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Um einen Krieg zu verhindern, brauchen wir eine neue strategische Architektur

Von Harley Schlanger

Die einwöchigen Gipfeltreffen, die zur Lösung der sich verschärfenden Spannungen zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten bzw. der NATO im Zusammenhang mit der Ukraine anberaumt worden waren, waren frühen Presseberichten sowie Berichten von Teilnehmern zufolge kaum erfolgreich. Den Gesprächen waren zwei Telefonate der Präsidenten Biden und Putin vorangegangen, und in ihrem Mittelpunkt standen Vorwürfe der USA über eine bevorstehende russische Invasion in der Ukraine sowie Rußlands Beharren auf schriftlichen und rechtsverbindlichen Verträgen mit den USA und der NATO, die eine weitere NATO-Osterweiterung untersagen und die Stationierung moderner Waffen und Raketenabwehr in der Ukraine verbieten.

Typisch waren die Äußerungen des stellvertretenden Außenministers Sergej Rjabkow, der die russische Delegation bei den Treffen am 9. und 10. Januar in Genf leitete, und der stellvertretenden Außenministerin Wendy Sherman, die auf amerikanischer Seite den Vorsitz führte. Rjabkow bekräftigte Rußlands Standpunkt, daß die Ukraine „niemals, niemals, niemals Mitglied der NATO werden darf“. Er wies auch die Vorwürfe der USA bezüglich der Ukraine zurück: „Es gibt keinen Grund, ein Eskalationsszenario zu befürchten.“

Rjabkows Äußerungen wurden von einem weiteren stellvertretenden Außenminister bekräftigt, Alexander Gruschko, der am 13. Januar auf russischer Seite den Vorsitz bei den Gesprächen des Rußland-NATO-Dialogs hatte. Gruschko begann mit der Feststellung, es gebe „keine einheitliche, positive Agenda zwischen Rußland und der NATO“, und warf USA und NATO vor, sie kehrten zur Strategie des Kalten Krieges zurück, um „Rußland einzudämmen“.

Sherman sagte im Anschluß an die achtstündige Sitzung am 10. Januar, die russischen Sicherheitsforderungen kämen für die USA „einfach nicht in Frage“, und sie fuhr fort: „Wir werden nicht zulassen, daß jemand die Politik der offenen Tür der NATO zuschlägt.“

Das war praktisch eine wörtliche Wiederholung der Äußerungen von US-Außenminister Blinken vor Beginn der Sitzungen, der am Sonntag vor dem amerikanischen Fernsehpublikum erklärt hatte, bei den Gesprächen gehe es „nicht darum, Zugeständnisse zu machen“, sondern zu sehen, „was getan werden kann, um Spannungen abzubauen“. Er wiederholte die spekulative Einschätzung von US-Geheimdienstkreisen, Putin sei bereit, eine „weitere Invasion der Ukraine“ zu beginnen – wobei er die russische Hilfe für die prorussischen Kräfte im Donbaß und das Referendum auf der Krim über die Rückkehr zu Rußland fälschlicherweise als „Invasion“ bezeichnete. Er schloß seine Tirade mit der Behauptung: „Ein Land darf keine Einflußsphäre haben.“

Blinkens Aussage zeigt beispielhaft, was Fortschritten bei diesen Gesprächen im Wege steht. Angesichts der weltweiten Aufrüstung der USA zur Durchsetzung ihrer „Einflußsphäre“, der Organisation von Farbrevolutionen und Regimewechseln wie in der Ukraine und in Libyen sowie der „endlosen Kriege“ in Südwest- und Zentralasien sollte klar sein, warum Putin rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien fordert! Die Heuchelei von Leuten wie Blinken, der hochtrabend davon spricht, eine unipolare „regelbasierte Ordnung“ zu verteidigen, trägt eine bedeutende Schuld an der Verschärfung der Spannungen.

Diejenigen, die Rußland beschuldigen, einen unprovozierten Angriff auf die Ukraine zu planen, verschweigen wichtige Fakten:

- den Aufmarsch der Hälfte der ukrainischen Streitkräfte entlang des Dnjepr, der den Donbaß vom Rest des Landes trennt;

- die Drohungen des ukrainischen Präsidenten, die Gebiete unter „russischer Militärkontrolle“ zurückzuerobern;

- die Lieferung hochentwickelter Waffen an das ukrainische Militär und Zusagen von NATO-Mitgliedern, die Souveränität des Landes zu verteidigen;

- sowie die ständigen NATO-Manöver entlang der russischen Grenze in Ländern des ehemaligen Warschauer Pakts, die Stationierung von Soldaten in der Ukraine und die Ausweitung der Marineoperationen im Schwarzen Meer.

Mögliche positive Signale?

Auch wenn die Krise in den Sitzungen dieser Woche nicht gelöst werden konnte, gab es einige Anzeichen dafür, daß Fortschritte erzielt wurden. So beschrieb Rjabkow die Gespräche als „schwierig, lang, sehr professionell, tiefgehend, konkret und ohne Versuche, gewisse Ecken und Kanten zu beschönigen. Wir hatten das Gefühl, daß die amerikanische Seite die russischen Vorschläge sehr ernst nahm und sie eingehend prüfte.“

Der ehemalige CIA-Analyst Ray McGovern bezeichnet in einer Kolumne vom 11. Januar auf Antiwar.com die Vereinbarung, über Raketenstationierungen in Europa zu verhandeln, als möglichen Durchbruch. Er zitiert die Washington Post, die von einer „Sackgasse“ und „Stillstand“ sprach, als repräsentativ für die Mainstream-Medienberichterstattung, tatsächlich aber sei Shermans Vorschlag, über die Standorte von Mittelstreckenraketen in Europa zu sprechen, ein Schritt nach vorn. Biden habe vorher versprochen, das „als Quid für die Eröffnung der Gespräche zu diskutieren. Es scheint, daß das nun der Fall ist.“ Er schließt daraus, daß Durchbrüche möglich sind.

