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Frieden mit Rußland – für eine neue globale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur

von Helga Zepp-LaRouche

Rede bei der Konferenz "Dialog statt Waffen - überparteilich gegen den Krieg", die vom Ostdeutschen Kuratorium der Verbände e.V. (OKV) am 27. März 2023 in Berlin veranstaltet wurde:

Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich, es ist mir eine Ehre, in Ihrem Kreise sprechen zu dürfen.

Was uns hier zusammenführt, ist die gemeinsame Sorge, daß wir uns gegenwärtig in einer Eskalationsspirale zwischen den USA und Rußland befinden, die im schlimmsten Fall kurzfristig zu einem nuklearen Weltkrieg führen kann, der in einem darauf folgenden nuklearen Winter alles Leben auf dieser Erde auslöschen könnte. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Kujat, hat vor kurzem gewarnt, daß wir heute – anders als in der Kubakrise – nicht von Politikern regiert werden, die in der Lage wären, die bestehenden Risiken einzuschätzen, klug genug wären, sie abzuwenden und die bereit wären, Kompromisse zu machen. Man kann es auch anders ausdrücken: Wir sind derzeit Kräften ausgeliefert, die jegliche Souveränität abgegeben und mit ihrer Politik die Existenz Deutschlands riskieren, und zwar sowohl was die Sicherheitspolitik betrifft als auch die Existenz von Deutschland als Industrienation.

Das wichtigste ist jetzt, so schnell wie möglich mit Hilfe aller möglichen Kräfte in der Welt zu einem Waffenstillstand in der Ukraine und zu Friedensverhandlungen zu kommen, die die Interessen der Ukraine und von Rußland berücksichtigen. Ihre Hilfe als Vermittler haben angeboten Präsident Xi Jinping mit seinem 12-Punkte-Plan, Präsident Lula von Brasilien mit einem Friedens- Klub mehrerer Länder des Globalen Südens, Präsident Erdogan und, sehr wichtig, Papst Franziskus. Es ist offensichtlich, daß alle diese Personen nicht beschuldigt werden können, „Putin-Versteher“ zu sein oder die russische Narrative zu wiederholen, was ja inzwischen das Totschlagsargument geworden ist, mit dem  jede Sichtweise, die nicht die der NATO ist, im Ansatz abgewürgt, oder einem „Prebunking“ unterzogen werden soll. „Prebunking“  ist eine präventive Impfung gegen ein mögliches selbständiges Denken, wie es in den neuen EU-Richtlinien ausgedrückt ist.

Der Krieg in der Ukraine ist eine Tragödie, zu der es nie hätte kommen dürfen,  aber sie war alles andere als „unprovoziert“. Der damalige US-Botschafter in Moskau, Jack Matlock, ist keineswegs der einzige, der die Gorbatschow gegebenen Versprechen der USA bezeugt, daß sich die NATO  als Gegenleistung für die friedliche deutsche Wiedervereinigung „keinen Inch“ nach Osten ausweiten würde. Aber parallel zu diesen mündlichen Versprechungen formierten sich damals bereits die Neocons und zwar  in beiden Parteien – also Cheney, Rumsfeld, Hillary Clinton, Victoria Nuland und Biden – und waren sich im wesentlichen über das einig, was als die Wolfowitz-Doktrin akzeptiert werden sollte: die Doktrin für die unipolare Weltordnung, basierend auf der angloamerikanischen Sonderbeziehung. Diese Doktrin besagt, daß es niemals erlaubt werden könne, daß irgend ein Land die USA wirtschaftlich, politisch oder militärisch überhole.

Also anstatt die Auflösung der Sowjetunion als Anlaß für die Errichtung einer Friedensordnung zu nehmen, wofür damals das politische Klima absolut existierte, witterten die Neocons die Chance für die Errichtung eines globalen Leviathans im Sinne von Thomas Hobbes.

