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Der unvermeidliche Untergang des Weltfinanzsystems

[title]Der unvermeidliche Untergang des Weltfinanzsystems[/title]

[author]von Lyndon LaRouche[/author]

[date]Juni 1994[/date]

[hr]

[i]Mehrere Leser unserer Homepage fragten an, ob wir nicht LaRouches „Neunte Vorhersage“ von 1994 noch einmal veröffentlichen könnten. Also haben wir in unserem Archiv gefischt und sie herausgezogen. Die „Neunte Vorhersage” über den unvermeidlichen Kollaps des Weltfinanzsystems ist Teil eines längeren Aufsatzes, der im Juni 1994 in der Wochenzeitung [/i]Neue Solidarität[i] Nr. 25 und 26 erschienen ist. Schlaumeier haben eingewendet, daß Clinton bereits mitten in seiner zweiten Amtszeit stand und das Weltfinanzsystem noch nicht kollabiert war. Richtiger müßte man sagen: Der Zusammenbruch des Weltfinanzystems war [/i]noch nicht abgeschlossen[i]; eingesetzt hat er aber in genau dem Zeitrahmen, den LaRouche im Juni 1994 prognostizierte: Ende 1994, Anfang 1995 kam es mit der Mexikokrise zur ersten „Beinahe-Kernschmelze” des Weltfinanzsystems. Es folgt LaRouches Artikel von Juni 1994 im Wortlaut.[/i]

[hr]

Es überrascht nicht, daß der britische Zentralbankchef Eddie George jetzt auch denjenigen zugerechnet werden muß, von denen es heißt: „Wen die Götter zerstören wollen, treiben sie zuerst in den Wahnsinn”. Auf der jüngsten Zusammenkunft der Internationalen Währungskonferenz in London hat sich George nämlich in die Reihe jener raffgierigen Narren der Finanzwelt eingereiht, die darauf bestehen, daß die von der krebsartig wuchernden Derivatblase ausgehende Gefahr von Kritikern maßlos übertrieben werde.

Es ist eine Frage von großer Dringlichkeit, daß alle amtierenden Regierungen ihre derzeitigen und zukünftigen Ökonomen und Zentralbankmitarbeiter einem Test über ihren Geisteszustand unterziehen, bei dem Eddie George mit Pauken und Trompeten durchfiele. Dies hätte zumindest einen positiven Nebeneffekt, daß nämlich mit einem Schlag viele Stellen für noch vernünftig denkende Arbeitslose frei würden. Der Test besteht nur aus einer entscheidenden Frage: [i]Beweisen Sie glaubhaft, daß die kurz bevorstehende Auflösung der gegenwärtigen Finanz- und Währungsblase durch keinerlei Maßnahmen mehr aufzuhalten ist, es sei denn, die entscheidenden Institutionen würden einem Konkursverfahren unterzogen.[/i]

Jeder Befragte kann die Antwort gleich im folgenden Aufsatz nachlesen und braucht sich noch nicht einmal zu sorgen, deswegen beim Mogeln erwischt zu werden. Ganz im Gegenteil, er wird damit zu einer vernünftigen Geisteshaltung zurückfinden.

[subhead]Meine Prognosen[/subhead]

Was meine eigene Befähigung angeht, so habe ich während meiner über vierzigjährigen Arbeit als Ökonom nur relativ wenige Vorhersagen kritischer Ereignisse veröffentlicht (meine Wiederholung dieser Warnungen nicht eingerechnet). Bis heute wurde jede dieser Vorhersagen, die auf der Basis der LaRouche-Riemann-Methode erarbeitet wurden, durch die Wirklichkeit bestätigt. Um meine Kompetenz für die Ausarbeitung des oben angeführten Tests wirtschaftlicher Zurechnungsfähigkeit darzulegen, gehe ich auf meine Vorhersagen im folgenden etwas genauer ein.

[list:type=ol][item]Im Spätherbst 1956 sagte ich im Rahmen einer Marketingstudie eine drohende schwere Wirtschaftsrezession in den USA voraus, die durch Überdrehen der Kreditschraube nach 1954 vor allem bei der Finanzierung von Autos, Eigenheimen und vergleichbaren Konsumgütern hervorgerufen werde. Diese Rezession tauchte in den amtlichen Statistiken erstmalig im Februar 1957 auf und wurde einige Monate später, wenn auch widerwillig, offiziell bestätigt. Die Rezessionsspirale hielt bis Mitte des Jahres 1958 an. Die sich anschließende Stagnationsphase wurde erst durch den Aufschwung unter der Kennedy-Administration beendet. [/item]

[item]Zwischen 1959 und 1960 veröffentlichte ich meine erste langfristige Prognose, nach der sich etwa ab Mitte der 60er Jahre verschiedene schwerwiegende Währungsturbulenzen ereignen würden, die zu einem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems führten. Als Folge dieses Kollapses käme es zu einer zunehmenden Ausplünderung der Entwicklungsländer, während in der amerikanischen Binnenwirtschaft und in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen drastische Sparmaßnahmen nach dem Vorbild faschistischer Regime eingeführt würden.

Alle meine späteren Wirtschaftsprognosen und damit zusammenhängenden Aktivitäten der 60er Jahre bis zum Frühjahr 1971 gründeten sich auf diese Einschätzung. Die ersten Währungsturbulenzen ereigneten sich mit der Krise des britischen Pfundes im November 1967. Ihm folgte im Januar 1968 der US-Dollar, dessen Schwierigkeiten bis zum März anhielten. Das Scheitern der Vereinbarungen von Bretton Woods zeichnete sich am 15. August 1971 ab (an diesem Tag wurde der US-Dollar vom Goldstandard abgekoppelt), und trat bei der Azoren-Konferenz 1972 offen zutage. Die amerikanische Regierung reagierte darauf mit radikalen Sparmaßnahmen, die als Phase I und Phase II bekannt sind. [/item]

[item]Im Rahmen meiner Präsidentschaftskampagne erklärte ich im November 1979, die Politik der Regierung Carter und der amerikanischen Zentralbank Federal Reserve, die im wesentlichen vom damaligen Zentralbankchef Paul A. Volcker geprägt war, werde eine neuerliche Rezession heraufbeschwören, die Anfang 1980 einsetzen werde. Die von [i]EIR [/i]bis 1983 in Vierteljahresabständen veröffentlichten Projektionen erwiesen sich bei weitem als die zutreffendsten, während andere „renommierte” Institute wie Chase, Wharton, Evans und Data Resources Trendanalysen lieferten, die ans Absurde grenzten. [/item]

[item]Im Februar 1983 erklärte ich im Zusammenhang mit vertraulichen Sondierungsgesprächen mit der sowjetischen Regierung, die ich im Einvernehmen mit der Reagan-Administration führte, sollte Moskau die Vorschläge, die nach dem 23. März 1983 als Strategische Verteidigungsinitiative bekannt wurden, ablehnen, würde der dadurch entstehende wirtschaftliche Druck auf das Comecon-System [der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe] nach etwa fünf Jahren zu dessen Zusammenbruch führen. Diese Einschätzung wurde in einem EIR-Sonderbericht mit dem Titel [i]Global Showdown[/i], der im Juli 1985 erschien, aufgegriffen. Der Zusammenbruch trat dann in der zweiten Jahreshälfte 1989 ein. [/item]

[item]Im Frühjahr 1984 warnte ich im Zusammenhang mit meiner erneuten Bewerbung als demokratischer Präsidentschaftskandidat u.a. in einer halbstündigen, landesweit ausgestrahlten Fernsehsendung vor einem Zusammenbruch großer Teile des amerikanischen Bankensystems, der vor allem die Sparkassen und vergleichbare Institute betreffen werde. [/item]

[item]Im Mai 1987 sagte ich (nachzulesen z.B. in dem Magazin [i]EIR) [/i]einen heftigen Kurssturz an den Börsen voraus, der wahrscheinlich um den 10. Oktober 1987 einsetzen werde. Dies war meine erste und einzige Börsenprognose. [/item]

[item]Als ich mich 1988 erneut um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten bewarb, benutzte ich in einer weiteren Fernsehwahlsendung einen „springenden Ball”, dessen Sprunghöhe immer weiter nachläßt, um den trotz scheinbarer kurzfristiger Fluktuationen unaufhaltsamen Zusammenbruch der amerikanischen Wirtschaft zu verdeutlichen. Dieser Trend hält bis heute an. [/item]

[item]Im Rahmen meines Präsidentschaftswahlkampfes 1992 erklärte ich, wir seien bereits von der globalen Finanzlawine erfaßt worden. [/item][/list]

Kein anderer lebender Ökonom, nicht einmal der überaus scharfsinnige französische Wirtschaftsnobelpreisträger Maurice Allais, kann auf derartige dokumentierbar zutreffende Prognosen in den letzten vierzig Jahren verweisen.

