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Wer steckt hinter der Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines?

Von Helga Zepp-LaRouche
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Die Sabotage und möglicherweise langfristige Zerstörung der beiden Nord-Stream-Pipelines Nord Stream I und II ist ein Angriff auf die existentiellen Interessen Deutschlands und belastet Millionen deutscher Bürger und eine große Anzahl von Betrieben mit Insolvenzen und zum Teil nicht mehr erschwinglichen Kosten für Heizung im kommenden Winter. Sie detoniert aber auch die Forderung der Demonstranten bei den jüngsten Protestaktionen in mehreren deutschen Städten, die ein Ende der Sanktionen gegen Rußland und eine Öffnung der beiden Pipelines gefordert hatten, um eine Lösung für die beiden dramatischsten Bedrohungen zu finden, mit denen Deutschland derzeit konfrontiert ist: Die akute Weltkriegsgefahr, die aus der Konfrontation mit Rußland folgt, und die Gefahr des totalen wirtschaftlichen Zusammenbruchs, an der die Explosion der Energiepreise einen großen Anteil hat.

Wenn es jemals eine Situation gegeben hat, in der die Regierung ihren Amtseid einlösen muß, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, dann erfordert dieser Terrorakt eine kompromißlose Aufklärung und Konsequenzen gegenüber den Verantwortlichen. Die Implikation der Antwort auf die Frage der Täterschaft ist enorm und wahrscheinlich identisch mit der Frage von Krieg und Frieden.

Jenseits aller Spekulationen, wer die Verantwortlichen sein könnten, ist die Fragestellung durchaus vergleichbar mit den Umständen, unter denen der Anschlag vom 11. September stattgefunden hat: Genau wie der amerikanische Luftraum durch das Northamerican Aerospace Defense Command (NORAD) lückenlos überwacht wird, so gehört die Ostsee zu den am strengsten überwachten Gebieten der Welt, das seit den Tagen des Kalten Kriegs von der NATO und natürlich den Anrainer-Staaten Dänemark, Schweden, Finnland und Deutschland durch ein dichtes Netz von Sonar-und Unterwassermikrophonen zur Überwachung aller Bewegungen auf See und in der Luft kontrolliert wird.

Wie bei allen kriminellen Taten stellt sich die Frage: wer hatte ein Motiv, wer hatte die technische und personelle Kapazität, die Tat auszuführen, und wer war physisch im fraglichen Zeitraum vor Ort? Die Notwendigkeit der Erfüllung dieser drei Kriterien reduziert die Liste der in Frage kommenden Täter auf eine sehr kurze Liste, und es herrscht angesichts der enormen technischen Anforderungen, die im Meeresboden in 70, bzw. 88 Meter Tiefe verlegten und betonierten Pipelines zu beschädigen, auf allen Seiten ein Einverständnis darüber, daß nur Staaten über solche Kapazitäten verfügen - und da eigentlich auch nur drei: Rußland, die USA und Großbritannien.

Eine äußerst nützliche Einschätzung zur Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines wurde jetzt von dem Schweizer Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard veröffentlicht, der 2014 in der Sonderbeobachtungsmission der OSZE als leitender Planungsoffizier tätig war, und danach u.a. in der hochrangingen OSZE- Planungsgruppe als Operationsoffizier. Er beschreibt darin die erheblichen technischen Herausforderungen, die bei einem derartigen Sabotageakt überwunden werden müssen und von daher den Täterkreis ziemlich klar auf militärische Spezialkräfte reduzieren, womit die Aussicht erhöht wird, daß aussagekräftige Informationen über den Anschlag ans Licht kommen werden. Die robuste Konstruktion der Pipelines, deren Rohre aus einem Spezialstahl bestehen, der mit einem Betonmantel umgeben, unter Geröll vergraben und mit anderen Materialien bedeckt sind, erfordert in ca. 80 Meter unter dem Meeresspiegel komplexe Techniken und den Einsatz von hochbrisanten Sprengstoffen aus dem militärischen Bereich.