Die Transformation der ehemaligen Supermacht Sowjetunion in ein rohstoffexportierendes Dritte-Welt-Land geschah mit Hilfe der neoliberalen „Schocktherapie“, die in den Jahren 1991-94 die industriellen Kapazitäten Rußlands auf nur noch 30% reduzierte. Damit sollte schon damals Rußland – dank seiner enormen Ressourcen und besser ausgebildeten Wissenschaftler und Arbeitskräften als potentieller Konkurrent auf dem Weltmarkt gefürchtet – nachhaltig ausgeschaltet werden.

Was weiter folgte, waren die fünf NATO-Osterweiterungen und die Anwendung der Instrumente der unipolaren Welt: Farbrevolutionen, Regimewechsel, Interventionskriege, die solange verabreicht werden sollten, bis überall auf der Welt konforme Regierungen installiert wären und Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“, also die Ausbreitung des westlichen Demokratie-Modells, überall verwirklicht  wäre.

Gegen Jelzin war von diesem Standpunkt aus nichts einzuwenden, wohl aber gegen Putin, der sich nicht mit der  von Obama so bezeichneten Herabqualifizierung Rußlands als Regionalmacht  abfand und Rußland wieder als Weltmacht auf die Tagesordnung setzte. China wurde die Mitgliedschaft in der WTO in der irrigen  Annahme erlaubt, daß es das neoliberale Modell übernehmen würde.

Viele werden sich an die optimistische Rede Putins 2001 vor dem Deutschen Bundestag erinnern, die er großenteils in der Sprache von „Goethe, Schiller und Kant“ hielt, und an sein Werben für eine „moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur“. Aber nur ein Jahr später kündigten die USA einseitig den ABM-Vertrag auf und signalisierten damit ihre Intention, eine Erstschlags-Option in ihrer Militärdoktrin zu verwirklichen.

Drei Tage vor der „Sonderoperation“ am 21. Februar 2022 sagte Putin in einer langen Rede: „Ich werde jetzt etwas sagen, was ich noch nie öffentlich gemacht habe. Als der aus dem Amt scheidende US-Präsident Bill Clinton Moskau 2000 besuchte, fragte ich ihn, wie Amerika  darüber denke, Rußland in die NATO aufzunehmen.“ Die Antwort sei sehr zurückhaltend ausgefallen, und die wahre Haltung Amerikas habe man kurz darauf in der offenen Unterstützung für Terroristen im Nord-Kaukasus sehen können. In seiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 wies Putin dramatisch darauf hin, wie weitgehend die Sicherheitsinteressen Rußlands bereits mißachtet und rote Linien überschritten waren. Der Appell wurde ebenso ignoriert wie unzählige danach, der letzte am 17. Dezember 2021, als Putin von den USA und der NATO rechtlich verpflichtende Sicherheitsgarantien verlangte. Die Antworten darauf enthielten nur Nebenaspekte.

Die Summen, die London und Washington in den letzten beiden Jahrzehnten für die sogenannte Zivilgesellschaft in Rußland, Protest-Aktionen und Polarisierung ausgegeben haben, stellen die von Viktoria Nuland zugegebenen fünf Milliarden Dollar für die Ukraine bei weitem in den Schatten. Ziel dieser Operation ist  nichts weniger als die „Entkolonialisierung“ Rußlands, seine vollkommene Zerschlagung in, je nach Autor, drei bis zwölf eigenständige Nationen, wie Zbignew Brzezinski es sein Leben lang propagierte und Dick Cheney laut dem stellvertretenden Sicherheitsberater Robert Gates schon 1991 verfolgte, der nicht nur die Zerschlagung der Sowjetunion anstrebte, sondern von Rußland selbst.

