von Helga Zepp-LaRouche
Wir alle, jede Nation in Europa und ihre Bürger, befinden uns in einer doppelten existentiellen Gefahr: Das Eurosystem und das gesamte transatlantische Finanzsystem befinden sich im Prozeß einer vollständigen Desintegration, die lediglich durch das hyperinflationäre Pumpen von Liquidität um wenige Wochen verzögert werden könnte. Dies ist das Resultat des gescheiterten Systems des Britischen Empire, das uns außerdem auf der Basis der sogenannten Blair-Doktrin in eine thermonukleare Konfrontation mit Rußland und China hineinzuziehen droht.
Es gibt eine Lösung, aber sie ist absolut unmöglich innerhalb des jetzigen Systems. Das unwiderruflich bankrotte System der Globalisierung und der Kasinowirtschaft muß durch ein Kreditsystem ersetzt werden, das ausschließlich an zukünftigen Investitionen in die Realwirtschaft mit hohen Energieflußdichten orientiert ist. Die Wiedererlangung der nationalen Souveränität ist für beides, die wirtschaftliche Erholung und die Erhaltung des Friedens die absolute Voraussetzung. Wir brauchen die sofortige Etablierung eines Trennbankensystems in der Tradition von Präsident Franklin D. Roosevelt, ein Kreditsystem in der Tradition von Alexander Hamilton und der Reconstruction Finance Corporation, die Rückkehr zu den nationalen Währungen, feste Wechselkurse und ein Wirtschaftsaufbauprogramm für Südeuropa, den Mittelmeerraum und den afrikanischen Kontinent.
In einer Abwandlung des Titels der berühmten Radierung Francisco de Goyas könnte man über das Resultat der EU-Politik sagen: „Der Schlaf der wirtschaftlichen Vernunft gebiert Monster.“ Denn wer wollte noch bezweifeln, daß der Euro ein gescheitertes Experiment ist? Die Situation in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, aber auch in den Balkanstaaten ist in der Tat monströs und kostet schon jetzt viele Menschenleben. Sie ist nicht die Schuld der jeweiligen Bevölkerung, sondern das Ergebnis der fehlerhaften Politik der Europäischen Währungsunion sowie der monetaristischen Politik der EU und der europäischen Regierungen, die vor allem seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise im Juli 2007 nur noch eine Politik zugunsten der Spekulanten und Banken gegen das Interesse des Gemeinwohls umgesetzt haben.
Die Eurozone war von Anfang an keine „optimale Währungszone“; es hätte jedem mit wirtschaftlichem Verstand eigentlich von vornherein klar sein müssen, daß sich Staaten mit so unterschiedlichen wirtschaftlichen Strukturen, verschiedenen Sprachen und Kulturen wie Deutschland, Finnland, Griechenland oder Portugal nicht harmonisch in einer Währungsunion entwickeln könnten. Bekanntermaßen wurde der Euro auch gar nicht aus soliden wirtschaftlichen Überlegungen geboren, sondern aus der geopolitischen Absicht, Deutschland nach der Wiedervereinigung in das Korsett der EU einzubinden und zur Aufgabe der D-Mark zu zwingen. Der ehemalige Berater von François Mitterrand, Jacques Attali, hat inzwischen zugegeben, daß es allen Beteiligten damals klar gewesen sei, daß eine Währungsunion ohne politische Union nicht funktionieren könne, daß aber dieser Geburtsfehler des Euro beabsichtigt war, um die politische Union Europas später zu erzwingen!
Genau dies erleben wir derzeit, wo die Europabefürworter mit dem Versuch der Einführung von Eurobonds unter extremen Krisenbedingungen den letzten Schritt einer EU als Bundesstaat zu gehen versuchen. Die Machtfülle, mit der der ESM ausgestattet werden soll, dessen Gouverneursrat und Direktorat lebenslange Immunität genießen und keine Rechenschaftspflicht schulden sollen, würde diesen Bundesstaat vollends zur Diktatur im Interesse der Banken und der City London machen. Er wäre der Garant für den Absturz Europas in wirtschaftliches, politisches und soziales Chaos.
