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Ukraine-Verhandlungen werden sabotiert: Wer will einen noch größeren Krieg?

Eine Analyse von Harley Schlanger

Auf seiner virtuellen Tour durch die Hauptstädte seiner Verbündeten letzte Woche machte der ukrainische Präsident Selenskyj ein verblüffendes Eingeständnis. Nachdem er jahrelang für die Aufnahme der Ukraine in die NATO geworben hatte, räumte er ein, daß es dazu nicht kommen wird. Trotz wiederholter Versprechungen der transatlantischen Führung, daß für eine NATO-Mitgliedschaft „die Tür offen steht“, habe er nun erkannt, daß „wir nicht durch diese Tür gehen können. Das ist die Wahrheit, und wir müssen sie einfach so akzeptieren.“

Wie der Londoner Telegraph bedauernd feststellte, kam dieses Zugeständnis Selenskyjs „einer Forderung Putins“, der eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine als rote Linie einstuft, „sehr nahe“. Selenskyj deutete auch an, daß er nun offen für die Erfüllung der Minsk-2-Vereinbarung über den Status der umstrittenen Gebiete im Donbaß ist, die Rußland jetzt als unabhängige Volksrepubliken anerkennt. Damit wird eine weitere Bedingung Putins für die Beendigung der Militäroperationen akzeptiert. Er fügte hinzu, die laufenden Verhandlungen mit Rußland verliefen „ziemlich gut“.

Hätte Selenskyj das gleiche vor vier Wochen gesagt, dann hätte Putin vielleicht gar keine militärischen Einsätze in der Ukraine begonnen.

Doch im selben Atemzug mit diesen Zugeständnissen flehte Selenskyj die Parlamente in Ottawa, Washington, Brüssel, London und Berlin an, noch mehr Waffen und Militärhilfe zu liefern und eine Flugverbotszone über seinem Land zu verhängen – wohl wissend, daß man damit einen Weltkrieg zwischen Rußland und der NATO riskiert. Die NATO-Führung lehnt dies zwar weiter offiziell ab, aber unberechenbare britische und US-Kriegstreiber drängen weiterhin auf direktere Maßnahmen gegen Rußland, wie eine Flugverbotszone und härtere Sanktionen. Die Tatsache, daß Selenskyj diesen Weg weiter beschreitet, obwohl er dessen Aussichtslosigkeit erkannt hat, beweist, daß er unter enormem Druck der US- und NATO-Kräfte steht, weiter zu kämpfen, was den Vorwurf rechtfertigt, er sei eine bloße Marionette der westlichen Falken.

Solche Einstellungen sind Ausdruck eines pathologischen Hasses auf Rußland, der durch die psychologische Kriegsführung der anglo-amerikanischen Geheimdienste genährt und durch das durchgängige Narrativ in den westlichen Medien verstärkt wird. Man hält weiter fest an dem illusionären Glauben an die militärische und wirtschaftliche Macht der USA/NATO und ihre Fähigkeit, eine mythische „regelbasierte Ordnung“ durchzusetzen – und dem ebenso illusionären Glauben, letztendlich werde Rußland gezwungen sein, sich dieser Ordnung zu unterwerfen.

Dahinter steht die Angst vor dem Wirtschaftsbündnis zwischen Rußland und China, das beim Gipfeltreffen der Präsidenten Putin und Xi am 4. Februar zementiert wurde und in die Richtung einer vollständigen Integration der Eurasischen Wirtschaftsunion mit China und seiner Gürtel- und Straßen-Initiative geht. Das ist eine attraktive Alternative für viele Nationen, die nicht gewillt sind, sich dem „Great Reset“ zu unterwerfen und ihre Souveränität den westlichen Zentralbanken zu opfern, und das, während die westlichen Volkswirtschaften gerade in den systemischen Zusammenbruch schlittern.

