauge entspricht. Das heißt, die Lichtstärke, bei der eine bestimmte Achsenreaktion ausgelöst wird, nimmt ab, wenn man sich vom grünen zum UV-Licht bewegt, genauso wie die Empfindlichkeit des Rezeptors im Vogelauge zunimmt, wenn man sich vom grünen zum UV-Licht bewegt.

[subhead]Farben mischen[/subhead]

Eine letzte Versuchsreihe erzeugt in unserem Verständnis des Magnetsinns von Vögeln ein unerwartetes Paradox.

Wie wir gesehen haben, funktioniert die lichtabhängige magnetische Reaktion von Vögeln bei schwachem monochromatischem Licht vom UV- bis zum grünen Bereich. Sie funktioniert jedoch nicht bei gelb-rotem Licht, das die Vögel orientierungslos macht. Wenn man in einem neuen Versuch nun schwaches Türkislicht zu schwachem Gelblicht hinzufügt, ergibt sich eine neue Reaktion. Die Vögel wählen dann nicht ihre natürliche Zugrichtung wie unter Türkis allein (oder bei normalem Tageslicht), geraten aber auch nicht in eine allgemeine Desorientierung wie bei gelbem Licht allein. Vielmehr wählen sie alle eine spezifische Zugrichtung, die jedoch nicht der erwarteten Orientierung entspricht. Alle wenden sich im Frühjahr wie im Herbst in eine südöstliche Richtung, wohingegen sie sich unter normalen Bedingungen im Herbst nach Süden und im Frühjahr nach Norden orientieren würden. Wegen der gleichen Zugrichtung in Frühjahr und Herbst bezeichnete man dies als „Fixrichtung“.

Vor allem wird daran deutlich, daß gelbes Licht für Vögel nicht einfach nur einen Nulleffekt hat, sondern auf irgendeine Weise mit dem magnetischen Wahrnehmungsprozeß in Wechselwirkung steht. Als nächstes wurde gezeigt, daß die tatsächliche „Fixrichtungs-Reaktion“ davon abhing, welche Farben mit dem Gelb gemischt wurden. So bewirkt beispielsweise Gelb-Blau eine südliche, Gelb-Grün eine nördliche und Gelb-Türkis eine ost-südöstliche Richtung.

Jetzt werden die Dinge eigenartig.

Die „Fixrichtungs-Reaktion“ ist also lichtabhängig, weil die Lichtqualität ihre Richtung bestimmt. Die folgende Versuchsreihe belegt jedoch, daß sie Eigenschaften zeigt, die der normalen lichtabhängigen Magnetorientierung von Vögeln, wie oben erwähnt, [i]entgegengesetzt[/i] sind. Man erinnere sich, daß die normale lichtabhängige Magnetorientierung von der Inklination und nicht von der Polarität (Deklination) des Magnetfeldes abhängig ist. Die „Fixrichtungs-Reaktion“ erwies sich jedoch als gleich, wenn sich die Inklination umkehrte, drehte sich aber um, wenn die Polarität umgedreht wurde. D.h. sie zeigte die gegenteiligen Eigenschaften der normalen lichtabhängigen Reaktion (Abbildung 10).

[box:caption="Abbildung 10:
Unter dem jeweiligen Farbenpaar wählen die Vögel unterschiedliche Fixrichtungen, aber innerhalb jeden Farbenpaares wählen sie im Frühjahr und im Herbst stets die gleiche Fixrichtung. Als die senkrechte Komponente des Magnetfeldes umgekehrt wurde, reagierten die Vögel nicht anders als unter normalen Lichtbedingungen. Als aber die Polaritätsrichtung um 180° gedreht wurde, veränderten die Vögel ihre Fixrichtung um die gleichen 180°, obgleich sie dies unter normalen Lichtbedingungen nicht tun. Abbildung nach Roswitha Wiltschko u.a. (2010), a.a.O.";align="right"][attachment:11;width=320;height=365][/box]

Man könnte das damit abtun, indem man sagt, die Vögel seien einfach verwirrt. Interessanterweise gibt es aber eine Ordnung in dieser Verwirrung, da sie nach wie vor beständig bestimmte Richtungen suchen.

Tatsächlich scheint die „Fixrichtungs-Reaktion“, obwohl eindeutig lichtabhängig, alle Eigenschaften zu verlieren, die nach früherer Feststellung dem normalen lichtabhängigen Magnetsinn entsprachen. Es folgen die Ergebnisse einer weiteren Versuchsreihe.

● Die normale lichtabhängige Funktion war von der Inklination des Magnetfeldes, nicht aber von seiner Polarität abhängig; die lichtabhängige Fixrichtungs-Reaktion ist polar- und nicht inklinationsempfindlich.