20 Jahre, nachdem mit der Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages ein Monstrum geschaffen wurde, und elf Jahre nach Einführung des Euro sind mehrere Staaten der Eurozone in Gefahr, in afrikanische Zustände abzustürzen, d.h. daß die Sozialsysteme zusammenbrechen, daß sich die Sterberate erhöht, die Infrastruktur nicht mehr instandgehalten wird, die wirtschaftliche Tätigkeit weitgehend zum Erliegen kommt, jeder zweite oder dritte Jugendliche arbeitslos ist und ausgebildete Arbeitskräfte aus ihrer Heimat fliehen, weil sie dort derzeit keinerlei Perspektive für die Zukunft sehen.
Der vermeintliche Boom in den sogenannten Aufholländern der Eurozone war eine Blase, die geplatzt ist. Wenn die Touristenströme geringer werden und sich die Menschen Ferienzweithäuser nicht mehr leisten können, wird deutlich, daß sich der gesellschaftliche Reichtum in den angeblichen Boomphasen in diesen Ländern nicht erhöht hat - es gibt immer noch keine ausreichende Infrastruktur oder industrielle Kapazitäten. Griechenland zum Beispiel hat derzeit keine einzige Bahnverbindung zum Rest Europas oder nach Asien!
Aber auch die Bevölkerung des sogenannten Profiteurs des Euro, Deutschland, hat das Nachsehen. In den elf Jahren des Euro ist der Binnenmarkt geschrumpft, Realeinkommen und Kaufkraft sind gesunken, das Gesundheitssystem hat sich erheblich verschlechtert, das Spektrum der Beschäftigungsstruktur in Richtung Billiglöhne verschoben. Die vermeintliche Sonderstellung des „Exportweltmeisters“, die vorwiegend den DAX-500-Firmen und weniger den mittelständischen Betrieben zugute kam, bricht selbstverständlich in dem Moment zusammen, in dem die Exportmärkte abstürzen.
In Europa ist mit der EU-Politik nicht der Frieden gestärkt worden, wie uns die Propagandisten der europäischen Integration weismachen wollten; die Feindseligkeit zwischen den Völkern ist vielmehr auf einem Höhepunkt seit dem Zweiten Weltkrieg angelangt. Anstatt das Gemeinwohl und den Gemeinschaftssinn zu fördern, breitet sich das Gesetz des Dschungels aus: jeder versucht, sein eigenes Überleben zu sichern.
Eine Fortsetzung dieser Politik, sei es durch brutale Sparmaßnahmen in der Tradition von Brüning, sei es in der Form einer hyperinflationären Kollektivierung der Schulden, bedeutet einen Hochverrat an der Idee eines Europa in der christlich-humanistischen Tradition.
Die Unterwerfung der europäischen Nationen unter das Diktat des Britischen Empire bedeutet aber nicht nur den Unfrieden nach innen, sie zieht Europa auch unweigerlich in eine strategische Konfrontation mit Rußland, China und weiteren asiatischen Staaten hinein. Sowohl der russische Präsident Putin, als auch der russische Ministerpräsident Medwedjew haben sehr deutlich gemacht, daß Rußland die Unterminierung des internationalen Völkerrechts, wie es in der UN-Charta festgelegt ist, nicht akzeptieren wird, und daß eine Politik der Verletzung der nationalen Souveränität unter dem Vorwand „humanitärer Interventionen“ zum Einsatz von Atomwaffen führen werde. Die Regierung Obama hat sich die sogenannte Blair-Doktrin, die Ära des Westfälischen Friedens sei vorbei und „humanitäre Interventionen“ auf der ganzen Welt sollten die Interessen des Empires verfolgen, zu eigen gemacht, und der sogenannte „Greueltaten-Verhinderungsrat“ der Regierung Obama hat bereits eine lange Liste von Staaten erstellt, darunter natürlich Syrien, der Sudan und viele andere, die als Zielscheibe militärischer Interventionen gelten.