Mit dieser Kompetenz erkläre ich nun, wie ich es bereits gegenüber führenden wissenschaftlichen Institutionen Rußlands in der letzten Aprilwoche dieses Jahres getan habe:

[quote][i]Das derzeitige Finanz- und Währungssystem wird in der nächsten Zeit untergehen. Der Zusammenbruch kann in diesem Sommer erfolgen, oder erst im Herbst, möglicherweise sogar erst im kommenden Jahr, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird es noch in der ersten Amtsperiode Präsident Clintons dazu kommen. Aber es wird bald geschehen. Dieser Zusammenbruch ist unvermeidlich, weil er durch nichts anderes aufgehalten werden kann als durch die politisch unwahrscheinliche Entscheidung der führenden Regierungen, gegenüber den Finanz- und Währungsinstitutionen ein Konkursverfahren einzuleiten. Das ist meine Vorhersage Nummer 9.[/i][/quote]

[subhead]Rationale Urteilskriterien[/subhead]

Aus den kurz zusammengefaßten acht Prognosen läßt sich ablesen, daß es denjenigen, die die neunte Prognose nicht ernst nehmen, offenbar an Intelligenz oder Moral mangelt. Nun muß man allerdings fragen: Wenn ich auch zugegebenermaßen in den vergangenen 40 Jahren die zutreffendsten Wirtschaftsprognosen geliefert habe, bedeutet das notwendigerweise, daß auch meine neunte Vorhersage eintreffen muß? Eine verantwortliche Regierung wird sagen: „Er ist vielleicht der beste Ökonom der Welt, aber selbst dann brauchen wir noch den Beweis, daß er mit seiner neunten Vorhersage Recht hat.”

Wer als Wirtschaftsberater einer Regierung tätig ist, befindet sich moralisch in einer vergleichbaren Position wie ein Arzt gegenüber seinem Patienten. Entspräche es der medizinischen Ethik, wenn der Arzt die Verschreibung eines Medikamentes davon abhängig machte, ob ihm die Verpackung gefällt? Auf welcher Grundlage entscheidet ein Arzt? Er ist moralisch verpflichtet, sich wissenschaftlicher Methoden zu bedienen und im Einklang mit denjenigen Berufskollegen zu handeln, von denen er weiß, daß sie sich bei ihrer Arbeit von wissenschaftlichen Methoden und nicht etwa von Versprechungen der Versicherungsgesellschaften leiten lassen. Welches sind die entsprechenden ethischen Grundsätze bei wirtschaftspolitischen Verordnungen?

Im Gegensatz zur Meinung der meisten wissenschaftlichen Analphabeten unter den amerikanischen Universitätsabsolventen von heute [i]ist Wissenschaft keine Statistik. Wissenschaft ist die Methode, durch die grundlegende Entdeckungen hervorgebracht werden. Wissenschaft ist keine Mathematik; vielmehr setzt die seit über 2500 Jahren, seit der platonischen Akademie in Athen immer erfolgreicher weiterentwickelte physikalische Wissenschaftsmethode der Mathematik Grenzbedingungen.[/i]

Jede verantwortliche Regierung stellt sich im Zusammenhang mit meiner neunten Vorhersage die folgenden drei Fragen:

[list:type=ol][item]Stimmt die Methode, aufgrund derer ich die acht vorangegangenen Prognosen aufstellte, mit der überein, auf die sich die neunte gründet?[/item]

[item]Bedienen sich meine Gegner der gleichen Methode, mit der diese Kreise schon bei den anderen acht Prognosen gescheitert waren? [/item]

[item]Wenn die Antwort auf diese beiden Fragen ein eindeutiges Ja ist, dann muß nur noch der Beweis erbracht werden, daß meine Herangehensweise mit den tatsächlich wirksamen Prinzipien eines anhaltenden Wachstumsprozesses der realen Wirtschaft übereinstimmt. [/item][/list]

Das wird jede verantwortungsvolle Regierung von mir verlangen, nachdem sie es als furchtbaren Fehler und als völlig unmoralisch erkannt hat, den früheren blinden Glauben an meine berühmten, gescheiterten Konkurrenten beizubehalten, etwa John von Neumann, Abba Lerner, Milton Friedman, Friedrich von Hayek, Karl Popper, Arthur Burns, Paul Samuelson, George Shultz, Paul Volcker, Margaret Thatcher, Wharton, Evans, Chase, Data Resources und, ganz am unteren Ende der Skala, jener berüchtigte, akademische Giftzwerg Jeffrey Sachs.

Die Zukunft wird über die derzeitigen Regierungen und Wähler danach richten, ob sie der Verantwortung, diese Fragen zu meiner neunten Vorhersage zu stellen, nachkommen oder nicht. Spätere Generationen werden fragen: Hättet ihr diese Fragen gestellt, dann hättet ihr die völkermörderische Katastrophe vorhergesehen, die eurem Land und der Welt drohte. Habt ihr diese Fragen gestellt? Und wenn ja, welche Antwort habt ihr bekommen? Was wäre geschehen, wenn ihr die Antwort akzeptiert hättet? [i]Diese moralische Verantwortung liegt bei den Regierungen; sie entscheidet vielleicht darüber, ob es einige Ökonomen verdienen, in der Hölle zu schmoren; sie ist auch ein Maßstab für die Moral der wahlberechtigten Bevölkerung.[/i]

Alle wichtigsten Aspekte meiner Methode lassen sich beispielsweise in der Frühjahrsausgabe 1994 der amerikanischen Zeitschrift Fidelio nachlesen. In [i]On LaRouche's Discovery[/i] [Über LaRouches Entdeckung] wird dort über meine grundlegenden Arbeiten in den Jahren 1948-52 berichtet, in die meine entscheidende Entdeckung in der Wissenschaft der physikalischen Ökonomie fällt. Eine zweite, etwas ausführlichere Darstellung [i]The Truth about Temporal Eternity[/i] (Die Wahrheit über vergängliche Ewigkeit) zur Bedeutung der Wirtschaftspolitik in der Geschichte findet sich in der Sommerausgabe der gleichen Zeitschrift von diesem Jahr.

Für den in mathematischer Physik bewanderten Leser -- was Fragen wie die böswilligen Angriffe Bertrand Russells auf Bernhard Riemann und Georg Cantor sowie die entlarvende Beweisführung Kurt Gödels bezüglich eines wichtigen Fehlers John von Neumanns angeht -- liefern die beiden genannten Artikel ausreichend Material für einen wissenschaftlichen Beweis. Aber auch für den auf diesem Gebiet nicht so bewanderten Leser sind sie sehr wichtig und informativ.

Meine Absicht ist, daß jeder, ob entsprechend wissenschaftlich vorgebildet oder einfach nur mit einem Sinn für Moral in diesen Dingen ausgestattet, mit der folgenden Beschreibung des Beweises meiner neunten Vorhersage ausreichend informiert wird.

[subhead]Was ist eine Finanzblase?[/subhead]

Als ersten Schritt zum Verständnis der Derivatblase stellen wir uns dieselbe Frage, die ich Schülern meines Ökonomiekurses im Jahr 1966 stellte -- meist Studenten höheren Semesters (zu denen auch Nancy Spannaus gehörte, die heute eine Berühmtheit in der Demokratischen Partei ist). Warum ist der Besitz von Slumwohnungen in New York City für die „Slumlords” so profitabel? Nancy und andere Studenten begannen eine Studie vor Ort; sie verbrachten viele Stunden im Stadtarchiv, um die Geschichte der New Yorker Slumviertel und die dortigen Besitzverhältnisse mehrere Generationen zurückzuverfolgen. Nancy und ihre Kollegen fanden die Antwort auf meine Frage und dokumentierten die Beweise dafür.