Bosshard verweist darauf, daß die russische Marine, falls sie als Täter in Frage käme, sich nicht die Mühe hätte machen müssen, die Pipelines vor der dänischen Insel Bornholm mitten in einem eng von der NATO überwachten Gebiet zu zerstören, sondern dies einfacher im Finnischen Meerbusen hätte erledigen können. Es sei denn, sie hätte die Überlegenheit russischer Kapazitäten bei der Kriegsführung auf dem Meeresgrund (Seabed Warfare) demonstrieren und die NATO vorführen wollen, weist Bosshard auf diese eher unwahrscheinliche Erklärungsvariante hin.

Also wenn Rußland als Täter eher auszuschließen ist - schließlich hätte es ja auch einfach den Hahn zugedreht lassen können, wenn es Moskau darum gegangen wäre, „Verunsicherung zu schüren“ und den Gaspreis in die Höhe zu treiben, wie einige Medien spekulieren, welche Optionen bleiben dann?

Jens Berger wies in den Nachdenkseiten darauf hin, daß Mitte Juni in der Ostsee das jährliche NATO-Manöver BALTOPS stattfand, an dem unter dem Kommando der 6. US-Flotte 47 Kriegsschiffe, darunter der US Flottenverband um den Hubschrauberträger USS Kearsarge, teilnahmen. Teil dieses Manövers war eine Operation der Task Force 68, die vor der Insel Bornholm mit unbemannten Unterwasserfahrzeugen operierte, die Minen entschärfen, aber natürlich theoretisch auch solche plazieren können.

Seltsamerweise sei genau diese Flottengruppe um die USS Kearsarge in der letzten Woche erneut nur 10 Seemeilen entfernt von Bornholm mit Positionssignalen registriert worden. Das bedeutet natürlich noch nicht, daß diese Schiffe involviert waren, aber sehr wohl, daß sie es hätten sein können.

Der russische Botschafter bei der UN, Wassili Nebensja, fügte am Freitag bei einer kurzfristig einberufenen Sitzung des UN-Sicherheitsrates weitere Beobachtungen hinzu, nämlich daß sich die USS Kearsarge die ganze Zeit seit Juni in der Nähe von Bornholm aufgehalten habe, daß die Hubschrauber-Flotte des Schiffes die Gegend um Bornholm seit Anfang August patrouilliert habe und daß die Flugrouten dieser Luftfahrzeuge in überraschender Weise mit dem Verlauf der Pipelines übereinstimmten. Nebensja: „Ich betone, das sind öffentliche Daten bezüglich der Geolokalisierung von See- und Lufttransport, die auf Basis der Signale der Transponder aufgezeichnet werden. Das bedeutet, daß die USA ihre Anwesenheit nicht verborgen haben und das sie ihre Manöver in einer offen demonstrierten und auffälligen Weise durchgeführt haben.“

Ist es wahrscheinlich, daß Rußland die Pipelines zerstört hat, für die insgesamt 20 Milliarden investiert wurden und von denen es langfristig erhebliche Einnahmen hätte erwarten können? Putin hatte noch auf dem SCO-Gipfel in Samarkand vor zwei Wochen angeboten, Nord Stream 2 zu öffnen und damit 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu liefern, falls Deutschland bereit wäre, die Sanktionen gegen Rußland aufzuheben.

Überall im Internet zirkuliert jetzt das Video, auf dem Präsident Biden am 7. Februar auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz im Weißen Haus versprochen hatte, daß die USA in der Lage seien, Nord Stream 2 zu schließen, falls Rußland in die Ukraine einmarschiere. Auf die Frage eines Reporters, wie er das bewerkstelligen wolle, da das Projekt sich doch unter Deutschlands Kontrolle befinde, antwortete Biden: „Ich verspreche Ihnen, daß wir in der Lage sein werden, das zu tun.“

Biden war nicht der einzige, der solche Drohungen ausstieß: Tucker Carlson präsentierte jetzt auf Fox-TV ein Video, auf dem Victoria Nuland auf einer Pressekonferenz des State Department schon im Januar das gleiche für den Fall einer russischen Invasion ankündigte: „So oder so, Nord Stream 2 wird nicht zum Einsatz kommen.“ Nach dem Anschlag auf die Pipelines freute sich der ehemalige polnische Außenminister Radoslaw Sikorski - Ehemann der bellikosen Atlantikerin Anne Applebaum - und bezog sich in einem Tweet auf Bidens Versprechen vom 7. Februar: „Eine kleine Sache, aber welch eine Freude. Vielen Dank, USA.“ Der Tweet wurde inzwischen gelöscht.