Tony Blair, der Autor der Lügen, die zum Irakkrieg geführt haben, hat sich Obama als Wahlkampfhelfer für die nächsten sechs Monate angedient und erklärte öffentlich in den USA, daß er nach der von ihm angestrebten Wiederwahl Obamas sich mit dessen Hilfe wieder um das Amt des Premierministers in Großbritannien bemühen werde. Der Plan besteht offensichtlich darin, die Welt auf der Basis der angloamerikanischen Sonderbeziehung als Empire zu regieren. Damit stehen sich die Blair-Doktrin - die Welt als Empire, in der es keine souveränen Nationalstaaten mehr geben soll - und die Putin-Doktrin, die auf der Verteidigung des internationalen Völkerrechts und der Verteidigung der Souveränität der Nationalstaaten gegründet ist, unversöhnlich gegenüber.
Die Überlappung der Blair-Doktrin, nach der Interventionen gegen „Schurkenstaaten“ durch die NATO überall auf der Welt möglich sein sollen, auch wenn die Mitgliedsländer „nicht direkt betroffen“ wären, mit der Politik der NATO und selbst der EU, vor allem seit dem Lissabonner Vertrag, bedeutet, daß alle Länder in Europa in die potentielle Konfrontation mit Rußland, China und anderen asiatischen Staaten hineingezogen werden würden, ohne daß sie befragt würden oder Vetorecht hätten. Der sukzessive und bewußt weitgehend aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit ferngehaltene Prozeß der Übertragung der nationalen Souveränität an die supranationale Brüsseler Diktatur hat uns an einen gefährlichen Punkt gebracht. Das pro-europäische politische Establishment hat sich - um dazu zu gehören - soweit an die Abgabe der Souveränität gewöhnt, daß ein Widerstand gegen die imperiale Interventionspolitik, wie er noch in Schröders Nein zum Irakkrieg und der Absage Westerwelles zur Teilnahme am Libyenkrieg sichtbar war, immer weiter erodiert.
In einem etwas anderen Zusammenhang wird dies an der Verdrängungshaltung europäischer Politiker in der Frage des US-Raketenabwehrsystems in Europa deutlich, das die russische Regierung ebenfalls als potentiellen Casus belli bezeichnet hat, was keineswegs nur „Propaganda“ ist, wie einige Politiker in unverantwortlicher Weise behaupten.
Das neue strategische Konzept der NATO, das unter anderem von dem Chef der britischen Streitkräfte, General Sir David Richards, im Kontext des jüngsten NATO-Gipfels in Chikago vorgestellt wurde, die sogenannte „Smart Defense“, bei der die 28 Mitgliedsstaaten der NATO ihre Souveränitätsrechte bezüglich von Auslandseinsätzen der Truppen und der Requirierung von Kriegsgerät aufgeben sollen, zeigt denselben Trend. Richards kündigte an, daß eine weitere Konferenz der NATO im September diese Frage vollen Zugriffs ohne die Vetomöglichkeit gewählter nationaler Regierungen und Parlamente endgültig regeln soll. Richards ist übrigens ebenso ein „Commander of the Order of the British Empire“ wie sein Kollege, der Vorsitzende des „Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) der deutschen Bundesregierung, CBE Hans Joachim Schellnhuber, der ebenfalls von der britischen Königin persönlich für seine Verdienste um das Britische Empire ausgezeichnet wurde.
Die westliche und ein großer Teil der restlichen Welt wird dominiert von den Institutionen des Britischen Empire, wenn man darunter nicht Großbritannien, sondern das System der Globalisierung mit Hauptquartier in London, also das Geflecht von Zentralbanken, Investmentbanken, Hedgefonds, Beteiligungsgesellschaften, Versicherungen und Rückversicherungen versteht, deren primäres Interesse in der Profitmaximierung einer parasitären Klasse und einer gigantischen Umverteilung von unten nach oben besteht.
