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Im Wortlaut: Lawrows Rede bei Münchener Sicherheitskonferenz

[i]In seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz analysierte Rußlands Außenminister Sergej Lawrow am 7. Februar die strategische Lage. Eine vollständige englische Übersetzung seiner Ausführungen wurde auf der Internetseite des russischen Außenministeriums veröffentlicht. Wir bringen Auszüge.[/i]

(...) Die Struktur der Stabilität auf der Grundlage der UN-Charta und der Prinzipien von Helsinki wird schon seit langem untergraben - durch das Vorgehen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten in Jugoslawien, das bombardiert wurde, ebenso wie im Irak und Libyen, durch die Osterweiterung der NATO und die Schaffung von neuen Trennungslinien. Das Projekt des Aufbaus eines gemeinsamen europäischen Hauses scheiterte, weil unsere westlichen Partner von Illusionen und Überzeugungen der Sieger des Kalten Krieges geleitet waren, anstatt von dem Interesse, eine offene Sicherheitsarchitektur mit gegenseitigem Respekt für die Interessen [der anderen] aufzubauen. Die Verpflichtungen, die im Rahmen der OSZE [Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa] und dem Rußland-NATO-Rat feierlich übernommen wurden, für die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer zu sorgen, blieben auf dem Papier und wurden in der Praxis ignoriert.

Das Problem der Raketenabwehr ist ein anschauliches Beispiel für den mächtigen zerstörerischen Einfluß unilateraler Schritte in der Entwicklung militärischer Kapazitäten, die den rechtmäßigen Interessen anderer Staaten widersprechen. Unser Vorschlag zu gemeinsamen Operationen im Bereich der Raketenabwehr wurde zurückgewiesen. Im Gegenzug riet man uns dazu, uns an der Schaffung der globalen Raketenabwehr der USA zu beteiligen, aber strikt nach Washingtons Vorgaben, die, wie wir mehrfach betonten und auf der Grundlage von Fakten erklärten, reale Risiken für die russischen nuklearen Abschreckungskräfte mit sich bringen.

Jedes Vorgehen, das die strategische Stabilität untergräbt, wird unausweichlich zu Gegenmaßnahmen führen. Daher wird dem gesamten System der internationalen Verträge, die sich mit der Rüstungskontrolle befassen, deren Machbarkeit vom Faktor der Raketenabwehr abhängt, langfristig Schaden zugefügt.

Wir verstehen nicht einmal, womit diese Versessenheit der Vereinigten Staaten auf die Schaffung eines globalen Raketenabwehrsystems zusammenhängen kann. Etwa mit der Hoffnung auf eine unbestreitbare militärische Vormacht? Mit dem Vertrauen auf die Möglichkeit, Fragen technologisch zu lösen, obwohl diese Fragen tatsächlich politischer Natur sind? In jedem Fall wurde die Bedrohung durch Raketen nicht schwächer, sondern sie erwies sich als ein starker Störfaktor in der euro-atlantischen Region, und es wird viel Zeit brauchen, um sie zu beseitigen. Wir sind bereit dazu. Die Weigerung der Vereinigten Staaten und anderer NATO-Mitgliedstaaten, die Vereinbarung über die Änderung des Vertrags über die Konventionellen Streitkräfte in Europa zu ratifizieren, war ein weiterer destabilisierender Faktor.

Gleichzeitig versuchen unsere amerikanischen Kollegen, in jeder komplizierten Lage, die sie selbst herbeigeführt haben, Rußland die Schuld zuzuschieben. ...

Der Höhepunkt auf dem Kurs, den unsere westlichen Kollegen im letzten Vierteljahrhundert verfolgt haben, um ihre Vorherrschaft in den globalen Angelegenheiten mit allen möglichen Mitteln zu erhalten, ist die Besetzung des geopolitischen Raumes in Europa. Sie verlangen, daß die GUS-Staaten - unsere engsten Nachbarn, mit denen wir seit Jahrhunderten wirtschaftlich, historisch, kulturell und sogar durch familiäre Beziehungen verbunden sind - eine Wahl treffen: entweder mit dem Westen oder gegen den Westen. Dies ist jene Nullsummen-Logik, auf die angeblich alle in der Vergangenheit verzichten wollten.

Die strategische Partnerschaft zwischen Rußland und der Europäischen Union bestand den Test ihrer Belastbarkeit nicht, da die EU den Weg der Konfrontation dem der Entwicklung von Interaktionsmechanismen zum beiderseitigen Nutzen vorzog. Wir können nicht umhin, an die verpaßte Gelegenheit zu erinnern, Kanzlerin Merkels Initiative umzusetzen, die im Juni 2010 in Meseberg vorgestellt wurde, nämlich, einen EU-Rußland-Ausschuß für strategische und auswärtige Angelegenheiten auf der Ebene der Außenminister zu schaffen. Rußland unterstützte diese Idee, aber die Europäische Union lehnte sie ab. Wäre dieser ständige Mechanismus des Dialogs geschaffen worden, würde er uns heute erlauben, Probleme schneller und effizienter zu lösen, und wechselseitige Sorgen rechtzeitig auszuräumen.

[h3]Ukraine[/h3]

In Bezug auf die Ukraine haben unsere amerikanischen Kollegen - und unter deren Einfluß auch die Europäische Union - leider in jeder Phase der Entwicklung dieser Krise Schritte unternommen, die zur Eskalation geführt haben.