Genau diese Zielsetzung verfolgen seitdem diverse Organisationen und Institutionen in Großbritannien und den USA, wie zum Beispiel die Helsinki Commision der US-Regierung, die am 23. Juni 2022 ein Online-Seminar mit dem Titel abhielt: „Die Entkolonialisierung Rußlands: Eine moralische und strategische Notwendigkeit“, in der die Aufspaltung Rußlands in zehn Regionen gefordert wurde. Das sogenannte „Free Nations of Post-Russia Forum“, das von dem russischen Dissidenten Ilja Ponomarev gegründet wurde – der sich übrigens für den Mord an Frau Dugina verantwortlich erklärte, an dem er sogar federführend gewesen sei – veranstaltete 2022 vier Konferenzen in Polen und der tschechischen Republik, die die Zerschlagung Rußlands zum Thema hatten. Ponomarev brüstete sich damit, „Partisanen“ bei ihren Sabotage-Aktionen zu unterstützen. Der Deutschlandfunk berichtete über diese Aktivitäten, die, wenn sie anderwo stattfänden, als terroristische Anschläge bezeichnet würden, als ganz normal und begrüßenswert. Am 14. Februar 2023 fand in Washington eine gemeinsame Konferenz der regierungsnahen Jamestown Foundation und des Hudson Institute statt, für die einer der Hauptredner, Luke Coffrey (Hudson Institute und ehemals Margret Thatcher Fellow bei der Heritage Foundation und erstmaliger Nicht-UK-Berater des britischen Verteidigungsministers), schon im Dezember ein sechsseitiges Dokument erstellt hatte mit dem Titel: „Vorbereitung für den endgültigen Kollaps der Sowjetunion und die Auflösung der Russischen Föderation“. Es ist diese Perspektive der existentiellen Bedrohung Rußlands, warum Putin sich auf die existierende russische Nuklear-Doktrin bezogen und vom Einsatz von Atomwaffen gesprochen hat, wenn die Existenz der Russischen Föderation bedroht ist, was von den Medien natürlich ausgelassen wird.

Soviel zu dem Thema „unprovozierte Aggression“, wozu ich als „Nicht-Putin-Agentin“ aus Zeitgründen natürlich nur eine kleine Auswahl von einer sehr großen Anzahl von öffentlichen westlichen Quellen benutzt habe.

Wir müssen dringend aus dieser geopolitischen Falle herauskommen. Deshalb habe ich bereits im April letzten Jahres eine neue globale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur vorgeschlagen, die die Interessen jeder einzelnen Nation der Welt berücksichtigen muß. Die zehn Prinzipien, die ich dafür als Grundlage formuliert habe, zirkulieren in vielen Ländern und Institutionen. Die Schaffung einer solchen neuen Architektur ist auch der einzig sichtbare Weg, wie die systemische Krise  des transatlantischen Finanzsystems, die der eigentliche Treiber hinter der Kriegsgefahr ist, überwunden werden kann.

Die Nationen des Globalen Südens, die bei weitem die Mehrheit der Menschheit darstellen, haben sich erfolgreich geweigert, sich in die geopolitische Konfrontation zwischen den USA einerseits und Rußland und China hineinziehen zu lassen. Die beginnende Friedensbewegung in Deutschland muß sich dringend mit dieser globalen Mehrheit verbünden, denn wir haben das gleiche Problem.

Zu dieser Architektur und den zehn Prinzipien gehören die absolute Anerkennung der nationalen Souveränität, die Überwindung der Armut mit Hilfe eines neuen internationalen Kreditsystems, ein modernes Gesundheitssystem in jedem Land, universelle Bildung für alle, die infrastrukturelle Erschließung und industrielle Entwicklung aller Länder, das Verbot und die technologische Entwertung aller Massenvernichtungswaffen und die Schaffung eines völlig neuen Paradigmas in den internationalen Beziehungen.

Dieser Vorschlag zirkuliert bereits in wichtigen Kreisen weltweit, und ich bitte Sie, ihn auch in dieser Diskussion aufzunehmen.

Wir befinden uns in einem epochalen Umbruch, bei dem die Blockfreie Bewegung die wichtigste Rolle spielt. Darin liegt auch die Hoffnung für Deutschland.

Vielen Dank.

 

LINKS:

Artikel zur Konferenz

Video der Rede 

Die ganze Konferenz ist als Videomitschnitt auf der Webseite des OKV verfügbar Teil 1  und  Teil 2

Berichterstattung in Frankreich und den USA (I) und (II)