Die EU von Maastricht bis Lissabon ist in der Praxis nichts weiter als der regionale Ausdruck dieses Systems. Die Voraussetzung für die Koexistenz der Nationen in Europa mit dieser EU ist aus besagten Gründen in diesen beiden Fragen des wirtschaftlichen und des sicherheitspolitischen Eigeninteresse nicht länger gegeben. Deshalb hat jede Nation vom völkerrechtlichen Standpunkt das Recht, aus diesem Bündnis auszutreten.
Die Unterwerfung unter das Regime des Britischen Empire der Globalisierung, dessen regionaler Ausdruck die EU ist, wie sie sich von den Verträgen von Maastricht bis Lissabon entwickelt hat, würde genau das Gegenteil ihres erklärten Zieles eines angeblichen Friedens in Europa erreichen: Sie würde zu wirtschaftlichem Chaos und Krieg führen und stellt einen Hochverrat gegen die Völker Europas dar.
Wenn erst einmal die Einsicht psychologisch verdaut ist, daß das gegenwärtige transatlantische monetäre System ohnehin nicht zu retten ist, weil es entweder in einer Kettenreaktion plötzlich auseinanderbrechen oder in einer hyperinflationären Explosion wie in Deutschland 1923 in relativ kurzer Zeit das gesamte Volksvermögen der Menschen in Europa und Nordamerika vernichten würde, kann sich der Geist mit konstruktiven Lösungen beschäftigen. Die Einführung eines Trennbankensystems genau in der Tradition des von Franklin D. Roosevelt 1933 eingeführten Glass-Steagall-Standards würde zunächst die Geschäftsbanken unter staatlichen Schutz stellen, während der gesamte Bereich der „kreativen Finanzinstrumente“ und Derivatkontrakte gestrichen werden muß. Es muß ein Moratorium für die Staatsschulden erklärt werden, und der Anteil der Staatsverschuldung, der aus der Finanzierung von Rettungsmaßnahmen aller Art herrührt, muß ebenfalls aus den Büchern genommen werden.
Die EU-Verträge von Maastricht bis Lissabon müssen aufgekündigt und gleichzeitig muß die nationale Souveränität über die Währung- und Wirtschaftspolitik wiedererlangt werden. Kompetente Machbarkeitsstudien für den Plan B, die technischen Vorbereitungen und die Durchführung eines Euroaustritts wurden unter anderem von Professor Dirk Meyer von der Bundeswehrhochschule in Hamburg erarbeitet. Ein verlängertes Wochenende könnte als Bankfeiertag genutzt werden, um die Währungsumstellung vorzubereiten und die Salden der Giro- und Sparkonten zu erfassen. Bundesbürger, Ausländer mit Wohnsitz in Deutschland und in Deutschland ansässige ausländische Firmen könnten ihre Bargeldbestände mit einer magnetischen Tinte stempeln lassen. Zeitlich begrenzte Kapitalverkehrs- und Grenzkontrollen könnten verhindern, daß „gebietsfremde“ Euro eingeführt werden, kurzfristige Meldeverfahren im Interesse der öffentlichen Ordnung erlassen werden.
Der Austritt aus dem Euro muß durch die Rückübertragung der auf die EU übertragenen Währungssouveränität auf die jeweiligen nationalen Staaten erfolgen, was durch einen kurzfristig gefaßten Beschluß des Europäischen Rates erfolgen könnte. Ein neues nationales Währungsgesetz könnte dann die Neue Deutsche Mark bzw. der jeweiligen nationalen Währungen beschließen. Der Euro könnte weiterhin, wie früher der ECU, als Verrechnungseinheit zwischen den Nationalbanken benutzt werden.
Insgesamt wird die Rückkehr zu nationalen Währungen einfacher sein, weil man sich die Erfahrungen und Handlungsabläufe der Euro-Einführung zu Nutze machen kann. Die anfallenden Kosten sind relativ gering im Verhältnis zu einer chaotischen Desintegration der Eurozone.