Nehmen wir eine beliebige Investition, die als Einkommensquelle dient, sei es eine Fabrik, ein Landwirtschaftsbetrieb, ein Einzelhandelsgeschäft oder Mietwohnungen in den Slums. Ein gewisser Teil der jährlichen Gesamteinnahmen, die der Besitzer dieser Investition verbucht, wird entnommen. „Entnommen” heißt, „nicht in die Weiterführung oder Verbesserung der Investition selbst zurückgeleitet”. Vier Elemente dieses entnommenen Teils der Gesamteinnahmesumme sind hier für uns von vorrangigem Interesse: Entnommene [i]Mieten, Zinsen, Profite[/i] und ein bestimmter Teil der gezahlten [i]Steuern.[/i]

Konzentrieren wir uns zunächst etwas auf den entnommenen Mietanteil, den Teil der Mieteinnahmen, der nicht als Grundsteuer gezahlt oder in die Erhaltung und Verbesserung des Mietobjekts gesteckt wird. Nehmen wir an, der Besitzer eines Objekts im Slum entscheidet sich, den Besitz als Mietobjekt zu verkaufen; wie bestimmen wir den erwarteten Wert, der als Grundlage der Festlegung des Verkaufspreises dient? [i]Dieser Wert wird nicht auf den Kosten basieren, die der Neubau eines Ersatzgebäudes verursacht, oder auf dem geminderten Originalwert des Gebäudes; er wird auf einem Vielfachen des entnommenen Teils der Mieteinnahmen oder entsprechenden Berechnungen basieren.[/i]

In unserem Unterrichtsbeispiel gibt es also zwei verschiedene Werte für das Slumgebäude. Der eine ist der geminderte Wert des Originalgebäudes einschließlich des geminderten Wertes der zwischenzeitlich angebrachten Verbesserungen. Der andere Wert ist ein Vielfaches desjenigen Anteils der Mieteinnahmen, der dem physischen Kreislauf von Erhaltung und Erneuerung vom Besitzer entnommen wird. Geben wir dem Unterschied zwischen dem geminderten Wert des ursprünglichen Baus und dem Marktwert, der den Mieteinnahmen aus dem Gebäude zugeschrieben wird, einen Namen. Im New York der Jahre 1967-1969 lag der zweite Wert bedeutend höher als der erste. Den Überschuß des zweiten Wertes über den ersten nennen wir [i]fiktives Kapital.[/i]

Die Arbeitsgruppe, zu der Nancy Spannaus gehörte, fand heraus, daß das System der Slumlords größere Gewinnspannen für Slumwohnungen brachte, die von sehr armen Familien bewohnt wurden, als ehrlichere Vermieter für bessere Wohnungen erhielten, die sie an Angehörige der Mittelschicht und Besserverdienende vermieteten. Ein Slumbesitz war profitabler als ein Nicht-Slumbesitz, weil die Mieteinnahmen durch unterlassene Reparaturen und ähnliche Machenschaften auf ein Maximum heraufgetrieben wurden. In diesen Zuständen hätte man bereits eine Vorwarnung der kommenden Ära gänzlicher wirtschaftlicher Unmoral sehen können, dem Zeitalter der Junkbonds, feindlichen Firmenübernahmen und Derivate -- man könnte auch sagen: die Ära der versessensten Anhänger George Bushs und Maggie Thatchers. Der Vermieter mit der niedrigsten Moral, der für die Gesellschaft vom geringsten Nutzen war, wurde reicher belohnt als ein Vermieter, der moralisch handelte.

Diese wirtschaftliche Kategorie des [i]fiktiven Kapitals [/i]ist der Schlüssel zum Verständnis dafür, warum die heutige Derivatblase für das Weltfinanz- und Weltwährungssystem einer Krebserkrankung im Endstadium genau analog ist. Bevor wir die wichtigsten Punkte unseres Beweises analysieren, wollen wir die heutige finanzielle Blase unter diesen Gesichtspunkten beschreiben.

Nehmen wir anstelle eines Mietbesitzes in den Slums der 60er Jahre eine Entsprechung davon aus heutiger Zeit: Die US-amerikanische Wirtschaft Milton Friedmans, Margaret Thatchers, George Bushs und Senator Phil Gramms -- die „nachindustriellen” Vereinigten Staaten, die ihre Stahlindustrie zu einer „Stehlindustrie” machten, eine freie Marktwirtschaft, in der sich jeder bedienen kann, wie er will. Das ist die heutige Wirtschaft des [i]Wall Street Journal[/i], des [i]American Spectator[/i] und der [i]Washington Times[/i], von Michael Milken und ähnlichen neokonservativen Gangstern.

Die physischen Nettoinvestitionen in Erhaltung und Verbesserung produktiver Kapazitäten in der grundlegenden Infrastruktur, in Landwirtschaftsbetrieben und Fabriken sind seit langem für jeden ersichtlich unter Null gefallen. Der Kollaps von Farmbetrieben (zum größeren Ruhm von George Bushs Freunden in den Getreidekartellen) und der drastische Rückgang industrieller und anderer qualifizierter Arbeitsplätze zeigen deutlich, daß die US-Wirtschaft rapide ausgeschlachtet wird. Das ist ein globaler Prozeß. Es begann zuerst im Entwicklungssektor, besonders nach der Einführung des „Systems der gleitenden Wechselkurse” im August 1971 anstelle des früheren, in Bretton Woods festgelegten Goldreservesystems. Als die Doktrin der „kontrollierten Desintegration der Weltwirtschaft” durch den New Yorker Council on Foreign Relations (1975-76) in Form der „Volcker-Maßnahmen” (des Vorsitzenden der Federal Reserve Paul Volcker) im Oktober 1979 eingeführt wurde, verbreitete sich diese krankhafte Ausbeutung auch in alle Sektoren der US-amerikanischen Wirtschaft.

Am Beginn der 80er Jahre war es soweit, daß die US-Wirtschaft aufgrund des bereits laufenden Kapazitätsabbaus in der „postindustriellen” Manie der 70er Jahre die technischen Fähigkeiten einbüßte, mit denen die bemannte Mondlandung in den 60er Jahren geglückt war. Ende 1982 lief die Kapazitätsausschlachtung unter dem Einfluß von Bush und Senator Gramm, die die radikale Deregulierung der Finanzmärkte vorantrieben, völlig aus dem Ruder. Die Deregulierungsmaßnahmen, die Bush und Gramm durchsetzten, könnte man passend als „Kravis-und-Milken-Junkbond-Fütterung” bezeichnen (Kravis und Milken sind Finanzmakler der Wall Street, die wegen Wirtschaftsverbrechen verurteilt wurden). Das Gramm-Rudman-Gesetz, auch das „geplante Zugunglück” genannt, das angeblich dazu dienen sollte, den Haushalt auszugleichen, glich nichts aus, sondern brachte den größten Teil dessen, was von der Wirtschaft übrig geblieben war, auch noch aus dem Gleichgewicht -- und dazu die Köpfe der leichtgläubigen Anhänger dieser Politik.

Schauen Sie sich den wirtschaftlichen Niedergang Amerikas einmal mit den Augen eines New Yorker Slumlords der 60er Jahre an: seine Bewunderung wäre überschwänglich.

Betrachten wir den Fluß realen Einkommens, der aus dem „Reproduktionszyklus” von Produktion und Verteilung von Gütern sowie so unverzichtbaren Dienstleistungen wie Erziehung, Gesundheit und Forschung entnommen wird. Spüren wir die Profite, Zinsen, Mieten und Steuern auf, die aus diesen Quellen kommen. Nun entziehen wir das Entnommene den Rückinvestitionen in die Verbesserung von Produktion und Verteilung und verkaufen die so entnommenen Summen auf dem Finanzmarkt -- so wie Slumlords Eigentumsrechte an Mietobjekten in Slums verkaufen: nicht den realen Besitz, sondern das Anrecht auf das Mieteinkommen.

Auf diese Weise entsteht eine große Summe fiktiven Kapitals. Nun ist zusätzlich zum Einkommensfluß aus den primären Einnahmequellen Mieten, Profit, Zinsen und Steuern eine zweite Art von Einkommensfluß geschaffen worden: Gewinne aus [i]fiktivem Kapital[/i].

In jeder Marktwirtschaft, selbst im ländlichen Tauschhandel mit Vieh, ist das Auftreten von [i]fiktivem Kapital[/i] und [i]Gewinnen aus fiktivem Kapital[/i] verbreitet. Unter bestimmten Bedingungen setzt das pyramidenartige Auftürmen von Gewinnen aus fiktivem Kapital, als einer Einnahmequelle, die eine zweite Klasse von fiktivem Kapital hervorbringt, einen Prozeß in Gang, der in der neueren Wirtschaftsgeschichte in Form so unheilvoller, verrückter Orgien berühmt wurde wie der Tulpenspekulation des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden, der South-Sea- und der Mississippi-Spekulation im frühen 18. Jahrhundert und den heutigen Praktiken der Bush-Leute hinter der Junkbond- und Derivatblase.

Solange Geld und in Geld diskontierbare Guthaben solche Besitztitel und Verträge als umlauffähige Ansprüche behandeln, behandeln sie reale Einkünfte und Einkünfte aus fiktivem Kapital mehr oder weniger gleich. In diesem Fall wird eine Legion überaus nutzloser Parasiten von der Wall Street, City of London usw. auf der ganzen Welt ungeheuer reich, während Landwirte, Industriearbeiter, ehrliche Geschäftsleute und die Nation als Ganze immer ärmer und schließlich sogar ähnlich hilfsbedürftig werden wie Rußland es unter dem Einfluß der Politik Margaret Thatchers, George Bushs und Jeffrey Sachs' geworden ist.