Der von Donald Trump im Oktober 2018 angekündigte Rückzug der USA aus dem INF-Abkommen über Mittelstreckenraketen hat zu den russischen Bedenken beigetragen, die USA hätten vor, Rußland mit Kernwaffen einzukreisen, wozu letztlich auch Atomwaffen in Polen, dem Baltikum und der Ukraine gehören könnten.

Optimistisch äußerte sich auch der erfahrene Rußlandexperte Gilbert Doctorow, der nach dem Pressebriefing im Anschluß an das OSZE-Treffen in Wien am 13. Januar gegenüber RT erklärte, er sei „optimistisch“, und die „Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konflikts sei äußerst gering“. Die Diskussionen seien zivilisiert und anspruchsvoll gewesen, und „die Russen werden gehört“. Es sei bemerkenswert, daß bei allem Gerede über die Solidarität der NATO mit der Ukraine „ein Land nach dem anderen ... erklärt hat, daß sie auf keinen Fall auch nur einen Soldaten schicken werden, wenn es zu einem Konflikt mit Rußland kommt“.

Warum die NATO verschwinden muß

Auch wenn einige sagen, es sei eine gute Nachricht, daß beide Seiten miteinander reden, betont Putin, dies reiche nicht aus, nun müsse gehandelt werden, angefangen mit der Ratifizierung der von Rußland vorgelegten Verträge. Die USA hätten in der Vergangenheit mündliche Versprechen und Handschlag-Vereinbarungen abgegeben – z.B. das Versprechen von US-Außenminister James Baker vom Februar 1990, die NATO werde sich „keinen Zoll nach Osten“ ausdehnen –, hätten diese Versprechen aber immer wieder gebrochen. Heute, 30 Jahre später, sei die NATO tausend Kilometer nach Osten vorgerückt. Es sei inakzeptabel, daß die USA und die NATO teilweise mit Atomwaffen bestückte Raketen in einer Entfernung von nur fünf Minuten von Moskau aufstellen könnten. „Es sind die Vereinigten Staaten, die mit ihren Raketen zu uns gekommen sind und bereits vor unserer Haustür stehen. Geht es zu weit, zu fordern, daß keine Angriffssysteme in der Nähe unserer Heimat aufgestellt werden?“

Helga Zepp-LaRouche erläuterte den Hintergrund des gefährlichen Verhaltens der NATO in ihrem wöchentlichen Dialog am 13. Januar. Die Gefahr gehe von der Mentalität der Kriegspartei im transatlantischen Bereich aus. Blinken und die NATO-Führung, wie Stoltenberg, seien überzeugt, daß die USA die dominierende Weltmacht bleiben müssen – daß der Westen „den Kalten Krieg gewonnen hat“ und daher das Recht habe, alle Länder seiner Vision einer unipolaren Welt zu unterwerfen. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas, die Modernisierung des russischen Militärs und ihr Bündnis als souveräne Nationen stellten für die unipolare Ordnung nach dem Kalten Krieg eine Bedrohung dar, insbesondere angesichts des immer schnelleren Zusammenbruchs der westlichen Volkswirtschaften und ihres Finanzsystems.

Manche klammerten sich noch an die Illusion, daß die militärische Macht der USA und der NATO die Vorherrschaft „westlicher Werte“ schützt, aber die Realität sehe anders aus, das zeige der zerstörerische Einsatz militärischer Gewalt gegen viele Länder wie Afghanistan, Libyen, Syrien, Irak und Jemen. Was für einen Sinn solle es haben, in einem Militärbündnis zu bleiben, das mit einem Krieg in Europa droht, der alle Länder zerstören würde? „Ich denke, wir haben jetzt eine Situation, in der wir die NATO durch eine neue Sicherheitsarchitektur ersetzen müssen, die das Überleben und die Sicherheitsinteressen aller garantiert“, sagte sie.

Sie bezog sich zum Vergleich auf den Westfälischen Frieden von 1648, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, und auf das Versailler Abkommen am Ende des Ersten Weltkriegs. Die Grundsätze des Westfälischen Friedens lauteten: „Um des Friedens willen muß man alles verzeihen, was die eine oder die andere Seite getan hat; dann der zweite Grundsatz: Um des Friedens willen muß man die Interessen der anderen berücksichtigen“, denn es könne keinen dauerhaften Frieden geben, solange man die Sicherheitsinteressen der anderen Staaten eklatant ignoriert. So hätten die Sieger des Ersten Weltkriegs Deutschland die alleinige Verantwortung für den Krieg zugeschoben und ihm enorme Reparationszahlungen auferlegt, was zu einer Wirtschaftsdepression und anschließendem sozialen Chaos führte, was den Weg für den Aufstieg der Nazis ebnete.

Man dürfe heute nicht mehr davon ausgehen, Frieden zu erreichen, indem man mit der militärischen Macht des US-NATO-Bündnisses eine unipolare Ordnung durchsetzt, die in erster Linie den Finanzinteressen der Londoner City, der Wall Street und des Silicon Valley dient. Stattdessen „brauchen wir eine Sicherheitsarchitektur, die die Interessen aller berücksichtigt, und das schließt Rußland und China ausdrücklich mit ein“. Im Rahmen eines solchen Abkommens könne an die Stelle des Impulses, militärische Lösungen für Wirtschaftskrisen zu suchen, eine internationale Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen treten. Das sei der einzige, wirkliche Weg zum Frieden.

siehe auch: SCHLAFWANDELN WIR IN EINEN THERMONUKLEAREN DRITTEN WELTKRIEG?