Während Präsident Roosevelt die USA mit Hilfe eines Maßnahmenpakets, nämlich dem Glass-Steagall-Gesetz, der Pecora-Kommission, dem New Deal, der Reconstruction Finance Corporation (RFC) und der Tennesse Valley Authority (TVA) erfolgreich aus der Depression herausführte, beschritt Deutschland bekanntermaßen den Weg von der Brüningschen Sparpolitik zu Hjalmar Schacht und Hitler. Die deutsche Regierung scheint aus diesen unterschiedlichen Beispielen nichts gelernt zu haben und verordnet ebenso wie die berüchtigte Troika die gleiche Politik für ganz Europa, die Deutschland in die Katastrophe führte.
Aber damals gab es auch in Deutschland Kritik an Brüning und wirtschaftspolitische Vorschläge, die denen Roosevelts entsprachen. Der damalige Leiter der statistischen Abteilung des ADGB, der aus St. Petersburg stammende Ökonom Wladimir Woytinsky, legte zusammen mit Fritz Tarnow, dem Vorsitzenden der Holzarbeitergewerkschaft, und Fritz Baade, dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD, ein internationales Programm zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise vor, den nach ihren Autoren genannten WTB-Plan.
Woytinsky schrieb: „Sämtliche Völker leiden darunter, daß die Weltwirtschaft krank ist. Sie müssen also ihre Kräfte auf eine gemeinsame Aktion für die Überwindung der Weltkrise konzentrieren“, und weiter: „Die durch internationale Geldschöpfungspolitik freiwerdenden Mittel müssen für die Arbeitsbeschaffung, und zwar für die Verwirklichung eines großzügigen Planes des Wiederaufbaus Europas verwendet werden.“
Der Plan sah vor, für eine Million Arbeitslose produktive Arbeitsplätze zu schaffen, die durch eine Währungsanleihe der Reichsbank für zwei Milliarden Reichsmark finanziert werden sollten. Ferner sollten langfristige Kredite mit niedrigen Zinsen und Amortisationsraten gegen Schuldverschreibungen ausgegeben werden, die dann von der Reichskredit AG ausgezahlt werden und bei der Reichsbank diskontierbar sein sollten. Der ADGB stimmte für diesen Plan, aber die SPD-Spitze unter Otto Wels und den sogenannten Wirtschaftsexperten der SPD, Hilferding, Naphtali und Bauer, lehnten ihn ab.
Woytinsky schrieb später in seiner Autobiographie: „Es kam mir so vor, als sähe ich förmlich vor Augen, wie Brüning Deutschland in die Katastrophe führte (...Man darf über Brüning und seine Irrtümer aber nicht allzu streng den Stab brechen. Er teilte seine falschen Ideen mit vielen seiner Berater in der eigenen und in der Sozialdemokratischen Partei. Hätte letztere seine Politik nicht unterstützt, hätte er sie womöglich aufgegeben.)“
Parallel zum WTB-Plan legte der für das Reichswirtschaftsministerium tätige Ökonom Dr. Wilhelm Lautenbach eine auf ähnlichen Prinzipien aufgebaute Denkschrift „Möglichkeiten einer Konjunkturbelebung durch Investitionen und Kreditausweitung“ vor, in der es heißt:
„Der natürliche Weg zur Überwindung eines wirtschaftlichen und finanziellen Notstandes ist... nicht Einschränkung, sondern Leistungssteigerung.“ Es herrsche ja gerade der „paradoxe Zustand“, daß „trotz außerordentlich gedrosselter Produktion laufend die Nachfrage hinter dem Angebot zurückbleibt, und daher die Tendenz zu immer weitergehender Produktionsdrosselung“ entstehe. Unter Depressionsbedingungen gebe es „Warenüberschüsse, brachliegende Produktionsanlagen und brachliegende Arbeitskräfte“. Der Einsatz dieses starken ungenutzten Produktionsspielraumes sei „die eigentliche und dringendste Aufgabe der Wirtschaftspolitik, und sie ist im Prinzip verhältnismäßig einfach zu lösen.“ Der Staat müsse einen „neuen volkswirtschaftlichen Bedarf schaffen, der volkswirtschaftlich eine Kapitalanlage darstellt. Hierbei ist an solche Aufgaben zu denken, wie... öffentliche oder mit öffentlicher Unterstützung durchgeführte Arbeiten, die für die Volkswirtschaft einen Wertzuwachs im Vermögen bedeuten und bei Wiederkehr normaler Verhältnisse ohnehin hätten ausgeführt werden müssen“ - also Straßenbau, Verbesserungen und Ausbau der Reichsbahn u.ä.