Dieses westliche Narrativ ignoriert die Realität der militärischen Ziele Rußlands, die dem US-Militäranalysten Colonel Douglas Macgregor zufolge „weitgehend erreicht“ sind. Macgregor erklärte am 15. März gegenüber GrayZone: „Der Krieg ist in jeder Hinsicht entschieden. Die gesamte Operation war vom ersten Tag an auf die Vernichtung der ukrainischen Kräfte ausgerichtet. Das ist weitgehend abgeschlossen.“ Dies werde allerdings ignoriert, denn „im Westen gibt es keine Wahrheit. Es herrscht Wunschdenken und der Eindruck eines Erfolgs der Ukrainer, was aber nicht plausibel ist.“ Die transatlantischen Staaten scheinen fest entschlossen, die Ukraine weiter aufzurüsten, gemäß der zynischen Redewendung, der Westen werde Rußland solange bekämpfen, bis der letzte Ukrainer tot ist!

Wirtschaftskrieg gegen Rußland

Wie Macgregors Kommentare deutlich machen, geht es gar nicht darum, die „Freiheit und Souveränität der Ukraine“ und ihrer Menschen zu verteidigen. Die Weigerung, ernsthaft mit Putin zu verhandeln und auf seine Forderung nach Sicherheitsgarantien einzugehen, wird diktiert von der Absicht, Rußland zu ruinieren und zu vollenden, was in den Jelzin-Jahren begann, als Rußland durch die Ausplünderung mit dem Wirtschaftskrieg der „Schocktherapie“ in einen demographischen Kollaps gestürzt wurde. Wie US-Regierungsvertreter nach einem Treffen im Weißen Haus am 25. Januar in einem anonymen Hintergrundbriefing erklärten, sei das Ziel der Sanktionspolitik, die russische Wirtschaft zu „zerstören“ und alle Bemühungen der Regierung Putin um wirtschaftliche Modernisierung und Diversifizierung zu unterbinden. Sollte dies gelingen, wäre Putin diskreditiert, und die Tür stünde offen für eine erfolgreiche Farbrevolution in Rußland. Sie gaben zu, daß die Planungen für die „schmerzhaften“ Sanktionen schon seit Monaten liefen, und bestätigten damit Putins Aussage, die Sanktionen kämen so oder so, egal welchen Kurs er in der Ukraine einschlägt.

Präsident Biden prahlte in seiner Rede zur Lage der Nation mit seiner „Härte“ gegenüber Putin und Rußland und verwies dazu auf die von ihm verhängten Sanktionen. Schon vor dem Beginn von Rußlands Militäroperationen in der Ukraine hatte US-Außenminister Blinken auf einer ausgedehnten politischen Rundreise hinausposaunt, welchen Schmerz man Rußland zufügen werde, wenn sein Militär einen Fuß in die Ukraine setze. Auch der britische Premierminister Boris Johnson, die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Stoltenberg äußerten sich in diesem Sinne.

Doch auch wenn verschiedenste Transatlantiker sich in arroganter Selbstbeweihräucherung über den angerichteten Schaden freuen, darf man die britische Rolle beim Anheizen dieser zerstörerischen Operationen gegen Rußland – wie auch gegen China – nicht übersehen. Schließlich führt das Empire seit Jahrhunderten Wirtschaftskriege, was mindestens zu den neoliberalen Malthusianern der Britischen Ostindiengesellschaft zurückreicht, und es war für den Tod von 1-2 Millionen Iren in der Kartoffel-Hungersnot zwischen 1845 und 1852 sowie für die Hungersnöte in Indien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert mit zig Millionen Toten verantwortlich.

Heute mögen die eingesetzten Mittel anders sein, aber die Absicht ist die gleiche: zu verhindern, daß sich die souveränen Nationalstaaten gegen die mörderischen Plünderungsmethoden der Londoner Finanzoligarchie wehren. Und da die Briten heute nicht die Macht haben, die Weltordnung nach dem Kalten Krieg zu lenken, dienen ihnen die USA als militärischer Vollstrecker des neuen Empire, das unter der Leitung transatlantischer Banken-, Versicherungs- und anderer ineinandergreifender Kartelle operiert.