Solange ein Kaufinteressent in dem Glauben handelt, daß ein auf dem Papier stehender, nomineller Kapitalgewinn von erworbenem fiktiven Kapital einen zu erwartenden und diskontierbaren Kapitalgewinn bedeutet, kann dieser imaginären neuen Einnahmequelle eine fiktive Kapitalausstattung zugeordnet werden, so wie einem Slumgebäude ein fiktiver Wert zugeordnet wird, der darauf basiert, daß der Käufer diesen Marktpreis zu zahlen bereit ist, um das Anrecht auf die Mieteinnahmen zu erwerben. Sobald diese nächste Phase in der Spirale der Finanzspekulation zur Grundlage eines neuen Marktes für solche Instrumente wird, geht ein „geometrischer” Wachstumsprozeß nominellen fiktiven Kapitals los. Eine Seifenblase fiktiver Aggregate entsteht. Das ist der Unterschied zwischen einer echten spekulativen Blase und endemischen Formen der Spekulation innerhalb des Marktes.

[subhead]Was ist eine „krebsartige Blase“?[/subhead]

Die gegenwärtige globale Finanz- und Währungsblase ist weit mehr als eine einfache Überblähung fiktiver Kapitalgewinne. Sie hat Dimensionen, die sie zu einem tödlichen Krebsgeschwür für die Finanz- und Währungssysteme macht, die von ihr befallen sind.

Kapazitätsausschlachtung, [i]asset-stripping[/i] ist hier der Schlüsselbegriff.

Verwenden wir den Ausdruck „Hebelwirkung”, um den indirekten Multiplikator zu definieren, der eine bestimmte Jahresrate an Einkünften in eine entsprechende Höhe nominellen fiktiven Kapitals umwandelt. Im Fall des Slumlords ist die Ausbeutung der Mieter zur Erhöhung der Einkünfte aus Mieteinnahmen ein Weg, den zurechenbaren Einkommensfluß zu vergrößern, und damit auch eine fiktive Kapitalausstattung des Besitzes. Die Bewertung der sekundären und tertiären fiktiven Kapitalausstattung, die sich aus den zurechenbaren marginalen Gewinnen an fiktivem Kapital entwickelte, beruht damit selbst auf Hebelwirkung gegenüber dem primären, realen Einkommensfluß.

Die Bewertung des Marktes für fiktive Kapitalgewinne hängt also sowohl von der relativen als auch von der absoluten Größe des primären Einkommensstroms ab. Diese Tatsache wird z.B. durch die drastische Kapazitätsausschlachtung illustriert, die nötig war, um die massive Schaffung fiktiven Kapitals in den Geschäften des Konzerns RJR Nabisco aufrechtzuerhalten. Ohne massive Kapazitätsausschlachtung in der gesamten Wirtschaft wäre die ganze spekulative Blase ungefähr schon vor einem Jahrzehnt kollabiert.

Komplizierter wird dies aufgrund der Tatsache, daß die Blase ohne ein Anwachsen des Flusses an fiktiven Kapitalgewinnen an der Spitze der Pyramide zusammenfallen würde. Ohne kontinuierliches Wachstum der fiktiven Kapitalgewinne würde sie unter dem Druck umgekehrter Hebelwirkung kollabieren.

„Kollaps” wäre in diesem Fall ein sehr irreführender Euphemismus. „Umgekehrte Hebelwirkung” bei einer solchen Blase läßt sich mathematisch am ehesten mit den Kolmogorow-Gleichungen annähern, mit denen sich chemische, Kernspaltungs- oder thermonukleare Explosionen beschreiben lassen, oder mit einem Feuersturm, wie ihn die Royal Air Force im Krieg in Hamburg oder Dresden entfachte: mathematisch ausgedrückt eine „Stoßfront”, und zwar eine äußerst starke. Praktisch sieht das so aus, daß die Finanzmärkte an einem Abend noch normal und stabil scheinen und am Ende des nächsten Tages vielleicht schon alles in Schutt und Asche liegt -- das Finanz- und Währungssystem, das seit August 1971 aufgebaut wurde, hat sich innerhalb eines einzigen Geschäftstages aufgelöst.

Wie bei einem Heroin- oder Methadonabhängigen muß die Sucht, die realwirtschaftliche Basis auszubeuten, befriedigt werden, um einen Kollaps zu verhindern. Indem die Sucht befriedigt wird, wird der Zeitpunkt des sofortigen Kollaps hinausgeschoben. Der süchtige Staat zerstört selbst die Grundlage, von der er sich ernährt und erhält. Das ist das Schicksal der Weltwirtschaft unter der Herrschaft der krebsartigen Derivatblase, wie das tragische Schicksal der Unternehmen veranschaulicht, die durch die Machenschaften von RJR Nabisco verschlungen wurden.

Die Blase muß also wachsen, um am Leben zu bleiben. Damit die Blase wächst, muß die reale Grundlage immer stärker ausgebeutet werden: asset-stripping. Das Resultat sehen wir am rückläufigen Wert des Warenkorbes für Haushalte, Landwirtschafts- und Industriebetriebe. Wir sehen einen ähnlichen Kollaps des definierten Steueraufkommens pro Kopf und pro Quadratkilometer.

Gehen wir zurück ins Jahr 1913, zu Paul Warburgs Plan zur Schaffung des Federal-Reserve-Systems und zu dem Neffen des Südstaatenagenten Bulloch, Teddy Roosevelt, der die Wahl des Ku-Klux-Klan-Propagandisten Woodrow Wilson zum Präsidenten arrangierte. Beide unterstützen Warburgs Pläne für die Federal Reserve und die Einführung der Einkommensteuer 1913. Betrachten Sie die heutige Lage vom Standpunkt der damaligen Vorschläge Paul Warburgs und werfen Sie einen Blick auf die Vorgeschichte des Specie Resumption Act von 1875-79. Sehen Sie sich heute das Verhältnis zwischen den von der Federal Reserve organisierten Schuldenforderungen einerseits und den Steuereinnahmen andererseits an, dann ist die Bedeutung der Derivatblase anschaulich charakterisiert: das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

London trieb die Vereinigten Staaten mit Hilfe des Hauses Morgan im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts durch ein Gesetz des Kongresses, den U.S. Specie Resumption Act, in den Ruin. Dieses Gesetz, das aufgrund massiver Bestechung von Kongreßabgeordneten verabschiedet werden konnte, setzte den Artikel I der Verfassung außer Kraft. Die US-Regierung wurde nicht nur gezwungen, ihr souveränes, verfassungsmäßiges Recht aufzugeben, Geld in Umlauf zu bringen, sondern auch die existierenden US-Banknoten aus der Lincoln-Serie soweit zurückzurufen, wie es der Londoner Goldmarkt verlangte. Das führte zu einem Zusammenbruch und einer langen, von London manipulierten sozialen Krise, die London in die Lage versetzte, die besten Stücke der immer noch im Wachstum befindlichen amerikanischen Wirtschaft aufzukaufen. Vor der Jahrhundertwende wurde London, das seit 1763 immer der Hauptfeind Amerikas gewesen war, plötzlich als engster Verbündeter propagiert! Der natürliche Nachfolger der langen, vom Specie Resumption Act verursachten Krise war das offen verfassungswidrige Federal Reserve System.

Das Federal Reserve System ist entscheidend für die heutige Derivatblase. Ohne korrupte Verräter in der Fed wäre die manische Spekulation, die Amerika und den größten Teil der Welt ruiniert hat, unmöglich gewesen. Die Fed ist eine von der Regierung konzessionierte Privatbank, die eine zunehmende, illegale, erpresserische Macht über die Regierung gewonnen hat. Sie ist hauptsächlich ein Sachwalter der großen Handelsbanken, Privatbanken und -finanzhäuser in New York City. In den letzten fünfzehn Jahren war die Hauptfunktion der Fed, die Regierung in Washington zu manipulieren und ihre die Währungshoheit zu benutzen, um bankrotte Banken und andere üble Spekulanten in New York City und entsprechenden Orten zu subventionieren.

Die Fed arbeitet im Einverständnis mit Komplizen im Schatzministerium daran, die Verschuldung der amerikanischen Regierung zu vergrößern und an die Kunden des New Yorker Bondmarkts weiterzugeben. Dieser Mechanismus der Schuldenbeschaffung wird hauptsächlich dazu benutzt, der Fed bei der Ausgabe ihrer eigenen, verfassungswidrigen, privaten US-Banknoten zu helfen; die Schaffung von Banknoten wird so verwaltet, daß sie eine Subvention der privaten Eigentümer der Fed darstellt und in den letzten zwölf Jahren den Bush-Leuten bei der Aufblähung der extrem spekulativen Finanzblase half.

[i]Als die Fed ursprünglich erfunden wurde, bestimmte man die Einkommenssteuer als gesetzliche Einnahmequelle von Regierungsgeldern zur Bedienung der Schulden, die durch die Federal Reserve geschaffen wurden. Heute sehen wir, daß die Einnahmen der USA aus der Einkommenssteuer mehr und mehr durch die fälligen Rückzahlungen von Regierungsschulden verschlungen werden!”[/i]

Die Steuerbasis, gemessen am konstanten Dollarwert des Pro-Kopf-Steueraufkommens, schrumpft, vor allem als Folge der industriellen Ausschlachtung, zu dem die Spekulationspraktiken der Bush-Leute geführt haben. Die Steuern auf irgendetwas zu erhöhen, außer auf die spekulativen Finanzmärkte selbst, bedeutete, den Einkommensfluß aus der realen Wirtschaft zu vergrößern und die wirtschaftliche Kontraktion, den Kollaps zu beschleunigen. Die Ausgaben zu kürzen, ein anderer Vorschlag, der im Interesse der Wallstreet-Spekulationspiraten vorgebracht wird, hätte ähnliche Folgen.