Lautenbach abschließend: „Durch eine solche Investitions- und Kreditpolitik wird gerade das Mißverhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Inlandsmarkt beseitigt und damit der Gesamtproduktion wieder Richtung und Ziel gegeben. Unterlassen wir eine solche positive Politik, so steuern wir unvermeidlich in einen weiteren wirtschaftlichen Verfall und vollkommene Zerrüttung unserer Staatswirtschaft hinein, in einen Zustand, der dann, um eine innenpolitische Katastrophe zu vermeiden, eine starke neue kurzfristige öffentliche Verschuldung zu rein konsumptiven Zwecken erzwingt, während wir es heute noch in der Hand haben, durch Inanspruchnahme dieses Kredits durch produktive Aufgaben zugleich unsere Wirtschaft und unsere öffentlichen Finanzen wieder ins Gleichgewicht zu bringen.“
Lautenbach betonte außerdem, in einem solchen frühen Stadium könnte man die Kreditschöpfung noch zu produktiven Investitionen nutzen, später sei man dann gezwungen, sie zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit einzusetzen.
Hätte man 1931 den WTB-Plan oder den Lautenbach-Plan verwirklicht, wären zwei Jahre später die sozialen Bedingungen behoben gewesen, die Hitlers Machtergreifung ermöglichten. Heute wissen wir, wie die Katastrophe aussah, die Woytinsky voraussah, und wir können entweder in eine noch viel schlimmere hineinstürzen, oder den Weg wählen, den Roosevelt gewählt hat.
In Deutschland mußten die Menschen 1923 die bittere Erfahrung machen, daß Geld an sich keinen eigenen Wert besitzt. Innerhalb weniger Monate erlebten sie eine vollständige Enteignung ihres Lebensarbeitswerks, auch wenn sie nominell Milliardäre und sogar Billionäre wurden. Heute, im Zeitalter der elektronischen Geldvermehrung, Verbriefungen und Derivatkontrakte, ist der virtuelle Charakter eines Großteils des Geldes noch offensichtlicher. Wie das Platzen der diversen Blasen vom Neuen Markt, dem sekundären Immobilienmarkt in den USA, Lehmann Brothers und AIG oder die drohende Insolvenz zahlloser Banken, die ohne „Rettungspakete“ schon längst ihre Geschäfte hätten einstellen müssen, handelt es sich in all diesen Fällen um Verluste von virtuellem Geld, also eigentlich auch nur um virtuelle Verluste. Was man niemals wirklich besessen hat, also einen virtuellen Wert, kann man eigentlich auch nicht verlieren.
Das gegenwärtige monetaristische System hat ein solch gigantisches Volumen von diesen virtuellen Schuldtiteln in der Form ausstehender Derivatkontrakte, Verbriefungen etc. akkumuliert, daß der Versuch, die Schulden aus der Vergangenheit zu honorieren, unweigerlich zur Hyperinflation führen muß. Der einzige Unterschied zu Weimar-Deutschland 1923 besteht darin, daß es sich dieses Mal nicht um ein einziges Land handelt, sondern um die gesamte transatlantische Region.
Das Kreditsystem, welches das insolvente monetaristische System ersetzen muß, basiert auf völlig anderen Prinzipien. Geld an sich hat eine Funktion im Zahlungsverkehr, entscheidender aber ist der Kredit, der von der Nationalbank eines souveränen Staates mit Blick auf zukünftige Produktion ausgegeben wird. Ziel dieser Kreditvergabe ist es, die Realwirtschaft aufzubauen, produktive Vollbeschäftigung zu schaffen und die Produktivität der gesamten Arbeitskraft durch einen Wissenschaftsmotor und gezielte Grundlagenforschung zu erhöhen. Dabei sind die Prinzipien der physischen Ökonomie anzuwenden, wie sie sich von Leibniz, List, Carey, Witte bis zu LaRouche entwickelt haben.