● Die normale lichtempfindliche Funktion wurde durch schwache Schwankungen der Magnetfeldstärke gestört; die lichtabhängige Fixrichtungs-Reaktion war von diesen Effekten nicht beeinträchtigt.

● Die normale lichtempfindliche Funktion funktionierte in einem engen Intensitätsfenster (ungefähr ± 20-50% der örtlichen EMF-Stärke); die lichtabhängige Fixrichtungs-Reaktion hat kein begrenztes Intensitätsfenster, sondern tritt in einem breiten Intensitätsbereich auf.

● Die normale lichtempfindliche Funktion wird durch lokale Betäubung am Oberschnabel nicht gestört – dem Ort, wo die Magnetitstrukturen von Vögeln im Zusammenhang mit der „anderen“ Fähigkeit zur Wahrnehmung von Magnetfeldern liegen. Aber unter lokaler Betäubung des Schnabels verliert die lichtabhängige Fixrichtungs-Reaktion ihre Funktion, und es kommt zu einer allgemeinen Desorientierung.

Auch wenn somit eindeutig aufgezeigt werden kann, daß die Fixrichtungs-Reaktion auf irgendeine Weise lichtabhängig ist, scheint sie ebenso auf dem anderen Mechanismus der Magnetitstrukturen im Schnabel zu beruhen, bei denen es keinerlei Hinweise auf eine Lichtabhängigkeit gibt (in keiner der Theorien, wie die Magnetitstrukturen funktionieren könnten, ist von Lichtabhängigkeit die Rede).

[subhead]Magnetwahrnehmung im Sensorium[/subhead]

Aus dem eben Dargestellten ergibt sich unmittelbar, daß es zwischen zwei magnetischen Wahrnehmungsfähigkeiten ein bestimmtes komplexes Zusammenspiel geben muß. Vielleicht ist es falsch, sie als unterschiedliche Fähigkeiten zu betrachten; sie sind wahrscheinlich eher Bestandteile eines Systems. Auch das menschliche Auge beispielsweise benutzt drei verschiedene Zapfen, um verschiedene Wellenlängen des Lichts zu erkennen, aber die drei Zapfen-Meßwerte nimmt man wie einen Sinn wahr. Vielleicht gibt es ja noch andere, uns bisher unbekannte Mechanismen bei der Magnetrezeption, die bei den Vögeln als ein integriertes Sinnesorgan wirken.

Jedenfalls handelt es sich offenbar nicht bloß um einen Magnetsinn als solchen. Die erwähnten Versuchsreihen mit der Intensität monochromatischen Lichts und der Mischung verschiedener Lichtfarben lassen auf eine Art Zusammenspiel zwischen dem Magnetsinn und dem visuellen System von Vögeln schließen. An zwei Belege hierfür sei noch einmal erinnert.

Erstens, bei Versuchen mit verschiedenen Lichtstärken wurden bestimmte Flugreaktionen auf Fixachsen induziert, wodurch die Vögel durchgehend spezifische Richtungen wählten, auch wenn diese von ihrer erwarteten Zugrichtung abwich. Die Richtung änderte sich mit unterschiedlichen Lichtstärken und unterschiedlichen Farbmischungen des Lichts. Wenn man die unterschiedlichen Farben und Lichtstärken vergleicht, bei denen eine bestimmte Fixrichtung induziert wurde (beispielsweise der Drang, nach Osten oder nach Westen zu fliegen), ergab sich eine ähnliche Beziehung zwischen dem Intensitäts-Farb-Verhältnis und der normalen visuellen Empfindlichkeit des Vogels für unterschiedliche Farben. Das heißt, wenn sich die Lichtquelle von grünem zu UV-Licht bewegt, nahm die erforderliche Lichtintensität zur Auslösung der gleichen Fixrichtungs-Reaktion (d.h. Ost oder West) immer weiter ab – was allgemein dem Umstand entspricht, daß die Zapfenrezeptoren der Vögel offenbar empfindlicher werden, wenn man sich das Licht von grün zu UV bewegt (siehe oben Abbildung 10).

Im zweiten Fall konnten sich die Vögel unter schwachem monochromatischem Licht von UV bis Grün einwandfrei an ihrer Zugrichtung orientieren, aber bei Gelb und weiter ins Rot wurden sie generell desorientiert und konnten sich für keine bestimmte Richtung entscheiden. Die einfache Deutung wäre, daß die Magnetwahrnehmung zu ihrer Funktion Licht aus dem ultravioletten bis grünen Bereich braucht und bei anderen Wellenlängen nicht funktioniert, wobei impliziert wäre, daß der Magnetsinn der Vögel mit gelbem Licht einfach nicht aktiviert wird. Die Lage scheint jedoch nicht ganz so einfach zu sein. Als zwei Farben gemischt wurden, zum Beispiel Grün und Gelb, schien das Gelb keinen Nulleffekt mehr zu haben, denn die Vögel wählten eine bestimmte Fixrichtung, die zwar nicht ihrer erwarteten Zugrichtung entsprach, doch wenn Gelb lediglich einen Nulleffekt hätte, sollte man erwarten, daß sich die Vögel bei einer Grün/Gelb-Mischung an ihrer normalen Zugrichtung orientieren würden.