Diese Beziehung zwischen dem Schuldendienst der Regierung und der Steuerbasis ist nur eines von zahlreichen Anzeichen für den gleichen Effekt. Wie der Fahrer erklärte, der den Bus gerade noch vor einer weggespülten Brücke zum Stehen brachte: „Es sieht so aus, als hätten wir keine Straße mehr.”

Der Krebs der spekulativen Derivate gedeiht, ein häßliches Wachstum. Schlimmer, um zu existieren, muß der Krebs das gesunde Gewebe in mindestens gleichem Maße auffressen. So wächst das Ungeheuer, während der Mensch auf diese Weise bis zum Tod ausgesaugt wird. Schneidet den Tumor heraus, tötet den Krebs, ohne das gesunde Gewebe anzutasten! Die Aufgabe ist, den Parasiten zu zerstören, um sein Opfer zu retten.

[subhead]Fragen der Methode[/subhead]

Das Problem ist beschrieben worden. Wir wollen jetzt darangehen, uns mit den möglichen Einwänden dagegen zu befassen.

Die uns bekannten Einwände zu obiger Beschreibung fallen hauptsächlich in drei Kategorien, von denen zwei kurz und bündig verworfen werden können, denn wer sie äußert, hat keine rationalen Argumente für seine nichtsdestoweniger heftig vorgetragene Gegenmeinung. Die drei Kategorien sind:

1. Das sogenannte „Eddie-George-der-Küchendieb-Syndrom”: „Mami, du übertreibst wieder; es waren gar keine Bonbons in dem Glas!”

2. Das Hörensagen-Syndrom: „Leute, deren Meinung ich sehr schätze, sagen, daß Sie unrecht haben.”

3. Der akademische Standpunkt: Eine bestimmte oder eine Kombination mehrerer Modeströmungen, die augenblicklich an Universitäten, in Lehrbüchern und Wirtschafts- und Finanzfachblättern verbreitet werden.

Nur die letzte ist hier von Interesse. In dieser dritten Kategorie gibt es die folgenden akademischen Grundtypen, allein oder in Kombination: a) Die geringeren Intellekte oder Utilitaristen, die zutiefst gegen jeden Versuch eingenommen sind, zwischen produktiven und nichtproduktiven Beschäftigungen zu unterscheiden. b) Die mathematischen Brotgelehrten, welche dem Kult der „Chaostheorie” anhängen. c) Die gläubigen Gnostiker, die mit obligatorischem Augenrollen die „Magie des Marktes” beschwören. Allen drei Varianten berufsmäßiger Einwender, insbesondere den in Mode gekommenen „Chaostheoretikern”, ist der Grundfehler John von Neumanns gemeinsam, der versucht hat, aus einer Reihe linearer Ungleichungen ein mathematisches Dogma des radikalen Utilitarismus abzuleiten.

Es wird die Diskussion wesentlich vereinfachen, wenn wir mit einer groben Schilderung der historischen Kontroverse um die richtige analytische Methode wirtschaftlicher Prozesse beginnen.

Die Geschichte der modernen politischen Ökonomie läßt sich kurzgefaßt so darstellen. Sie begann Mitte des 15. Jahrhunderts im Florenz des Cosimo de Medici durch die Aktivitäten des byzantinischen Gelehrten George Gemmistos, auch genannt Plethon. Ihre eigentliche moderne Form erhielt sie während des 16. Jahrhunderts, u.a. in den Schriften Jean Bodins, als die politische Ökonomie in die Staatskunst des sogenannten Kameralismus einging. Das erste Werk, das dem Studium der politischen Ökonomie eine wissenschaftliche Grundlage gab, stammt von G.W. Leibniz, der zwischen 1672 und 1716 die physikalische Ökonomie als Zweig der Naturwissenschaften entwickelte.

Am Ende des 17. Jahrhunderts leiteten die allgegenwärtigen Nachrichtendienste Venedigs in ganz Europa eine großangelegte Aktion ein, um Frankreich auszuschalten und Leibniz zu diskreditieren. Eine der Hauptpersonen bei diesen Machenschaften im 18. Jahrhundert in Frankreich, Großbritannien und Deutschland war der Abt Antonio Conti (1677-1749). Er gehörte zum venezianischen Hochadel, und in seinen Kreisen verkehrten auch der berüchtigte Giovanni Casanova (1725-1798), Graf Alessandro Cagliostro (1743-1795) und Giammaria Ortes (1713-1790), der „Erfinder” des radikalen britischen Empirismus.

Es muß hier besonders betont werden, daß sämtliche Lehren, die Adam Smith, Jeremy Bentham und Thomas Malthus berühmt gemacht haben, aus den Schriften des Giammaria Ortes abgeschrieben wurden. Aus Ortes' Werk entnahm Smith seine Lehre von der „unsichtbaren Hand” und Jeremy Bentham sein „hedonistisches Kalkül”. Malthus' Schrift zur Bevölkerungsfrage On Population von 1798 ist ein sprachlich einfacher gefaßtes Plagiat von Ortes' [i]Reflessioni sulla Populazione delle Nazioni[/i].

Zur Klärung möge der Hinweis auf die verbreitete Lüge genügen, daß der Gründung der Vereinigten Staaten Adam Smiths Lehre vom „Freihandel” zugrunde gelegen hätte. Tatsächlich ging es jedoch im Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien darum, daß die amerikanischen Siedler die damalige britische Version der „IWF-Auflagen” ablehnten und für eine Wirtschaftspolitik eintraten, die man später „protektionistisch” nannte.

Der „Freihandel” kam 1783 erstmals in die Vereinigten Staaten, und zwar als Friedensbedingung des Pariser Vertrags, den der britische Lord Shelbourne Frankreich und den Vereinigten Staaten diktierte. Die Folge dieses Zugeständnisses an den britischen „Freihandel” war, daß die Vereinigten Staaten und Frankreich 1789 bankrott waren. Die Vereinigten Staaten zeigten Verstand und schrieben eine Verfassung, die den „Freihandel” verbot -- mit dem Erfolg, daß sie unter Präsident George Washington und Finanzminister Alexander Hamilton zu blühendem Wachstum zurückkehrten. Der französische König entschied sich anders; da er seinen Kopf nicht benutzte, behielt er ihn nicht lange.

Die stark von Leibniz beeinflußte wirtschaftliche Ausrichtung der amerikanischen Verfassung und der ersten Regierung unter George Washington ist seitdem als das antibritische „amerikanische System der politischen Ökonomie” bekannt.

Mit Ausnahme der sog. „Corn Laws” (Gesetze gegen Getreideschutzzölle) unter Cobden und Bright haben die Briten im späten 18. und im 19. Jahrhundert die Freihandelslehre nie generell auf das eigene Land angewendet, sondern immer nur auf ihre Konkurrenten und Kolonien, die sie zur Bereicherung der Londoner Finanzhäuser ausplünderten. Um seine vermeintlichen wirtschaftlichen Sonderinteressen zu verteidigen, griff London zu eifersüchtigem Protektionismus und schreckte auch vor Krieg nicht zurück. Die britische Politik läßt sich auf einen einfachen Punkt bringen: „Freihandel ist nur für die Dummen, die darauf hereinfallen.”

Alle Gründe, welche die berufsmäßigen Einwender gegen meine Beschreibung der Finanzspekulation anführen, sind lediglich verschiedene Verkleidungen für die gleichen Grundaussagen, die sich Mitte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien durch die Werke des Venezianers Giammaria Ortes verbreiteten. Sämtliche Fragen, die durch die dritte der drei genannten Gruppen von Kritikern aufgeworfen werden, lassen sich am besten dadurch beantworten, daß man die wesentlichen axiomatischen Unterschiede zwischen Leibniz' Wissenschaft der physikalischen Ökonomie und den Derivaten von Ortes' hedonistischem Kalkül untersucht.

Der entscheidende Unterschied zwischen Leibniz' physikalischer Ökonomie einerseits und den liberalen, marxistischen und neokonservativen Lehren andererseits ist der, daß Leibniz und seine Nachfolger beim Messen wirtschaftlicher Leistung von der [i]menschlichen Demographie[/i] ausgehen, während Ökonomen wie der stark britisch beeinflußte Karl Marx in erster Linie den Besitz („mein Geld”) im Auge haben. Betrachten wir politische Ökonomie zuerst vom Standpunkt der Leibniz’schen und meiner eigenen Wissenschaft der physikalischen Ökonomie, und stellen wir dem die heutigen mathematischen Pseudolehren gegenüber, etwa John von Neumanns und Oskar Morgensterns berühmtes Werk [i]Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten[/i].