Offensichtlich sind die hier aufgezählten Fakten nur Indizien und noch keine Beweise für die Identität der Täter. Aber die Implikationen des Anschlags auf die Nord-Stream-Pipelines sind enorm. Sie verstärken die unmittelbare Perspektive der Deindustrialisierung Europas und die Abhängigkeit vom LNG-Gas der USA massiv, und die explodierenden Kosten führen bereits zu einem massiven Abzug von Firmen aus Europa und vor allem Deutschland in die USA. All dies bedeutet einen massiven Angriff auf den Lebensstandard der Bevölkerung.

Die Tatsache, daß die Pipelines erhebliche Schäden erlitten haben, deren Reparatur nach Aussagen der Betreiber keinesfalls unmöglich, aber doch sehr zeitaufwendig wäre, nimmt zunächst einmal den Teilnehmern an den Protestaktionen, die gefordert hatten, die Pipelines zu öffnen und die Sanktionen gegen Rußland zu beenden, den Wind aus den Segeln. Die Pipelines sind für den bevorstehenden Winter und darüber hinaus nicht funktionsfähig, und ein möglicher Weg zu einer diplomatischen Lösung mit Rußland auch bezüglich der wachsenden Kriegsgefahr ist verschüttet.

Wenn es sich allerdings herausstellen sollte, daß der Anschlag nur die Ausführung dessen war, was Biden am 7. Februar in der Anwesenheit von Scholz angekündigt hatte, dann muß sich Europa umgehend aus der Unterwerfung unter die USA und Großbritannien befreien und alle seine Kräfte einsetzen, um den Konflikt mit Rußland und zunehmend auch mit China auf diplomatischem Weg zu überwinden.

Ganz neu wäre die US-Autorenschaft jedenfalls nicht. Am 27. Februar 2004 berichtete die Washington Post, daß Ronald Reagan einem Plan der CIA zugestimmt hatte, die sowjetische Ökonomie zu sabotieren, indem sie ihr verdeckt u.a. kontaminierte Software zuspielte, die im Sommer 1982 eine gigantische Explosion der sibirischen Gaspipeline verursachte. Diese Enthüllung stammte aus den Memoiren des ehemaligen Luftwaffen-Ministers Thomas C. Reed, der berichtete, diese Explosion sei nur ein Beispiel für den „kaltblütigen Wirtschaftskrieg“ gewesen, den die CIA in den letzten Jahren des kalten Kriegs gegen die Sowjetunion geführt habe. Es sei der wirtschaftliche Bankrott gewesen, der zum Ende des Kalten Krieges geführt habe, keine Schlachten oder ein Austausch von Atomschlägen, so Reed.

Wir werden darauf achten müssen, daß die deutschen Politiker, die „Rußland ruinieren“ wollen, sich nicht willig bei der Vertuschung des Verbrechens in den Dienst der Täter stellen. Die „härtesten Konsequenzen“, die Ursula von der Leyen angekündigt hat, müßten dann allerdings umgesetzt werden, wenn wir uns in Deutschland nicht endgültig selbst aufgeben wollen. Es muß auf jeden Fall sichergestellt werden, daß Rußland in die Untersuchungen mit einbezogen wird. Daß Scholz Dänemark und Schweden dabei Unterstützung zugesagt hat, ist definitiv zu wenig. Ebenso, daß Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern und Verbündeten die Vorsorge und den Schutz vor Sabotage für kritische Infrastruktur verstärken will, wie Regierungssprecher Hebestreit sagte, klingt schon wieder eher wie eine Kapitulationserklärung als die Ansage, daß diese Regierung die existentiellen Interessen des deutschen Volkes zu vertreten beabsichtigt, worauf sie ihren Amtseid geschworen hat.

Es ist allerhöchste Zeit, daß wir sie daran erinnern.

zepp-larouche(at)eir.de