Von Alexander Hartmann
Der NATO-Ukraine-Rat traf sich am 26. November in Brüssel, um „die Sicherheitslage in der Ukraine nach dem Start einer experimentellen ballistischen Mittelstreckenrakete (IRBM) durch Rußland in der vergangenen Woche zu erörtern“, wie es in einer Erklärung der NATO heißt. Laut der Erklärung informierten hochrangige ukrainische Offiziere den Rat per Videokonferenz über die Lage vor Ort. Während des Treffens „bekräftigten die NATO-Verbündeten ihre Unterstützung für die Ukraine. Der Angriff auf Dnipro wird als ein weiterer Versuch Rußlands gesehen, die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu terrorisieren und diejenigen einzuschüchtern, die die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen Rußlands illegale und unprovozierte Aggression unterstützen.“ Die NATO-Sprecherin Farah Dakhlallah wird zitiert: „Der Einsatz dieser Fähigkeit wird weder den Verlauf des Konflikts ändern noch die NATO-Verbündeten davon abhalten, die Ukraine zu unterstützen.“
Das Treffen leitete der amtierende stellvertretende NATO-Generalsekretär Boris Ruge, da sich Generalsekretär Mark Rutte zu dem Zeitpunkt in Griechenland aufhielt. Während seines Aufenthalts in Athen forderte Rutte eine weitere Eskalation. „Unsere Unterstützung für die Ukraine hat sie im Kampf gehalten, aber wir müssen noch weiter gehen, um den Verlauf des Konflikts zu ändern. Wir müssen wichtige Luftabwehrsysteme bereitstellen und die Verpflichtungen erfüllen, die wir auf dem NATO-Gipfel in Washington eingegangen sind“, sagte er in Anwesenheit des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis. „Wir müssen auch unsere eigene Abschreckung und Verteidigung stärken, unter anderem durch mehr Investitionen und Produktion im Verteidigungsbereich.“
Tatsächlich richtete sich der Einsatz der russischen Oreschnik-Raketen aber nicht gegen die ukrainische Zivilbevölkerung, sondern gegen die berühmte Rüstungsfabrik Juschmasch, wo schon zu Zeiten der Sowjetunion Raketen gebaut wurden. Er diente vor allem als Warnung an Deutschland und andere NATO-Länder, die sich bereit erklärt haben, ab 2026 atomwaffenfähige US-Marschflugkörper auf ihrem Boden zu stationieren. Dies ist zumindest die Einschätzung des bekannten Rußlandexperten Gilbert Doctorow, Mitgründer des American Committee for East-West Accord. In einem Interview mit Nima Alkhorshid in dessen YouTube-Sendung Dialogue Works erklärte Doctorow am 26. November, die Oreschnik-Raketen hätten nicht nur eine ukrainische Raketenfabrik zerstört, sondern auch eine Reparaturanlage des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall für Leopard-Panzer und andere Militärfahrzeuge, die wahrscheinlich mit deutschen Technikern arbeitete. Das sei „die denkbar stärkste Botschaft“ an Bundeskanzler Scholz, daß man die Idee, daß Deutschland „in der Ukraine Rüstungsbetriebe aufbaut, vergessen kann. Das ist vorbei.“
Doctorow fuhr fort: „Deshalb haben wir kurz nach dem Angriff auf Dnipro eine Kehrtwende von Herrn Scholz gehört. Denken Sie nur daran, daß die Amerikaner Scholz mit Süßholzraspeln oder eher mit Druck dazu überredet haben, zuzustimmen, daß Deutschland 2026 Stützpunkte für amerikanische Tomahawk-Marschflugkörper mit Atomwaffen bereitstellen wird, die auf Rußland gerichtet sind. Deutschland würde als Plattform für einen präventiven Erstschlag, einen Enthauptungsschlag gegen Rußland ab 2026, genutzt werden.
Ich würde sagen, daß Herr Scholz und wir alle froh sein werden, wenn wir 2026 noch am Leben sind, wenn sie die wahnsinnigen Provokationen und Angriffe gegen Rußland fortsetzen, die mit den ATACMS begonnen haben. Wenn diese Schritte fortgesetzt werden, riskieren wir einen russischen Vergeltungsschlag, der sich nicht gegen die Ukraine, sondern gegen eines der NATO-Länder richten wird. Man könnte darüber diskutieren, welches NATO-Land Gerüchten zufolge ganz oben auf der russischen Liste steht. Aber der entscheidende Punkt ist, daß die Stationierung von Oreschnik zwei Jahre vor der geplanten amerikanischen Stationierung von Tomahawks in Europa erfolgte. In den nächsten zwei Jahren wird Europa also völlig ungeschützt sein, wie unter einem Damoklesschwert der Russen.“
Bundeskanzler Scholz scheint die russische Botschaft verstanden zu haben, aber das Verhalten der NATO-Spitze, der meisten westlichen Regierungen und westlichen Politiker erinnert an den Einwand des Polemarchos in Platons Dialog Politeia: „Wie willst du jemanden überzeugen, der nicht zuhört?“ Die Äußerungen aus Brüssel, London und Washington zeigen, daß sich die westlichen Eliten in einem Zustand der Realitätsverweigerung befinden – vermutlich sogar bewußt und vorsätzlich. Wie der israelische Diplomat und Vizepremier Abba Eban einmal zum verstorbenen US-Ökonomen und Staatsmann Lyndon LaRouche sagte: „Unterschätzen Sie niemals den Faktor des Wahnsinns in der Politik.“ Die Wahnsinnigen, die immer noch das Irrenhaus der westlichen Außenpolitik leiten, haben den Anfängerkurs in Sachen Realität bisher nicht bestanden und eilen mit Riesenschritten dem Armageddon zu. Und das, obwohl Rußland mit dem äußerst effektiven Einsatz der Oreschnik-Raketen die NATO denkbar deutlich vor einer weiteren Eskalation gewarnt hat.