[subhead]Demographie[/subhead]

Die Wissenschaft der physikalischen Ökonomie gründet sich auf den zwingenden Beweis, daß die menschliche Gattung im bekannten Universum einzigartig ist, sich absolut von allen anderen Lebensformen unterscheidet und über diesen steht. Man kommt zu diesem Schluß, wenn man untersucht, [i]wie sich die potentielle relative Bevölkerungsdichte der menschlichen Gattung verändert[/i]. Nur die Menschheit ist in der Lage, willentlich ihre potentielle Bevölkerungsdichte um das Zigfache zu steigern.

Die Untersuchung dieses Phänomens beginnt mit einer Prüfung von zwei leicht zugänglichen Gegebenheiten: [i]demographischen Veränderungen[/i] und [i]Veränderungen der Arbeitsproduktivkraft pro Kopf[/i].

Um wissenschaftlicher Sorgfalt zu genügen, umfaßt diese Untersuchung viele verschiedene kulturelle Entwicklungsstufen, die Tausende von Jahren und sogar noch weiter zurückreichen, einschließlich der letzten 600 Jahre seit den Pestzügen im Europa des 14. Jahrhunderts. Der Umfang der Untersuchung deutet bereits darauf hin, daß [i]Geld hierbei nur eine drittrangige Rolle spielt[/i]. Hauptsächlich beschäftigen wir uns mit der gesamten physischen Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur; deren Grundsätze müssen ohne jede Betrachtung des Geldes abgeleitet werden. Geldfragen spielen erst später eine Rolle, wenn es um die Wechselwirkung des Währungssystems mit dem realen Wirtschaftsprozeß geht, dem das Währungssystem überlagert ist.

Die Demographie beginnt gewöhnlich mit der Ermittlung von Geburtenraten, der Lebenserwartung sowie dem Gesundheitszustand der Haushaltsmitglieder aufgeteilt nach Altersstufen. Wir untersuchen nicht nur den typischen Einzelhaushalt und dessen direktes gesellschaftliches Umfeld, sondern auch die funktionale Wechselbeziehung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft, sowie zwischen beiden und der gesamten menschlichen Gattung. Die Arbeitsproduktivkräfte studieren wir im Sinne eines demographischen Modells gesellschaftlicher Reproduktion der Haushalte, der Gesellschaft und der Menschheit als Ganzer. Wir berechnen diese Produktivkräfte als Warenkörbe der Haushalte und der Produktionsmittel, die erforderlich sind, um Verbesserungen in der Demographie pro Kopf, pro Haushalt und pro Quadratkilometer über einem mutmaßlichen „O”, einem sogenannten „Gleichgewichtswert” zu halten.

Wir untersuchen, wie sich die Entwicklung der grundlegenden wirtschaftlichen („harten”) Infrastruktur, d.h. Wasser und Abwasser, Überlandtransport, Energie und Kommunikation auf demographische und produktive Faktoren auswirkt. Wir berücksichtigen hier auch drei besondere Dienstleistungen -- Erziehung, Gesundheitsversorgung und wissenschaftlicher Fortschritt -- als „weiche” Infrastruktur; und zur „harten” Infrastruktur gehören ebenso die logistischen Hilfsmittel, die gebraucht werden, um diese drei wesentlichen Dienstleistungskategorien für Haushalte und produktive Unternehmen zu erhalten.

Um die Darstellung etwas abzukürzen, fassen wir einige weitere Schritte folgendermaßen zusammen:

Verbrauch definieren wir als eine Tabelle von Gütern, die in den Warenkörben der Haushalte oder für die Produktion enthalten sind. Abgesehen von den drei genannten Sondergruppen von Dienstleistungen (Erziehung, Gesundheitswesen, wissenschaftlicher Fortschritt) beschränkt sich die Bezeichnung Güter auf tatsächliche Güter. Diese Güter werden als Bestandteile der [i]Warenkörbe[/i] aufgeführt, von denen jeder entsprechenden Kategorien der allgemeinen gesellschaftlichen Arbeitsteilung zugeordnet ist. Man kann die Warenkörbe grob folgendermaßen einteilen: [i]Güter für den Haushalt[/i], [i]Güter der harten Infrastruktur[/i], [i]Güter der weichen Infrastruktur[/i], [i]Güter der landwirtschaftlichen Erzeuger[/i], [i]Güter der industriellen Produzenten [/i]sowie [i]zusätzliche gesellschaftliche Gemeinkosten[/i] für den Verbrauch anderer Beschäftigungskategorien.

Wirtschaftliche Aktivität definieren wir auch in Begriffen der Landnutzung. Es gibt Brachland, Reserveland, als Wohngebiete genutztes Land, für städtische Verwaltungsfunktionen und allgemeine soziale Aufgaben genutztes Land sowie Land, das allen wesentlichen Teilen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zugeordnet ist.

In einem guten Universitätskurs beginnt die Wirtschaftswissenschaft mit dem Studium der Veränderungen in diesen Kategorien und ihren Verhältnissen in den letzten 550 Jahren in Westeuropa und Amerika. Wenn sich der Student mit den Konzepten vertraut gemacht hat, die aus der Beschäftigung mit den Veränderungen in fünf Jahrhunderten entspringen, kann er dazu übergehen, die modernen europäischen Entwicklungen mit den qualitativ anderen Zuständen in den vorhergehenden 2000 Jahren europäischer Zivilisation und den noch älteren Zivilisationen Asiens und des mediterranen Afrika bis etwa 6000 v.Chr. zu vergleichen. Solche Studien leiten dann auf die Beschäftigung mit Amerika vor Kolumbus, mit Ozeanien und dem Afrika südlich der Sahara über. Daraus erhält der Student einen globalen Überblick im Zeitrahmen der wärmeren Zwischeneiszeit, in der wir gegenwärtig leben. Und so weiter.

Die damit zusammenhängenden Veränderungen in der potentiellen Bevölkerungsdichte, demographischen Profilen, der Arbeitsteilung, Landnutzung, Inhalt der Warenkörbe usw. haben ihre gesicherte Ursache in Veränderungen menschlichen Verhaltens, wie es sich in grundlegenden wissenschaftlichen Fortschritten ausdrückt. Wissenschaftlicher Fortschritt dieser Art beschreibt eine Qualität des Denkens, die den vielfachen Veränderungen in der Staatskunst und in den klassischen schönen Künsten gemeinsam ist, welche zusammen mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt Verbesserungen in den demographischen Verhältnissen bewirken. Was sich hier also ausdrückt, ist eine Zunahme der menschlichen Beherrschung des Universums, gemessen pro Kopf und pro Quadratkilometer bewohnbarer Erdoberfläche.

Die subjektive Ursache dieser wachsenden Fähigkeiten läßt keine andere Beschreibung als „schöpferische geistige Fähigkeiten des Individuums” zu. Eine bestätigte grundlegende Entdeckung in dem Bereich, den wir „mathematische Physik” bezeichnen, kennzeichnet dieses Argument. Für unseren Zweck hier reicht es aus, die Argumente zusammenzufassen, die an anderer Stelle veröffentlicht sind.

[subhead]Technologie als Kreativität[/subhead]

In keinem Zweig der Wissenschaft lassen sich bestimmte tiefgehende konzeptionelle Probleme umgehen, will man nicht ewig im hoffnungslosen Unvermögen seines eigenen törichten Geschwätzes herumstolpern. In der Ökonomie ist hier die [i]Kreativität [/i]der Kernbegriff.

Pädagogisch beginnt man die Untersuchung dieses Begriffs am besten mit solchen schöpferischen Entdeckungen, die sich am einfachsten darstellen lassen, der mathematischen Form dessen, was man zu Recht als „revolutionäre” oder „axiomatisch-revolutionäre” Entdeckungen bezeichnet. Das Maß, das wir bei der Untersuchung solcher Entdeckungen und ihrer Folgewirkungen anlegen, ist der Standard des [i]technischen Fortschritts[/i], worunter wir das qualitative Wachstum der physischen Arbeitsproduktivität pro Kopf und pro Quadratkilometer nutzbarer Landfläche verstehen.

Sobald der Begriff „Kreativität” von gefühlsmäßig gefärbten, vagen Vorstellungen befreit und zu einem verstehbaren wissenschaftlichen Konzept bewußten Verhaltens geworden ist, beginnt sich dem Studenten die gesamte Wirtschaftswissenschaft zu öffnen.

In dem Maße, wie die mathematische Physik auf mathematisch schlüssige Weise dargestellt werden kann, läßt sie sich für deskriptive Zwecke mit Hilfe eines sogenannten „Theoremgitters” ausdrücken. Das bedeutet, jede formale Mathematik läßt sich als ein Netz von Theoremen ansehen, die sämtlich mit allen anderen Theoremen dieser Menge vereinbar sind. Diese gegenseitige Konsistenz ist durch eine untereinander in Beziehung stehende Theorem- und Postulatmenge darstellbar, etwa durch Theoreme und Postulate der formalen euklidischen Geometrie.