Die ausgegebenen Kredite richten sich auf die zukünftige Produktion, auf einen realen Wert, bei dem durch die Fähigkeit der menschlichen Produktivität, den verwerteten Rohstoffen und industriellen Kapazitäten ein zusätzlicher Mehrwert geschaffen wird, der um so höher ist, je höher das wissenschaftliche und technologische Niveau ist, auf dem die Produktion stattfindet.
Jedes Land schafft dazu eine Nationalbank in der Tradition des ersten Finanzministers der USA, Alexander Hamilton, die Kreditlinien für die Finanzierung von wohldefinierten Projekten vergibt, wie z.B. für das NAWAPA-Projekt, den Bau des Tunnels unter der Bering-Straße, das Aufbauprogramm für Südeuropa, das revolutionäre Projekt „Africa Pass“, Transaqua usw. Diese Kredite werden dann über lokale und regionale Geschäftsbanken an die an diesen Projekten partizipierenden Firmen vergeben, die ihrerseits Aufträge an Zulieferer vergeben, Mitarbeiter einstellen, die wiederum ihr Einkommen für die normalen Dinge des Lebensstandards ausgeben.
Es wird also über die Produktionsankurbelung, die durch die direkten Projekte entsteht, eine sekundäre Belebung der Wirtschaft insgesamt angeregt. Angesichts des Umfangs der genannten und ähnlicher Projekte wird dauerhaft eine produktive Vollbeschäftigung erreicht, gleichzeitig verschiebt sich das Spektrum der Beschäftigung weg vom Dienstleistungssektor hin zu produktiven Arbeitsplätzen in Industrie, Forschung und Landwirtschaft.
Die historischen Beispiele von Fällen, in denen diese Methode der produktiven Kreditschöpfung angewandt wurde, demonstrieren, daß die Wohltaten des allgemeinen Wirtschaftsaufschwungs, der so erzeugt wurde, und der dadurch erreichte Anstieg beim Steueraufkommen das Volumen der ursprünglich ausgegebenen Kredite bei weitem übertrafen. Die auf diese Weise ausgegebenen Kredite wirken im Gegensatz zur Geldschöpfung für die Schuldentilgung des monetaristischen Systems sogar antiinflationär, weil durch die Betonung des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts die Produktivität steigt.
Wir reden hier aber auch über Großprojekte, die die Lebensgrundlagen der Menschen über mehrere Generationen verbessern. Für Personen, die in der virtuellen Welt der Börsianer dem hedonistischen Tanz um das goldene Kalb frönen, mag es vielleicht ein überraschender Gedanke sein, aber der Sinn der Wirtschaft besteht darin, die langfristige Überlebensfähigkeit der menschlichen Gattung auf einem von Generation zu Generation verbesserten Niveau zu garantieren. Es ist der Zweck des Kreditsystems, den von früheren Generationen geschaffenen Reichtum „vermehrt und reicher an zukünftige Generationen weiterzugeben“, wie Friedrich Schiller den Sinn der Universalgeschichte definiert hat.
Die Menschheit ist nämlich nicht wie die Tiere eine Gattung, die sich prinzipiell über Jahrhunderte und Jahrtausende auf der gleichen Entwicklungsstufe reproduziert, sondern sie hat als einzige Spezies die Fähigkeit der Kreativität, d.h. ihre Lebensgrundlagen permanent in einem höheren Organisationsgrad zu entwickeln. Wir können durch unsere Kreativität etwas schaffen, was unsere begrenzte Lebenszeit überdauert, wir investieren in etwas, von dem zukünftige Generationen profitieren, und was ihnen Freiheitsgrade in materieller und geistiger Hinsicht ermöglicht, die weit über das hinausgehen, was wir als Initiatoren während unserer Lebenszeit erreicht haben.