In ihrem wöchentlichen Internetforum am 28. November kommentierte Helga Zepp-LaRouche das Verhalten der westlichen Führung: „Ich finde es absolut erschreckend zu sehen, wie das westliche Establishment – die NATO, aber auch bestimmte Regierungen, wie die französische und die britische – sich strikt weigern, wahrzunehmen, daß sie einen Atomkrieg heraufbeschwören, wenn sie so weitermachen. Die Vorstellung, Rußland militärisch besiegen zu können, ist dermaßen abwegig, daß man nur sagen kann: Das alles ist ein Zeichen von Wahnsinn, von purer Verzweiflung!
Ich versuche, mir das zu erklären, und spreche mit anderen darüber. Was hindert diese Leute daran, zu erkennen, daß das Spiel verloren ist? Ich denke, es hat damit zu tun, daß diese Leute meistens nicht sehr begabt sind; sie sind keine großen Persönlichkeiten, wie wir sie früher hatten, wie de Gaulle, Nehru, Gandhi, Adenauer, man könnte noch viele andere nennen, wie Kennedy. Aber diese Leute sind sehr schlecht ausgebildet und haben sich als Spitzenpolitiker gewisse Privilegien erworben. Und sie halten an den Narrativen fest, die sie selbst in die Welt gesetzt haben. Es ist, als hätten sie eine transatlantische Brille auf und könnten nicht sehen, daß sich die Welt um sie herum so dramatisch verändert hat, wie wir es seit 500 Jahren nicht mehr erlebt haben.
Ich habe schon oft darauf hingewiesen, daß der Wandel, den wir gerade erleben, genauso grundlegend ist wie der Wandel vom finsteren Mittelalter des 14. Jahrhunderts zur Renaissance in Italien und zur Neuzeit, die dadurch eingeleitet wurde und zu völlig anderen Axiomen führte – im Verständnis der Menschen über den Menschen, die Natur, die Gesellschaft usw. Sie sind einfach unfähig, das zu erkennen.“
Die Selbstzerstörung des Westens hat zu einer peinlichen Ironie geführt: Die Stimme der europäischen Klassik und der Amerikanischen Revolution, die im Westen aufgrund des kulturellen Niedergangs insbesondere seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen ist, findet man nun in Chinas Erklärungen für den Weltfrieden, in Südafrikas Erklärungen gegen Völkermord, in Brasiliens Erklärungen zur Beendigung des Kolonialismus und in Rußlands Erklärungen zur Verteidigung seiner nationalen Souveränität. Das mag für „transatlantische“ Ohren schockierend und sogar empörend klingen, aber es ist wahr. Deutschland hat seine Tradition der Klassik fast völlig verloren, und Amerika hat seine Tradition als „Leuchtfeuer der Hoffnung“ für das Streben anderer Völker und Kulturen nach Freiheit und Gerechtigkeit aufgrund seiner „Sonderbeziehung“ zu Großbritannien nach 1945 verloren.
Um so wichtiger ist es, daß die Bevölkerung in den Ländern des Westens ihre Stimme gegen die Realitätsverweigerung ihrer politischen Führung erhebt und ein grundlegendes Umdenken im Westen erzwingt. Wir brauchen eine übergeordnete Idee in der internationalen Debatte, eine „höhere Hypothese“ für die zukünftigen Beziehungen der Nationen in der „Zukunftsgemeinschaft der Menschheit“, von der Chinas Präsident Xi Jinping oft spricht.
Diese höhere Idee findet einen konkreten Ausdruck in Helga Zepp-LaRouches „Zehn Prinzipien für eine neue internationale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur“, die in den nächsten Wochen als „wesentliches Prinzip“ noch viel bekannter werden müssen, um dieses Umdenken zu bewirken. Diesem Prinzip widmet sich die Konferenz des Schiller-Instituts am 7. und 8. Dezember unter dem Motto „Im Geiste Schillers und Beethovens: Alle Menschen werden Brüder“. Wir laden Sie ein, auf der Konferenz über diese Kernelemente einer erfolgreichen Gesamtstrategie für dauerhaftes Überleben und Wohlstand mitzudiskutieren.