Betrachten wir einmal den Fall, daß man experimentell ein Theorem definieren kann, das in der Natur vorkommt, aber mit keinem bisher bekannten mathematisch-physikalischen Typ konsistent ist. Eine genaue Analyse zeigt, daß dieses Theorem spezifische Änderungen in einem oder mehreren Axiomen der bisher akzeptierten Lesart der mathematischen Physik erfordert. Auftritt Sokrates: Jetzt beginnt es Spaß zu machen.

Es stellt sich implizit folgende Frage. Angenommen wir verwenden eine neue Axiom- und Postulatmenge, eine, die dem neuen experimentellen Theorem voll entspricht, das nur die absolut notwendigen Modifikationen in der bisher verwendeten Axiom- und Postulatsammlung vornimmt. Läßt sich eine experimentell verläßliche, berichtigte Version der Theoreme des alten Systems erreichen, das auf die neue Axiom- und Postulatmenge zutrifft?

Eine revolutionäre wissenschaftliche Entdeckung zwingt uns genau hierzu. In diesem Fall hat das Theorem eines entscheidenden Experiments in der formalen mathematischen Physik eine axiomatisch-revolutionäre Veränderung bewirkt. Eine Abfolge solcher axiomatisch-revolutionären Veränderungen hat die formale Mathematik wie auch die moderne Physik seit Nikolaus von Kues' [i]De docta ignorantia[/i] (1440) gekennzeichnet. Mendejelews Entdeckung des Periodensystems der Elemente, Cantors Transfinitum, Plancks Wirkungsquantum, die Radioaktivität und die Kernspaltung sind solche revolutionären Veränderungen, die gegen Ende des letzten und in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts zustande kamen. Jede davon erforderte eine axiomatisch-revolutionäre Veränderung in unserer Vorstellung der Physik insgesamt.

In dem Jahrtausend vor 1400 erfolgten die Revolutionen langsamer, und es gab lange Perioden der Sterilität, in allzu vielen kulturellen Strömungen sogar des Rückschritts. Dennoch drückt sich das gleiche Prinzip in den Tonscherben sehr alter prähistorischer Kulturen aus.

Damit sind wir in unserer Untersuchung an einem entscheidenden Punkt angelangt: „Warum muß man ,axiomatisch-revolutionär' mit ,kreativ' gleichsetzen?” Wer die Wissenschaft der physikalischen Ökonomie beherrschen will, muß diesen Zusammenhang begreifen. Sobald dieser Punkt verstanden ist, wird auch die ganze Inkompetenz der heutigen politisch korrekten Universitätsökonomen samt ihrer Lehrbücher offenkundig. Insbesondere ergibt sich daraus die Bestätigung, daß die Behauptungen Norbert Wieners und John von Neumanns sowie ihrer Anhänger unter den Chaostheoretikern zum Thema menschliche Intelligenz und Mathematik generell abwegig sind.

[subhead]Logik kontra Kreativität[/subhead]

Nehmen wir zwei Theoremgitter, die sich voneinander durch eine einzige axiomatische Änderung unterscheiden. Kein Theorem des ersten wird mit irgendeinem Theorem des zweiten vereinbar sein. Mathematisch gesehen ist der Unterschied zwischen beiden also eine formale Diskontinuität. Bei jeder axiomatisch-revolutionären Entdeckung in der Mathematik oder mathematischen Physik können wir, sobald wir die axiomatische Veränderung entdeckt haben, die das neue Theoremgitter definiert, zwar jedes Theorem des vorhergehenden Theoremgitters als Sonderfall des zweiten behandeln, über die Axiome des ersten aber zu keinem Theorem des zweiten gelangen.

Platon und sein Kreis kannten dieses Prinzip sehr gut. Sein Dialog [i]Parmenides [/i]demonstriert, wie eine schöpferische Entdeckung vom Standpunkt des formalistischen Eleaten (oder der aristotelischen [i]Kritiken [/i]Kants) erscheinen muß. Für den Formalisten scheint diese Entdeckung ein unerklärlicher Gedankensprung zu sein.

Das klassische Beispiel der Neuzeit für Platons Erkenntnis ist die Lösung des Nikolaus von Kues für das Paradox in Archimedes' Quadratur des Kreises.

Vor Kues ließen sich die Mathematiker davon in die Irre führen, daß eine aus Archimedes' Konstruktion abgeleitete Reihe den Zahlenwert für das Verhältnis des Kreisumfangs zum Radius (?) bis auf jede gewünschte Dezimalstelle angeben kann. Kues zeigte (1440, 1453), daß dieser scheinbaren arithmetischen Annäherung ein Fehler innewohnte. Man folgerte zu unrecht aus der scheinbaren Annäherung des numerischen Wertes, daß sich der Kreisumfang auf diese Weise konstruieren lasse. Tatsächlich waren die Werte zwar fast gleich, aber niemals kongruent. Kues definierte die Kreisbewegung als andere, höhere mathematische Gattung jenseits der irrationalen Zahlen. Später (1697) wiesen Jean Bernoulli und Gottfried Leibniz die physikalische Bedeutung von Kues' Entdeckung für die Ausbreitung des Lichts nach und schufen so die Grundlage für die von ihnen so genannten „nichtalgebraischen” oder „transzendentalen” Funktionen.

Seit 1697 stand diese Entdeckung, die als [i]Kontinuumparadox [/i]bekannt ist, weiterhin im Mittelpunkt der methodologischen Auseinandersetzung und war Gegenstand erheblicher Fälschungen in der Lehre der mathematischen Physik. Georg Cantor behandelte dies in der Tradition von Karl Weierstraß durch die Vorstellung der Reihe der transfiniten Zahlen oder [i]Alefs [/i](1897). 1931 wies Kurt Gödel die axiomatischen Fehler im mathematischen Werk Bertrand Russells und der ähnlich ausgerichteten Theorien John von Neumanns nach. Obwohl dieser eindeutige Beweis existiert, negieren die üblichen Standardlehrpläne bis heute stur die Existenz dessen, was Riemann als „Kontinuumparadox” beschreibt. Dieser in Schulen und Universitäten verbreitete Betrug spielt eine dominierende Rolle in den heute zu unrecht allgemein akzeptierten Wirtschaftslehren. Typisch dafür sind Norbert Wieners populäre [i]Kybernetik [/i]sowie John von Neumanns Werk zur Ökonomie und über den menschlichen Geist.

In den 40er Jahren machte sich der Autor einen Spaß daraus, hin und wieder gewisse aufgeblasene Akademiker zu fragen, ob denn das menschliche Leben statistisch überhaupt möglich sei. Als ich 1948-52 bei der Widerlegung Wieners und von Neumanns meine Entdeckungen machte, ging ich vor allem davon aus, daß eine Theorie, die nicht beweisen kann, daß der Theoretiker existiert, mangelhafte Physik sei.

Platons Akademie in Athen wies nach, daß es geometrische Größen gibt, die nicht mit rationalen Zahlen kongruent sind, die sog. „irrationalen Zahlen”. Nikolaus von Kues zeigt dann als erster, daß wir diese irrationalen Zahlen in zwei Gattungen unterteilen müssen, die Leibniz später als „algebraisch” (die niedrigere Gattung) und „nichtalgebraisch” (die höhere) bezeichnete. Letztere wird heute „transzendentale Funktionen” genannt. Das Kontinuumparadox, zentrales Thema von Leibniz' [i]Monadologie [/i]und später von Riemanns Werk, sollte uns verdeutlichen, daß noch eine weitere, höhere mathematische Gattung existiert. In diesem höheren Bereich bleibt der Grundsatz der Kardinalität bestehen, jedoch nicht der Grundsatz der Ordinalität, wie wir ihn von den drei unteren Stufen kennen. Diese vierte, letzte und höchste Stufe (von Cantors Alef 1 an aufwärts) macht es erst möglich, wissenschaftliche Kreativität und ihre Auswirkungen darzustellen.

[subhead]Maßstäbe in der Wirtschaft[/subhead]

Ich hatte mit diesem Problem zu kämpfen, als ich 1948-51 daran arbeitete, den offensichtlichen Betrug Wieners bei seiner auf dem H-Theorem aufbauenden Definition „negativer Entropie” sowie Wieners und von Neumanns mechanistisches Mißverständnis vom menschlichen Denkprozeß wissenschaftlich streng zu widerlegen. Meine Herangehensweise, die ich hier zusammenfasse, sollte künftig zum Standardlehrplan der Wirtschaftsfakultät jeder respektablen Universität gehören.