Die Idee des Kreditsystems ist also keineswegs nur eine banktechnische Verbesserung, sondern es ist die Angleichung der finanziellen Seite der Ökonomie an den Fortbestand der Menschheit über mehrere Generationen in die Zukunft. Es hat also, wenn man so will, eine geistige Dimension. Das Kreditsystem ist das Instrumentarium, mit dessen Hilfe die Wertschöpfung einer Generation an die folgenden vermehrt weitergegeben wird. Um zu verdeutlichen, daß mit dem Kreditsystem wirklich ein menschliches Konzept gemeint ist, das den Menschen in den Mittelpunkt der Wirtschaft rückt, seien hier die Sätze zitiert, mit dem Friedrich Schiller seine Schrift: „Was heißt und zu welchem Ende studieren wir Universalgeschichte?“ abschloß:
„Ein edles Verlangen muß in uns entglühen, zu dem reichen Vermächtnis von Wahrheit, Sittlichkeit und Freiheit, das wir von der Vorwelt überkamen und reich vermehrt an die Folgewelt wieder abgeben müssen, auch aus unsern Mitteln einen Beitrag zu legen und an dieser unvergänglichen Kette, die durch alle Menschengeschlechter sich windet, unser fliehendes Dasein zu befestigen. Wie verschieden auch die Bestimmung sei, die in der bürgerlichen Gesellschaft Sie erwartet - etwas dazu steuern können Sie alle! Jedem Verdienst ist eine Bahn zur Unsterblichkeit aufgetan, zu der wahren Unsterblichkeit, meine ich, wo die Tat lebt und weiter eilt, wenn auch der Name ihres Urhebers hinter ihr zurückbleiben sollte.“
Die zivilisatorische Krise, in die uns der Kollaps des transatlantischen Finanzsystems stürzt, sollte auch dem letzten Betonkopf klarmachen, daß wir unsere politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten mit der Seinsordnung des physischen Universums in Übereinstimmung bringen müssen, wenn wir dem Schicksal entgehen wollen, das zum Untergang früherer Gattungen geführt hat. Das Universum ist aber kein geschlossenes System, in dem „der Haushalt ausgeglichen werden muß“, sondern es ist ein sich anti-entropisch entwickelndes, kreatives Universum, in dem die Energieflußdichte und die Komplexität der Organisationsstruktur permanent zunehmen. Es ist allerhöchste Zeit, daß wir die menschliche Ökonomie diesen zugrundeliegenden Gesetzen des Universums anpassen.
Die konkrete Aufgabe des Kreditsystems für den Aufbau Südeuropas, des Mittelmeerraums und Afrikas ergibt sich aus dieser Aufgabe. Einerseits muß ein Nationalbanksystem in jedem der partizipierenden Staaten die im folgenden beschriebenen Projekte durch entsprechende Kreditlinien finanzieren. Gleichzeitig müssen zwischen den souveränen Staaten langfristige Kooperationsverträge für die Zusammenarbeit bei den internationalen, die nationalen Grenzen überschreitenden Projekten, wie die Verlängerung der Transportkorridore der Eurasischen Landbrücke in den Nahen Osten und über Brücken und Tunnel von Europa nach Afrika, abgeschlossen werden. Diese Verträge werden realistischerweise Zeiträume von ein bis zwei Generationen umfassen müssen.
Wenn wir uns von der Idee des schnellen Profits verabschieden und uns statt dessen der Aufgabe widmen, den unwürdigen Zustand der Unterentwicklung durch ein Aufbauprogramm zu überwinden, wofür der Ausbau der Infrastruktur und Wissenschaft als Motor der Entwicklung die entscheidende Grundlage bilden, dann können wir aus dieser gegenwärtigen Zusammenbruchskrise zusammen mit Projekten wie NAWAPA und dem Ausbau der Weltlandbrücke das größte Wirtschaftswunder in der Geschichte der Menschheit in Gang setzen. Eine neue Ära der Menschheit kann beginnen.