Briten bilden die Speerspitze

Das häßliche Gesicht dieser neuen malthusianischen Politik ist Johnsons Außenministerin Liz Truss als Vollstreckerin der neuen imperialen Politik unter der Regie der City, genannt „Globales Britannien“. In einer Rede am 10. März vor dem Atlantic Council (AC), einer anglo-amerikanischen Denkfabrik, die von den Regierungen der USA und Großbritanniens, der NATO und den Unternehmenskartellen des militärisch-industriellen Komplexes finanziert wird, erläuterte Truss die nächste Phase der wirtschaftlichen Kriegsführung. Der AC hat eine eigene Abteilung für die Ausarbeitung immer härterer Sanktionen unter der Leitung von Daniel Fried, dem ehemaligen Direktor für Sanktionen im US-Außenministerium unter Präsident Obama. Fried hatte die ersten großen Sanktionen gegen Rußland organisiert, nachdem der Kreml auf den von den USA gesteuerten Putsch in Kiew im Februar 2014 reagiert hatte.

Truss beschrieb in ihrer Rede vor dem AC die britische Absicht, den aktuellen Krieg gegen Rußland als Sprungbrett für die Schaffung einer neuen imperialen globalen Sicherheitsarchitektur und Wirtschaftsstruktur zu nutzen, die den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zuwiderläuft. Die Pläne sind das genaue Gegenteil der Idee einer Menschheitsgemeinschaft aller Völker, wie sie im Aufruf des Schiller-Instituts für eine Konferenz zur Schaffung einer neuen Sicherheits- und Finanzarchitektur der Welt vertreten wird. (Zu diesem Aufruf finden Sie hier einen link).

Truss sagte, die Krise in der Ukraine sei ein „Paradigmenwechsel vom Ausmaß des 11. September, und wie wir heute reagieren, wird das Muster für diese neue Ära bestimmen. Wenn wir Putins Expansionsdrang unangefochten lassen, wäre dies ein gefährliches Signal an potenzielle Aggressoren und Autoritäre in der ganzen Welt, und das können wir einfach nicht zulassen. Wir müssen von dem Grundsatz ausgehen, daß die einzige Sprache, die Aggressoren verstehen, Stärke ist.“ Aber „wir tun immer noch nicht genug“. Sie beschrieb die nächsten Schritte zur Zerstörung Rußlands: „Wir wollen eine Situation, in der sie keinen Zugang zu ihren Geldern haben, ihre Zahlungen nicht abwickeln können, ihr Handel nicht fließen kann, ihre Schiffe nicht andocken und ihre Flugzeuge nicht landen können... Und wir müssen mehr tun, um Verteidigungswaffen zu liefern... Wir werden all das tun, und wir werden diese neue globale Ära für die globale Sicherheit gestalten.“

Damit wiederholte Truss die Argumente des „Sanktionsgurus“ Daniel Fried einen Tag zuvor in einem Artikel des AC mit der Überschrift „Was bleibt in Rußland noch zu sanktionieren? Brieftaschen, Aktien und ausländische Investitionen“. Fried und sein Mitautor Brian O‘Toole, ein ehemaliger Berater des US-Finanzministeriums, schreiben dort, die Wirkung der bisher verhängten Sanktionen sei die, Rußland „zu schleifen“, so daß es die „Festung Rußland“ nicht mehr gebe. Die Sanktionen seien „eine Katastrophe für das russische Volk“, weil sie Rußland isolierten. Da Putin jedoch weiter angreife, „muß der Westen mehr Eskalationsoptionen entwickeln“, bis Rußland aus der Ukraine abzieht und Hilfe bei ihrem Wiederaufbau leistet. Fried und O‘Toole kommen zu dem Schluß, daß eine Aufhebung oder Aussetzung von Sanktionen nach dem Ende des Krieges „kompliziert“ wäre, weil Putins Versprechen „einfach nicht zu trauen ist“. Das deutet stark auf die Absicht hin, die Sanktionen auf Dauer beizubehalten.

Ähnlich extreme Maßnahmen gegen Rußland fordert auch der AC-Geschäftsführer Frederick Kempe in einem Artikel vom 13. März mit dem Titel „Die Antwort des Westens an Putin ist bemerkenswert. Aber sie reicht nicht“. Die Waffenlieferungen an die Ukraine seien „beeindruckend“, die Wirtschafts- und Finanzsanktionen beispiellos und historisch, und die transatlantische und internationale Unterstützung größer als erwartet. Dennoch sei das „nicht genug“, man müsse noch mehr tun, „und zwar schnell..., mehr Sanktionen, mehr militärische Unterstützung und mehr internationale Einigkeit“.