Die Lehre, die wir aus der Geschichte der Mathematik besonders in den letzten 550 Jahren ziehen können, ist, daß wir immer versuchen müssen zu messen, jedoch ohne dabei blind den Maßstäben zu vertrauen, die uns als Studenten im Unterricht oder in Lehrbüchern vorgesetzt wurden. Manchmal sind wir gezwungen, einen neuen Maßstab zu erfinden; so haben wir heute vier Arten von Mathematik. Bis Ende 1951 kannte ich nur drei Arten, im Januar 1952 begann ich die vierte zu verstehen.

Wenden wir an, was 1950-51 Standardwissen eines Ingenieurs über die Struktur einer sich erfolgreich entwickelnden agro-industriellen Wirtschaft war. Als Zufuhr (Input) und Ausstoß (Output) einer entsprechenden Funktion definiere man Warenkörbe von Haushalts- und Produktionsgütern, die [i]nichts für die Funktion Wesentliches[/i] enthalten außer physischen Gütern und drei Kategorien von Dienstleistungen: Erziehung, Gesundheit und Forschung. Man erstelle einen Querschnitt aus dem Kreislauf von Produktion und Verbrauch zu einem beliebigen Zeitpunkt. Man messe Zufuhr und Ausstoß pro Kopf, pro Haushalt und pro Quadratkilometer, vergleiche die Zufuhr (Verbrauch der Haushalte und Produzenten) mit dem Ausstoß (Produkte in Infrastruktur, Landwirtschaft, Bergbau, Industrie sowie Dienstleistungen in Erziehung, Gesundheitswesen und Forschung).

Da jeder ökonomische Prozeß, der in die Falle des Nullwachstums gerät, „entropisch” kollabieren muß, ist unsere erste Sorge, das Wachstum der produktiven Arbeitskraft zu erhalten. Dazu subtrahiere man Zufuhr von Ausstoß und dividiere den Rest durch Zufuhr: Das Ergebnis muß größer als „Null” sein. Es muß auch größer als die Rate technologischer Abnutzung sein.

Bis dahin gibt es kein Problem. Man nenne die Zufuhr „Systemenergie” und den Rest „freie Energie”. Das Verhältnis sehe man als „Verhältnis freier Energie”.

Nun kommt das Problem: Es muß nicht nur eine Rate technischen Fortschritts geben, die für das nötige Wachstum sorgt und den Verbrauch natürlicher und vom Menschen verbesserter Rohstoffe ausgleicht; um das notwendige steigende Verhältnis freier Energie aufrechtzuerhalten, muß die Systemenergie pro Kopf, Haushalt und Quadratkilometer steigen. Ganz gleich wie wir die Liste der benötigten Materialien und Verfahrenspläne anpassen, diese Schwierigkeit bleibt. Damit sind wir am entscheidenden Punkt angelangt.

Um das Bild zu verfeinern, notieren und verifizieren wir als nächsten Schritt eine Reihe linearer Ungleichungen, entsprechend den Veränderungen in der sozialen Arbeitsteilung und Demographie, welche die angegebene zweifache Transformation der funktionalen Form des steigenden Verhältnisses freier Energie begleiten. Die wichtigsten dieser Ungleichungen zur Beschreibung erfolgreichen Wachstums von Volkswirtschaften in den letzten 500 Jahren sind in meinem Lehrbuch [i]So, You Wish to Learn All About Economics?[/i] (1986, auf deutsch erschienen als „Was Sie schon immer über Wirtschaft wissen wollten) dargestellt. Es läßt sich leicht zeigen, daß alle Volkswirtschaften, die diese Bedingungen nicht erfüllten, in der gleichen Zeit einen Niedergang erlebten bzw. daß die Verletzung dieser Beschränkungen charakteristisch für schrumpfende Ökonomien ist.

Der Weg, den ich 1948-52 in meinen Studien einschlug, sollte nicht überraschen.

Ende der 40er Jahre, nach den Erfahrungen der Depression der 30er Jahre und der Nachkriegsrezession 1947-48 in den USA, auf die 1949 ein Aufschwung folgte, der durch den im Zuge des Kalten Krieges verstärkten Koreakonflikt eingeleitet wurde, stellten wir Veteranen den ungewöhnlichen Umstand fest, daß bis zu diesem Zeitpunkt die einzigen Wohlstandsperioden im 20. Jahrhundert immer mit relativ großen Ausgaben für Kriege zusammenhingen. Dabei war doch klar, daß Krieg eine ungeheure Vergeudung an Menschenleben und Material ist. Indem man einigen wirtschaftlichen Tatsachen auf den Grund ging, erhellten sich die Ursachen der ungewöhnlichen Erscheinung.

Für den regulären modernen Krieg ist eine außergewöhnlich schnelle technologische Abnutzung typisch. In wenigen Jahren Kriegseinsatz wurden Techniken entwickelt, für die man sonst Jahrzehnte gebraucht hätte. Wie mir einige Veteranen des Manhattan-Projekts persönlich schilderten, konnten durch die intensive wissenschaftliche Zusammenarbeit bei diesem Unternehmen Jahrzehnte von Forschung und Entwicklung auf nur fünf Jahre zusammengedrängt werden. Wenn man die Geschichte technologischer „Crashprogramme” von ihrem Ursprung in Frankreich 1793-1814 unter Lazare Carnot und Gaspard Monge über die militärischen, Luft- und Raumfahrtprogramme der folgenden 150 Jahre betrachtet, springt ein Prozeß ins Auge, durch den in vier Stufen schnelles Wachstum in jeder modernen Volkswirtschaft stimuliert werden kann.

Die Spitze des Berges bilden axiomatisch-revolutionäre Entdeckungen in der Wissenschaft. Etwas weiter unten steht die Umsetzung dieser Fortschritte in Folgeentdeckungen. Auf beiden Ebenen werden Experimente entworfen, die die neuen Prinzipien demonstrieren. Die Erfahrungen mit diesen Experimenten werden von der Ebene der wissenschaftlichen Arbeit ein Stückchen talwärts gebracht: Hier werden die erfolgreichen Experimente in Prinzipien des Werkzeugmaschinenbaus u.a. verwandelt. Weiter unten schließlich, am Fuße des Berges, wo die Produktion stattfindet, revolutionieren diese neuen Prinzipien des Werkzeugmaschinenbaus die Produktentwicklung und die produktive Arbeitskraft.

In „Crashprogrammen” ist nicht nur der Fortschritt am intensivsten, sondern jede neue Idee wird schnell in verbesserte militärische und andere Anwendungen umgesetzt. Der Werkzeugmaschinensektor stellt sich schnell darauf ein und wächst. Der Fluß neuer Maschinen, die sich etwa im Militär-, Luft- oder Raumfahrtbereich bewähren, geht äußerst rapide in die Wirtschaft als Ganzes ein.

Die richtige Art, über diese Dinge nachzudenken, ist, alles Zetern und Klagen um den Ausgleich des Regierungshaushalts und ähnliche Obsessionen zu beenden und sich auf die Lehre zu konzentrieren, die man aus dem Studium solcher Anomalien zieht. Im Endresultat werden große Mengen neuer Technologien für die Verbesserung der Produktentwicklung und Steigerung der produktiven Arbeitskraft verfügbar sein. Wenn wir anders als König Ludwig XVI. unseren Kopf gebrauchen, werden wir die Lehre daraus ziehen und uns das „moralische Äquivalent einer Kriegsmobilisierung” zueigen machen. Damit meine ich: Wir müssen darauf bestehen, daß ständig ein großer Teil der Arbeitskräfte damit beschäftigt ist, massive Fortschritte in Wissenschaft und Technik zu entwickeln und diese für verbesserte Produktentwicklung und hohe Wachstumsraten insgesamt zu nutzen.

Diese Lektion sollte unser Verständnis für eine Frage steigern, die eigentlich von vornherein hätte klar sein sollen. Die Summe aller Lehren aus der Staatskunst in Geschichte und Vorgeschichte ist, daß schöpferischer, revolutionärer Fortschritt in wissenschaftlichem und anderem Wissen keine Randerscheinung der menschlichen Existenz ist: Er ist das Wesen des Menschen. Aufgrund des schöpferischen Potentials des Individuums bezeichnet das mosaische Erbe uns auch als Abbild des Schöpfergottes.

Ungewöhnlich an der mathematischen Darstellung einer wachsenden Wirtschaft ist, daß das Wesen der Wirtschaft nicht Produktion und Verbrauch von Gütern ist, sondern die aufwärtsgerichtete Transformierung des Verbrauchszyklus zur Produktion der Mittel einer besseren menschlichen Existenz. Die schöpferischen Fähigkeiten der Vernunft sind die Quelle dieses Wachstums, auf dem die Vermeidung eines sozialen Kollapses beruht. Die Anomalie im Wirtschaftsprozeß liegt darin, daß sich eine lebensfähige Wirtschaft durch die schöpferische Vernunft des Menschen auszeichnet, durch jenes Vernunftprinzip, das die Wirtschaftsdoktrin John von Neumanns und die „Chaos”-Theoretiker implizit leugnen.