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Offener Brief an die FDP: Erinnert Euch an Außenminister Walter Scheel in China!

Von Stephan Ossenkopp, Mitglied des Bundesvorstands der Bürgerrechtsbewegung Solidarität

Vor 50 Jahren nahmen die Bundesrepublik Deutschland und China diplomatische Beziehungen miteinander auf. Der deutsche Außenminister Walter Scheel und Chinas Außenminister Ji Pengfei unterzeichneten am 11. Oktober 1972 das entsprechende Dokument in der Großen Halle des Volkes in Peking.

Schaut man zurück, fällt auf, mit wieviel Respekt und gesundem Menschenverstand Scheel sich den Chinesen gegenüber verhielt. Der einstige Vorsitzende der FDP sah offenbar keine unüberwindliche Hürde darin, mit Außenminister Ji und Premierminister Zhou Enlai, Mitgliedern der Kommunistischen Partei Chinas, einen Austausch zum Wohle beider Länder und zur Förderung des Friedens in der Welt zu unterhalten, ohne ihnen ständig Vorhaltungen über die Lage in ihrem Land zu machen. Seitdem haben sich die deutsch-chinesischen Beziehungen „zu großer Vielfalt, beachtlicher Dichte und politischer Substanz entwickelt“, erklärt das Auswärtige Amt zu Recht auf seiner Webseite.

Heute, 50 Jahre später, geht es dem chinesischen Volk in allen Belangen unendlich viel besser. Vor allem die Siege im Kampf gegen die Armut und den Bildungsmangel machen dies überdeutlich. Dies stellt auch einen der wichtigsten Gründe dar, warum die Chinesen die Kommunistische Partei mit großer Mehrheit (westliche Umfragen sprechen von über 90 Prozent) unterstützen. Ausgerechnet Deutschland, dem wegen seiner globalen wirtschaftlichen Vernetzung Chinas Aufstieg immensen Nutzen brachte und weiterhin bringt, hat nunmehr ohne Not eine „Systemrivalität“ mit China erklärt. Zahlreiche deutsche Politiker, besonders aus den Reihen der FDP, überstürzen sich seither mit ihrer Kritik an China und werfen dem Land Mißachtung freiheitlicher Grundrechte und unfairen Wettbewerb vor. Zu den daraus resultierenden Spannungen tragen ausgerechnet die Liberalen, deren politische Ikone Scheel einst die Brücke zu China baute, in erheblicher Weise bei. Das FDP-Bundestagswahlprogramm von 2021 stellt einen Bruch mit der langen Tradition des Respekts vor China dar. Das Jubiläumsjahr von Scheels Reise bietet hoffentlich Gelegenheit, über den China-Kurs der FDP zu reflektieren und die Richtigkeit ihres Positionswechsels zu überprüfen. Dies ist umso wichtiger, als wir in Deutschland dringend eine realistische und nicht-ideologische Debatte darüber brauchen, wie die großen Herausforderungen der gegenwärtigen großen Krise zu meistern sind!

Rufen wir uns jedoch zunächst ins Gedächtnis zurück, was Walter Scheel damals in Peking anläßlich der Unterzeichnungszeremonie im Oktober 1972 zu sagen hatte:

„Mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen hat das Verhältnis zwischen unseren beiden Völkern eine Wendung zum Besseren genommen. Der Frieden auf der Welt wird dadurch gefestigt. In meinen Augen ist dies das wesentliche Ergebnis der angenehmen und vertrauensvollen Gespräche, die wir hier geführt haben. Jeder weiß jetzt besser, wie es um seinen Partner steht, welche Ziele er verfolgt, welche Probleme er hat, welche Wünsche ihn tragen. Geographische Lage, Ausdehnung, Bevölkerungszahl, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Struktur, Sprache und Kultur trennen uns. Und dennoch kann über dieses Trennende hinweg eine Brücke der Verständigung gebaut werden. Das ist ein Gebot der Vernunft.“

Und weiter: „Die Bundesrepublik Deutschland hat der Machtpolitik endgültig abgeschworen. Wir haben uns konsequent einer Politik verschrieben, die Konflikte verhindern, Spannungen abbauen und einen Ausgleich zwischen den Staaten auf der Grundlage der bestehenden Wirklichkeit suchen will. Das sind für uns nicht nur Worte. Unserem Volk sind für diese Friedenspolitik schwierige, ja schmerzliche Entscheidungen abverlangt worden. Es hat sie mutig getroffen. Darauf sind wir stolz. Das gibt uns die Berechtigung, jetzt in nüchterner Selbstsicherheit, ohne Überheblichkeit, eine neue Verbindung zu Ihrem Land zu knüpfen und damit einen Schritt in die Weltpolitik zu tun.“