Dies geschah, als die EU sich weigerte, Rußland an den Diskussionen über die Konsequenzen der Umsetzung des Assoziationsabkommens des Wirtschaftsblocks mit der Ukraine zu beteiligen, gefolgt von der direkten Unterstützung für einen Staatsstreich und die regierungsfeindlichen Ausschreitungen, die ihm vorangingen. Dies geschah auch, als unsere westlichen Partner immer wieder Nachsicht gegenüber den Kiewer Autoritäten zeigten, die, anstatt ihr Versprechen, einen nationalen Dialog zu starten, eine großangelegte Militäroperation begannen, und alle jene Bürger als Terroristen bezeichneten, die sich dem verfassungswidrigen Machtwechsel und dem Wüten der Ultranationalisten widersetzen.

Es ist für uns sehr schwierig, zu erklären, warum viele unserer Kollegen es versäumen, die universellen Prinzipien für die Beilegung innerer Konflikte auf die Ukraine anzuwenden, die vor allem einen umfassenden politischen Dialog zwischen den Protagonisten voraussetzt. Warum haben unsere Partner, beispielsweise in den Fällen Afghanistan, Libyen, Irak, Jemen, Mali und Südsudan, die Regierungen aufgefordert, mit der Opposition zu reden, mit den Rebellen, in einigen Fällen sogar mit Extremisten, während unsere Partner in der ukrainischen Krise anders handeln und tatsächlich Kiew zu seiner Militäroperation ermuntern und sogar soweit gehen oder jedenfalls versuchen, den Einsatz von Streumunition zu rechtfertigen?

Bedauerlicherweise neigen unsere westlichen Kollegen dazu, ihre Augen vor allem zu verschließen, was von den Kiewer Autoritäten gesagt und getan wird, darunter auch das Schüren fremdenfeindlicher Einstellungen. Lassen Sie mich zitieren: „Der ukrainische Sozial-Nationalismus betrachtet die ukrainische Nation als eine Blut- und Rassengemeinschaft.“ Gefolgt von: „Die Frage der völligen Ukrainisierung im zukünftigen sozial-nationalistischen Staat wird innerhalb von drei bis sechs Monaten durch eine harte und ausgewogene Politik des Staates gelöst werden.“

Der Autor dieser Worte ist Andrej Biletsky, der Kommandeur des Asow-Regiments, das aktiv an den militärischen Aktivitäten im Donbass beteiligt ist. Einige andere Aktivisten, die eine politische oder Machtposition gewonnen haben, darunter Dmitrij Jarosch, Oleg Tjagnibok und der Führer der Radikalen Partei in der Werchowna Rada, Oleg Lyaschko, forderten mehrfach öffentlich eine ethnische Säuberung der Ukraine zur Beseitigung der Russen und Juden. Diese Erklärungen lösten in den westlichen Hauptstädten keine Reaktionen aus. Ich denke nicht, daß das heutige Europa es sich leisten kann, die Gefahr der Ausbreitung des Neo-Nazi-Virus nicht zu beachten.
Die ukrainische Krise kann durch militärische Gewalt nicht gelöst werden. Dies bestätigte sich im letzten Sommer, als die Lage auf dem Kampfschauplatz die Beteiligten zwang, das Minsker Abkommen zu unterzeichnen. Es bestätigt sich auch jetzt wieder, wo der jüngste Versuch, einen militärischen Sieg zu erringen, scheitert. Aber ungeachtet dessen wird in einigen westlichen Ländern noch lauter dazu aufgerufen, die Unterstützung für die Bestrebungen der Kiewer Autoritäten zur Militarisierung der Gesellschaft und des Staates zu verstärken und die Ukraine mit tödlichen Waffen „aufzupumpen“ und sie in die NATO hineinzuziehen. Hoffnung gibt die wachsende Opposition gegen solche Pläne in Europa, die die Tragödie des ukrainischen Volkes nur verschlimmern können.

Rußland wird auch weiter daran streben, Frieden zu schaffen. Wir fordern konsequent die Einstellung der militärischen Aktivitäten, den Rückzug der schweren Waffen und den Beginn direkter Gespräche zwischen Kiew und Donezk und Lugansk über praktische Schritte zur Wiederherstellung des gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Raumes innerhalb der territorialen Integrität der Ukraine. Zahlreiche Initiativen Präsident Putins zielten darauf ab, genau dies im Normandie-Format [footnote] Der Begriff Normandie-Format, auch Normandie-Quartett, bezieht sich ab Juni 2014 auf eine semi-offizielle Vierer-Gesprächsrunde auf Regierungs- und Außenministerebene zwischen Rußland, Deutschland, Frankreich und der Ukraine zu Fragen des Ukraine-Konflikts.[/footnote] zu tun, das half, den Minsker Prozeß, und unsere weiteren Bemühungen zu seiner Ausweitung, darunter auch die gestrigen Gespräche im Kreml zwischen den russischen, französischen und deutschen Führern in Gang zu bringen. Wie Sie wissen, laufen diese Gespräche noch. Wir glauben, daß es sehr gut möglich ist, daß wir Resultate erreichen und uns auf Empfehlungen einigen, die es den Parteien tatsächlich erlauben werden, in diesem Konflikt den Knoten zu lösen.

Es ist wesentlich, daß sich alle über das tatsächliche Ausmaß der Risiken im Klaren sind. Es ist höchste Zeit, daß wir mit der Gewohnheit brechen, alle Probleme einzeln zu betrachten, sodaß wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen können. Es ist an der Zeit, eine umfassende Einschätzung der Lage vorzunehmen. Die Welt steht jetzt vor einer drastischen Veränderung, die mit einem historischen Phasenübergang verbunden ist. Die Geburtswehen einer neuen Weltordnung manifestieren sich in der zunehmenden Neigung zu Konflikten in den internationalen Beziehungen. Wenn kurzsichtige praktische Entscheidungen mit Blick auf die nächsten Wahlen im eigenen Land bei den Politikern Vorrang gegenüber einer strategischen globalen Vision haben, dann entsteht das Risiko, daß uns die Kontrolle über die globalen Entscheidungen entgleitet...

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