Beachtenswert ist, daß das Molekül Cryptochrom, das auf das Magnetfeld reagieren soll, für blaues Licht empfindlich ist, nicht aber auf gelbes und rotes. Damit bleibt eigentlich keine mechanische Erklärung mehr dafür, warum das zusätzliche gelbe Licht keinerlei Effekt haben sollte.

Die Ergebnisse deuten eher darauf hin, daß es möglicherweise ein Zusammenspiel zwischen dem „Sehen“ von Vögeln (so wie man es derzeit versteht) und ihrem Magnetsinn gibt. Vielleicht sind sie für die Vögel gar nicht zwei verschiedene Sinne. Vielleicht ist es mehr wie eine Mischung, ähnlich wie dem, was wir beim Menschen Synästhesie nennen, d.h. eine scheinbar unerwartete Vermengung zwischen unseren Sinnen.

Ein weiterer nützlicher Ausgangspunkt für zukünftige Forschungsarbeiten läge auf dem Gebiet chemischer Wechselwirkungen mit Lichtfeldern innerhalb von Lebewesen.

Sobald man die Annahme aufgibt, daß sich die in Lebewesen abspielenden Reaktionen auf Eigenschaften des Unbelebten reduzieren lassen, erscheinen die Belege für bestimmte Reaktionen im sehr Kleinen, die sich bei der Magnetrezeption abspielen, in einem neuen Licht. Die Versuche mit verschiedenen Farben und Intensitäten könnten zur Grundlage neuer Experimente über Wechselwirkungen bei Lebensprozessen im ganz Kleinen werden.

Wie immer sie auch funktionieren mag, diese bemerkenswerte Fähigkeit einer Vielzahl von Lebewesen, die unsichtbare und sich verändernde Landkarte des uns ständig umgebenden EMF wahrzunehmen, stellt uns vor Fragen im Grenzbereich unseres heutigen Wissens: Sind die sogenannten „Sinne“ viel universeller, als wir sie uns vorstellen?

Wenn die genauen Mechanismen und Prozesse, mit denen unterschiedliche Lebewesen Magnetfelder erkennen und nutzen können, herausgefunden sein werden, wird uns die Forschung etwas näher zu ständigen Frage gebracht haben, was Sinneswahrnehmung eigentlich ist. Das erwiesene paradoxe Zusammenwirken vermeintlich unterschiedlicher Mechanismen der Magnetwahrnehmung bei Vögeln und die wahrscheinliche generelle Überlagerung mit dem Sehen zeigen, daß die Sinne keine selbstevidenten, eindeutigen „Meßwertzähler“ sind, wie einem gerne glauben gemacht wird.

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[h3]Literaturverweise[/h3]

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[item]Wolfgang and Roswitha Wiltschko, “Magnetic orientation and magnetoreception in birds and other animals,” [i]Journal of Comparative Physiology[/i], A (2005) 191: pp. 675-693.[/item]
[item]Roswitha Wiltschko, Katrin Stapput, Peter Thalau, and Wolfgang Wiltschko, “Directional orientation of birds by the magnetic field under different light conditions,” R. J. Soc. Interface (2010) 7, pp. S163-177.[/item]
[item]Roswitha Wiltschko, Katrin Stapput, Hans-Joachim Bischof, and Wolfgang Wiltschko, “Light-dependent magnetoreception in birds: increasing intensity of monochromatic light changes the nature of the response,” Frontiers in Zoology, 2007, 4 :5.[/item]
[item]Martin Vacha, Tereza Puzova, and Marketa Kvicalova, “Radio frequency magnetic fields disrupt magnetoreception in American cockroach,” Journal of Experimental Biology, 212, pp. 3473-3477,[/item]
[item]Peter Thalau, Thorsten Ritz, Hynek Burda, Regina E. Wegner, and Roswitha Wiltschko, “The magnetic compass mechanisms of birds and rodents are based on different physical principles,” R. J. Soc. Interface 2006, 3, pp. 5 83-587.[/item]
[item]Margaret Ahmad, Paul Galland, Thorsten Ritz, Roswitha Wiltschko, Wolfgang Wiltschko, “Magnetic intensity affects cryptochromedependent response in Arabidopsis thaliana,” Planta (2007) 225, pp. 615-624[/item]
[/list]

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