Als Walter Scheel im Oktober 1972 in Peking das Glas erhob auf das Wohlergehen des chinesischen Volkes und auf eine gute Zusammenarbeit zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland, da war China im Vergleich zu heute in einer prekären Situation. Massenarmut und Analphabetismus spielten eine wesentliche Rolle, und die Versorgungslage der Landbevölkerung war oft katastrophal. Hongkong war noch eine Kronkolonie der Briten ohne jegliche Demokratie. Die Kulturrevolution mit ihren fanatisierten Roten Brigaden verkörperte das glatte Gegenteil der jahrtausendealten chinesischen Kultur. Erst die spätere Reform- und Öffnungspolitik von Deng Xiaoping konnte diesen Mißstand korrigieren. Trotzdem gehörte es offenbar zum diplomatischen Instrumentarium eines liberal-demokratischen Außenministers Walter Scheel, nicht mit eurozentrischem Tunnelblick und ideologischem Predigerton in ein Land mit anderer Kultur, Geschichte und Mentalität hereinzuplatzen.

Daß China in den zurückliegenden Jahrzehnten ein wahres Wunder an Entwicklung und Fortschritt hingelegt hat, darf man in keiner Betrachtung außer Acht lassen. Ein weiterer FDP-Vorsitzender und Mitgründer der Jungen Liberalen, Guido Westerwelle, der ebenfalls Bundesaußenminister wurde, hat diesen fairen Umgang mit China noch beherzigt. Er sprach am 11. Oktober 2012 anläßlich des Festakts zum 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit China folgende Grußworte:

„China befreite in wenigen Jahrzehnten Hunderte Millionen seiner Menschen aus Hunger und Armut. Der Lebensstandard und das Bildungsniveau haben sich für viele spürbar verbessert. China hat die Chancen der Globalisierung genutzt. In diesem riesigen Vielvölkerstaat gehören inzwischen Hunderte Millionen Chinesinnen und Chinesen zu einer gebildeten Mittelschicht. Diese Mittelschicht wird bald die Einwohnerzahl Europas erreichen. Sie wird das Rückgrat einer stabilen, dynamischen Gesellschaft bilden. Dies verdient unsere Anerkennung. Deutschland begleitet den Aufstieg Chinas mit großer Faszination und großem Respekt.“

Nicola Beer, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien Demokraten, und Gyde Jensen, derzeit stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, nenne ich hingegen stellvertretend für den radikalen Kurswandel der FDP. Was das FDP-Bundestagsprogramm von 2021 als „Weiterentwicklung“ der Beziehungen zu China bezeichnet, ist nichts weiter als ein Sammelsurium der unbewiesenen Vorwürfe, die britische wie amerikanische Politiker, meist aus dem konservativen bis rechten Establishment, im Zuge ihres Pokerspiels um Machteinfluß verbreitet haben. Das Spektrum reicht von der „Unterdrückung ethnischer und religiöser Minderheiten“, über die Unterstützung Taiwans als „gelungenen Gegenentwurf zum autoritären Herrschaftssystem in der Volksrepublik China“, bis zur Klage über die angebliche „Unterwerfung Hongkongs durch die kommunistische Partei Chinas“. Man posiert als „überzeugte Transatlantiker“ und biedert sich unterwürfig den Briten und Amerikanern an. Das ständige Zitieren voreingenommener britischer und amerikanischer NGOs wie Human Rights Watch und Amnesty International und der Rückgriff auf ideologiegefärbte „Studien“ geopolitischer Denkfabriken wie der Brookings Institution machen die Sache nicht glaubwürdiger. Die FDP ist in Chinafragen leider zum Sprachrohr der transatlantischen Kriegsfraktion geworden, die ein Interesse daran hat, ein Feindbild China zu kreieren.

Warum sollten wir Angst vor China haben? In weiten Teilen der Weltgeschichte war China stark und einflußreich, und zu solchen Zeiten kehren wir nun in anderer Form zurück. Aber China hat, im Gegensatz zu Europa, niemals Kolonialismus, Sklavenhandel oder Völkermord betrieben. Dies ist ein Grund, warum im Rahmen der Initiative Neue Seidenstraße 145 Nationen und Dutzende globaler Institutionen China ihre Unterstützung für seinen Kurs entwicklungsorientierter Zusammenarbeit geben.

Will die FDP - und damit eine Partei, die Regierungsämter stellt - diesen historischen Trend wirklich ignorieren und stattdessen für die Machtinteressen derjenigen einstehen, die China „eindämmen“ wollen? Die Schnapsidee einer vom Westen dominierten Weltordnung hat nach dem Ende der Sowjetunion viele trunken gemacht. Doch wer heute noch daran glaubt, eine globale Wirtschaftsordnung diktieren zu können, macht sich lächerlich und wird nur Konflikte bis hin zu einem Dritten Weltkrieg provozieren.

Die FDP sollte sich an Walter Scheel und Guido Westerwelle erinnern und ihre untertänige „Kursänderung“ überdenken.

 

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