Unter Bezug auf eine Erklärung des ehemaligen US-Verteidigungsministers Robert Gates zur „russischen und chinesischen Herausforderung ... für die Friedensordnung“ bezeichnet Kempe Putins Militäroperationen in der Ukraine als „epochale Herausforderung“. Er unterstützt die Vorschläge von Fried und O‘Toole und stellt abschließend fest: „Putin hat verloren“, aber seine Gegner hätten noch nicht gewonnen. „Was bisher gegen Putin erreicht wurde, ist bemerkenswert, aber noch nicht ausreichend.“

Endphase des britischen Geheimdienstes

Ein noch extremeres Programm zur wirtschaftlichen Zerstörung Rußlands präsentierte die Denkfabrik Chatham House, ein Zweig des britischen Geheimdienstes, am 17. März unter der Überschrift „Ein Verhandlungsfrieden mit Rußland steckt voller Gefahren“. Der Verfasser, James Nixey, ist Direktor des Rußland-Eurasien-Programms von Chatham House. Als erstes wirft er der Europäischen Union vor, sie habe „in jüngster Zeit erfolgreich unabhängige Staaten zu Zugeständnissen an Rußland gedrängt, indem man ,das Unvermeidliche akzeptiert‘.“ Als Beispiel führt er das Minsker Abkommen an: „Die Ukraine wurde gezwungen, ein zweites Minsk-Abkommen mit für Rußland günstigen Bedingungen zu unterzeichnen“, dessen Umsetzung „praktisch das Ende der Ukraine bedeuten würde“.

Für Putin gehöre die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen „zu seinem Standardrepertoire“, das sei eine „erfolgreiche diplomatische Taktik“. Rußland habe kein Interesse an einer Deeskalation, nur „weitreichende Gegenmaßnahmen können etwas bewirken..., keine gewöhnlichen Sanktionen, sondern massive Sanktionen, ,Oligarchen-Auspressen‘, Desinvestitionen vor allem im Energiebereich, Kultur- und Sportboykott, Unterstützung des ukrainischen Widerstands mit militärischer, wirtschaftlicher und humanitärer Hilfe und Zusicherung internationaler strafrechtlicher Verfolgung...“

Die Idee hinter einer militärischen Hilfe für „ukrainischen Widerstand“ wurde in einem Artikel der Washington Post vom 5. März dargelegt: „Die USA und ihre Verbündeten bereiten sich im Stillen auf eine ukrainische Exilregierung und einen langen Aufstand vor“. Dabei geht es um die Unterstützung eines Guerillakriegs gegen die „russischen Besatzer“. Daß ein solcher Plan in Erwägung gezogen wird, beweist eindeutig, daß das eigentliche Ziel weder Unterstützung von „Demokratie“ in der Ukraine noch die Liebe zum ukrainischen Volk ist. Es wäre eine Neuauflage der letztlich katastrophalen US-Unterstützung für die Opposition gegen das von der Sowjetunion unterstützte Regime in Afghanistan, als man den Taliban und Al-Kaida Waffen lieferte – oder der Unterstützung für „gemäßigte Rebellen“ in Syrien mit Waffen und Training, wovon am Ende die Terroristen von ISIS und Al-Kaida/Al-Nusra profitierten, mit verheerenden Folgen für die Menschen in Syrien.

Die vom Empire angestrebte Zukunft, die man an den Formulierungen derjenigen ablesen kann, die „Regimewechsel“ in Rußland und China fordern, ist die Teilung der Welt in konkurrierende Blöcke, die sich in ständigem Krieg befinden und im Rahmen einer weltweiten malthusianischen Zentralbankdiktatur (dem „Great Reset“) operieren. Wer diese Schreckensvision ablehnt, sollte sich für ein neues Paradigma einsetzen, das auf der Schaffung einer Sicherheits- und Finanzarchitektur beruht, die den gegenseitigen Nutzen aller souveränen Nationen und Völker fördert.

Dazu veranstaltet das Schiller-Institut eine internationale Internetkonferenz am 9. April. Informationen dazu hier.